Gewidmet den Gilets Jaunes auf der Canebière…
Es war ein Samstag
auf der Canebière. Wir waren dort, und ein wenig verloren standen
wir uns die Füße in den Bauch, inmitten zahlreicher Demonstrationen
mit Transparenten und Pseudoritualen. Als wir in der Ferne Rufe
hörten, gingen wir zum alten Hafen herunter. Der Platz wurden von
Gilets Jaunes überschwemmt. Von der Rue de la République, auch auf
dem Kai, hin zum Rathaus, eine Reihe von Bullen, sogar mit
Panzerwagen. Wir schlossen uns in der Menge an, wir kannten
niemanden, aber dort, zum ersten Mal in diesem Land, spürte ich
etwas ungewohntes, so etwas wie einen Windhauch frische Luft, eine
Wut der Massen die von weit her kam. Es war mir, als ob ich dieses
Gefühl schon Monate zuvor in Armenien gespürt hatte; die Menschen
hatten das ganze Land blockiert um die Regierung zu verjagen. Die
selbe Kraft, die sich autonom ausdrückt, ohne den ganzen politischen
Scheiß.
Bald setzte sich
eine Gruppe Gilets Jaunes in Richtung Canebière in Bewegung. Dies
war keine Demo, es gab keine ordentlichen Parolen, es gab überhaupt
keine Ordnung. Und inmitten der Menge schrie einer mit Bart: „Auf
geht's! Wir, ohne Partei, ohne Gewerkschaft, ohne Führer! Wir sind
das Volk!“ Und plötzlich spürte ich in mir die Wirkung dieser
einfachen Worte und ihre Größe. Es war wunderschön, dort zu sein
und dieses Stück Stoff zu tragen war alles, was zu tun war. So
einfach war es, alte Sicherheiten los zu lassen und mit ihnen die
alte Ordnung, so einfach war es ein Teil von allem zu sein, unbekannt
inmitten der Unbekannten. Wir zogen die Canebière hinauf, und
brachten die arme Demonstration der CGT in Unordnung, mit ihren
Lautsprecherwagen und ihren Ordnern an kurzer Leine, seit
Jahrtausenden immer das Selbe. Und es wurde sichtbar, dass sie am
Ende waren, sie, und ihre alten Sitten, ihre Zeit war gekommen, und
es war wunderbar. Dieser ganze Haufen, die Linke des Regierens, ewige
Elendsverwalter, brach vor unseren Augen zusammen. Der Staub der
Gewerkschaften, er wurde weggewischt. Die Horde in Gelb drängte
unter wilden Schreien vorwärts, weit unterhalb der Sprache, huh huh,
keine Parolen mehr benötigend, nur das huh huh, der Kriegsschrei,
dieses tierische Heulen, wir überfluteten die Linken und
Post-Linken, eng um ihre Banner und Flugblätter gedrängt, auch sie
scheinbar von diesem neuen Zornesausbruch überwältigt, so rein gar
nicht das übliche Verhalten.
Doch am meisten
schien sie zu empören, dass sie der gelben Horde egal waren, ja,
einfach nur egal. Es war, als hätten sie nie existiert, sie und ihre
unverständlichen Kleinkriege - Kleinbürger die so lange von den
Armen, von den Prollos geträumt hatten, und die nun, diesem unreinen
Volk gegenüber die Nase rümpfen, ach diese wenig zurückhaltende
Sprache („Macron Arschloch“), diese Masse, die alles mit sich
schwemmt, und alle alten Gewohnheiten lächerlich macht. Die
revolutionäre Situation, in der plötzlich neue Wege auftauchen,
alte Sicherheiten zu schwanken begannen, und Humor wieder zu einer
Gefahr wird. Die Situation, in der die Bourgeoisie, die Rechten wie
die Linken, zu zittern beginnt.
Weiter oben, die
Allee hinauf, kamen weitere Gilets Jaunes zu uns herunter. Sie waren
schon alt, einige humpelten, andere ausgezehrt, sie hatten große
Taschen und Koffer dabei, sogar ein alter Hund war in gelber Weste
gekleidet, welche am Boden schleifte. Uns schien es, als ob sie zu
den Kreuzzügen aufbrechen würden, als ob ein ganzes Volk
aufgebrochen wäre, wer weiß wo hin, vielleicht in ein Jerusalem der
Vorstellung, allen voran die Ältesten mit Bärten der Propheten,
betrunkene Bettler, erschöpfte Hunde. Ein ramponiertes Volk, aus den
Elendsvierteln auf- und in die Kreisverkehre wieder abgetaucht,
strömt in die Städte, neue Vandalen in großer Zahl, auf den
Plätzen lagernd, alles zerstörend, und dann ihren Weg fortsetzend.
Von dieser Vision ergriffen, dachte ich, dass es vielleicht nie enden
werden wird. Wir werden nie enden. Die Verantwortlichen können wohl
schöne Worte verlieren, doch wir werden nicht länger zuhören. Es
war unaufhaltsam, ein Volk war aufgestanden und war auf dem Weg.
Huh huh.
Einer der anderen
Anmerkung:
Dieser Text aus
Marseille erschien am 4. Januar auf Lundi Matin
(https://lundi.am/Le-retour-de-la-Horde-d-Or),
ich hatte die Freude, die Übersetzung des Genossen lektorieren zu
dürfen.
Sebastian Lotzer,
5. Februar 2019
Der Beitrag Die Rückkehr der Goldenen Horde erschien zuerst auf non.copyriot.com.