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Das spekulative Kapital (1)

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Wir legen hier in drei Teilen einen Vorbericht zu dem Buch Das spekulative Kapital vor, welches die erste umfassende Studie einer neuen Kapitalform beinhaltet, die die Ökonomien des 21. Jahrhunderts beherrscht. Dabei beziehen wir uns in diesem Bericht des öfteren auf LiPumas Buch The Social Life of Financial Derivatives: Markets, Risk, and Time , einen wichtigen Text zum Verständnis der gegenwärtigen Kapitalökonomie.

LiPuma
definiert das Soziale als eine kollektive Aktion, und im Speziellen
für die Finanzindustrie bedeutet das (verdeckte) Soziale, die
Bewegung des Kaufens und Verkaufens von Assets, das Spekulieren auf
ihren zukünftigen Wert, der auf der Affirmation des damit
verbundenen abstrakten Risikos basiert, wobei dies nur für Agenten
an den Märkten möglich ist, die schon soziale Dispositionen
bezüglich einer in der Finanzindustrie geforderten Rationalität
besitzen, welche ständig das gesamte finanzielle Feld durchquert,
man denke etwa an die Maximierung des Profits, die Produktion des
Selbstwertgefühls, die wettbewerbliche Dynamik, das spekulative
Ethos etc. Es besteht eine Relation zwischen diesem finanziellen
Habitus und den spekulativen Möglichkeiten, die dem finanziellen
Feld immanent sind; das heißt die Strukturen des finanziellen Feldes
sind in die kognitiven und generativen Schemata der Agenten
implementiert, was diese benötigen, um am »Spiel« im finanziellen
Feld teilnehmen zu können. Die reale Dynamik der finanziellen
Ökonomie basiert auf der Relation zwischen der Struktur der
Dispositionen der Agenten und der Struktur des finanziellen Feldes
und der Märkte selbst, die wiederum das Resultat einer Reihe von
kompetitiven Determinationen sind.

Für LiPuma
sind zur Untersuchung des Sozialen in der Finance drei
Voraussetzungen notwendig: Eine ontologische Voraussetzung, wobei
gerade die Untersuchung der finanziellen Krise zeigt, dass die
marxistischen und neoklassischen Theorien, welche beide die
Produktionssphäre privilegieren, selbst in die Krise geraten sind.
Mit der Zentralität der Produktion eine bestimmte Konzeption der
Totalität verbunden, die heute durch die Zirkulation und
Reproduktion der Kapitalmärkte, welche die Objektivität der
Totalität und die Performativität der Agenten zueinander in
Beziehung setzen, ersetzt wird.

Die zweite
Voraussetzung ist epistemologisch: Die Kategorien verlieren ihre
Dialektik zugunsten von Kategorien, die ein verteiltes ökonomisches
Feld darstellen. Die durch Spreads gekennzeichneten Derivate sind
relationale Räume, die es erlauben, dass simultane Bewegungen in
verschiedene Richtungen möglich sind. Diese Bewegungen durch
Zeit-Räume erscheinen unter zeitlichen gesichtspunkten als Intervall
bzw. als Zeiten der Bewertung, die durch Geschwindigkeit, Volatilität
und Verwertung gekennzeichnet sind. Diese mobile Konfiguration
ersetzt die üblichen unbeweglichen Konfigurationen von Punkten und
Positionen, Agenten versus Strukturen. Wenn man die Ökonomie eher
vom Gesichtspunkt des Spreads oder der Verbreitung untersucht, dann
gibt es keine harte Opposition zwischen Produktion und Zirkulation,
materiellem Reichtum und finanziellen Assets, Investition und
Spekulation, weil alle Begriffe sich gegenseitige bedingende
Dimensionen des Kapitals sind. Diese Art der Verbreitung inkludiert
eine spezifische Implementation des Sozialen, das wiederum ein Ritual
mobilisiert, um die Unsicherheit in Sicherheit zu verwandeln.
Schließlich geht es um ein immanentes Verständnis der
Wissenschaften, insofern die Analyse der Finanzmärkte einen Bezug zu
den Methoden und Praktiken der Agenten haben muss, die solche Märkte
konstruieren.

Das Derivat
ist kein Ding, das man etwa wie ein Buch in den Händen hält,
vielmehr ist es essenziell relational, vielmehr noch, es ist eine
Relation von Relationen. Zuerst ist die relative Volatilität des
Derivats in Relation zur Volatilität des Underlyings zu erwähnen,
um das Derivat zu kennzeichnen. Das Entscheidende der Replikation des
Derivats wiederum ist seine Größe und die Geschwindigkeit der
Volatilität. In gewisser Weise werde, so LiPuma, auf die Relation
gewettet und ein Tango mit der Zeit gespielt. Bei einem
Derivatvertrag »wetten« zwei Vertragspartner also darauf, was mit
einem unterliegenden Asset in der Zukunft passieren wird,
beispielsweise die Austauschraten oder die Zinsraten zwischen Dollar
und Euro. Diese Wette gilt für eine spezifische Zeitperiode, die im
Vertrag eindeutig festgelegt wird.

Für LiPuma
sind die Derivatmärkte historisch determinierte und zugleich
arbiträre Mittel des Kapitals, mit denendem Wert ein Risiko
zugeschriben wird, wobei die Derivatmärkte in gewisser Weise die
Zirkulation von der Produktion trennen und gleichzeitig neue Modi der
gegenseitigen Abhängigkeit und Konnektivität erzeugen. Dies bezieht
sich vor allem darauf, dass Derivate nicht durch die Strukturen der
Produktion limitiert und von diesen auch nicht abhängig sind.
Derivate sind sui generis spekulatives Kapital – ein Kapitalform,
mit dem die Gefüge eines nomadischenund opportunistischen Kapitals
bewirtschaftet werden, das selbstreferenziell auf den eigenen Märkten
zirkuliert. Das Design eines Derivatvertrags hat an sich zunächst
keine Notwendigkeit, es besitzt den intrinsischen Wert eines
Instruments, das Derivate als Parallaxe miteinander verbindet und
einen global fluiden Markt für das Kapital zu erzeugt und Derivate
synchronisiert und zudem das Leverage steigert. Das Derivat ist ein
Instrument, dessen Voraussicht auf die Zukunft hilft, die Zukunft zu
erzeugen, die es voraussieht. Diese Dynamik besitzt eine
selbstreferenzielle und relative Dimension: Die Volatilität des
Derivats kann die Volatilität in das Underlying implementieren, was
die Steigerung des Spreads des Derivats wiederum erhöht. Ohne
Volatilität ist kein Derivat denkbar, das heißt, wenn Derivate
nicht zirkulieren, dann sind sie eben wertlos. In der Zirkulation
werden die durchaus kontingenten Ereignisse, die auf den
sozio-ökonomischen Bedingungen beruhen, auf kontextlose Risiken
reduziert und damit naturalisiert, das heißt auf diskrete,
unabhängige und liquide Risiken, die dem Sozialen exterior sind,
zusammengeschmolzen

Das Derivat
ist eine determinierende Form, die sich auf alle Unwägbarkeiten und
Unsicherheiten in der Welt beziehen kann, es involviert einen
spekulativen Ethos, das zwischen einer Kultur der Kalkulation und der
Unleserlichkeit der Chance konstituiert ist. Es gibt hier eine
spezifische Dualität zwischen Konkretion und Abstraktion. Weil es
eine Unzahl von Underlyings gibt, sind den Möglichkeiten Derivate zu
schreiben, kaum Grenzen gesetzt.

Für LiPuma
ist das Derivat zudem ein generisches Design-Schema, das auf einer
zeitbezogenen Wette auf die Volatilität, auf der Teilung und
Neuzusammensetzung von Kapital und auf der Vermischung von variablen
und inkommensurablen Formen des Risikos basiert, was schließlich in
einer abstrakten Zahl resultiert, die wiederum als eine soziale
Mediation funktioniert. (Für eine von Derivaten angetriebene
Ökonomie sind Kennzahlen wie das BIP bedeutungslos.) Derivate
repräsentieren die ökonomische Totalität als eine
in-determinierte, disparate Aggregation von sich global
replizierenden, auf abstraktem Risiko basierenden Verträgen. (Die
Größe und die prinzipielle Grenzenlosigkeit der Derivate hat heute
enorme Konsequenzen für die Organisation der nationalen
Arbeitsmärkte und die Bedingungen der kollektiven Reproduktion der
Ökonomie. Die Spekulation wird das privilegierte Ethos, wenn die
Gewinne, die aus ihr resultieren, die Gewinne, die aus der Anwendung
produktiver Arbeitskraft resultieren, übersteigen. Man denke an den
Immobilienmarkt, wo die Gewinne, die sich auf das Haus als
Finanzanlage beziehen, den Wert des Hauses Haus als materielles Gut
oder Ware längst übersteigen, ja von den Kosten der klassischen
Ware Haus zunehmend entkoppelt sind.)

Es gibt,
ähnlich der Kapitalbewegung, die immanente Notwendigkeit an den
Derivatmärkten, ständig neue exotische oder synthetische Derivate
zu erfinden, um die globalen Geldströme zu identifizieren und zu
kapitalisieren, das heißt der Logik des Leverage zu unterwerfen.
Dabei sind die Derivate nicht als eine Ware zu verstehen, sondern
LiPuma bezeichnet sie als nicht-warenförmige Waren, sie beziehen
sich zwarauf die Warenform, insofern jedes Derivat partikular ist und
in Geld realisiert wird, aber sie sind auch ausnahmslos soziale
Meditationen der Zirkulation des spekulativen Kapitals.

Das Derivat
ist für LiPuma eine zeitbezogene Wette auf die Volatilität.
Derivate monetarisieren die Risiken für eine bestimmte Zeitperiode.
Das Jetzt (der Beginn des Vertrags) ist ein virtuelles und raumloses
Moment, aber entscheidend ist, dass der Vertrag eine auf die Zukunft
bezogene Dauer hat. Dabei kümmern sich die Marktteilnehmer nicht
darum, ob der »value at risk« real oder fiktiv ist. Und
Derivatverträge sind intrinsisch performativ, indem sie die
Bedingungen ihrer eigenen Existenz herstellen, wie das Sagen des
Wortes »Versprechen« das Versprechen bis zu seinem Verfall unter
bestimmten Bedingungen hervorbringt. Der Gebrauchswert des Derivats
besteht in dessen dynamischer Replikation, oder, um es anders zu
sagen, Derivate existieren im Intervall zwischen Beginn und
Verfallsdatum und dabei kreieren sie kontinuierlich ein neues Jetzt
und neuen Reichtum, indem sie die Lücke zwischen einem realisierten
Preis und einer möglichen Zukunft öffnen und schließen. Derivate
füllen einen Zeitraum, in dem der Reichtum als eine Konsequenz von
Volatilität geschaffen wird, als Dispersion oder Spread dessen, was
sie als imaginäres Zentrum der Spreads repräsentieren. Das Design
der Derivate gestaltet das Leveraging dieser Volatilität, wobei
Konvexität hier bedeutet, dass die Variation des Preises des
Underlyings und der des Derivats nicht symmetrisch sein müssen. Eine
Variation im Preis des Underlyings kann zu einer disproportionalen
Variation im Preis des Derivats führen. Eine geringe Variation des
Preises des Underlyings kann also zu einer enormen Preiserhöhung des
Derivats führen, man denke daran, dass in der Subprime Krise eine
geringe Anzahl an Ausfällen zu hohen Verlusten bei dem CMOs führten.
Man nennt dies die »Jensen-Ungleichheit«. Dabei kann das Derivat
nicht auf einen antizipierter Einkommensstrom oder eine Rendite
reduziert werden, denn die Größe und die Geschwindigkeit seiner
Volatilität entscheidet über die Höhe der Rendite mit. Der Preis
bezieht sich damit auf die erwartete zukünftige Volatilität des
Derivats, die als Grad der Varianz zwischen dem Moment der
Transaktion und seiner Laufzeit gemessen wird. Der Derivatpreis ist
also um die Relation zwischen der erwarteten Volatilität und der
Laufzeit zentriert.

Das
Auspreisen der Volatilität findet also in zeitlichen Intervallen
statt, das heißt, die Zeit wird in der Periode zwischen Beginn und
Verfall des Derivats gepresst und zusammengezogen, wobei es
anzumerken gilt, dass die Geschwindigkeit der Zirkulation eine ganz
andere als bei klassischen Waren ist. Aus dem konstanten Film der
Zeit schneidet das Derivat ein bestimmtes Zeitintervall heraus und
gestaltet es, ein Intervall, das Zukunft präsentiert, die wiederum
auf die Gegenwart zurückwirkt, oder, um es anders zusagen, es geht
um die Interpolation der Zukunft, was zugleich zur Ausdehnung der
Gegenwart, aber auch zu ihrer Destabilisierung führt. Die Trader
sind dazu verdammt eine Zukunft, die sie nicht kennen können, zu
antizipieren, und dabei folgen sie den Vorgaben der Finanztheorie,
welche die Zukunft als eine wahrscheinlichkeitstheoretische
Verteilung zu bestimmen versucht. Dieser Gebrauch und diese
Determination der Zeit unterscheiden das Derivat wesentlich von der
klassischen Ware. Die Käufer und Verkäufer einer klassischen Ware
können sich auf einen Preis einigen, weil sie den Waren, die sie
tauschen, verschiedene Gebrauchswerte zuschreiben. Während der
Verkäufer einen Profit zu erzielen versucht, wünscht sich der
Käufer die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Anders beim Derivat,
das keine Ware ist und keinen transparenten Wert im Hier und Jetzt
hat, das einzige Maß, das die Transaktion motiviert, liegt in der
Kalkulation seines zukünftigen Werts. Das Derivat zielt auf eine
Zukunft, es kann nur ausgepreist werden, weil die Markteilnehmer
einen bid-asked Spread annehmen, insofern sie bezüglich des
Nettowerts des Derivats Übereinkunft erzielen, aber bezüglich des
zukünftigen Werts des Derivats in ihren Erwartungen und spekulativen
Kalkulationen differieren.

Die Derivate
unterscheiden sich nicht nur von klassischen Waren, sondern auch von
anderen Kapitalformen. Hier ähnelt das Derivat denjenigen
Instrumenten, die sich auf Schulden bzw. Kapitalformen beziehen, die
kontinuierlich bewertet werden können. Dennoch unterscheidet sich
das Derivat beispielsweise von einer Anleihe in einer signifikanten
Art und Weise. Das Derivat ist mit seinem Preis zwar an ein
Underlying gebunden, es preist aber Aspekte aus, das dieses selbst
gar nicht auspreisen kann, wie zum Beispiel die speziellen Risiken
des Underlying in Bezug auf die Risiken, die sich auf dem Markt als
Ganzes beziehen. Und Derivate können Preise bilden, die sich auf
Fehler der Clearinghouses, auf eine sich beschleunigende Inflation
oder auf einen Abstieg von Gewinnkurven beziehen. Derivate werfen
zudem nicht wie die Anleihen akkumulative Gewinne über die Zeit ab.
Während sich bei der Anleihe über die Zeit die Gewinne
akkumulieren, sinkt der Wert eines Derivats mit der Zeit bzw. zum
Ablauf eines Verfalldatums hin.

Weiterhin
ist eine dynamische Replikation zwischen Volatilität und Liquidität
für das Derivat notwendig. Die Möglichkeit Volatilität
auszunutzen, ist unbedingt von der Liquidität an den Finanzmärkten
abhängig. Generell folgen die Derivate einem schwierigen Pfad,
nämlich die Volatilität zu steigern, ohne dass sie so exzessiv und
unkontrollierbar wird, dass sie zu einem Verlust der Liquidität
führt. Das kollektive Vertrauen der Marktteilnehmer auf die
zukünftige Liquidität des Marktes ist hier essenziell. Daher
inhärieren Derivate die performative Macht des Rituals, um genau das
kollektiv in Gang zu setzen, was jeder einzelne Agent voraussetzt.
Aber die Liquidität an den Märkten verdampft immer wieder, weil
diese sich nicht an ihre früheren Fehler erinnern können. Es
besteht ein Spread und Unterschied zwischen Risiko und Unsicherheit,
der selbst volatil ist.

Selbst das
Hedging inkludiert ein spekulatives Moment, insofern es sich auf die
Trajektoren der zukünftigen Volatilität des Underlying bezieht. Die
im Hedging hypostasierte Korrelation – wenn sich y nach oben
entwickelt, dann entwickelt sich x nach unten – wird allerdings von
den Marktteilnehmern nicht als ein Parameter des Modells, sondern als
real begriffen. Der Hedge kann also auch zu einer Spekulation
mutieren. Dabei geht es nicht um die Reduzierung der Risiken,
vielmehr werden diese nur deshalb gehedgt, um das spekulative Kapital
zu vermehren, womit das Risiko nur noch quantitativ zählt, als
Kalkulation eines Preises, der mit einer Zahl versehen ist. Dabei
werden die Risiken von den Bedingungen ihrer Realisierung getrennt
und dies hat bestimmte Implikationen: Das Risiko kann nun in den
Kategorien der Volatilität definiert und als die Wahrscheinlichkeit
der relativen Varianz des Derivatpreises gemessen werden. Die
Volatilität wird selbst in eine Logik der Produktion eingemessen.
Die Derivate kapitalisieren jetzt die Volatilität, die sie aktiv
kreieren.

Das
Verhältnis von Finanzökonomie und Realökonomie ist für LiPuma das
einer disruptiven Interdependenz. Während die Realökonomie davon
abhängt, dass Unterbrechungen und Volatilität möglichst vermieden
werden, ist die Volatilität das Lebensblut der Finance, insofern sie
unbedingt kapitalisiert und gesteigert werden muss, was wiederum oft
genug der Realökonomie dient, der es nützt, wenn die Volatilität
an den Finanzmärkten graduell und vorhersehbar ist, während Sprünge
in der Volatilität wiederum die Finanzmärkte voranbringen können,
falls sie die Liquidität nicht einschränken. Die Derivate
rekonfigurieren damit auch die Werte der klassischen Waren, preisen
sie neu aus, und zwar nicht bezüglich des intrinsischen Werts der
Waren, sondern bezüglich ihres unsicheren zukünftigen Werts. Und
dies betrifft wiederum auch die Strukturen der Arbeitsmärkte und das
in der Produktion verteilte Kapital. Wenn eine Ware schon verkauft
wird, bevor sie ein weltliches Ding ist, dann infiltrieren die
Derivate die Zirkulation in die Produktion, gerade indem der Ware
flottierende und kontingente Werte zugeschrieben werden. Die
Spekulation auf eine durch das Derivat getriebene Ware (Immobilien)
heißt auf den Spread zwischen der Direktionalität der Preise und
den Spread, den die Derivatmärkte hervorbringen, zu spekulieren.

Somit ist
der Tauschwert des Derivats keineswegs eine Funktion der abstrakten
Arbeit, vielmehr der Ausdruck einer sozialen Abstraktion (des
Risikos), das in einem bestimmten Zeitintervall generiert wird.
Zudem basiert der Wert des Derivats auf Information und den
Bedingungen, die im Vertrag kodifiziert sind, er liegt nicht in einer
auf abstrakter Arbeit basierenden Ware, sondern in der Arbeit, die
benötigt wird, um die Interkonnektivität des Kapitals, das global
zirkuliert, herzustellen.

Das
generelle Problem der Finanzmärkte besteht für LiPuma darin, soviel
Volatilität als möglich zu erzeugen, ohne dass die Volatilität
eine Beeinträchtigung der Liquidität produziert. Somit liegt die
immanente Dynamik der Märkte genau in der Notwendigkeit, durch
finanzielle Transaktionen Arbitrage auf die Volatilität auszuüben
und die Höhe des Risikos (durch Leverage) zu kalkulieren, die
notwendig ist, um wiederum genau diejenige Volatilität zu erzeugen,
die es ermöglicht, die Arbitrage funktionieren zu lassen. Dabei
impliziert die Tendenz zu krisenhaften Prozessen, dass ein Sinken der
Volatilität, das in den auf die Produktion bezogenen Märkten zu
einem Anwachsen der Stabilität führt, gerade die Instabilität auf
den Derivatmärkten verstärken kann. Ein erwartetes Sinken der
Volatilität reduziert die Profitabilität der Arbitrage, was
wiederum die Trader dazu motiviert, das Sinken der Profite durch eine
Steigerung des Leverage zu kompensieren, sodass noch ausstehende
Positionen schwieriger gehegt werden können und kleine Veränderungen
in den Underlyings hohe Veränderungen in den Preisen der Derivate
nach sich ziehen. Wenn das Derivat systematisch transformativ ist,
dann weil es eine sich selbst verwertende und expandierende
Geldkapitalform, das heißt spekulatives Kapital ist.

Es gilt zu bedenken, dass die Expansion der Kreditschöpfung durch die privaten Banken eine wichtige Ressource des spekulativen Kapitals ist, das wiederum die Derivatmärkte beflügelt und auch die Realökonomie befeuern kann, aber nicht muss. Auf jeden Fall verstärkt das Wachstum der Finanzmärkte vdie Finanzialisierung des Geldes. Dabei müssen die Derivatmärkte volatil genug sein, um spekulatives Kapital anzuziehen, aber sie müssen den Zeitpunkt zu verhindern wissen, an dem die Elastizität der Volatilität für sie selbst gefährlich werden kann: Sie erzeugen quasi die Krankheit, gegen die sie sich immunisieren müssen. Die Logik des spekulativen Kapitals besteht in der andauernden Verstärkung des Motivs, Möglichkeiten für die differenzielle Monetarisierung zu schaffen, oder, sagen wir es anders, sie muss die Kapitalisierung der Differenz erzeugen. Und diese Logik ist unbedingt als ein Modus der Zirkulation zu denken, der das abstrakte Risiko in seiner derivativen Form floaten lässt. Das neue zirkulatorische Kapital-Regime beruht nicht auf der Macht der Staaten, die gesetzliche Geld zu emittieren, es ist kulturell diffus und enthält eine höchst abstrakte Gewalt, die in einem spekulativen Ethos kulminiert, nämlich der Abstraktion des Risikos, einer monetarisierten Subjektivität und einer Reorganisation der Beziehungen zwischen Produktion und Zirkulation. Zwar kann die finanzielle Zirkulation die industrielle Produktion nicht ersetzen, aber sie gibt ihr eine neue Gestalt. Die Allokation des Kapitals wird immer stärker von finanziellen und derivativen Interessen dominiert. Es ist nicht die Realökonomie, welche die Finanzökonomie vorantreibt, sondern es ist umgekehrt die Finanzökonomie, welche die Realökonomie strukturiert. Das heißt, die Derivate organisieren die Kapitalströme zwischen verschiedenen Sicherheiten, Währungen und Geldströmen und damit besitzen sie unbedingt regulatorische Kapazitäten und übernehmen damit eigentlich staatliche Aufgaben und Funktionen und integrieren die Politik in die Ökonomie. Dabei bleibt das Soziale in seiner Kontingenz, das die Raumzeiten einer Gesellschaftsformation durchquert, eine erhebliche Ressource für die Derivatmärkte und für das Mosaik der Unsicherheiten, das es den Derivatmärkten erst erlaubt, einen nachhaltigen Markt zu erzeugen. (Das Soziale bleibt, egal ob es sich auf Geldströme, Währungen oder Zinsraten bezieht, die ontologische Lücke zwischen dem Preis und dem Wert eines Derivats, da die Teilnehmer sich stets auf eine Derivatpreis einigen müssen, um zukünftig einen Spread zu schließen, aber in ihren Ansichten über den Wert des Derivats in einem bestimmten Zeitintervall differieren.)

Es gibt ein
Zusammenspiel zwischen der Zeitlichkeit der Kalkulation und der
Unlesbarkeit der Chance, und es gibt die Art und Weisen, wie dies mit
dem Leverage der derivativen Form korreliert. Der Hedge der
derivativen Transaktion stellt einen Versuch dar, die Relation
»Kalkulation und Chance« einer Arbitrage zu unterwerfen, indem die
Akteure das Zukünftige zu lesen versuchen. Diese Arbitrage wird
heute als mathematische Wahrscheinlíchkeit codiert, wobei diese aber
immer auf einer retrospektiven Interpretation der Märkte beruht,
während die existenzielle Unsicherheit weiterhin bestehen bleibt. Es
gibt zwei Möglichkeiten der Messung der Bewegung eines auf die
Zukunft ausgerichteten Derivats: Entweder die Messung der
historischen Volatilität, indem man nachverfolgt, wie das Derivat
und sein Preis in der Vergangenheit fluktuiert, oder, indem man die
implizite Volatilität liest, einen antizipierten Preis annimmt, und
dies auf die Gegenwart zurückverfolgt (Diskontierung). Hier
kalkuliert man dann mit der Black-Scholes Formel das Leverage eines
gegebenen Derivats.

Der Kredit
hat, was die Zeitlichkeit anbetrifft, die Kreation der Derivate zu
antizipieren, die wiederum als eine Absicherung für Kredite dienen,
aber auch für die Derivate selbst oder für die Liquidität einer
Institution. Die symbiotische Form zwischen Kredit und Derivaten
kreiert eine zeitliche Dynamik, die für LiPuma die Ontologie des
Geldes rekonfiguriert, wobei die Produktion des Geldes nicht länger
mit der Produktion und Zirkulation von Gütern und Dienstleistungen
korreliert. Für LiPuma deutet das Wachstum des Dollars, welches das
Wachstum der Produktion weit übersteigt sowie die Tatsache, dass die
Umlaufgeschwindigkeit des Geldes in der Produktion sinkt, auf ein
voll zirkulatives Kapital hin, das sich oft genug weitgehend
unabhängig von der Produktion bewegt.

Das
spekulative Kapital nimmt die Form der Derivate an, weil diese in
einem einzigen Instrument verschiedene konkrete Risiken
vereinheitlichen, selbst wenn sie die Unsicherheit, die am Horizont
aufscheint, lediglich maskieren. In diesem Kontext gestalten die
Market-Maker Derivate, um die Risiken, die in verschiedenen konkreten
Situationen auftauchen, zu liquidieren, und um die Derivate als
Objektivation des abstrakten Risikos einzusetzen. Diese Form der
monetären Zirkulation unterscheidet sich wesentlich vom Kredit und
vom fiktiven Kapital. Zudem wird das finanzialisierte Risiko von
seinen sozialen Kontexten und Relationen getrennt, i.e. eine gegebene
Situation wird als risikoreich angenommen, das Risiko muss von den
sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen abstrahieren, um
es in einen analytischen und mathematischen Raum zu übersetzen, der
eben als unabhängig von den Umständen angenommen wird. Dabei
entstanden in den letzten 40 Jahren generative und klassifikatorische
Schemata (Zinsratenrisiko, Kreditrisiken, Transaktionsrisiken,
direkte Risiken, Gegenrisiken, Liquiditätsrisiken etc.), und
letztendlich kann jede Variable, die sich identifizieren lässt, zu
einem Risiko werden. Diese Nominalisierung impliziert, dass die
Finance jeden Typ von Risiko als ontologisch reales Objekt setzt.
Dabei werden die jeweiligen Typen von Risiko in eine abstrakte Form
übersetzt. Die inkommensurablen und variablen Formen des Risikos
werden in eine singuläre Form verwandelt: abstraktes Risiko.

Es geht
hier, wie auch schon der greichische Ökonom John Milios vermerkt
hat, nicht um zwei getrennte Formen, sondern um zwei untrennbare
Dimensionen des Risikos, die im Handel von Derivaten involviert sind.
Jedes Derivat ist im Einzelfall qualitativ, partikular in der
Erfassung eines bestimmten Ensembles identifizierbarer Risiken und es
ist systemisch, insofern das abstrakte Risiko als Mediation den Markt
mitproduziert. Die konkreten Risiken sind notwendig, damit eine
sozial generierte Volatilität stattfinden kann, während die
abstrakten Risiken synthetisieren, damit die Preissetzung der
Volatilität überhaupt möglich ist. Mit dem abstrakten Risiko wird
die Konnektivität erst hergestellt. In dem sie von all den
sozio-ökonomischen Kontexten abstrahieren, können die abstrakten
Risiken durch mathematische Formeln wie die Black-Scholes-Gleichung
konkrete Risiken vergleichen und quantifizieren.

In einem
gegebenen Markt ist ein konkretes Risiko (die Fluktuation von
Währungen) partikular und wird durch eine fluide, heterogene
Zirkularität erzeugt, aber als abstraktes Risiko ist es eine
individuierte Dimension einer homogenen und systemischen Mediation,
die auf die Reproduktion des Marktes als Totalität abzielt. Das
abstrakte Risiko zielt genau auf das ab, was die Agenten ausnahmslos
und unbewusst tun, nämlich den Markt als eine Totalität zu
imaginieren, sodass er liquide bleibt, und zwar durch zahllose
Iterationen der Preissetzungen hindurch und unter Umständen, die
sich andauernd verändern, insbesondere solche, welche die
Rekalibration der Preise erst ermöglichen. All die in diesen
Relationen inkludierten Relationen werden an den Finanzmärkten
ausgepreist, sie zirkulieren und auf sie wird spekuliert. In diesen
Prozessen verkennen die ökonomischen Agenten andauernd die sozialen
Dimensionen des Risikos, gerade indem der Markt für sie als eine
objektivierte und formale Konstruktion erscheint. Um es an dieser
Stelle zusammenzufassen, die abstrakten Risiken subsumieren die
konkreten Risiken und sorgen als Mediator für die Liquidität, die
den Derivatmarkt erst ermöglicht. Ohne das abstrakte Risiko gibt es
keine Liquidität und keinen Derivatmarkt. Das vom Risiko getriebene
Derivat ist das neue Mittel, welches die Zirkulation vernäht, indem
es die Risiken objektiviert (durch Abstraktion und Monetarisierung)
und damit genau diejenige Konnektivität herstellt und handelt,
welche das Kapital benötigt, sodass vollkommen anonyme Agenten und
Organisationen an Märkten, die auf risikobasierten Transaktionen
beruhen, zusammengeführt werden können.

Es gilt in
diesem Kontext darauf hinzuweisen, dass der Shareholder-Value ein
wichtiges Mittel zur Regulation von Unternehmen ist, das den Shift
von der Warenproduktion hin zum Derivat anzeigt, nämlich die
Gleichsetzung des Firmenwerts mit seinem Marktpreis, was zu
kontinuierlich fortfahrenden Preissetzungen führt, wobei angenommen
wird, dass der Markt einen objektiven und nicht-personalen Richter
des Firmenwerts darstellt. Durch seinen massiven Einfluss auf den
Kredit, die Währungen und die Kapitalmärkte infiltriert das
spekulative Kapital die Finanzierung in die Realökonomie und sickert
in den Logos der Reproduktion der Produktion ein. Die Bewegung des
Börsenwerts eines Unternehmens ist nun das entscheidende Maß, um
insbesondere den Shareholder-Value zu generieren. Und dies
beeinflusst die zeitliche Kompression des Horizonts der Investoren,
deren kurzfristige Perspektiven nun die Produktion massiv
beeinflussen, gerade indem relative Trennungen zwischen der Zeit der
Allokation des Kapitals und der Zeit der Produktionsprozesse
stattfinden. Die Periode, in der eine Aktie gehalten wird, meist nur
noch von Quartal zu Quartal, ist viel geringer als die Zyklen des
Produktumschlags in der industriellen Produktion. Dies ist auch
insofern wichtig, als die Finanzialisierung die Eigentümer von
Häusern zu passiven Investoren gemacht hat, die nun ihre Ersparnisse
den institutionellen Fondsmanagern anvertrauen müssen. Zudem
übersteigen die Einkünfte der Aktien oft genug die Gewinne, die aus
dem Verkauf von Produkten resultieren, auf die jene bezogen sind. So
steigt mit der Quantität der Geldsummen, welche die Fondsmanager
bewirtschaften, ihr Einfluss und ihre Macht in den Unternehmen, deren
Strategien nun darauf bedacht sein müssen, den Strategien des
spekulativen Kapitals unabhängig von der Vermarktung ihrer Produkte
(langfristige Strategien oder lokale Anbindungen an die Konsumenten)
nachzukommen.

So gesehen
besteht die Logik des Shareholder-Values darin, die Abstraktion des
spekulativen Kapitals vom industriellen Körper des Unternehmens zu
ermöglichen und diesen gleichzeitig radikal umzugestalten, das heißt
in jedem einzelnen Aspekt des Unternehmens ein Potenzial zu sehen,
aus dem noch Profite herauszukitzeln sind. Tag und Nacht sucht ein
Heer von Analysten weltweit nach verborgenen Quellen der Verwertung,
i.e. Aspekten des Unternehmens, die zukünftig monetarisiert werden
können, aber bisher in den Akteinkursen noch nicht reflektiert sind.
Der Shareholder-Value ist der Logos des Derivats, wenn man diesen auf
die Umgebung des Unternehmens bezieht. Dabei wird der Unterschied
zwischen Kapital und Unternehmen zunehmend ausgelöscht, insofern
jeder Aspekt des Unternehmens auf die Monetarisierung ausgerichtet
wird, auf die Transformation des Unternehmens als eine soziale
Organisation in eine Maschine zur Verwertung des Kapitals. Der
Unternehmensprofit wird nun direkt an die derivative Profitlogik des
Kapitals angebunden. Die Logik des Shareholder-Value zeigt die Logik
des Derivativen an: die direktionale und quantitative Vermehrung
innerhalb einer Spiralbewegung, welche das spekulative Kapital selbst
designt.

In gewisser
Weise lässt sich der Aktienpreis selbst als Derivat begreifen, das
auf das Underlying »Unternehmen« bezogen ist, wobei die Optionen,
die auf den Akteinkurs laufen, als Derivate auf Derivate zu verstehen
sind, sodass die Finanzmärkte selbst zu Orten transformieren, an
denen über die Zukunft der Unternehmen entschieden wird. Im
Gegensatz zu den Fundamentalanalysen, welche das grundlegende
Business eines Unternehmens einfangen, generiert die technische
Analyse das Unternehmen ausschließlich auf der Grundlage der
Trajektoren und der Volatilität seines Aktienkurses. Insbesondere
für Tech-Unternehmen, die noch keine Produkte herstellen, ist die
technische Analyse ein willkommenes Tool, um jetzt schon die in des
Unternehmen implementierten Risiken zu messen. Ein wichtiger
Interessenkonflikt im 21. Jahrhundert wird zwischen dem spekulativen
Kapital und den Managern der industriellen und kommerziellen
Unternehmen stattfinden, und dies geht weit über die Zerrüttung des
Fordismus, wie dies von den meisten produktionsorientierten
Theoretikern des Marxismus wie Harvey angenommen wird, hinaus.

Unter dem Produktionsregime erscheint das Kapital als Geld oder Ware, abhängig von seinem Ort in den Kreisläufen. Der Aufstieg des Derivativen durchtränkt das Kapital mit einer zusätzlichen Dynamik, indem es sich neben dem Kredit als Zahlungsmittel einen durch das Risiko bestimmten Vertrag setzt, der sich wiederum auf den Kredit bezieht. Diese Entwicklung war im Kapital von Anfang latent vorhanden. Der sich selbst verwertende Wert erscheint jetzt in der materiellen Form eines geschriebenen Derivatvertrags objektiviert. Dabei ist jeder Vertrag und jede Transaktion als differenzielle Replikation innerhalb einer komplexen zirkulatorischen sozio-ökonomomischen Struktur zu verstehen, wobei das Soziale zunehmend in der derivativen Struktur aufgeht.

Foto: Bernhard Weber

Der Beitrag Das spekulative Kapital (1) erschien zuerst auf non.copyriot.com.


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