Der
im Zeitalter des Posthumanismus lebende letzte Mensch, ein kleines
und scheinbar zähes Monster, das in seiner Unersättlichkeit nicht
nur alles haben, sondern es auch sofort haben will, lässt sich
seinen stets zu organisierenden Lebensprofit aber gerne auch vom
großen Anderen als die letzte Lebensweisheit verklären. Der letzte
Mensch lebt ganz in der Grießbreizeit oder wahlweise der
Kaugummizeit der Gegenwart und deswegen können ihn zukünftige
Einkommen, auf die heute zu spekulieren ist, auch nur halbwegs für
das dadurch aktuell entgangene Genießen entschädigen, wobei
Genießen mit seiner Existenz zusammenfällt. Er muss sich auf die
Diskontierung1
verlassen, mit der seine zukünftig erwarteten Einkommen durch
Abzinsung auf seinen heutigen Existenz-Wert herunter gerechnet werden
können. Dabei verliert der zukünftig zu realisierende Wert des
Lebens, oder, um es anders zu bezeichnen, der
Performancelebenszeitwert des Lebens, keineswegs an Bedeutung, aber
das Leben bleibt immer auch an das Gegenwartswert und an das Genießen
gebunden. Es ist nur noch eine Frage der Zeit und es kommt zur
Schätzung der auf die Zukunft bezogenen Einkommensströme eines
Säuglings, man wird die erwarteten Einkommensströme diskontieren
und damit den Ausgangspreis des Säuglings erhalten. Es ist deshalb
überhaupt kein Zufall, wenn der französische Unternehmensverband
vorschlägt, jedem Franzosen von Geburt an eine Umsatzsteuernummer
zuzuteilen. Weiter ist man, was die soziale Kontrolle anbelangt,
derzeit schon in China, wo die Bürger einen Ausweis mit
Geburtserlaubnis, biometrischen Daten und mit dem berüchtigten
Social-Credit-Ranking mit sich herum tragen müssen.
Der
letzte Mensch ist als lebende Finanzanlage eine Relation, die einen
materiellen Träger besitzt, der in einer spezifischen Beziehung zu
sich selbst steht, welche auf Vermehrung drängt, er ist eine
Surplus-Falte, der nichts anderes übrig bleibt, als sich
hinsichtlich seines Performance- und Monetarisierungspotenzials zu
entfalten. In Zukunft wird jedes Bedürfnis, jede Begehren und
insbesondere jedes Verhalten Anlass zu punktuellen und punktierten
Bewertungen, zu vielfältigen Evaluationen und Rankings geben – der
letzte Mensch wird sich zu diesen Bewertungen in Beziehung setzen und
sie in seiner Zukunft verbessern müssen, und schließlich wird er
dazu aufgeteilt in Komponenten, die der Optimierung bzw. der
Effizienz der Vermehrung des kleinen Ich-Kapitals x (Verhältnis des
Selbst zu seinem zukünftigen Selbst) unterstellt sind. Das dermaßen
monetarisierte Leben, das einen Performancelebenszeitwert
zugesprochen bekommt, ist also ein Spread, der ständig vom Selbst
und den anderen bewertet werden muss. Der Performancelebenszeitwert
umfasst einen Basiswert, nämlich das gegenwärtige ausgepreiste
Leben, das als Investition anzusehen ist und auf das ein
Anlagevertrag im Hinblick auf die monetäre Effizienz des zukünftigen
Leben zu schreiben ist und auf dessen Fluktuationen spekuliert
werden kann. Und für jeden gilt es diese Spekulationswellen
auszuhalten, mehr noch, man hat der Spekulation und ihren Vorgaben
nicht nur zu folgen, man hat sie auch outzuperformen. Am besten wie
jener Banker, der nach einem erfolgreichem Leerverkauf vollends
zufrieden zur Toilette schlendert und dort in das nierenförmige
Waschbecken aus Edelstahl onaniert, das kunst-technologisch der
Outperformer der Luxus-Penthouse-Kabine im 33. Stockwerk der Bank
ist. Ist der Broker danach wieder im Handelsraum an den Bildschirm
angekettet, so wehrt er sich doch dagegen, dass er jetzt rein eine
Funktion verkörpert, vielmehr verkörpert er zumindest im
hegemonialen Diskurs die reine Kreativität, die als subjektive
Erfahrung der Spekulation kodifiziert wird.
Die
Lohnarbeit fängt an zu glänzen, wenn wenn sie unter der Ägäis der
Kreativität steht, deren Gebrauchswert immer stärker durch den
Tauschwert der Potenziale und Kapazitäten, die aktualisiert werden
wollen, denn durch Produkte stimuliert wird. Im Zuge der Spekulation
mutiert die Subjektivität zu einem sich selbst verwertenden Wert
analog zur Selbstverwertung des finanziellen Kapitals, was nun den
possessiven Individualismus in Gänze neu erblühen lässt. Die
spekulative Form des Kapitals ist das neue Movens sowohl der
Grenzenlosigkeit des Kapitals als auch zur neuen Kreativität von
Subjektivität. Sowohl Subjektivität als auch Geld sind enkodiert,
enkodiert mit der Freiheit einer infiniten Ökonomie, aber eine
Freiheit, die durch spezifische Abwesenheiten (des Kapitals)
strukturiert wird. Dabei ist die Unsichtbarkeit des Aufwands, der
für diese Freiheit zu erbringen ist, ein Ergebnis der Spekulation
als Matritze für ökonomische und subjektive Valorisierung.
Neben
den Performancelebenswert tritt heute der Kundenlebenszeitwert, der
im Englischen als »customer lifetime value« (clv) bezeichnet wird.
Um ihn zu ermitteln, lassen Unternehmen, die an den klassischen
Konsumgütermärkten tätig sind, anhand persönlicher Daten ihrer
Kunden berechnen, welche Geldsummen ein jeweiliger Konsument über
sein gesamtes Konsumentenleben hinweg an das Unternehmen zahlen wird.
Ein hoher clv garantiert für den Kunden eine Reihe von
Zusatzleistungen des Unternehmens, etwa Rabatte, Hochstufungen,
persönliche Hotline-Ansprechpartner und andere Sonderleistungen,
während ein Konsument mit niedrigem clv ein Konsumentenleben in der
Telefonschleife führen muss. Alle möglichen Unternehmen im
Dienstleistungsbereich (Modeunternehmen, Mobilfunkanbieter,
Kreditkartenfirmen, Hotelketten, Fluggesellschaften, Autohändler
etc.) führen heute umfassende Datenbanken über das
Konsumentenverhalten jedes einzelnen Kunden, wobei sie die
persönlichen Daten oft genug an speziellen Analyseunternehmen
weitergeben, damit diese dann die Daten auswerten, gewichten und
daraus individuelle Kundenlebenszeitwerte berechnen. Es handelt sich
dabei um Profile, die auf Tausenden von Einzelinformationen beruhen.
Der Marketingdienstleister Zeta Global etwa, das jüngste Start-up
Unternehmen des früheren Apple- und Pepsi-Chefs John Sculley, bietet
angeblich Profile von 700 Millionen Menschen an, die pro Person auf
mehr als 2500 Einzelinformationen beruhen. Insbesondere
finanzkräftige Kunden werden aufgrund ihrer außerordentlichen
Profile mit zielgerichteten Angeboten zu weiterem Konsum ver- und
gelockt, und manche Analysten gehen sogar soweit zu behaupten, dass
die Addition der Kundenlebenszeitwerte aller Kunden die
Zukunftsaussichten eines Unternehmens einer Firma in etwa
dokumentiere, womit der Kundenlebenszeitwert ein ähnliche Bedeutung
wie der Aktienkurs besäße. Dabei ist davon auszugehen, dass heute
die meistens Einwohner in den USA, die zumindest ein Bankkonto und
einen Handyvertrag besitzen, mehrere verschiedene clvs ihr eigen
nennen können, ohne es allerdings zu wissen. Und je mehr man reist,
shoppt und ausgeht, das heißt die Treppenleiter des
Allround-Konsumenten besteigt, desto mehr clvs besitzt man, die einem
wie von unsichtbarer Hand zugewiesen werden und die man selbst nicht
kennt, allenfalls bemerkt man, dass mit steigendem clv die
Unternehmen fieberhaft versuchen, einem eine Reihe von
Vergünstigungen anzubieten, etwa eine attraktivere Kreditkarte,
teure Ersatzwagen oder eine bessere Klasse in Flugzeugen.
Zurück
zum Performancelebenszeitwert. Um das Leben mit Hilfe der Performance
erfolgreich zu monetarisieren, müssen die eigenen Aktivitäten
permanent gehebelt werden, und das heißt auch, dass die Verbindungen
zu anderen Menschen so gestaltet werden müssen, dass man im
persönlichen Verkehr immer mehr zurück bekommt als man einsetzt.
Diese Art das Kapitalkalkül auf das Leben (und das der anderen)
anzuwenden, erfordert eine zielstrebige und erfolgsorientierte Arbeit
in den Netzwerken und bietet einen Surplus vor allem denjenigen an,
die es schaffen, Reputationen. Perfromancewerte und Referenzen, die
irgendwie im Zusammenhang mit der Selbststeigerung stehen, zu
akkumulieren, wobei immer darauf zu achten ist, dass man die
Ungewissheit gegenüber Anschlussentscheidungen, die den Surplus
betreffen, reduziert. So wird das Leverage2
zu einer Art und Weise, den Projektionen des Ego eine sich selbst
erfüllende, performative Qualität zu geben, sodass im besten Falle
alle anderen affirmativ auf die eigenen spekulativen Forderungen
antworten. Es ist dabei aber keineswegs auszuschließen, dass die
Kapazität, die eigenen Risiken erfolgreich zu meistern, zur Gefahr
für andere wird. Mehr noch, der Imperativ die Superperformance für
das eigene Lebens hinzulegen erfordert - analog zum Börsengeschehen
- die Eliminierung der unterdurchschnittlich Performenden und ihre
Ersetzung durch einen eineiigen Zwilling. (Kroker 104) Betreffen
diese Vorgaben insbesondere die Eliten und größere Teile der
akademischen Mittelklasse, so insistiert für größere Teile der
einkommenschwächeren Bevölkerung das Leben weiterhin als ein
Prozess permanenter Verschuldung, der die Zukunft aber auch für sie
nicht ganz schließt, sondern in spezifischer Weise sogar öffnet,
weil die Kreditgeber die Einkommen der Kreditnehmer, die als
Grundlage für die Kreditierung dienen, nicht mehr nur hinsichtlich
der Wahrscheinlichkeit Kredite zurückzahlen zu können,
berücksichtigen, sondern hinsichtlich der Möglichkeit und des
Potenzials in Zukunft Zahlungen überhaupt bedienen zu können., aufs
Nachhaltigste untersuchen. So wird selbst noch das Leben der
Verschuldeten auf den Surplus hin ausgerichtet.
Dabei
setzt sich der »Wert« des letzten Menschen nicht einfach nur als
ein Konglomerat aus Merkmalen wie Kompetenz, Performance,
Qualifikation, Gesundheit, Effizienz, Wissen, Beziehungsosmose,
Kreativität, Wünsche, Arbeitsfähigkeit etc. zusammen, sondern
diese Merkmale sind ständig effektiv auf ihre Kapitalisierung in der
Zukunft hin zu behandeln, ohne dass der Wunsch, alles sofort zu
genießen, auch nur im Ansatz verschwindet. Dies alles ist nur
mittels der Implementierung einer Rationalität zu leisten, die
allerdings von der Irrationalität nicht mehr zu unterscheiden ist.
Rationalität verweist hier nicht nur auf die Motivlagen und
Präferenzen des Subjekts, sondern auf die Durchsetzbarkeit von
Budgetrestriktionen und Zahlungsversprechen, auf das Potenzial
entweder zum Gläubiger oder zum Schuldner zu werden3,
was einfach zu möglichst gewinnbringenden Handlungen zwingt, die mit
irrationalen Individuen ebenso kompatibel wie mit hochbegabten
Börsenhändlern sind, die selbst auch oft genug eher mit »noise«
denn mit »information« handeln. Solch eine Rationalität, die sich
aus der Kapitalisierung von alles und jedem ergibt, gleicht dem
Marktverhalten von Süchtigen, deren Überleben an die Verfügbarkeit
bestimmter Ressourcen gebunden ist, was allerdings weniger an den
Drogensüchtigen erinnert als vielmehr die Sucht zur Beibehaltung des
Verhaltens auf Steigerung verlangt, was nicht nur lebenslanges Üben
erfordert, sondern auch die meistens nicht eingestandene Einsicht,
dass der Fall dramtaisch sein kann. Ein derartig monetarisiertes
Leben vollzieht sich stets auch im Modus der Prävention und des
Risikomanagements, das ständig dahin tendiert ins Irrationale
abzugleiten. Luhmann verdanken wir diese Einsicht: »Bei einer
rationalen Einstellung zu Risiken ist es oft richtiger, den
Schadenseintritt abzuwarten, als viel in (wahrscheinlich unnötige)
Vorbeugung zu investieren. Ja, in dem Maße als ein System Schäden
verkraften und ausgleichen kann, wird es rationaler, auf diese
Fähigkeit zu setzen, statt zu versuchen, alles nur Denkbare zu
verhindern. (Das muß nicht unbedingt gegen Zähneputzen sprechen).«
Am
Ende kulminiert der Ertragswert, den der letzte Mensch im Laufe
seines Lebens zu realisieren hat, im Schnittpunkt der Parallelen, der
im Unendlichen und daher nirgends und deswegen im Tod liegt. Der
Ertragswert bleibt immer ein virtueller Wert, bei dem die Subjekte
nur in Relation zur Geschwindigkeit des eigenen Verschwindens noch
einen Wert haben, unter der paradoxen Voraussetzung, dass immer
weiter beschleunigt und gleichzeitig des Leben immer weiter gedehnt
werden soll. Wir sprechen hier nicht nur von der Überwindung der
Knappheit oder von der Anhäufung von ökonomischem und symbolischem
Kapital, vielmehr von einem Subjekt das gleich einem Vektor ist, der
einzig in Relation zum Ende des Lebens beschleunigt und dabei in
psychopathischen Dosen in Fahrt kommt. (Kroker/Kroker 1996: 166)
Der
monetarisierte Lebenswert wird durch Informationen, die man permanent
jeder Person zuordnet, mehr als nur ornamentalisiert, denn die
Informationen haben bindende und selbstverstärkende Funktionen und
fluktuieren analog dem Performancelebenszeitwert wie Derivate, die
aber nach wie vor in Geld realisiert werden müssen. Diese Logik der
Kapitalisierung des Lebens wird von einer scheinbar unsichtbaren
Instanz geregelt, die das Leben organisiert, kontrolliert und
optimiert, wobei jede Äußerung, jede Transaktion, jeder Sex, jeder
Austausch, jeder Chat schließlich monetäre Folgen haben kann, die
sich zumeist in den diversen Risikoprofilen materialisieren, die als
digitale Doubles einer Person zugeordnet sind und deren Preise
komplexe Algorithmen, Datenbanken und Datenanalysen berechnen. Die
weiche Kontrolle durch die verschiedenen Kontrollverfahren des
Rankings, Ratings und Scorings, die nichts weiter als
Quantifizierungen des Derivativen sind, betrifft heute fast alle
Lebensbereiche.
Dabei
sind die Hochleistungssportler, Künstler und Promis derzeit die
Abzieh- und Vorzeigebilder solch eines zu kapitalisierenden Lebens,
dessen an der orthodoxen Mikroökonomie orientierte Selfishness die
Repräsentanten dieser Gruppen als Merkmal ihrer Auserwählung wie
eine Trophäe aus Gold, die aber in den Medien täglich neu
aufpoliert werden muss, vor sich her tragen. Bei dieser
Hochschätzung, die man da gegenüber sich selbst ins Spiel bringt,
vergessen die Betroffenen leicht, dass die Selbststeigerung um ihrer
selbst Willen durch strukturellen Zwang in Szene gesetzt wird, der
jede Variation des Lebens lediglich als ein Verschieben der Objekte
der Valorisierung und des Erlebens zulässt oder konformiert, ein
Zwang, der zu verinnerlichen und als ein Leistungsanspruch an sich
selbst zu setzen ist. Es taucht nun ein permanent in alles Mögliche
investierendes Selbst auf der Bildfläche auf, das auf dem schmalen
Grat zwischen der Psychologie der Befriedigung der Wünsche sowie der
monetären Selbststeigerung und einer Psychologie der Verletzlichkeit
wandelt. Wo Foucault in seiner Analyse des Neoliberalismus noch
zeigen konnte, dass Individuen zu Unternehmen ihrer selbst
transformieren, so ist das aktuell vorfindbare Individuum ein
finanzialisiertes Risikosubjekt bzw. ein finanzieller Manager seiner
selbst, der ein Selbst-Portfolio verwaltet, für das ständig nach
neuen Investitionen und Investoren gesucht werden muss, um die
optimale Selbst-Renditen für das Portfolio einzufahren. Das
Rest-Subjekt ist also das finanzialisierte Selbst, dessen Aktivitäten
das Subjekt allenfalls noch als ein Projekt konstruieren, das eines
finanziellen Investments würdig ist. Zugleich ist dieses Subjekt
aber sehr verletzlich, insofern der Preis der eigenen Investments
immer von den Einschätzungen anderer Investoren abhängig ist,
sodass das Subjekt der Selbstachtung berücksichtigen muss, dass die
finanziellen Investments ihre Quelle in Krediten haben. Analog lässt
sich die Transformation des Lohnes - der Austausch der Arbeitskraft
gegen Geld, das wiederum dazu dient, die Arbeitskraft zu
reproduzieren - in eine Funktion feststellen, die den Zugang zum
Kredit und zu Assets gewährt. Der Lohn ist damit nicht mehr
lediglich eine Summe Geldes, die eine lebenserhaltende Kaufkraft
verbürgt, sondern er ist eine Form des Geldes, die als Grundlage
dient, Kredite aufnehmen und dami für die Einspeisung in die Kanäle
des finanziellen Kapitals sorgen zu können. Damit wandelt sich das
Geld von einem Mediator des Tauschs oder einem Maß des Werts zum
Dasein auf einer spekulativen Oberfläche.
Es
schlägt jetzt definitiv die Stunde eines neuartigen
Sozialcharakters, nämlich die des funktionellen Psychopathen, der
aus dem engen Korsett des bisher dominanten Sozialcharakters, den man
als den narzisstisch Infantilen ausgemacht hat, der die kindliche
Abhängigkeit liebt, um sie andauernd mit seinem Egoismus ohne Ego zu
kontern, ausbrechen will oder den Narzissten zumindest, was die
Selbststeigerung anbelangt, übertreffen will. Der funktionelle
Psychopath arbeitet unermüdlich, besser wäre es zu sagen, er
performt unermüdlich im Medium einer quasi-sportlichen Praxis die
Steigerung seines PsychoKapitals, das als die bevorzugte Ressource
eines Authentizitätsexzesses gilt, der zur beständig
monetarisierten Sorge um sich selbst führt, oder, wenn man es anders
sagen will, zu einer unglücklichen Vernähung einer entropischen
Hochenergiestreuung mit sich selbst. Wird in diesem Rahmen der Kampf
um die eigene Karriere immer sportlicher ausgestaltet, so ist der
Burnout die Grenze für ein Steigerungsverhalten, das den Auftritt
des funktionellen Psychopathen eigentlich ständig weiter anspornt,
wobei das Performanceprinzip am Ende am Kriegsstandard der jeweiligen
Kapitalakkumulation gemessen wird.
So
ist der funktionelle Psychopath einer, dem das System angegossen wie
ein Hugo-Boss Anzug passt, und wenn er dann mal ausflippt, dann nur,
um die Immanenz des Systems selbst selbst auf die Spitze zu treiben,
oder, um es noch einmal anders zu sagen, er ist einer, der gegenüber
dem System grundsätzlich affirmativ ist, aber es auch gerne mal
auszutricksen versucht, indem er unwahrscheinlich kreativ und brutal
egoman zugleich seine Exzentrität auslebt, aber letztendlich doch so
leise bleibt, dass die letztendlich doch eigenartig zahme Übertretung
der Regeln zwar dem anderen, aber auf keinen Fall dem System schadet.
Der funktionelle Psychopath ist nämlich ein kastrierter Psychopath.4
Und das ist er selbst dann noch, wenn er in seinem Job äußerst
erfolgreich ist und der Erfolg auch überaus sichtbar ist, weil er
die Spielregeln eines über alle Maßen und deshalb pathologischen
Spiels der positiven Effekte virtuos beherrscht. Mit jeder Sekunde
inhalliert er den Exzessgeschmack des Erfolgreichen, der im Sog
seiner Cleverness, die ihn erst authentisch macht, ganz groß raus
gekommen ist, worauf er wieder mit einer narzisstischen Eitelkeit
reagiert, um schließlich alles soweit wie möglich im Sog des
Affiziert-Seins von sich selbst zu personalisieren und damit auf die
Risiken und die Chancen, diesen Status beizubehalten oder mit jedem
Spielzug, wenn möglich, ihn gar noch zu steigern, zu spekulieren. Er
ist wie ein Broker, der durch die Handelsräume einer großen Bank
geht, mit strahlend kühlem Blick und gierigen Halluzinationen von
Superdeals und Lehman`schen Tragödien. Und der funktionelle
Psychopath muss ja unbedingt erfolgreich sein, weil er sich als ein
lebender Transmissionsriemen der spezifisch neoliberalen Logik nur
dann bewähren kann, wenn er permanent finanzielle Investments
tätigt, die weitere Investments induzieren. Der funktionelle
Psychopath, der Ambivalenz und Negation generell verabscheut, ist
nicht zufällig Nietzsches letzter Mensch.
Wenn
der psychische Innenraum des letzten Menschen wie ein Ikea-Wohnzimmer
aussieht, das im »Do it Yourself« Modus zusammengebastelt ist,
obwohl die Anleitung für das Basteln weiterhin vom Unternehmen
kommt, dann ist er seiner Innerlichkeit beraubt, obgleich er
weiterhin zum Ikea-Narzissmus verdammt bleibt. Dessen Komponenten
sind die imaginären Repräsentanten der Außenwelt, Derivate der
sozialen Rolle, die der funktionelle Psychopath wiederum als den
legitimen Ausdruck seiner Persönlichkeit begreift, denen er aber
auch andauernd zu entfliehen versucht, ohne dass ihm das im
Geringsten gelingt. Eine komische Nicht-Identifikation findet hier
statt, die durch die mentale Distanzierung von der Rolle, die man
einnimmt, gerade in den Zement der Identifikation mit der Rolle
überführt wird. Solcherlei gelungenes Leben hat dann zum Ergebnis,
dass der funktionelle Psychopath die Rolle und die Abweichung von der
Rolle zeitgleich automatisch exekutiert, um so sozialisiert und
normalisiert wie möglich authentisch autistisch zu bleiben. Der
heutige Narzissmus ist ohne Antlitz und leer, und dort, wo der
Narzisst sich hemmungslos selber lieben will, findet er nichts außer
einem diffusen Konglomerat aus Stereotypen, Medienmüll und
Ressentiments, gelegentlich auch eine destruktive Kreativität, mit
der man die anderen outperformen will. Gleichzeitig tut der
zeitgenössische Egoist aber auch alles, was der durch das Kapital
initiierte Erfolg von ihm verlangt, wenn er nur ab und zu nach oder
andauernd unten treten darf. Ein derart konstituierter Narzissmus
gleitet nahtlos in die Paranoia hinein, mit der man sich über all
und permanent umzingelt und verfolgt fühlt. Und der Rechtspopulismus
schafft es dann noch, ein Objekt für die an sich objektlose Paranoia
zu konstruieren: Der Flüchtling.
Die
im Zuge der neoliberalen Transformationen stattfindenden
Umstrukturierungen waren es auch, die das finanzialisierte
Risikosubjekt in den 1990er Jahren als einen neuen Sozialcharakter in
die Individuen introjizierten, womit der autoritäre Charakter und
der narzisstische Typus schleichend, aber doch in einer kurzen
historischen Zeitspanne abgelöst wurden, wobei das finanzialisierte
Subjek den narzisstischen Charakter übersteigt, erweitert und
transformiert, bis es schließlich den funktionellen Psychopathen
verkörpert, der allerdings nicht mit dem klinischen Bild des
Psychopathen verwechselt werden darf, obgleich gerade die
Repräsentanten der herrschenden Klasse (Manager, Anwälte, Broker,
Politiker, Ärzte etc.) ihm doch inzwischen manchmal gefährlich nahe
kommen. So ist der Beobachtung des Psychologen Götz Eisenberg
durchaus zuzustimmen, dass heute die meisten Psychopathen keineswegs
in den Gummizellen der Psychatrien einsitzen, sondern frei auf der
Straße herumlaufen und zu allem (Un)Glück auch noch die von ihnen
selbst gefeierten Erfolge in ihren jeweiligen Berufen nachweisen
können. Funktionelle Psychopathen operieren in ihrem Alltag meistens
hyper-effizient und besitzen Eigenschaften wie unbedingte
Fokussiertheit und übersteigerte Egozentrik, zudem den
unaufhörlichen Hang zur Optimierung der eigenen Selfishness, die von
einer subtilen Profilierungsartistik bis hin zur mörderischen
Skrupellosigkeit reicht, sie mobilisieren die Anteilnahme anderer als
ihr ureigenes Privileg, das rein der eigenen Gewinnoptimierung und
dem endlosen Streben nach Singularität dient, welche wiederum aus
den Angeboten der Marketingindustrie für die Bezieher höherer
Einkommen zusammengeschustert ist; sie leben die Unaufrichtigkeit,
die Korruption und das herrische Auftreten bis in die Haarspitzen
hinein, bleiben dabei aber eine vielseitige und experimentierfreudige
Persönlichkeit, und dies alles geschieht angeblich im Rausch
völliger Spontaneität, deren Fleisch gewordene Realität heute in
ungefähr das Kunstprodukt Trump darstellt. Im Weißen Haus weiß
angeblich noch nicht einmal der innere Kreis, was Trump im nächsten
Moment tweeten wird, es herrscht die rein kurzfristige Dezision als
Chance zum clownesken Narzissmus und zur Unaufrichtigkeit, die bei
Trump anscheinend das innere Wachstum immer weiter befördert, den
Überfluss jenes Selbst, das noch seinen letzten Furz als eine wenn
auch niederträchtige Kreativität des Gutmenschen verkaufen will.
Das über alle Medien hinweg erfolgreich und zugleich hysterisch
zirkulierende Seelenwunder ist heute die psychopathische
Authentizität, die dem Erfolgreichen den inneren Lebensraum öffnet
und freigibt, ihn aber in gewisser Weise auch kolonisiert, aber nicht
zu weit einengt, sondern ihm weiterhin die Möglichkeit gibt, sich
als Selbstversicherer des eigenen Seelenlebens bei sich selbst
anzustellen,ein Dienst, dessen Endlosigkeit den gewünschten
Lebenssinn quasi fließbandmäßig hervorbringt. In der Tendenz will
jetzt noch jeder zum Egokraten seines Selbst werden.Der funktionelle
Psychopath muss im Fluss des affirmativen at-risk-Seins
Erfolgsereignisse am laufenden Band akkumulieren, während
diejenigen, die beim Spiel um das at-risk-Sein verlieren, lediglich
Enttäuschungen akkumulieren und deshalb in der Depression verenden
oder im Kurzschluss gar den Amoklauf probieren. Andererseits könnte
man auch das Leben des funktionellen Psychopathen als einen auf Dauer
gestellten Amoklauf verstehen, der aber keines blutigen Szenarios
bedarf, um seine katastrophalen Auswirkungen auf das Leben der
Anderen zu beweisen. Würde man Adorno folgen, so wäre der
funktionelle Psychopath ein Egokrat, der die Unverschämtheit auf
Dauer gestellt performt, mehr noch, er ist die wandelnde
Unverschämtheit. Er performt die Ausbeutung des Arbeiters, der
Maschinen, des Wissens, der Kontakte, der Intelligenz und Dummheit
zugleich – und jeder Output landet in seinem versifften Maul.
Solcherart verleiblicht generiert der Reichtum an Geld
Gleichgültigkeit, weil es zwar ein soziales Verhältnis ist, aber
zugleich auch soziale Verhältnisse auflöst, in dem es Menschen zu
Trägern von Waren und damit zu Charaktermasken des Marktverkehrs
verwandelt. Es wirkt entgrenzend, weil Geld als allgemeines
Äquivalent beliebig anzuhäufen ist, zumal der Statuswettbewerb nach
„oben“ hin keine funktionale Grenze kennt. Akkumuliertes Geld
generiert also Gier. In der Tat wird das Streben nach Geld mit
Teilnahmslosigkeit, Mitleidlosigkeit, Rücksichtslosigkeit, also
Bindungslosigkeit, den Merkmalen eines narzisstischen
Sozialcharakters assoziiert, entfaltet gesellschaftliche
Zersetzungskraft, gilt als Zerstörer des Gemeinwesens. Unterhalb
seiner verhüllenden Oberfläche tendiert das Geld als
Schulden(kredit) und soziales Verpflichtungssystem dazu, sich
schrankenlos zu vermehren. Das so auf Erfolg gestellte und und das so
authentifizierte Leben fingiert sich selbst als Dressurmittel zur
autistischen Soziopathie und ist ganz der Funktion der Effizienz und
des »Ich selbst« unterstellt, das aber leider immer von der reellen
Subsumtion unter das Kapitalsurrounding betroffen bleibt, und so
subsumiert, ist das Leben eine einzige Bewegung und ozeanische
Katastrophe, die bis zur Verschmelzung des Selbst mit der Funktion
der unsichtbar durchgeführten Funktionalisierung des Hirns für die
Zwecke des Kapitals reicht. Philipp Mirowski schreibt: «Während
sich die Akteure dazu gratulieren, immer wieder die Fesseln der
Identität gesprengt zu haben, verfolgen die Kontrollfirmen sie
hartnäckig durch Zeit und Raum als identische Personen.« Denn auf
Gedeih und Verderb muss der funktionelle Psychopath den Erfolg, der
permanent an verschiedenen Märkten evaluiert, bewertet und honoriert
wird, erringen, um noch besser bewertet zu werden und im Ranking
aufzusteigen, und dazu recht eben kein individueller
Singularisierungakt aus, denn meistens bedarf es dazu des intensiven
Networkings (mit dem der Erfolg und die Reputation andauernd geprüft
und getestet wird), sodass der Authenzitätsperformanzkrüppel »unter
Aufsicht« langsam zum funktionellen Psychopathen heranreifen kann,
welcher von Ökonomie der Kapitalisierung genau erwartet wird. Der
Psychopath, den wir meinen, ist eben ein funktioneller Psychopath,
der im Unternehmen an das Team und an algorithmische Maschinen
angeschlossen bleibt, deren Aufgabe es ist, die erwünschten und zu
optimierende Verhaltensmodifikationen zu prozessieren und diese
gewinnbringend für das Kapital einzusetzen, das Verhalten also ganz
ökonomischen Zielen unterzuordnen, wobei keineswegs Verhaltensnormen
wie Konformität und Angepasstheit angestrebt werden, sondern
Zynismus und Opportunismus.
Die
Praktiken der maschinischen Indienstnahme verzahnen heute das
permanente Online-Leben mit dem Imperativ des lebenslangen Lernens,
und dies gemäß dem unauflöslichen Ineinanderfließen von
individueller Unternehmensform und präindividuellen Affekten. Man
ist nun immer stärker im Sinne eines komplexen Mit-Seins mit den
sich beschleunigenden Maschinen vernäht, was regel(ge)recht ein
Suchtverhalten induziert, das jedoch im Gegensatz zur
Drogenabhängigkeit nicht den Selbstmord auf Raten befördert,
vielmehr den Drang nach einem authentischen Leben auf Dauer
mobilisiert. In einer Welt des Artifiziellen und der Technologien
muss die Authentizität permanent hergestellt und erlebt werden,
wobei die Subjekte Objekte, Reisen oder Events, die zur Authentizität
führen sollen, austauschbar sind, sodass es um die Besetzung eines
leeren Signifikanten oder einer leeren Zeichenform geht (rechwitz),
was wiederum die konstante Beschäftigung mit der Authentizität nach
sich zieht, eine Art der Performanz, mit der sich das Authentische
aber auch immer weiter verflüchtigt. Da kann der Soziologe nach so
viel über Ironisierung des Authentischen und die Metaauthentizität
an den Authentizitätsmärkten schwafeln, auch er bleibt im Spiel des
Als-ob der Authentizität gefangen, in dem, was durch das
Authentizitätsspiel gerade vermieden werden soll, nämlich der Fake.
Und je abstruser der Fake, desto besser gelingt das
Authentizitätsspiel. Es ist ganz und gar nicht die Macht des
Falschen von Deleuze, die hier auf dem Spiel steht, sondern das freie
Zirkulieren von Austauschbarem, die Fiktionalisierung von
Kloaken-News in reiner Indifferenz, wobei Objekte nur deswegen
angeeignet werden wollen, weil sie einer affektiv aufgeladenen
Ökonomisierung (Spiel & Abenteuer) genügen, die im Kontext von
Ranking und Rating wiederum die Konkurrenz unter denen vorantreibt,
die ihre ökonomische Position mit einem Attraktivitätssurplus
vernetzen und verbessern können. Die oft propagierte Mehrdeutigkeit
eines Objekts, die für seine Metaauthentizität stehen soll, gleicht
eher einem x-beliebigen Rätselraten, das auf komplette Verwirrtheit
hinweist. Entsprechend zirkulieren in dieser Hyperkultur die Objekte
ohne jeden Grund und Wahrheitsgehalt und doch nicht ohne eine
Richtung, die in nichts weiter als in ihrer Ökonomisierung besteht,
was nicht nur die Objekt, sondern selbst noch das Affektive angeht,
wobei die Optionalität, die die zirkulierenden Objekte uns
entgegenbringen, eine gefakte ist, eine Pseudo-Ressource von
Pseudo-Singularitätsgütern, und diese Art des Pseudo-, das ganz
auf die Kurzfristigkeit ihres Konsums abzielt, bringt erst jenen
Drang nach dem austauschbaren Objekt hervor, der vom Hang bzw. der
Sucht nach ihm, die vor allem seine Austauschbarkeit betrifft, kaum
noch zu unterscheiden ist
(Auch
der Begriff der Charaktermaske wurde ausgelöscht, hinter den Masken
stecken keine Gesichter mehr; dieser Marxsche Begriff des zur
Funktion seines produktiven Privateigentums herabgesetzten
Individuums ist polemisch an der Ideologie von dessen Autonomie, der
der privaten Persönlichkeit, orientiert. Die gibt es nicht mehr -
ebenso wie Anpassung zur Mimesis ausgehöhlt wird. Destruktion des
Ichs. Hans-Jürgen Krahl
Wenn
die Leute heute nach Internetsex, Teleshopping, Videogames und
Automobilität (Jogging, Auto und Internet) süchtig werden, dann
schießt der Wunsch nach Selbständigkeit und Authentizität mit der
grandiosen Abhängigkeit von den digitalen Maschinen zusammen.
Vielmehr noch die Slotmaschinen, die mit ihrer Graphik, der
mathematischen Anordnung und dem Touchscreen den Spieler zum
verweilen, ja bis hin zur Verschmelzung mit der Maschine einladen,
kreieren eine Art des manischen Automatensex (Zuboff 2018: 517).
Dieser erzeugt einen geschlossenen Kreislauf von Selbstverlust und
automatischer Befriedigung, der durch kleine Belohnungen, welche die
Maschine ab und zu ausspuckt, den Spieler in der Maschinenzone
gefangenhält. Kittler verweist darauf, dass Adorno gerne flipperte,
ja sogar als unschlagbar galt. Bei Kittler hingegen schlägt die
Frustration des Verlierers durch, wenn er flippern als "Konfrontation
des Einzelnen mit der Apparatur des Schreckens" begreift. Heute
simuliert der Spieler unentwegt den Gewinner, der die Apparatur des
Schreckens n die Apparatur des Maschinensex transformiert.
Man
giert einerseits nach unbedingter Selbständigkeit, während man
andererseits, wenn man auch nur eine Sekunde nicht mobil oder online
ist, in eine totale Frustration verfällt, weil man gdie
Abgetrenntheit vom Netz als Abhängigkeit empfindet. So wird die
reale Abhängigkeit nicht negiert, sondern sie wird gewissermaßen
pervers und of course online ausgelebt. Gerade die Möglichkeit,
seine Geschäfte, Handlungen und Affekte im selbständigen
Geschwindigkeitsmodus und auf eigene Faust zu verrichten, wobei man
allerdings weiß, dass die Befriedigung der eigenen Triebströme ohne
das ubiquitären Anhängen an die medialen Maschinen gar nicht
möglich ist, scheint im immensen Maße die seltsamsten Süchte
hervorzubringen.Die Sucht verhindert gerade das lebendige
Anorganisch-Werden des Lebens.
Schließlich
geht es um eine Affektlogik, die aus Bescheidungen und Abhängigkeiten
einen neuen Exzess machen will. Längst ist selbst noch das Begehren
des Geizhalses libidinös besetzt (Geiz ist geil), wenn etwa das
exzessive Ausgeben betrieben wird, um zu sparen bzw. den Rabatt
einzuheimsen, was wiederum einen Anreiz dafür bietet, immer weiter
zu konsumieren. Demgegenüber erscheint das materielle Eindringen der
technischen Maschine in den menschlichen Körper geradezu als ein
Schreckensszenario zweiten Grades. Die Sucht ist heute wie die
Leistung operational und zielt rein auf die Formel des Körpers,
seine Virtualitiät als ein Operationsfeld, etwas, das nichts als
funktionieren kann, wie jede beliebige Maschine das reibungslose
Funktionieren erfordert (und es doch nicht zustande bringt). Die
Mechanismen der Sucht, die das permanente emotionale Investment in
das eigenen Selbst immer weiter vertiefen, was sich visuell
beispielsweise in der Sucht nach dem Selfie zeigt, lassen das Subjekt
leerlaufen, und die Sucht ermüdet und endet im Burnout. In sie ist
letztendlich auch die Aufforderung nach permanenter Selbststeigerung
eingeschrieben, die in der Konkurrenz mit den andern erlebt und
ausgefochten werden will. Da unter dem Produktivitätszwang
schließlich alles der Selbststeigerung dienen soll, diese aber immer
wieder leer laufen muss, ermüden die Individuen schließlich an sich
selbst, insgeheim wissend, dass sie Authentizität nur simulieren,
während sie zugleich als Dividuen weiterhin das Arbeitsmannequin
verkörpern müssen … die Vitalität eines Regenwurms.
So
gesehen kopuliert der funktionelle Psychopath energisch energetisch
und endlos gern mit seinen Wünschen, um schließlich zur lebenden
Konsumtionsmaschine zu gerinnen, die die Usurpation des
Freizeit-Arbeitsmenschen durch den Kapitalapparat vervollständigt.
Durch mein Talent zur Cleverness, durch mein Yoga, durch mein Faible
für französischen Wein und durch das ausgezeichnete singuläre
Thai-Food, durch mein Gender-Verhalten und das meiner Freunde, durch
meine Erfolgskarriere bei der Deutschen Bank gewinne ich, so
Reckwitz, an Eigenkomplexität und werde besonders, wobei aber das
Besondere gerade jenes Produkt des Allgemeinen ist, sodass die
Besonderen fast schon zu riechen sind, tauchen mehr als zwei von
ihnen in ihren Szene-Restaurants oder Bars auf, in denen sie nicht
das Angebot kuratieren, sondern durch das Angebot kuratiert und
gesteuert werden, im Konsum noch kreativ gemacht werden, indem sich
ein Modul ins andere fügt, das Food, der Drink, die Designerfrauen,
das Ambiente. Der funktionelle Psychopath erscheint als der
Bandenführer seiner selbst, der vom Unbewussten den Befehl erhält,
zu siegen, koste es, was es wolle, und aus dessen Gesicht anerkennung
leuchtet, für die vielen zu sprechen, die er selbst ist. Je mehr
einer sein Leben so auf sich selbst eingerichtet hat, um so
vollkommener repräsentiert die systemische Logik. Das Procedere wird
aber auch nicht neuer, wenn man, wie Reckwitz das tut, von relativ
Neuem spricht. Eine Kokreation der besonderen Art, die da konsumiert
und bei der eben nichts weltbewegend Neues erfunden wird. Dennoch
suhlt sich der funktionelle Psychopath weiterhin in einer Art
Hyper-Aktivismus, im Rausch von Spasmen, die wenn, dann nur eines
bewiesen, wie wertvoll man doch für sich selbst und die Welt ist,
mit welchen virtuosen Fähigkeiten, die allerdings vom Opportunismus
nicht zu unterscheiden sind, die Welt erobert werden kann, ein
Kannibalismus, der sich potenziell auf alles ausweitet, was der
monetarisierten Selbstentfaltung dienlich sein kann. Dem entspricht,
dass man eigentlich nur noch auf Facebook Freunde hat, man an jedem
Ort und zu jeder Zeit mit der Tyrannei der positiven Energie
konfrontiert wird, sodass das Leben nur noch aus uplifting energies
besteht, money, Redbull und Koks. Aber dennoch scheint selbst dem
Psychopathen Ähnliches zu blühen wie Koks, Yahoo, Sushi oder
Netflix. Es läuft nach wie vor und irgendwie ganz gut, doch das
symbolische Kapital, das mit ihm verbunden ist, schwindet zunehmend.
Längst hat sich Verdrossenheit unter die Begeisterung gemischt, ist
das Mythische im Immergleichen des Alltags verschwunden und der Reiz
verloren, mehr darin zu sehen, als was darin zu sehen ist, nämlich
eine hundsgewöhnliche Praktik. Nur den funktionellen Psychopathen
ficht das bis jetzt nicht wirklich an, und es ist kein Geheimnis, wie
er die machtvolle Leere des Alltags der Indifferenz in einen ziemlich
originellen Singularitätsgewinn umzuwandeln versucht.
Die
nie enden wollende Karriere des funktionellen Psychopathen ist nicht
in erster Linie das kontingente Ergebnis der permanent variierenden
Zusammensetzung eines Profils oder der geschickten Adaption an den
Markt, der Vernetzung und Kapitalisierung des eigenen Potenzials und
der Aneignung verschiedener Kapitalsorten, vom ökonomischen über
das soziale bis hin zum kulturellen Kapital, vielmehr gehorcht sie
zuallererst den Erfordernissen einer hyperkompetitiven
Kapitalisierungsökonomie, die den funktionellen Psychopathen von der
subjektiven Seite an die Spitze dessen setzt, was aus den gnadenlosen
Profilisierungsspielen der vernetzten Subjekte herausgezogen werden
kann. Um es kurz zusammenzufassen, der funktionelle Psychopath -
nicht als ein klinisches Symptom, sondern als der gegenwärtige
dominante soziale Habitus verstanden - ist ein Zustand, mit dem
Wunsch und Wirklichkeit, Wille und Welt identisch werden sollen, es
aber doch nicht können, weil das sich selbst optimierende Subjekt im
Sog einer permanent zu bearbeitenden Fitness, Resilienz und
Therapeutik nach wie vor den Optimierungsanforderungen des Kapitals
unterworfen bleibt. Gerade wenn wie Reckwitz behauptet die
Kapitalakkumulation nicht das Ziel der Eliten und der privilegierten
Teile der Mittelklasse sei, erkennt man deutlich den
Verdrängungsmechanismus der hier vorherrscht; je freier und von
ökonomischen Zwängen ungebundener sich die Subjekte auf ihrer Suche
nach dem optimalen Lifestyle wähnen, desto gefangener bleiben sie an
die Erfordernisse des Kapitals gebunden.
Damit
bestätigt der funktionelle Psychopath ungewollt die unbestreitbare
Wahrheit, dass die ökonomische Kapitalisierung (der ökonomische
»Wert«) heute längst jede Form der kulturellen Wertschätzung
überholt hat, sodass noch mit der außergewöhnlichsten uns
skandalträchtigsten kulturellen Wert-Geste ein Mangel an
Kapitalisierung nicht eingeholt werden kann. So schreiben auch
Metz/Seeßlen: »Der Geschmack ist freilich auch in der Mittelschicht
insofern befreit, als der ökonomische den kulturellen Wert so weit
überflügelt hat, dass mit einer kulturellen Wert-Geste kein
sozio-ökonomischer Mangel mehr ausgeglichen werden kann. Das gilt im
Übrigen auch für den avancierten Teil der Pop-Kultur; durch Musik,
Filme, Kleidung oder Lektüre kann niemand mehr seinen Status
erhöhen.« (Metz/Seeßlen 2018: 176) Die harte Schule der
Kapitalisierung setzt dem funktionellen Psychopathen unaufhörlich
den Imperativ, auf keinen Fall ökonomisch-performativ zu verarmen,
um vielleicht noch die richtigen Anschlüsse zu verpassen, und sei es
auch, dass er sich dabei immer höher verschuldet, um weiterhin
Zugang zu Anschlüssen und zu den Assets und ihren
Verbriefungsmöglichkeiten zu erhalten. Und diese Art der
Auserwählung muss sich selbst noch optisch am eigenen Körper
zeigen, der, wenn es die Finanzen erlauben, mit Patchworks teurer
Accesoires behängt wird, die im Zusammenspiel mit den Operationen
der plastischen Chirurgie den neuen funktionellen Lifestyle-Zombie
ausmachen, der sich von den Influencern auf Instagram und den Siegern
der ubiquitären Castingshows anfixen lässt, ohne deren wirkliche
Erfolgslosigkeit perpetuieren zu wollen, sodass er zu einer Art
gespenstischen investiven Puppe mutiert, die Clown einer virtuell
gesetzten Überflüssigkeit ist, die im Gegenzug die Welt als das
Produkt einer Innenwelt behandeln muss, als die materiell gewordene
Projektion eines paranoiden Selbst. Das Soziale wird jetzt
psychomorph.
Der
funktionelle Psychopath gleitet ununterbrochen, am Smartphone
klebend, in die absolute Subjektivität hinein und mobilisiert damit
gerade die letzte Verfallenheit an die objektive Motorik der
digitalen Technologien und des Kapitals. Intelligente Maschinen
fabrizieren für ihn möglichst positive Vorhersageprodukte, die
exakt berechnen, was er in Kürze zu tun hat. Sein Wahn gleicht einer
Fernsprechanlage mit dreizehn Smartphones. Wer da nicht mitkommen mag
oder kann, der wird erst gründlich blamiert und dann auch noch
psychisch hingerichtet. Clever ist, wer im Sog seines
Social-Media-Charmes andere dazu bringen kann, das zu tun, was man
selbst will, wer schnelle Entscheidungen trifft und seine
Bindungslosigkeit nutzt, um sich dann doch ganz mit dem Erfolg seines
Unternehmens und seinen Teamkollegen zu verschweißen, wobei es zudem
noch gelingen muss, diese Art der Enthemmung und Anbindung zugleich
als besonders cool auf den Aufmerksamkeitsmärkten zu versteigern. In
Zukunft wird man seinen Bewerbungsunterlagen einen Psychopathie-Check
hinzufügen müssen, der natürlich positiv auszufallen hat, damit
man ganz nach den Regeln eines maschinellen Casting-Verfahrens das
Rennen im Bewerbungsgespräch machen kann, um den Ego-Porno, der
gleich dem kleinen Kapital x ist, in Zukunft möglichst noch
outzuperformen. Am deutlichsten wird dies bei den Spitzensportlern:
Ohne Plan und Selbstbewusstsein, aber mit großem Ego. Mathias Ginter
oder Niklas Süle würde keiner auf der Straße erkennen - so wenig
wie die meisten SPD-Minister. Ihre Gesichter sind allesamt Babyfaces,
wobei dies aber täuscht, verbirgt sich dahinter inzwischen doch der
unbedingte Einsatzwille zu siegen.
Und
man denke wieder an Trump, der den Fuck-Up und Check-Up der
Demokratie zugleich verkörpert. Er ist ihr Präzedenzfall und ihr
Repräsentant. Der Repräsentant geht hier in einer Rechtsperson auf,
die zeigt, dass diejenigen, die nichts als sie selbst sind, nichts
sind, weil sie nicht für das Volk sprechen, nicht in dessen Namen
sprechen, während er, der Repräsentant, der für das Volk spricht,
alles ist. Trump macht das, was alle wollen, aber nur wenige können.
Wenn man die Tweets des King of Fake News, Donald Trump, liest, dann
kommt man zu dem Schluss, dass solche Fake News nur die eines
funktionellen Psychopathen sein können, der alles als seine
Zeichen
deutet, die aber dennoch auf übergeordnete Muster verweisen,
vielleicht den Restspuren des Herrensignifikanten. Scheinbar
unbezweifelbare Fakten sind längst keine auffindbaren Ereignisse und
Dinge mehr, die darauf warten, entdeckt zu werden, vielmehr werden
sie im Rahmen eines kurzfristig hergeholten Narrativs wie am
Fließband produziert, um noch die letzte Unterscheidung von Spur und
Gedankenmüll zu verwischen. Das Referential oder die Referenz auf
die Realität wird beliebig, die Referenz muss nur an sich vorhanden
sein. So wird die Hyper-Völle des Medialen ständig neu übertüncht,
die Information wird zur (gezielten) Desinformation, aus Denken wird
Gedankenmüll. Sieger in dieser Produktionskette wird derjenige, dem
es gelingt auf der Welle des Überangebots an Information, das die
erkennbare Realität hinweg schwemmt, zu surfen. Das heißt aber
auch, dass er sich in den Fluten der Fake News, der Hate Speeches und
des unerbittlichen Wettbewerbs um Likes durchsetzen muss, immer
wieder neue Energien aufbringen muss, um seine Performance zu
verbessern (Die Steigerung der Likes & Clicks. Es herrscht der
binäre Code der Likes und Dislikes, eine infantile Freund-Feind
Suggestion). Vaknin Der von Trump gepflegte Sprachstil legt ein
beredtes Zeugnis für die Fake-Performance ab, Wörter und Floskeln
werden als klingende Münze in Umlauf gebracht, um irgendetwas
Schräges zu bedeuten oder die Realität gar zu verdrehen. Der größte
Schmutz heißt dann rein, der Kapitalist, von vornherein Arbeitgeber
genannt, bietet Jobs an, Kriege werden nur für den Frieden geführt,
Videoüberwachung dient der Entlassung in die Freiheit und der
Polizeistaat ist ein Synonym für den Rechtsstaat.
Je
gefaketer die Existenz des psychopathischen Menschen, desto freier
wird er. Es sind diejenigen hier im Spiel, die sich denken, kaputt
ist sowieso kaputt, also lieber meine Schäfchen noch ins Trockene
bringen, solange es mich noch gibt, viel mehr noch, noch einmal den
Karrieristen und Hedonisten spielen, denn wer am liebsten zwischen
Tabledance-Bar, Upperclass-Büro im Bankentower, gepanzerten
Limousinen und kokainhaltigen Casinos hin und her pendelt, der kann
einfach nicht daneben liegen. Wir bekommen es jetzt auf allen Ebenen
mit Phänomenen einer dynamischen Entgrenzung zu tun, die einerseits
zu deutlichen kollektiven Überschreitungen der Intimitätsschwellen,
andererseits zum ständigen Vergleich der Verhaltensweisen mit denen
relevanten Anderen führt. Es scheint nun so, dass kollektive
Psychopolitiken Dividuen gebären, die fortwährend
Selbstverbesserungsanstrengungen unternehmen, welche zum Schluss
allerdings an Lächerlichkeit, Peinlichkeit und Taktlosigkeit kaum
noch zu überbieten sind. Paradigmatisch stehen dafür Unternehmen,
die professionelle Coachs engagieren und selbst noch den höheren
Angestellten bunte Pappnasen aufsetzen, um sie mittels eines
gruppendynamischen Settings, in dem man lernt, wie man den Anderen
auf die softe Tour fertig macht, auf die Umsetzung und Steigerung
ihrer eigenen Performance zu trimmen, investive Statusarbeit zu
betreiben, in den Märkten aller Art, vom Partnerschafts- über den
Derivate-Markt bis zum Bildungsmarkt erfolgreich zu navigieren, den
Glauben an sich selbst in jeder noch so prekären Situation zu
stärken und vor allem positiv und vernetzt zu denken, und gerade
darin besteht die Freiheit des Exzesses am zu kapitalisierenden und
kapitalisierten Selbst, das aber stets durch einen höhergestellten
Manager, einen Plan, eine Uhr, ein Smartphone oder ein anderes
digitales Gerät, von einer Institution oder Behörde kontrolliert
werden muss. (Der funktionelle Psychopath lebt nicht im luftleeren
Raum, sondern er ist in den Wohnungen und Büros ständig an Gadgets
und digitale Geräte angeschlossen, hauptsächlich in der Funktion,
sich selbst und andere dafür fit zu machen, die algorithmische
Metrik erfolgreich zu bedienen.) Am besten natürlich durch sich
selbst, wie es jener verbissene Jogger tut, der sich durch die
dreckige Stadtluft quält und seine Leistungsaffinität bis zum
Kotzen übersteigern will.
Selbst
noch die Reste der Waren-Ästhetik sind heute auf die Performanz der
pseudoästhetischen Verwandlungen der Erfolgreichen ausgerichtet und
auf deren Flexibilität, die sich daran zeigt, dass man durchaus auch
einmal Objekte tragen darf, die trashig und hochpreisig zugleich sind
(verwaschene und mit popkulturellem Trash und Emblemen aufgepeppte
Jeans, die am besten von einem weltbekannten Designer als Unikate
geschaffen werden); das Ding muss sich an das scheinbar
polyfunktionale Ich anpassen, das in seiner Vielfältigkeit und
Diversität aber eine erstaunliche Hartnäckigkeit und zugleich
Eindimensionalität zu Tage treten lässt, weil es nämlich ganz der
Kapitalisierung des kleinen Kapitals x geschuldet ist. Dann kommt der
berüchtigte homo oeconomicus für einen Moment doch wieder zum
Vorschein und das Spielerische der Performance von angeblich
individuellen Wahnaggregaten erleidet unter Umständen Schiffbruch.
Dann
mutiert beispielsweise die Yacht als der Spielort diverser
Party-Happenings der Bunker-Eliten, die sich als eine Mischung von
Kindergeburtstag, Smalltalk, Luxuspornographie und verblödeter
Angeberei erweisen, schnell zum militärisch-logistischen Zentrum.
Die Kultur der Superreichen und die Gangsterkultur, die schon im
klassischen Kapitalismus, nachzulesen bei Chandler und Hammett, ein
komplexes Spiel miteinander pflegten, sind heute oft ganz miteinander
verschmolzen. Vorausgesetzt bleibt also das offene Geheimnis, dass
sich bei den Reichen oft genug Kriminalität, Unverschämtheit und
Vulgarität des Reichtums mischen, ohne dass es ansatzweise noch
einen bahnbrechenden ästhetischen Stil gäbe, der die Vulgarität
des Reichtums übertünchen könnte, und nur die sophiscated Kunst
kann noch mit Mühe überdecken, dass der Reichtum der Superreichen
so vulgär ist wie die Ein-Euro-Ware bei Kick. Die monströse
Luxusvilla kommt erst dann sich zu sich selbst, wenn die vom Luxus
Ausgeschlossenen sie im Tui-Katalog auf ihrem Flachbildschirm
anglotzen dürfen. Und jeder im Fernsehen ausgestrahlte Life-Event
der Eliten unterbietet das Trash-Fernsehen für die Abgehängten
nicht nur an Obszönität, sondern auch an Einfallslosigkeit, sodass
das letzte, wahre Event der Superreichen vielleicht im Genuss einer
temporären Freizeitobdachlosigkeit auf der Straße besteht, wie sie
Chuck Palahniuk in aller Ausführlichkeit beschrieben hat.
Dabei
verschwinden die Gebrauchswerte der Waren keineswegs, sondern sie
werden mit einem Branding versehen rund um die Welt geschickt und oft
genug in Echtzeit monetarisiert. Bezogen auf das Leben heißt das,
dass dessen Tauschwert sich tendenziell nicht mehr von seiner
materiellen Existenz unterscheidet, mehr noch, dass es in eine
Finanzanlage transformiert wird, welche die Zukunft des materiellen
Dings Leben kapitalisiert. Dies gilt zumindest für die
privilegierten Bevölkerungsteile in den Wohlfühloasen der
Metropolen, die es gewohnt sind den Globus zu bewohnen und zu
bereisen, während große Teile des dahin vegetierenden Proletariats
in den Peripherien, aber zum Teil auch schon in den Kernzonen des
Kapitals, gnadenlos an ihren Plätzen - Wohnungen ausgestattet mit
digitalen Konsolen, welche am Flachbildschirm einen Blick auf die
Welt ermöglichen - gefesselt sind. Und gleichzeitig sucht Tag und
Nacht ein Heer von Spürhunden, das heißt, die Analysten der
Versicherungen, Banken und anderen privaten Unternehmen weltweit nach
verborgenen Quellen, die auf die zukünftige Vermehrung von
verschiedenen Aspekten des Lebens verweisen könnten und die bisher
in dem Derivatwert einer Person noch nicht reflektiert sind.5
Dabei
muss, um die Differenzen im sozialen Feld zu visualisieren, eine
mediale Verachtungsmaschinerie in Gang gesetzt werden, die auf die
Verarmten, die Prolls, die Migranten und Flüchtlinge abzielt, sie
als Ungeziefer und Abgehängte konstruiert. Der funktionelle
Psychopath, der von den sozial Abgehängten gar noch bewundert wird,
weil er über deren Leichen geht, benötigt die Ausgestoßenen als
Opfer, das möglichst keinen Widerstand leistet, sondern sein
Unwohlsein allenfalls als eine Art Gekränktsein pflegt. Ein großer
Teil der Menschheit, die man als Surplusbevölkerung klassifiziert
und die man mit Günther Anders auch »Vegetier-Proletarier« nennen
könnte, wird von der Vermehrung des kleinen Kapitals x definitiv
ausgeschlossen bleiben. Es gibt hier eine »Ungleichzeitigkeit des
Gleichzeitigen«, oder eine »Glokalität« der Globalisierung zu
vermelden. Die Surplusbevölkerung ist ganz und gar unfähig, die
Beschränkungen des Raums zu annullieren und bleibt damit im
verelendeten und durch den Klimawandel zerstörten Raum zurück, wird
auf die Müllhalden geworfen oder in Schattenzonen abgestellt, sie
ist zeitlich zwangsentschleunigt und hinkt den dynamischen
Hipster-Subjekten, welche meistens die Wohlfühloasen des Westens
bewohnen, nur noch hinterher, um im stagnierenden »Zeitbrei« der
eigenen Überflüssigkeit auf den Tod zu warten. »Einige bewohnen
den Globus, andere sind an ihren Platz gefesselt« heißt es
entsprechend bei Zygmunt Bauman. Dabei definieren die Ersteren ihre
Wohlfühl-Subjektivität durch ihre wuchtige Verfügung über
Kaufkraft, während für die Surplus-Bevölkerung schon die Säuglinge
von vornherein als Menschenmüll gelten. Durch die größtenteils
irreversible Verschmutzung von Oberflächengewässern und
Grundwasservorräten ist für die Surplus-Bevölkerung das natürliche
Trinkwasserangebot (insbesondere in Afrika und Asien, aber auch in
den USA und in Europa) gefährdet. Man wird in Zukunft den armen
Produzenten von Säuglingen vorschlagen, diese in Zukunft besser
nicht mehr zu produzieren. Das nennt man dann Geburtenkontrolle.
- Die Kapitalisierung inhäriert den berechneten (diskontierten) gegenwärtigen Wert der in der Zukunft zu erwartenden, risikobereinigten Gewinne einer ökonomischen Einheit. Die Preise von Derivaten basieren auf den Marktkalkulationen zukünftiger monetärer und volatiler Gewinnströme, die aufgrund von Marktzinsraten und den Erwartungen der Marktakteure diskontiert werden. Oder, um es anders zu sagen, sie resultieren aus der Diskontierung der zukünftig erwarteten Gewinne mit dem aktuellen Marktzins und einem von der Qualität des Wertpapiers sowie der konjunkturellen Situation abhängigen Risikoaufschlag oder -abschlag (gewichteter Zins). Spekulation und Messung im ökonomischen Bereich vollziehen sich heute am effektivsten durch das Schreiben und Auspreisen von Derivaten. Die Standardauffassung der Finanzökonomie definiert den Derivatvertrag als ein Asset (Vermögenswert oder spekulatives »Investment«), dessen Wert von etwas anderem, das als Basiswert oder Underlying bezeichnet wird, abhängig ist, wobei mit dem möglichen zukünftigen Wert des Underlyings spekuliert wird. Das Derivat ist also kein Ding, das man wie ein Buch in den Händen hält. Es ist essenziell relational, ja es ist eine Relation von Relationen. Dabei ist es die Aufgabe des Spekulanten, die Volatilität des Derivats in Relation zur Volatilität des Underlyings im Lauf der zeit einzuschätzen. Bei Derivatvertrag »wetten« also zwei Kontrahenten darauf, was mit der Relation zwischen dem unterliegenden Asset und dem Derivat in der Zukunft passieren wird. In gewisser Weise wird auf die Relation gewettet und ein Tango mit der Zeit gespielt. Das ist aber nur insoweit wahr, als auch die Prinzipien der euklidischen Geometrie nicht immer falsch, aber eben nur manchmal wahr sind. Es wird nämlich auch mit dem zukünftigen Wert des Assets selbst spekuliert, das heißt es gibt einen Bezug des Derivats auf sich selbst, und nicht nur auf das Underlying. Das Entscheidende der Replikation des Derivats ist seine Größe und die Geschwindigkeit der Volatilität.
2
Wenn
in der selbstreferenziellen Bewegung des Geldes eine doppelte
Bewegung am Werk ist, dann nicht die zwischen fundamentalen Werten
und und spekulativen Impulsen, vielmehr insistiert in ihr die
konstante Notwendigkeit, produktiv auf spekulative Provokationen zu
antworten, um die Realität mittels neuer Relationen zu
rekonstruieren. In diesem Zusammenhang ist dann auch das Leverage zu
sehen, das Akteure, die in höheren sozialen Positionen angesiedelt
sind, verpflichtet, ihre Aktivitäten zu hebeln, das heißt, sie
richten ihr Beziehungen zu anderen so ein, dass sie den höchsten
Gewinn, den größten Output für einen gegebenen Input ziehen
können. Das Konzept des Leverage funktioniert auf der individuellen
Ebene immanent, relational und performativ, und zwar durch die
rekursive Aktivierung von Konnektionen und Operationen, die es
komponieren. Es zeigt, dass die relationalen Formen immanent und
konstitutiv zugleich sind, um neue Normen zu schaffen. Leverage ist
die Art und Weise, wie man seinen fiktiven Projektionen eine sich
selbst erfüllende, performative Qualität x gibt, indem man
erzwingt, dass die Welt affirmativ auf die eigenen spekulativen
Forderungen antwortet.
Insofern
die Spekulation mehr als nur »Wetten« bedeutet, involviert sie das
Leveraging. Das Leveraging beinhaltet nicht einfach nur die
Verbesserung der ökonomischen Position des Spekulanten, sondern
gestaltet seine Konfiguration der Realität. Die Mainstream-
Wirtschaftswissenschaften begreifen die Spekulation lediglich als
ein nicht-performatives Risikomanagement, das die Unsicherheit
eliminiert und darauf besteht, dass die Zukunft kalkulierbar ist,
wenn nur die richtigen Daten und Methoden zur Verfügung stehen. Da
davon ausgegangen wird, dass keine signifikanten Unterschiede
zwischen der Vergangenheit und der Zukunft bestehen, kann letztere
aufgrund der Kenntnis der ersteren mittels eines perfekten
wahrscheinlichkeitstheoretischen Wissens kalkuliert werden. Es geht
hier dann tatsächlich zu wie in einer Lotterie: Da die Randomness
systemisch produziert und der Einfluss des Subjekts isoliert werden
kann, erhalten wir vollständiges Wissen. Aber die Unsicherheit ist
vom kalkulierbaren Risiko so einfach gar nicht zu trennen, sondern
es stellt sich die Frage, wie man die Unsicherheit der Zukunft
benutzt, um sie auszubeuten ohne von ihr paralysiert zu werden. Das
Leverage im Rahmen der Spekulation besitzt hier dann eine präemptive
Qualität, es antwortet auf das Fakt, dass wir niemals die Zukunft
vollkommen wissen können und deshalb Strategien benötigen, die
permanent das Moment der Unsicherheit bearbeiten. Leverage bedeutet
dann, sich selbst als einen nodalen Punkt innerhalb einer
interaktiven Logik der Spekulation zu begreifen, als ein Attraktor
im sozialen Feld. Die Art, wie man die Unsicherheit der anderen
hebelt, besteht dann darin, dass man sie dazu bringt, in die
meinigen Versprechungen (als eine Art, die Unsicherheit zu hedgen,
der sie ausgesetzt sind) zu investieren. Das Leveraging verschiebt
die Emphase, die auf die Möglichkeit, die Risiken korrekt zu
kalkulieren, bezogen ist, hin zur Art und Weise, wie Akteure ihre
Versprechen als relevante Einheiten der Kalkulation zu
institutionalisieren versuchen. Die ökonomische Macht besteht nicht
nur im Wissen, sondern darin, dass man selbst im Kontext einer
grassierenden Unsicherheit (an)erkannt wird. Damit lässt sich das
Leveraging als ein säkulare Form der Souveränität verstehen, mit
der man das Feld der Risiken zwar nicht transzendiert, aber die
Möglichkeit besitzt, die eigenen Risiken in Gefahren für andere zu
transformieren.
3Bares
Geld zum Beispiel verbucht man, indem man sich zum Gläubiger und
die Kasse zum Schuldner macht; Waren, die man einkaufen will, macht
man zur Schuldnerin, und die Kasse zur Gläubigerin.
4
Das Kadaver-Subjekt
kondoliert eindeutig einer psychotischen Struktur, wie sie von
Deleuze/Guattari ausführlich
beschrieben wird.
Die beiden Autoren
schreiben, dass die Deterritorialisierungen (Teilungen,
Verflüssigungen etc.) stets von Reterritorialisierungen
(Narzissmus, Individualisierung etc.) begleitet sind.
5 Der Lebenswert schmiegt sich eng an den Logos des Derivats an, das man auf die Umgebung der Person und auf diese selbst bezieht. Dabei wird der Unterschied zwischen kleinem Kapital x und der Person zunehmend ausgelöscht, insofern das Leben insgesamt auf die Monetarisierung ausgerichtet wird, auf die Transformation einer kleinen sozialen Angelegenheit in eine Maschine zur Vermehrung des kleinen Kapitals x. Der Lebensprofit wird nun direkt an die derivative Profitlogik des Kapitals gebunden.
Foto: Bernhard Weber
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