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Der
funktionelle Psychopath –
Der Wahn von der Stange

Mit
der Unschuld gegenüber der deutlich zunehmenden Gehirnverdunkelung,
wie sie Arthur und Marilouise Kroker am Ende des 20. Jahrhunderts für
das neue Jahrtausend kommen sahen, ist es schon im Jahr 2018 vorbei.
Aus Unschuld wurde Schuld und je mehr das Gehirn gescannt wird, desto
dunkler wird es, bis es bald ganz schwarz wird. Es schlägt nun auch
die Stunde der Schundtheorie. Schund, wenn die Körper auf
kilometerhohen Haufen liegen, nein, das sind keine himmlischen order
virtuellen Körper, sondern Körper, die mit letzter Kraft versuchen
mit wenig Lohn oder ganz ohne Lohn mit dem Leben, das in den
Dämmerstunden einer kloakisierten Welt dahin kriecht, zurande zu
kommen. Schundtheorie ist die Geschichte des menschlichen Rests, den
die Sprache des Digitalen, die aus den Laboratorien von Silcon Valley
entflohen ist, nach dem Kapital ein weiteres Mal bestraft, indem sie
sich als aufdringliches Kraftfeld in den letzten Poren des Alltags
ansiedelt: Einkaufen bei Amazon, Las Vegas im Internet besuchen, 24/7
Schund-Metrik, Suicide Drive und suizidaler Faschismus, mit dem das
Kapital junge kalifornische Körper sucht, die zu fühlen versuchen,
in einer Kultur-Kloake, die empfindungslos und gereinigt ist. Das ist
das Resultat der zu Tode gerittenen Technotopie der
finanziell-virtuellen Klasse. Der Druck der globalen ökonomischen
Rezession trieb die Repräsentanten des liberalen Sozialstaates, die
in den Mittelklassen und den Arbeitereliten beheimatet waren, in die
Arme des Rechtspopulismus, während die Mitglieder der
technologischen Silicon Valley-Klasse in das Sandkastenspiel des
Bunker-Individualismus getrieben wurden, den psychologischen
Nährboden für funktionelle Psychopathen, die den Designerhamburger
zu einem Zeitpunkt genießen, an dem er von McDonalds längst zu Tode
ästhetisiert worden ist. Der Designerhamburger muss also gar nicht
schmecken, er muss lediglich jene Erlebnisqualität mit sich bringen,
die den Konsumenten affiziert, wenn er am besten zudem noch von einem
aus dem Fernsehen bekannten Spitzenkoch hergestellt wird. Der
Designerhamburger kann auch zum Träger eines bedeutungsvollen Stils
werden, etwa von Coolness und Hipstern, kurz er verspricht die
Performanz der Arschgeige.

Der
im Zeitalter des Posthumanismus lebende letzte Mensch, ein
kleines und
scheinbar zähes Monster,
das in seiner
Unersättlichkeit nicht nur alles haben, sondern es auch sofort haben
will, lässt sich seinen stets zu organisierenden Lebensprofit
aber gerne auch vom großen Anderen als die letzte Lebensweisheit
verklären.
Der letzte Mensch
lebt ganz in der Grießbreizeit
oder
wahlweise der Kaugummizeit
der Gegenwart
und deswegen können ihn
zukünftige Einkommen, auf
die heute zu
spekulieren ist, auch
nur halbwegs für das
dadurch aktuell
entgangene Genießen
entschädigen,
wobei Genießen
mit seiner Existenz
zusammenfällt. Er
muss sich auf
die Diskontierung1
verlassen,
mit der seine zukünftig
erwarteten
Einkommen durch Abzinsung auf seinen
heutigen Existenz-Wert
herunter gerechnet werden
können.
Dabei verliert der
zukünftig zu realisierende Wert des Lebens, oder,
um es anders zu bezeichnen, der
Performancelebenszeitwert
des Lebens, keineswegs an
Bedeutung, aber das Leben
bleibt immer
auch an
das Gegenwartswert und
an das
Genießen
gebunden.
Es
ist nur noch eine Frage der Zeit und es
kommt zur Schätzung der
auf die Zukunft bezogenen
Einkommensströme
eines Säuglings,
man wird die erwarteten Einkommensströme
diskontieren und damit
den
Ausgangspreis des Säuglings erhalten. Es ist deshalb überhaupt
kein
Zufall, wenn
der
französische Unternehmensverband vorschlägt, jedem Franzosen von
Geburt an eine Umsatzsteuernummer zuzuteilen. Weiter
ist man, was
die soziale Kontrolle anbelangt,
derzeit
schon in
China, wo die
Bürger
einen Ausweis mit Geburtserlaubnis, biometrischen Daten und mit dem
berüchtigten Social-Credit-Ranking
mit
sich herum
tragen
müssen.

Dabei
muss, um die Differenzen im sozialen Feld zu visualisieren, eine
mediale Verachtungsmaschinerie in Gang gesetzt werden, die auf die
Verarmten, die Prolls, die Migranten und Flüchtlinge abzielt, sie
als Ungeziefer und Abgehängte konstruiert. Der funktionelle
Psychopath, der von den sozial Abgehängten gar noch bewundert wird,
weil er über deren Leichen geht, benötigt die Ausgestoßenen als
Opfer, das möglichst keinen Widerstand leistet, sondern sein
Unwohlsein allenfalls als eine Art Gekränktsein pflegt. Ein
großer Teil der Menschheit, die man als Surplusbevölkerung
klassifiziert und
die man mit
Günther Anders auch »Vegetier-Proletarier« nennen könnte, wird
von der Vermehrung des kleinen Kapitals
x definitiv ausgeschlossen
bleiben. Es
gibt hier eine »Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen«, oder eine
»Glokalität« der Globalisierung zu vermelden. Die
Surplusbevölkerung ist ganz und gar unfähig, die Beschränkungen
des Raums zu annullieren und bleibt
damit im
verelendeten und durch den Klimawandel zerstörten Raum zurück,
wird
auf
die Müllhalden geworfen oder in Schattenzonen abgestellt, sie ist
zeitlich zwangsentschleunigt und hinkt den dynamischen
Hipster-Subjekten, welche meistens die Wohlfühloasen des Westens
bewohnen, nur noch hinterher, um im stagnierenden »Zeitbrei«
der eigenen Überflüssigkeit auf den Tod zu warten. »Einige
bewohnen den Globus, andere sind an ihren Platz gefesselt« heißt es
entsprechend bei Zygmunt Bauman. Dabei definieren die Ersteren ihre
Wohlfühl-Subjektivität durch ihre
wuchtige Verfügung über Kaufkraft, während für
die Surplus-Bevölkerung schon die Säuglinge
von
vornherein als Menschenmüll gelten. Durch
die größtenteils irreversible Verschmutzung von
Oberflächengewässern und Grundwasservorräten ist für
die
Surplus-Bevölkerung das
natürliche Trinkwasserangebot (insbesondere
in Afrika und Asien, aber auch in den USA und in Europa)
gefährdet. Man
wird in Zukunft den armen Produzenten von Säuglingen vorschlagen,
diese in Zukunft besser nicht mehr zu produzieren. Das nennt man dann
Geburtenkontrolle.

Das
24/7-Kapital

,»Die
Rhythmen des Lebens, das Auf und Ab der Natur und des Alltags müssen
verschwinden in dieser Welt; für die Schwäche und Unzulänglichkeit
menschlicher Zeit, ihre diffusen und verschlungenen Strukturen«, so
schreibt Jonathan Cray, sei in dem global-digitalen-24/7-System kein
Platz mehr. Der 24/7-Modus hat längst eine entzauberte Welt ohne
jedes Geheimnis hervorgebracht, eine unheimlich identische Welt der
Indifferenz, eine Welt ohne Gespenster, eine
Welt, die einerseits die Dunkelheit zu eliminieren trachtet,
andererseits den Tag mit seinen Rhythmen, Perioden und
Eigenartigkeiten zur Eindimensionalität
hin verflacht
und ihn doch
zugleich zerrüttet.
So ist es wahrlich kein Zufall, dass die
Dinge, Objekte
und Ereignisse, die
im Alltag zirkulieren, auf
ihre bloße Funktionalität, Kalkulation und
Effizienz, ja schließlich auf ihre
Brauchbarkeit für die Kapitalisierung reduziert
werden,
sodass selbst noch die minimalsten
Kontingenzen, Brüche und Eruptionen im
Alltagsleben verschwinden, gerade
auch indem
der Alltag in einer Art und Weise kulturalisiert und »singularisiert«
wird, dass eine fieberhafte und wie von
unsichtbarer Hand gesteuerte
Suche nach dem Originellen, dem Echten und dem Authentischen beginnt,
die egal, was da als das Ergebnis
der Suche von der Kulturindustrie
eingesetzt werden mag, sich vor allem
durch den funktionellen Fluss der Suche selbst auszeichnet. Die
Welt wird grell-hell,
es fließen in ihr
ultra-sichtbare Ströme von Bildern, Fotos
und Informationen im Endlos-Stream,
die selbst noch die
Katastrophe, das Verbrechen und das Obszöne ausleuchten und zugleich
neu konstruieren. Die visuelle
Stimulation kommt
aufgrund der Dominanz des Grellen im
digitalen Bilderbrei einer weißen Wand
gleich, gegen die den Kopf zu stoßen nichts bringt, weil es nicht
einmal Beulen hinterlassen würde.

Das
24/7-System des Kapitals generiert wie
eine perfekt
geölte Tretmaschine unablässig asoziale Modelle des automatisierten
Funktionierens des
Sozialen –
der Mega-Motor des Super-Kapitals, das abstrakte Prinzip der
Vermehrung des Geldes um der Vermehrung willens,
treibt unaufhörlich
die
Kalkulation, Quantifizierung und Verwertung des Lebendigen und des
Toten
mit
vielfältigen
Prozessen
voran, bei denen aber
oft genug unerkennbar bleibt, auf wessen Kosten die laufende
Betriebsamkeit geht und wer von ihr profitiert.
Diese 24/7-Metrik
unterscheidet sich
stark von
einer
Zeit,
die
Marxisten wie Georg
Lukács
im 20. Jahrhundert
als lineare,
leere,
gleichförmige Zeit des Kapitals bezeichnet haben, insofern die
24/7-Zeit als wirbelnder Strom eine a-lineare und
nicht-chronologische Zeit der Spekulation inhäriert, die
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischt, aber dennoch
unaufhörlich auf Beschleunigung und auf die Eliminierung von
unproduktiven Leerstellen in der arbeit und im Alltag setzt. Diesem
Prozess zufolge sind es nicht die Terminals als Produktion,
Konsumtion, Austausch und Distribution, sondern es sind die
Geschwindigkeit und die Größe der Prozesses der Zirkulation selbst,
die zählen. Alles wird heute von der Zirkulation aufgesogen und
niemand darf sich der Zirkulation verweigern, alles zirkuliert und
niemand kann der Macht der Kreisläufe der Zirkulation entkommen.
»Die
Zirkulation ist die erste Totalität unter den ökonomischen
Kategorien.« Marx Grundrisse, um das Kapital seiner beziehungen zu
untersuchen. Gesmatarbeit als Totalität117 Circulation, because a
totality of the social process, is also the first form in which the
social relation appears as something independent of the individuals,
but not only as, say, in a coin or in exchange value, but extending
to the whole of the social movement itself. The social relation of
individuals to one another as a power over the individuals which has
become autonomous, whether conceived as a natural force, as chance or
in whatever other form, is a necessary result of the fact that the
point of departure is not the free social individual. Circulation as
the first totality among the economic categories is well suited to
bring this to light." Grundrisse (Penguin Der Begriff der
totalität , fata Morgana des hegelianiserenden Marxismus verwandelt
sich in ein sytem für Kreisläufe innerhalb des ökonomischen
Feldesausch, einfache zirkulation (relation zwischen ware und geld)
und erweiterte zirkulation als reproduktionskreislauf des kapitals..

Reine
24/7 Zirkulation als Bedingung und als Produkt des
virtuell-finanziellen Modells der Zirkulation von Kreisläufen.
Kreisläufe der Produktion, Kreisläufe der Konsumtion, Kreisläufe
des Austauschs und Kreisläufe der Distribution, alle miteinander
verlinkt und sich überlappend. Die Kreisläufe der Zirkulation
verbinden sich im Modus der quantischen Ungewissheit mit der
multiplen Zirkulation der Kreisläufe, und das muss so sein, weil die
Waren- und Kapitalbestände selbst recodiert, rekombiniert,
repliziert und geklont werden können. In
der Zirkulation fließt etwas aus und kommt wieder herein, immer und
immer wieder, das heißt, sie ist ein Kontinuum, und insofern ist sie
zur gleich zeit innen und außen. Sie ist ein vielfach
gefaltetes System mit relativen Innen- und Außenzuständen
ohne
absolute Exklusionen und Inklusionen, vielmehr sind beide Falten
desselben kontinuierlichen Prozess. Die Zirkulationen reproduziert
nicht
nur einen Strom qua eines Netzwerks multipler Falten,
sondern lässt sie expandieren, wenn sie zusammenkommen. Sie ist die
kontrollierte
Reproduktion und Redirektion der Bewegung. In der
Zirkulation geht es um Größen, Liquidität, Geschwindigkeit und
Vektoren. Selbst die Nicht-Zirkulation - in diesem Falle das Geld,
das der Zirkulation kurzfristig entzogen ist (Schatz), um als Kredit
zu fungieren - zirkuliert auf immer höherer Stufenleiter. Deshab
sind auch die Blockaden von Häfen
und logistischen Hubs so effektiv, weil die Macht eben nicht mehr nur
in den Institutionen verankert ist, vielmehr in den Infrastrukturen
konzentriert ist, womit auch ein Shift von den Plätzen hin zu den
Strömen verbunden ist, den

Autobahnen,
Glasfasernetzen und Stromlinien. Die macht liegt im Verborgenen und
ist dennoch banal:
Sind die Fabriken
und Büros noch Orte oder Knotenpunkte in einem Strom, speziell wenn
sie Teile einer vernetzten Infrastruktur sind. Es scheint, dass alle
Ströme zu Plätzen werden, weil sie immer nur an partikularen
Punkten blockieren kann.
Ist
ein Verkehrskreisel ein Strom oder ein Platz, oder beides? Haben sie
reale oder symbolische Dimensionen, oder beides? Die revolutionären
Gelbwesten bestimmen mit ihren Straßensperren
den Kurs der Globalisierung. Sie können sie aufhalten oder umlenken,
ja sogar umkehren. Die Geschichte wird spontan gemacht, am
Kreisverkehr mit seinen Abzweigungen.

Die
Jagd nach dem ever zirkulierenden Mehr, die der Kapitalisierung
zukünftiger Zahlungsströme und Zahlungsversprechen entspringt,
eröffnet Zeitströme, in denen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
in keiner determinierten Relation mehr zueinander stehen, sondern
sich in einem kontinuierlichen Zustand der Bewegung, der
Transformation und des Entfaltens befinden. Entlang dieser
nicht-chronologischen spekulativen Zeit6,
in der Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte für eine ständige
Re-Organisation, ein Resetting oader auch die Suspension offen sind,
werden die Kanäle für die Kapitalisierung kreiert. Der 24 Stunden
Aktienmarkt bezeugt den Triumph des »streamed capital« als den der
Ausdehnung und der Beschleunigung über die Dauer. Mit
der Zeit ist es jetzt wie
mit allen Transit-Orten – siehe Einkaufszentren, Flughäfen, Museen
und Sportarenen: So
ist auch die
Zeit in all ihren Dimensionen (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft)
austauschbar geworden, ganz egal, in welchem Jahr, Tag und Sekunde
man sich gerade befindet. Indem sie austauschbar geworden
ist, ist sie standardisiert und zugleich
differenziert. Das Entscheidende der 24/7-Metrik liegt aber gerade
nicht in der Standardisierung/Differenzierung, sondern in der
Redundanz einer Un-Zeit, in der es keine Gelegenheit mehr gibt, nicht
zu shoppen, nicht zu
konsumieren, nicht zu
arbeiten oder keine Daten
abzurufen. Dennoch inhäriert die 24/7-Metrik keine gleichförmige
Zeit, sondern eine reduzierte und abgeschliffene Diachronie, in der
die Unterschiede auf austauschbare
und zirkulierende
Differenzen zusammengestrichen sind
– Austauschbarkeit ist die Normalität. Es wird eine schale
halluzinatorische Präsenz inszeniert -
die Abfolge reibungsloser und wie geschmiert ablaufender
Operationen als eine
besondere Form der Zeitlosigkeit, in der
den Unterschied ausmachende Pausen,
Unterbrechungen und Rhythmen eliminiert werden.
In diesem Kontext muss darauf
hingewiesen werden, dass der Kalender
und die in ihn eingeschriebenen Zeiten
weiter existieren,
aber ihre Kenntlichkeit und Bedeutung wird durch die Indifferenz der
24/7 Metrik überlagert.
»Disconnection« bedeutet jetzt
definitiv den sozialen Tod, während
gleichzeitig drahtlose
Technologien gerade
die Besonderheiten und das Singuläre der Orte, der Landschaften, der
Zeiten und der Ereignisse auslöschen.
Und es entsteht
geradezu ein Sog, der einen dazu zwingt, ununterbrochen den durch das
Marketing erzeugten Bedürfnissen und Wünschen im
digitalen Netz
und auch in
der analogen Welt
nachzujagen, die
aber auch
deswegen unerfüllt bleiben müssen,
weil ständige neue Produkte, neue Apps,
Versionen und Upgrades auf dem Markt
erscheinen, welche die Wünsche nicht nur
stimulieren und anheizen, sondern sie zugleich ständig
transformieren und gerade auch deshalb
unerfüllt lassen. Dabei erzeugt die
24/7-Metrik keineswegs manipulierte
Konsumenten,
sondern über
die Inszenierung von Differenzen infolge
der ständig wechselnden Warenangebote,
die aber
letztendlich der
radikalen Indifferenz gegenüber den
Dingen gleichkommt,
werden die wirklich den
Unterschied machenden
Unterschiede geschliffen und die
Konsumenten
in ihrem Verhalten nivelliert,
das Spektrum ihrer Verhaltensweisen,
Erfahrungen und Ereignisse in der Tendenz auf Null reduziert.
Nullintensität.

Dieser
Zeit des 24/7 ist selbst noch der Schlaf ein Greuel. Jonathan Cray
schreibt: »Eine strahlende 24/7-Welt, die keinen Schatten wirft, ist
die kapitalistische Endzeitvision eines Posthistoire, einer
Austreibung der Alterität als dem Motor geschichtlichen Wandels.
24/7 ist eine Zeit der Gleichgültigkeit, der
gegenüber die Fragilität menschlichen Lebens zunehmend inadäquat
wird, eine Zeit, in der der Schlaf nicht länger notwendig oder gar
unvermeidlich ist. Sie lässt die Vorstellung eines Arbeitens ohne
Pause, ohne Ende plausibel, ja normal erscheinen. So verbindet sie
sich mit dem Unbelebten, Inerten oder Alterslosen.«

Für
Cray ist es nur noch der Schlaf in
seiner puren Nutzlosigkeit,
der mit den Takten, Metriken und Ansprüchen der 24/7-Welt des
Super-Kapitals kollidiert, womit
er weitgehend
auch von
den Angriffen der Unternehmen
und den von ihnen generierten Bedürfnissen befreit bleibt; er ist
die kompromisslose Unterbrechung der vom Kapital unablässig
geraubten Zeit, während
hingegen selbst die existenziellen
Bedürfnisse und Begehren
– Hunger, Durst, Sex und Freundschaft – heute
monoton
aufgeladen
und
dermaßen
terroristisch
kapitalisiert sind,
bis schließlich jede Geste des Körpers unerbittlich in eine
Verstärkung der kapitalistischen Axiomatik umgewandelt wird. Der
Schlaf konterkariert die Kapitalisierung, weil er auf einem
Zeitintervall insistiert, das sich durch das Kapital nicht verwerten
lässt und er
bleibt damit
eine sperrige Anomalie, ja
sogar
ein potenzieller Krisenherd in der globalen Präsenz des Kapitals.
Allerdings, und das gilt es gegen Cray ins Feld zu führen, wird mit
der
Existenz
von
Schlaflaboren
längst auch der
Schlaf durch diverse
Methoden, die
seiner
Effektivierung
dienen, umgestaltet.
Dennoch bleibt er vielleicht
zumindest in
seiner Traumdimension das, was Blanchot das Unwahrscheinliche nennt.
Gleichzeitig
bleibt der Schlaf eine transzendentale Bedingung, ein reines
Eins-in-Eins, weder Freude noch Trauer, sondern
unerbittlicher Schlaf. Er ist das keine obect a des sexuellen
Vergnügens, das Andere des 0+
des
Träumens und das
0- des
Todes.

Aber
wahrscheinlich hat selbst Cray nicht mit Unternehmen wie Under
Amour

gerechnet, deren mobile App Record
eine Schalt- und Überwachungszentrale für menschliche Aktivitäten
rund um die Uhr ist, um die Fitness, aber eben auch den Schlaf einer
Person zu tracken, zu analysieren und dann die ausgewerteten und
modifizierten Daten zu verkaufen. Es wundert längst nicht mehr, dass
die User diese Daten freiwillig zur Verfügung stellen, worauf sie
beispielsweise
mittels
der KI Plattform Watson analysiert werden, deren Ergebnisse das
Unternehmen nutzt, um Feedbacks zu versenden, Nutzerprofile und neue
Verhaltensmodifikationsmittel zu erstellen, die wiederum ein
quasi-programmiertes Verhalten erzeugen sollen, das heißt, beim User
genau das vom Unternehmen vorhergesagte Verhalten auslösen, das zum
Beispiel im Kauf der physischen Produkte des Unternehmens besteht.
Selbst noch das intimste Wissen über die Qualität des eigenen
Schlafs wird als Daten in algorithmische Maschinen eingespeist, um
daraus neues Vorhersage-Wissen herzustellen, das angeblich die
Effektivität des Schlafs verbessert. Und die Schlaftracker auf dem
Smartphone, die am frühen Morgen angeben, ob man gut oder schlecht
geschlafen hat, disziplinieren selbst noch den Schlaf, soweit es eben
geht, denn
der Schlaf bleibt ein umkämpftes Territorium.
Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Schlaf dienen meistens dazu,
die Agenten fit für den Job und ihr monetarisiertes Leben zu machen,
sodass
eine Art
Hochleistungsschlaf durchaus
erwünscht ist - manschäft sich schön,
schlank, gesund, intelligent
und glücklich. Man
schäft unter der Bedingung der Leistungsbereitschaft, um den
arbeistalltag bewältigen zu können, und dafür benögt es, so die
Wissenschaft, möglichst
viele Tiefschlafphasen, Kontinuität
unter den Bedingungen eines optimalen Raumklimas. Selbst für die
Vorbereitung des Schlafes haben die Lebensratgeber
einen Kanon von strikten Regeln entwickelt: Keine
Bildschirme mehr vor der Nachtruhe. Körperliche Betätigung ist gut,
zu meiden sind unbedingt Alkohol und schweres Essen, genauso wie
Sorgen. Wer in Altersheimen oder Krankenhäusern 24-Stunden-Schichten
schiebt, wer zwischen zwölf und acht Uhr morgens die Bürogebäude
großer Firmen putzt oder in Chemieanlagen, in der
Nahrungsmittelproduktion oder für Sicherheitsfirmen die Nächte
durcharbeitet, der muss sein Schlafbedürfnis minimieren und am Tag
oder am Wochenende stillen. Mehr als ein Drittel der Schichtarbeiter,
das zeigt eine Studie
der Techniker Krankenkasse
, schlafen weniger als fünf Stunden-

Cray
weist in diesem Kontext darauf hin, dass heute
die Zahl der derjenigen Menschen
(und das betrifft nicht nur die Daytrader)
stark ansteigt, die nachts aufstehen, um Mails, Social
Media-Plattformen und Infos im Internet zu checken oder auch mal den
Kühlschrank zu besuchen, um etwas zu essen. Solch ein unterbrochener
Schlafmodus, man denke an den Lenin-Schlaf der Banker, reduziert den
Schlaf auf einen minderwertigen Zustand, weil er ihn letztendlich
doch lediglich auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit und
Verfügbarkeit des Menschen für die Arbeit und das Kapital festlegt.
Cray schreibt über den 24/7 Takt: »Er verdrängt das
»Ein/Aus«-Prinzip. Nichts ist mehr richtig »aus«. Nie gibt es
mehr einen wirklichen Schlafmodus.« Es kommt
heute zu
einer ständigen Verknappung oder
Verkürzung des Schlafs und gleichzeitig
kommt es zu
notorischen Schlafstörungen, sodass man in
diesem Fall gezwungen ist, mit
der Einnahme von Schlaftabletten Schlafzeit
zu kaufen. Und für den Erfolg des
Unternehmens, in dem man gerade arbeitet, hat man immer wieder
einmal eine Idee im Kopf, auch in der
Nacht, man ist sozusagen rund um die Uhr im Dienst und wenn gerade
kein Firmenangestellter zur Kontrolle bereitsteht, dann kontrolliert
man sich eben selbst.

In
dieser Zeit der endlosen Präsenz verschwimmen nicht nur
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern auch die
Produktion, Verteilung und Konsumtion in
schnell zirkulierenden Kreisläufen ineinander.
Vordergründig scheint es dabei
dem Kapital an nichts zu fehlen, weder
an der Arbeit noch
am Konsum, wenn man unter Arbeit einfach Hilfsarbeit und unter Konsum
die zerebrale Wahrnehmung
eines Flüssigfernsehers oder eines
digitalen Mikroschaltkreises, der
vielfältige Wünsche,
Zeichen und Energie aufzeichnet,
versteht. Einzig und allein am Mehr, am Mehrwert mangelt es nach
wie vor auf Dauer. Gerade
der ach so reflexive
Konsum der Mittelklassen
erzeugt heute den
toxischen und oft in erschöpfenden
Dimensionen stattfindenden
Verzehr von Gadgets, Geräten, Apps, Bildern, Chemikalien etc.,
Waren, die
von den großen Silicon Valley Konzernen
permanent transformiert
und neu angeboten, um
dann sofort auf
den entsprechenden Medien-Märkten
und Plattformen kommentiert zu werden.
Man konsumiert dies alles sehr häufig
am Smartphone, indem man unentwegt
auf das Display schaut, browst, chattet,
skippt, deleted, surft und liest und bleibt dabei
immer eingetaucht in eine
Passivität, die einem das Online-Leben aufbürdet, während man
gleichzeitig doch
irgendwie aktiv ist, also irgendwie
total involviert ist, eine Verrücktheit
höchsten Grades. Man lebt in den
Geisterwelten hedonistischer
digitaler Maschinen
und promiskuitiver
digitaler Kontakte.
Entscheidend für den 24/7-Takt, der in
seiner ultraschnellen
Schmalspur-Eleganz zur Zerrüttung,
Verflüssigung und Flexibilisierung der alltäglichen
Tagesabläufe führt, ist
nicht mehr die Akkumulation der Dinge
durch die Subjekte, sondern der
expandierende und paradox
differenziell-gleichförmige Strom der
Beschäftigung sowie des
Konsums von
meist digitalen Angeboten,
der
durch den zunehmenden
Verlust von Pausen und
Unterbrechungen und gleichzeitig durch eine
schrille Kurzfristigkeit
der Aktivitäten gekennzeichnet
ist. Virilios rasender Stillstand. Die Metrik des 24/7 induziert eine
Zeit ohne Zeit, eine Un-Zeit, die ohne jede Dramatik, ohne
Ereignisse oder differenzierende
Wiederholungen, die einem im Gedächtnis bleiben könnten,
dahin schleicht, oder, wenn man in bestimmte
Projekte und Jobs eingespannt ist,
unter dem Zwang sich kaputt zu arbeiten
dahin rast - jedenfalls handelt es sich
um eine Art Zeitlosigkeit oder um die endlose
Ausdehnung einer flachen, sich
dehnenden und
fürchterlichen Gegenwart.

Und
jedes Produkt ist als ein potenzielles Wegwerfprodukt in den
variablen 24/7 Zeit-Sog integriert. So werden die Touchscreens der
Smartphone verschwinden und durch Gesten gesteuerten Rechnern Platz
machen – als »Revolution« gefeiert werden diese Produkte, darauf
kann man sich verlassen, ein möglichst schnell zu entsorgendes Teil
der Nonstop-Innovation des Kapitals.7
Die digitalen Geräte erfordern aber nicht nur einen repetitiven
Ersetzungsmodus, sondern sie erscheinen als Neuheiten genau dann
attraktiv, wenn sie wie am Endlosband Wahlmöglichkeiten, das heißt
einen Modus zur Erzeugung von Optionalität anbieten, der adirekt aus
der Finanzindustrie herauskopiert ist.

Pierre
Klossowski hat in seinem Buch Die
lebende Münze

die
industrielle Produktion als das
Prinzip einer Produktion-bis-um-äußersten, die
einen
Konsum-bis-um-äußersten fordert, bezeichnet, nämlich die
Produkte auf
kurzfristigen Verschleiß hin
in
Serie zu
produzieren, um folgerichtig
den
Konsumenten, der
diese Kurzfristigkeit aufgreifen
muss,
daran zu
gewöhnen,
die Idee eines haltbaren Gegenstandes ganz
zu
verlieren.8
Die
Zerstörung
der
Haltbarkeit
durch
die maschinelle
Innovation,
mittels
derer
nicht
nur die Maschinen, sondern die
Konsumprodukte
immer
schneller durch andere abgelöst werden,
ist
also schon Teil
der
industriellen
und seriellen
Massenproduktion. Diese
verstärkt
die Flüchtigkeit
und den
Verlust
des Objekts und
soll jeden
Gedanken an die Haltbarkeit der
Objekte
eliminieren,
womit diese
in ihrer Waren-Endlichkeit zu
Quasi-Objekten
mutieren,
das heißt, sie
sind kalkulierbar
und quantifizierbar und kurzfristig
austauschbar geworden
und
sind
damit
als Objekte nichtig. Die Objekte mutieren zu Nicht-Dingen. Sie sind
nichts, oder, anders gesagt, jedes Objekt ist
nun
potenziell
Müll, ja das Objekt ist Müll. (Nur der Preis hält das Objekt noch
am Leben).

Für
Klossowski ist damit, so muss man einfach
folgern,
der Müll keine unvermeidliche Nebenwirkung der industriellen
Produktion, sondern ihr Hauptzweck, insofern die
fabrizierten
Industriewaren dem Wachstumszwang des Kapitals unterliegen,
was ihre schnelle Untauglichkeit und Unbrauchbarkeit, ihre umgehende
Entsorgung
unbedingt einfordert, sodass man
eben
zu
dem Schluss kommen muss, dass der wirkliche Zweck der
Waren
nur darin bestehen kann, Müll zu sein. Wenn das Marketing heute
jedes
Produkt mit dem Attribut neu versieht, ja als
brandneu
oder
als
eine noch nie dagewesene
Sensation propagiert,
dann fällt im optimalen Fall der Augenblick des Erscheinens des
Produkts mit
seinem
Verschwinden zusammen, zumindest ist das
Produkt einem
schnellen Zerfallsprozess ausgesetzt, weil
es - in Serie hergestellt
- nur
die Vorstufe des noch
neuen
neueren
Produkts
sein
kann. Das Produkt trägt damit per
se den
Makel oder den Mangel des Überholten und Defizitären
bereits in sich, seine Halbwertszeit tendiert gegen Null. Und
Müll
ist demnach nicht nur das, was auf den Mülldeponien der Welt
vergammelt,
sondern das
riesige
Warenangebot
in
den Regalen der Supermärkte und in den Online-Shops von Amazon,
Warenmüll
ist das
kommende
Abjekt,
das als solches gar
nicht
wahrgenommen wird. »Abfall
ist das finstere, schändliche Geheimnis jeglicher Produktion. Es
soll vorzugsweise ein Geheimnis bleiben.« (Zygmunt Bauman, 2005. 42)
Damit
drohen
selbst noch die alltäglichsten
Gewohnheit ob
ihrer Kurzfristigkeit dem Verfall ausgesetzt zu sein, obgleich
wir weiterhin
in den schlechtesten Gewohnheiten gefangen bleiben,
beispielsweise
auch
ohne
Zeit für Entscheidungsfindungen zu
finden dem
Allerneuesten nachzuhecheln. Selbst
die Ökoprodukte entgehen dem Gesetz der Vermüllung nicht: Ist es
nicht voreilig oder unvernünftig, die Sonnenenergieanlage auf mein
Dach zu setzen, die heute die am weitesten entwickelte ist, wenn doch
morgen die Entwicklung darüber hingegangen sein wird? Jede
ergriffene
Chance ist eine Niederlage, jede getroffene
Entscheidung ist eine Entscheidung für Müll.9

In diesem sich beschleunigenden Kontinuum der
Vermüllung durch
die
Zirkulation der Quasi-Objekte
sollen
die Phasen der Unterscheidungsfindung, der Unterbrechung und des
Nachdenkens immer weiter reduziert werden, was einer zunehmenden
Kontrolle und Vereinnahmung der gelebten Zeit entspricht. Horizontale
Kommunikation und vertikale Kontrolle.Auch wenn es keine strenge
Trennung geben mag, eine begriffliche Unterscheidung zwischen
Überfluss und Überflüssigem wäre sinnvoll. Ist Überfluss noch
Reichtum, so evoziert Überflüssiges schon
Abfall. Überfluss erlaubt Disposition, Überflüssigkeit verursacht
Müll. Wir stellen jedenfalls mehr Produkte her, als wir und unser
Planet aushalten. Eine Ökonomie
der unbenutzten Dinge

wäre durchaus von Interesse. Sachen, die zwar produziert und
zirkuliert wurden, aber nie konsumiert worden sind, nehmen zu.
Wieviel Energie und Anstrengung sind vonnöten, solche Nichtgüter
zu erzeugen und zu verkaufen? Indes wieviele Arbeitsplätze gingen
aktuell verloren, würde man diesem ökonomisch forcierten Kult des
Überflüssigen nicht huldigen?

„In den reichen Ländern wird heute ein Viertel der genießbaren
Lebensmittel weggeworfen“ (S. 873), lesen wir. Nicht der
Produktenrest ist dann Müll, sondern das Produkt selbst. „Die
Verschwendung von Lebensmitteln ist nichts Neues. Vielmehr ist sie im
Kapitalismus völlig normal (…) Neu an der Entwicklung der letzten
Jahrzehnte ist, dass selbst dann Lebensmittel vergeudet werden, wenn
die Nachfrage hoch ist. Der Grund dafür ist, dass nicht zu wenig,
sondern zu viel gekauft wird.“ (S. 873) Nur, wie kommt es zu
dieser destruktiven Entwicklung? Aber halt: Eine solche ist bloß
gegeben, wenn wir unsere Einwände sinnlich, stofflich und moralisch
argumentieren, nicht jedoch ökonomisch. Denn ökonomisch betrachtet
ist das durchaus funktional, es ist adäquates, weil marktkonformes
Wirtschaften.

Fortan sind zwei Typen vergeudeter Gebrauchswerte zu
unterscheiden. Die Frage lautet: Wird ein Produkt vor der Zirkulation
liquidiert (Fall Eins) oder erst vor der Konsumtion entsorgt (Fall
Zwei)? Das macht schon einen Unterschied: Zwar wird beide Male nicht
konsumiert. Beide Male verderben die Produkte, im ersten Fall um
den drohenden Abgang zu minimieren, im zweiten Fall ohne den
Gewinn auch nur zu schmälern. Hier wird der Tauschwert ja
realisiert, lediglich der Gebrauchswert ist obsolet. Ökonomisch ist
es nämlich vorerst egal, ob das verkaufte Produkt verzehrt wird.

Mit
der
Sharing Economy gelingt
es den
Subalternen, aus einem Gästezimmer oder einem unbenutzten Raum in
einer Wohnung eine Einkommensquelle zu machen, während
gleichzeitig alle
Formen der prekären Arbeit weiter zunehmen.
Möglichst alles, selbst noch der recycelbare Müll, soll fortan als
Einkommensquelle dienen, und dies bezieht sich gerade auch auf das,
was von den Lebenden bisher noch gar nicht produziert worden ist. Und
oft genug zeigt sich gerade darin der nekrophile Zug des Kapitals und
seiner Kulturindustrie: Erst wenn eine Sache längst tot ist, kommt
sie so richtig in Mode und wird dann als eine zukunftsweisende
zeitgenössische Singularität verkauft, womit sich anzeigt, dass die
Retro-Industrie gerade in einem Zeitalter, das angeblich auf die
Vermarktung der Dinge mit
Blick auf die
Zukunft setzt, längst zum Standard geworden ist. Dabei
wird auf der Suche nach dem Originellen und Einzigartigen der
Unterschied zwischen Historischem und Zeitgenössischem permanent
verwischt, sodass am Ende lediglich die Rekombination der Objekte,
Zeichen und Stile übrig bleibt. Wenn
in
diesem Sinne
jedes Produkt Retro ist, ist nichts mehr Retro und die Zeit wird
weiß. Und selbst noch gewöhnliche Industrieprodukte wie Jeans
werden mit schier nach Lebendigkeit ringenden Gebrauchsspuren, die
beispielsweise
das
Heroische der Arbeit ausstellen sollen, und irgendwelchen sonstigen
historischen Details aufpoliert, und noch der industriell
hergestellte Kuchen schmeckt angeblich wie der
Kuchen zu Omas
Zeiten. Die Zirkulation der hybriden Waren läuft heute insofern
immer wieder auf dasselbe hinaus, insofern die ihnen hinzugefügte
Erzählung, die von ihrer Authentizität oder Singularität labert,
gerade das verschleiert, was sie in Wahrheit meistens sind, nämlich
seriell gefertigte Wegwerfprodukte, gerade einmal dazu da, nach dem
Kauf sofort wieder auf Ebay weiterverkauft oder gleich in den Müll
geworfen zu werden. Es
kann sich dabei durchaus auch um einzeln hergestellte Objekte und
Accesoires handeln, die, werden sie mit einem fiktiven Wert versehen
und beispielsweise in der Wohnung gesammelt, den Hauch
des Atmosphärischen schaffen, eine leichte Wolke, die vorbeizieht
und wieder im
Nichts verschwindet.

Das
24/7-Modell eines panisch gewordenen Konsums im Sog einer
»Verschwendung« von Gütern, die aber hauptsächlich nur in ihrem
Design ständig variiert werden, ohne dass es zur wirklichen Neuheit
kommt, ein Modell, das auch die individuelle Verausgabung rein zum
Zwecke der Selbststeigerung (des Gleichen) setzt, ist die Karikatur
einer Überschreitung und jener Verschwendung, die Bataille noch als
ein allgemeines ökonomisches Modell gegen das (re)produktive
Recycling-Kapital propagiert hat. Die Überraschung liegt nicht
darin, dass die Ungewissheit, was als nächstes kommt, bei dieser Art
der Güterproduktion präsent bleibt sondern, dass kaum einer
erkennt, dass es sich letzten Endes um die aufdringliche Wiederholung
des Gleichen mittels der Differenzierung handelt, sodass von
Ausnahmen abgesehen, es immer wieder auch dieselben Unternehmen und
Ketten sind, die einen großen Teil der Nachfrage auf sich ziehen.
Der
Verlust der Haltbarkeit führt
heute dazu,
dass in der Tendenz auch
die symbolischen
und kulturellen Distinktionsmerkmale,
die die Luxuswaren
von den Billigwaren
unterscheiden, verfallen. Daran ändert auch die für das
Kapital heute konstitutive Spekulation, wie wir das an verschiedenen
Stellen schon vorgeführt haben, nichts, sie findet verstärkt zwar
auch auf den Kunstmärkten statt, aber auch dort nicht in erster
Linie unter dem Gesichtspunkt der Kulturalisierung der Kunstobjekte,
sondern ihrer eineindeutigen Monetarisierung, wobei auch die
Sichtbarkeit auf der Strecke bleibt, wenn Milliardäre ihre gekauften
Kunstobjekte dem Publikum gerade nicht zur Ansicht anbieten, sondern
in schwer geschützten Bunkern die Ansicht verwehren.

Die
digitalen
Geräte
sind
heute
ständige
Begleiter des Menschen, sie
verlangen
im
Sinne des Überwachungskapitals geradezu
begierig
nach
der
permanenten
Mensch-Maschinen-Kommunikation
und sie
sind
deshalb
wie
das Smartphone am
besten
direkt
am
Körper
anzubringen
oder
als
digitale Brillen vor
die
Augen zu
kleben.
So
fordern
die Geräte
unentwegt
danach
bedient
zu werden, und
deswegen müssen
sie
eine
Vielzahl von Optionen und Bedienungsmöglichkeiten
besitzen,
die
das
andauernde
Navigieren
im digitalen Space erforderlich,
ja attraktiv
und zugleich im
positiven Sinne nervenaufreibend
machen.
Allerdings
führt diese Art der Optionalität nicht zur Freiheit des
Konsumenten, sondern zu dessen
ständigen
Versuchen, die Anpassungen
und Adaptionen an die funktionalen Erfordernisse und
Bedienungsanleitungen der technischen Objekte, die eine
Diversifizierung der Abläufe anbieten, mit
Furor zu leisten, was
die Konsumenten zudem noch aktiv mit ihren Comments im Internet
befördern, ohne aber im Geringsten zu spüren, dass sie selbst eine
Anwendung des 24/7-Taktes und seiner Kontrollsysteme bleiben. So
gesehen verlangt der Gebrauchswert der Geräte die modulare und
effiziente Bedienung, die Navigation ihrer Funktionen und Zustände,
die ja
permanent
weiter moduliert werden – der Konsument ist damit selbst so etwas
wie die lebendig gewordene Bedienung. Es werden aber
nicht nur ständig alte Produkte durch neue ersetzt, sondern der
Konsum der neuen Produkte fordert die andauernde Beschäftigung mit
ihnen geradezu heraus. Im
Konsum treten
das Bedürfnis nach dem Produkt und die Affirmation seiner
Ersetzbarkeit ständig miteinander in Konflikt, und doch
gilt es, die digitalen Anreize schnell zu erkennen, um sich in die
Kette beständig heißer vorgegebener Verheißungen einzuklinken, die
zumindest eine verbesserte Funktionalität in der Anwendung des
Produkts versprechen, auch wenn sich letztendlich für den Nutzer
beim
Gebrauch kein
Nutzen einzustellen vermag. Das verlangt einen Konsumenten, dem
die
variable Konformität wie
ein maßgeschneideter Anzug passt, und
der den Verhaltensvorhersagen von künstlichen Maschinen folgt,
welche
möglichst ein Verhalten des
Konsumenten antizipieren,
das zuverlässig zu den »gewünschten kommerziellen Ergebnissen
führt« (zuboff 235). Der Konsument ist damit definitiv die Ratte in
der Skinner-Box, indem
er einer Lebens-Konditionierung unterworfen wird, die nicht nur mit
den Zyklen
der technischen Produkte identisch sein, sondern vor allem Profite
für das Überwachungskapital generieren soll. Dabei will man die
Entscheidungen der Konsumenten, wenn sie die digitalen
Geräte
bedienen, nicht nur verkürzen, sondern am besten gleich ganz
automatisieren, sodass nicht mehr gewusst werden muss, dass jede
eingeführte Neuheit Teil der nackten Wiederholung des 24/7-Taktes
selbst ist.
Der
Dauermodus des Als-ob, den
beispielsweise
das
Smartphone bereitstellt,
lässt
die
Verstandesfunktion mit ihrer regulativen Kapazität auf
ein fatales Residuum implodieren
und
klebt sie als notwendiges
Detail
an die Daten-,
die Bild- und Informationszirkulation. Adorno hatte diesbezüglich
schon eine böse Vorahnung: »Ausgegangen wird von der
Gedächtnisschwäche der Konsumenten: keinem wird zugetraut, daß er
sich an etwas erinnere, auf etwas anderes konzentriere, als was ihm
im Augenblick geboten wird. Er wird auf die abstrakte Gegenwart
reduziert. Je bornierter aber der Augenblick für sich selber
einzustehen hat, um so weniger darf er mit Unglück geladen sein.«
Nichts anderes bedeutet das Ende der Geschichte auf der Ebene des
Subjekts.

Um
heute die Effekte, die Potenziale und die Gefahren der digitalen
Angebote (Meme)
nachzuvollziehen,
muss
man
die gefährliche Macht der Quasi-Objekte
verstehen,
die einzig und allein da sind, um zu zirkulieren. Es geht hier
um
die rigorose Transsubstantiation des Seins in die Relation.

Für
die schamlos unzufrieden und zugleich infantil-grotesk Genießenden,
die
sich verstärkt in den einkommensstarken Bevölkerungsteilen
befinden,
erscheinen die digitalen Geräte inklusive ihrer Gadgets und Apps wie
maßgeschneidert, handelt es sich doch um kurz-terminierte
Wegwerfprodukte, die dem
ständigen Austausch unterliegen,
man denke an die heutige
Hyper-Präsenz
touchscreen-gesteuerter Geräte, die man
aber
wahrscheinlich
bald durch Rechner, welche auf ein Winken, Blinzeln oder Räuspern
reagieren, ersetzen
wird,
um
den Nonstop-Betrieb
des Konsums auf beschleunigte Weise fortzusetzen.
Die
Intelligenzmaschinen
des Überwachungskapitals passen
die unzähligen
Apps (über 300 für Googles Android-Plattform) über das Wetter,
Dating, Musik, Gesundheit etc.

ständig an und infizieren
sie zudem
noch
mit
einer großen Anzahl von Trackern, um persönliche Daten
zu extrahieren,
algorithmisierte
Profile
zu erstellen und Geld mit zielgerichteter Werbung zu verdienen.

Nehmen
sie
einem genügend Informationsarbeit ab, sind die
digitalen
Geräte
womöglich sogar
freundliche
Begleiter, andererseits übernehmen
sie
gleichzeitig
die
Funktion einer unerbittlichen Kontrollinstanz, wenn sie
beispielsweise alle
möglichen Indikatoren
eines
aktuellen
Körperzustands
messen, um
dann
Imperative
für
das
sportliche
Verhalten
und
das Essverhalten des
Users auszugeben.
Vielmehr
noch, sie sind eine Enteignungsinstanz, die, egal
ob als
Smartphone oder Laptop, in
einen ungeschützten privaten
Raum
eindringt
und Daten über menschliches
Verhalten
extrahiert,
und
das geschieht nicht
nur im digitalen Space, sondern
auch
durch
das
Monitoring
in
der realen Welt, wenn
man beispielsweise
bei
seinen Wegen in
der Stadt entlang
bestimmter Routen
geführt wird,
wobei Google leise
und unbemerkt seine
Rolle
als
Ratgeber in die eines
sanften Kontrolleurs transformiert.10
Und
wenn
der
User
zum
Beispiel im Internet nach einem
Stuhl sucht,
so
wird er,
kaum
dass er
in
ein
Auto
eingestiegen ist,
sanft
zum nächsten Möbelgeschäft dirigiert, er wird also mittels
sogenannter Push-Technologien
zu
einem Ziel hingeführt, das er
in
kein Gerät eingegeben
hat.
Schon mit dem Download von Apps wird die Software autorisiert,
sensible Daten zu erfassen und zu modifizieren, ja zum
Teil auch
zu löschen; man erfasst den Status des Smartphones, Standortdaten
und WLAN-Verbindungen, aktiviert Kameras und loggt sich in die
privaten
Archive
mit Fotos und Videos ein. Der Extraktionsimperativ von Google &
Co verlangt geradezu danach, dass alles in Beschlag genommen wird,
wobei
das
Überwachungskapital wiederum
bestimmte
Produkte und Dienstleistungen natürlich nur innerhalb der eigenen
Versorgungsrouten und Infrastrukturen anbietet. Dazu muss man sich
unbedingt die Daten über das Verhalten der Nutzer aneignen und
Produkte generieren, die im 24/7 Modus vorschreiben, wie der Nutzer
mit bestimmten Objekten, zum Beispiel mit seinem Auto zu interagieren
hat.

Der
postmoderne Konsument der Metropolen ist eine gestaltlose Gestalt,
einerseits ein Aktivum, das mit geradezu unternehmerischem Gespür
für konsumistische Ressourcen Freizeit betreibt, andererseits ein
Passivum, ein statistisch kontrolliertes und auf Vorhersage hin
konstruiertes Konglomerat aus Kennziffern, Ratings und Indikatoren,
mit denen ständig die Verhaltensweisen, Leistungen bis hin zum Sex
bewertet werden (Tauschwert). Singulär und anspruchsvoll, so
posaunen die Propagandisten der neuen Mittelklasse, müsse es dabei
zugehen, sei es im Flirt mit der digitalen Partnerschaftsagentur,
beim Verzehr des Menüs beim Sternekoch, den Übungen im
Thai-Chi-Kurs, das aus einer Szene-Galerie erworbene Gemälde ist
natürlich der Outperformer und das Gespräch mit Freunden beim
Rotwein am Abend, und nicht zu vergessen der Sex, eine
Singularitätsperformance sui generis.

So
gesehen erscheint es
ganz normal,
dass Marketing-Agenturen ständig
neue semiotische Vibrations für die
Angehörigen der Mittelklasse erzeugen,
um eine
Ästhetik der Unsicherheit zu
generieren, die
beim Konsumenten einen
Impuls des just do it hervorkitzeln
soll, man
denke hier auch
an
Extremsportarten,
Risikogesellschaften, finanzielle Derivate, kreative Klassen,
Pornostars, Spielkulturen.11
Dabei bietet das Internet, in dem der
binäre Code in Klänge, Texte
und Bilder transformiert wird, auch für
die Unterklassen die Möglichkeit, den
Konsumenten in den Modus des Dauererlebens zu überführen, eine
eigenartige und
durch das Smartphone zudem mobile
und ständig mobilisierende Sucht, die sich an die
Präsenz und Transformation der Angebote hängt; es ist die
Zirkulation, die nun auf Dauer gestellt ist, Kreisläufe
der Null-Zeit-Zirkulation,
die für die Anbieter spiralförmig verläuft, nämlich als die
Akkumulation von Kapital, während die Nachfrager über den Modus des
Dauererlebens nicht hinauskommen. Es
sind also insbesondere
die Internetmärkte, welche den kurzfristigen Konsum und die
kurzfristige Aufmerksamkeit befördern, beispielsweise
den des
für Sekunden attraktiven
You Tube Clips,
der heute auftaucht und morgen schon wieder
im Nirwana der Archive verschwunden ist,
wobei aber die
Langfristigkeit der Attraktivitätszufuhr
für die
wenigen großen Konzernen gesichert
bleibt oder eben einfach im
Internet-Protokoll
fundiert ist,
das die Infrastruktur für die
Zirkulation der kurzfristig attraktiven
Güter bereitstellt. Der ständige
Wechsel in den Produktlinien der großen
Digitalkonzerne forciert die
Kurzfristigkeit,
während die Identifikation mit der Marke aber
erhalten bleiben muss.
Auf Dauer gestellt sind auch Identitätswaren, die man beispielsweise
in den Fanshops der Fußballvereine kaufen kann, um sich mit ihnen
dann in den
öffentlichen Events in die Reihe der freiwillig Gleichgeschalteten
einzureihen.

Letztendlich
scheint es
unmöglich
geworden zu sein, dem Netzwerk-Paradigma, dem

die
virale,
epidemische
und produktive
Verbreitung von Informationen eigen ist,
zu
entfliehen, selbst
wenn man
von
der
unermüdlichen
digitalen
Beschäftigung, die
die
Propaganda des Selbst und der Selbstreplikation erfordert,
rein
gar nichts
zurückerhält.
Weniger
die Frage, ob die Bedürfnisse in der Anwendung von digitalen
Geräten
oder im Aufenthalt in den sozialen
Netzwerken
aufgehen, steht
jetzt
im Mittelpunkt, sondern es
ist der
24/7-Modus
der Geschwindigkeiten, der
Metriken
und der
Beschleunigungen,
der den Konsum und die Bedürfnisse endlos
zirkulieren
lässt - er punktiert, kontrolliert und quantifiziert zudem
die
Wahrnehmung, das Erleben und das Leben jedes Einzelnen. Am
Abend
begegnet man
dann
den
Grenzen des Tages und allem, was nicht beendet wird, und
man
ermüdet, wenn man seine to-do Liste anschaut, die sich Tag
für Tag wie
ein dreckiger Virus reproduziert.

Und
die erschöpfende
Art und
Weise der
Kurzlebigkeit will der
Konsument
paradoxerweise am liebsten auf ewig leben – er
oszilliert
wie
im Taumel dabei
zwischen dem heißen
Bedürfnis
nach dem Konsum des Objekts und der Affirmation des unvermeidlichen
schnellen Ersetzens desselben, und so muss er
bis
zur Erschöpfung den heißen
Verheißungen
der Werbeindustrie
im Fluss des monoton und zugleich differenziell fließenden
24/7-Taktes nach hecheln, ohne dabei
aber zu
erkennen, dass die attraktiven Anreize und die
verbesserten
Funktionalitäten der Geräte gerade
mit
seiner
Bestätigung, dass das Ich
sich in der
technischen Anwendung der
Gadgets erfüllt,
identisch sind.
Dinge, die sich
nicht
über das Display des Laptops oder des Smartphones und seinen Icons
und Links dargestellen
und optimieren
lassen,
verlieren heute
unzweifelhaft
an
Attraktivität.

Darüber
hinaus kitzelt der 24/7-Stunden-Betrieb
die Sucht der Dividuen nach Wettbewerb, Egoismus, Opportunismus und
Ignoranz gegenüber den anderen
geradezu hervor, wobei diese
Bedürfnisse immer enger an Plattformen, Modelle und Programme
geknüpft und von diesen auch dirigiert werden, indem
sie
vorhandene Zeichen und Objekte permanent
rekombinieren
und generell in die Form des Remixes und des Mash-Ups
(Rekontextualiserung) überführen -
Kopien von Kopien,
unaufhörlich verlinkt
im Rausch
von Pseudo-Moden, Hits und Stars. Folgerichtig
sind die konsumierten Produkte
heute in
immer höherem Maß Geräte, die eine
große Anzahl an Dienstleistungen, Unterhaltungen und Threads
anbieten, wobei
die Plattformen diese Geräte
beispielsweise
auf
Daten fressenden Mobilitätsmärkten
einsetzen,
wie man an Uber sieht, das die städtischen
Kommunen auffordert, Daten über den
öffentlichen Nahverkehr mit dem
Unternehmen
zu teilen, sodass Uber seine
Fahrzeuge zielgenau und
in Echtzeit
in Richtung überlasteter Straßen Bahn- und Bushaltestellen lenken
kann.

Wenn
heutzutage die Leute in diese bis hierhin dargestellten Zeitströme
in der Sauna, unter dem Solarium oder im Swinger-Center das Gefühl
beschleicht, selbst dies könne sie nicht mehr reizen, und wenn sie
im Zeitalter des Online-Datings infolge der Algorithmisierung der
Partnerwahl (der nach wie vor klassenspezifischen Liebesbeziehungen)
gerade mal für drei Monate glücklich werden – dann kann kein
Sexual- oder Lebensratgeber und kein Lifestyle-Konzept mehr helfen,
aber die Leute könnten zumindest bei Proust oder Balzac nachlesen,
was sie verpasst haben. Weil sie aber auch das nicht tun, hängen sie
weiter am Tropf, der ihnen die Insistenz auf das Zeitgenössische,
auf den punktgenauen Erlebnis- und Symbolwert der Produkte injiziert,
womit trotz des wirren und hysterischen Bestehens auf der
Einzigartigkeit der Ereignisse, Dienstleistungen oder Produkte, die
man da am laufenden Band und zugleich möglichst kurzfristig
konsumiert, die Gegenwart als ewig ausgedehnt erscheint oder sich
dehnt wie ganz langsam zerlaufender Käse. Das ist auch nicht weiter
verwunderlich, denn die Kreativindustrien, in denen sich Teile der
Mittelklassen versammeln - IT-Branche, Medien, Design, Marketing,
Games, Wellness, Tourismus und Sport - machen rund um die Uhr
Angebote, mit denen man die Selbstverwirklichungsansprüche eines
speziellen Teils der Mittelklasse testet. Es sind im speziellen die
Mitglieder einer globalen, virtuellen Klasse, die vernetzt, liquide
und verbunden in den neuen technischen Labors und Büros leben, eine
spezielle Klasse des digital-finanziellen Zentralnervensystems des
Kapitals.

Video-
und Glücksspiele, Internetpornos und alle Spielarten
von Games verflüssigen und
intensivieren den 24/7-Konsum, wobei die in ihn eingebauten Gewinn-,
Macht- und Besitzillusionen für die
meisten andauernd enttäuscht werden,
sodass man
gerade deshalb den Konsum der
elektronischen Reize oft genug mit
dem Konsum von Psychopharmaka weiter
stimulieren oder wahlweise die
von den Anreizsystemen des digitalen
Marketings generierte Nervosität
zumindest zeitweise ruhig stellen muss,
wenn der
zugerichtete und sich selbst zurichtende Konsument
nicht ganz
überschnappen will. Wolfgang
Pohrt bezeichnet derlei Konsumenten als verbitterte Hedonisten:
»Insofern der Spätkapitalismus den Typus des Infantilen, weil in
kindlicher Abhängigkeit und Ohnmacht gehaltenen, zum dominierenden
Sozialcharakter macht […] sind für den sofortigen Genuss übrigens
nicht einmal die elementaren Voraussetzungen gegeben, weil man erst
einen dezidierten Wunsch haben muß, um ihn sich erfüllen zu können.
Ganz analog zu verzogenen, mäkligen Kindern, deren Unglück darin
besteht, gleichzeitig Schlagsahne mit Pommes essen und spielen und
dabei eigentlich nichts von alledem zu wollen, leiden die Erwachsenen
heute in der Regel nicht unter unerfüllbarer Sehnsucht – ein
Leiden, welches auch seine Vorzüge hat –, sondern sie leiden unter
einer Art von wunschlosem Unglücklichsein, welches umschlägt in die
unersättliche, weil niemals Erfüllung findende Gier, alles haben
und gleich wieder wegschmeißen zu wollen. Während die
Propagandisten eines Neuen Hedonismus ungebrochene Genußfreude zu
erkennen meinen im Verhalten besonders des bundesdeutschen
Mittelstands, den man auffassen könnte als riesige
Selbsthilfegruppe, die ebenso verbissen wie vergeblich bemüht ist,
sich Gutes zu tun, sei es durch Schöner Wohnen, Vornehmer Trinken
oder Gesünder Essen, während die Propagandisten eines Neuen
Hedonismus also in all diesen Aktivitäten Indikatoren für
ungebrochene Genußfreude zu erkennen meinen, übersehen sie, daß
die rastlose, zwanghafte, stressige und fast schon hauptberufliche
Suche nach dem Genuß das Verhalten von Leuten ist, die ihn nirgends
finden können, von Leuten auch, denen sich die unersättliche Gier
und die ewige Frustration irgendwann in die Gesichtszüge gräbt und
die daher nicht satt, zufrieden und glücklich wirken, sondern hart,
neidisch, lauernd und verbittert.« Diese Entwicklung wird noch
dadurch vorangetrieben, dass der imaginäre Wert der Freizeit weiter
ansteigt, während man umgekehrt viele Freizeitaktivitäten einfach
in Arbeit umdefiniert. Tiqqun schreiben: »Was MAN heute Arbeit
nennt, bewertete MAN gestern als Freizeit – ›Videospiel-Tester‹
werden dafür bezahlt, den ganzen Tag lang zu spielen, ›Künstler‹
dafür, die Clowns der Öffentlichkeit zu sein; eine wachsende Masse
von Unfähigen, die MAN Psychoanalytiker, Kartenleger, Coaches oder
nur Psychologen nennt, werden fett dafür bezahlt sich das Lamento
der anderen anzuhören …« Arbeit und Freizeit geben sich die
Hände, egal ob die Initiative von der einen oder der anderen Seite
ausgeht.

,Das
Verfallsdatum einer Nachricht ist
eine Sekunde
- wenn sie am Bildschirm
erscheint, ist sie auch
schon wieder verschwunden. In
den transparenten Gewässern der 24/7
Metrik geht es Schlag auf
Schlag, Fließbandproduktion wäre noch ein Euphemismusherrscht das
reine Zirkulation-Nonstop-, im Jemen ein Völkermord, in Lybien
fressen Flüchtlinge deutsche
Hühnchenteile,
Prince zum zweiten Mal
tot, linkes
komisches Mädchen mit empörten rosaroten Bäckchen empört sich
als einer das
N-Wort sagt, Matts Hummels
ohne Unterhose im Käfer-Zelt, Putin hat
in einer Boeing auf dem
Weg nach Singapur einen
CIA-Agenten mit Koks
vergiften
lassen, Sahra Wagenknecht
koaliert mit Frauke Petry oder umgekehrt, Tannenzapfensaft hilft
gegen zerebrale Verwüstung, Wutausbruch bei EU-Gipfel, Trump positiv
getestet, Sabia brezelt sich schon mal auf,
Top-Ten-Ranking der
Hartz-IV-Absahner noch
perverser als Forbes-Liste, ganz Paris ist ein FKK-Paradies und so
weiter und so fort.

Der
Quantifizierungs-Totalitarismus (als die dem finanziellen Kapital
adäquate Regierungsform)

Radikale
Indifferenz

Die
Rezeptionsweisen der Massen bestehen
heute
zumeist
aus
repetitiven Gewohnheiten,
wobei sie
als
User
aber keineswegs passiv bleiben, sondern sich
vor
allem über
die sozialen Netzwerke
andauernd ins pseudo-turbulente
Geschehen
einbringen und
emsig
und beschäftigungskonform
Daten
und Informationen produzieren, welche die großen Medienkonzerne wie
Google, Apple
oder Facebook
extrahieren, quantifizieren,
aus- und verwerten. Es
entsteht
dabei
eine
neue Akkumulationslogik, innerhalb
derer
das
Überwachungskapital Daten
über menschliches
Verhalten inklusive
scheinbar nutzloser
Überschüsse
und
Ausschüsse von
Daten extrahiert,
das heißt Daten aufsaugt
und sie ständig
mit
anderen Daten kombiniert,
um
mit
ihnen
intelligente
Maschinen
zu füttern und mittels
algorithmischen Prozessen Vorhersagen über
das künftige
Verhalten
der
User zu
produzieren, die als Quasi-Derivate
auf
Verhaltensterminkontraktmärkten
angeboten
und
verkauft werden.
(Zuboff
2018:
125) Mit
den Daten verflüchtigt
sich jeglicher
Inhalt, ja die Bedeutung der
Aussagen
tendiert
zum
austauschbaren
und
verwertbaren Material,
das so
determiniert
den
Konsumenten
animieren
soll,
innerhalb des 24/7-Taktes irgendwie am Ball zu bleiben,
indem er
möglichlist viele
Daten
produziert, selbst
postet und gepostetes
Material kommentiert,
liked, tauscht und archiviert, sodass
die
Überwachungskapitalisten
ihn
als ein
lebende
Datengenerierungsmaschine permanent
ansaugen
und verwerten
können.
Es
herrscht bei Facebook bezüglich
der jeweiligen
Bedeutungen und Inhalte der Posts eine
radikale Indifferenz, die dazu führt, dass »Content ausschließlich
nach Volumen, Diversität und Tiefe des anfallenden Überschusses«
(Zuboff 2018: 578) beurteilt und gemessen wird, und zwar anhand der
anonymen
Maße
der
»Klicks, Likes und Verweildauern – und das trotz der
offensichtlichen Tatsache, dass er (Überschuss) seine zutiefst
unterschiedlichen Bedeutungen aus zutiefst unterschiedlichen
menschlichen Situationen bezieht (ebd.).« Hier
nochmal anderes buch zuboff s. 438:«Big Other ist es egal, was wir
denken, fühlen oder tun, solange seine Millionen, Milliarden und
Billionen wahrnehmungsfähiger, aktuierender rechnergestützter
Augen und Ohren das immense Reservoir
an Verhaltensüberschuss beobachten, rendern, verdaten und
instrumentalisieren, die der ungeheure Tumult von Konnektivität und
Kommunikation generiert.« (Und
dennoch
wird damit weiterhin auch Wissen strukturiert, denn es
bleibt
nicht ganz egal,
wovon man
wissen, wovon man
nichts weiß
oder auch nichts wissen soll.)
Das
Überwachungskapital
extrahiert einen Vorhersagewert nicht aus dem Inhalt, den ein User
schreibt, sondern den Ausrufezeichen und Kommas, die er setzt, nicht
daraus, wohin jemand geht, sondern wie jemand geht. Die Nutzer mögen
die Eigentümer der Daten sein, die sie den Überwachungskapitalisten
geben, aber sie bekommen keinen Zugriff auf den Surplus der
Vorhersagen, die aus den daten gewonnen werden. These are the
imperatives to extract data and predict behavior. Those who do it
well—Google and Facebook—leverage the economies of scale
(extracting as much data as possible), scope (sourcing it from varied
sources), and action (producing desired outcomes, such as getting
users to click on an ad or having them nudged by fitness trackers).
Much of The
Age of Surveillance Capitalism
is
dedicated to exploring these imperatives and economies in extensive
detail. Zuboff elaborates their dynamics with revealing charts and
lucid models, showing how they shape the strategies of the firms.
oogle pays virtually nothing for indexing the content from other
sites. This is how it can make so much money linking search queries
to targeted ads; its production costs are minimal, as the indexed
content arrives almost for free.

Who fills the index with useful content? The usual suspects: bots,
hobbyists, academics, teenagers. But, also, plenty of precarious
media professionals who are building their online reputations, hoping
to produce “viral” content. That last group does sound like a
“class,” and one that’s not so “hidden.” Google free-rides
on content produced elsewhere, completely indifferent to how—through
work or passion, laughter or tears—it is produced. Those with
valuable data to index— Twitter, for example—got Google to pay
them hefty data licensing fees; it costs Google to index,
and profit from, their content. Most content providers, however, were
not so lucky, as they lacked the bargaining power or even the
awareness of what was going on.

Die
radikale
Indifferenz des
Überwachungskapitals gegenüber den
Inhalten
der
Posts erfordert
auch
von
der subjektiven Seite der
User
die
Erhöhung der organischen
Zusammensetzung der
Ignoranz
(außer
Liebe für sich selbst),
die
aber
beileibe
kein
individuelles Manko, sondern Konsequenz der
algorithmischen Governance ist, und
diese Ignoranz ist wiederum
die Voraussetzung, dass
das Überwachungskapital
ihr
spezifisches Spekulationskapital handeln kann,
das
im Modus der Gleichzeitigkeit Ungewissheiten in Risiken transformiert
und diese dann
auch aktualisiert,
vermeintliche Neuheiten reproduziert, die man prozessuale Objekte,
die performt werden, nennt. Der Modus der Aktualisierung darf hier
aber keineswegs als die des Virtuellen, wie dies Deleuze vorführt,
verstanden werden, vielmehr ist sie
identisch
mit
der
Momenthaftigkeit, die nun
auf Dauer gestellt wird, sodass es eben
allein
drauf ankommt, was im Jetzt der Gegenwart gerade aktuell ist und was
zählt.

H.Arendt
s.445«Es ist durchaus denkbar, daß die Neuzeit, die mit einer so
unerhörten und unerhört vielversprechenden Aktivierung aller
menschlichen Vermögen
und Tätigkeiten begonnen hat, schließlich in der tödlichsten,
sterilsten Passivität enden wird, die die Geschichte je gekannt
hat.« Mit den
digitalen Medien leben wir in einer
zunehmend flachen Ontologie, in der jedes Ereignis mit jedem anderen
auf meistens gleicher Intensitätstssufe
korreliert, sodass ein
Netz von Relationen
entsteht,
indem kein Ereignis
mehr eine
spezifische Bedeutung aufweisen soll.
In der Welt
der Updates, Kommentare, Meinungen und Gerüchte ersetzt
der Begriff
der Kommunikation die Wahrheit.

Damit
hat sich auch das
Verhältnis von Differenz und Konsolidierung/Standardisierung in
der Produkt- und Medienwelt verschoben.
Wir halten uns
bei unseren Analysen vielleicht
immer noch
zu stark an
die Versität (Gleichmachung), eine Inversion und Mutation der
Diversität, die aber nicht
die Eliminierung von Differenz bzw. der sozial-kulturellen
Differenzierung inkludiert,
ganz im Gegenteil benutzt die Versität
die Differenz als ihr reales Substrat, um standardisierte
Organisationssysteme zu generieren. Ständig werden damit
neue Ordnungssysteme und
Machttechnologien geschaffen,
welche die Differenzen absorbieren oder zumindest
modulieren. Dagegen kommt es bei
der Operationalisierung der radikalen
Indifferenz zu keiner Modulation und
Konsolidierung der Differenzen mehr,
vielmehr gelten
sämtliche
Differenzen, die die
unterschiedlichsten Inhalte betreffen,
als äquivalent.
Und neutralisieren damit den Inhalt bzw.
die Bedeutung. Diese
Art der Formatierung
geht auf ein finanzialisiertes
Akkumulationsregime zurück, dessen
erster Anspruch nicht mehr Fortschritt oder Entwicklung ist, sondern
das in seiner Kurzfristigkeit
in jeder Sekunde das erfolgreiche
Management von ständig präsenten
Risikomöglichkeiten versprechen muss,
egal auf welche Baiswerte die Ab- und
Versicherungen denn nun beziehen.12
Dabei kann eben alles
und jedes, jedes Ereignis, jeder
Inhalt und jede Bedeutung, zum Risiko
transformiert werden.
Analog dazu sind
die Inhalte, die sich auf den sozialem
Plattformen in Bildern, Videos
und Texten materialisieren, der an sich
bedeutungslose Rohstoff, den
die User schaffen
und das
Überwachungskapital als Daten
extrahiert. Es handelt sich hier
um einen Überschuss insofern, als auch
Daten extrahiert werden, die weit über
das hinausgehen, was als
Informationsdienst
für den
Nutzer eigentlich notwendig wäre, aber
eben für das Überwachunsgkapital eine Ressource darstellt, die es
zu kapitalisieren gilt. Es gelten
nun letztenlichalle
Differenzen (der Inhalte) als
äquivalent, oder, um es anders zu
sagen, jede spezifische Bedeutung löst sich im Datenstrom
auf, sodass
gegenüber der Bedeutung an sich eine radikale Indifferenz herrscht.
Differenz ist gleich
Indifferenz, so lautet die Formel. Diese
Art der die Inhalte neutralisierenden
Äquivalenz macht zumindest
den sichtbaren, den
fließenden Text
bei Facebook generell auch anfällig
für alle Arten von Fake
News, was von den
Überwachungskapitalisten, solange keine
Einwände von seiten der Politik kommen,
meistens
hingenommen wird, da schließlich jeder Inhalt
für für den
unsichtbaren Schattentext
bzw. die Black Box der
Algorithmen als Daten-Rohstoff zählt,
den die
»Maschinenintelligenz«13
operationalisiert,
damit das Überwachungskapital
an den Verhaltensderivatmärkten den
Werbekunden punktgenaue
Vorhersageprodukte anzubieten
vermag. Diese
Art der Extraktion und Produktion von
Daten bzw. Verhaltensüberschüssen erfordert ein
Projekt, das weit über
die Transformation der
Unsicherheit in ein kalkulierbares Risiko hinaus
auch unbedingt
Gewissheiten
herstellen muss,
das heiß genaue Formen des Verhaltens
von Nutzern nicht nur antizipieren
, sondern die Nutzer tatsächlich auch
zu den gewünschten Verhaltensweisen
motivieren und steuern will.

Man
muss hier von einer Tendenz sprechen, erwirtschaftet doch Google &
Alphabet einen Großteil des Umsatzes er
mit Werbung, die auf der Versteigerung und Vermietung von
Suchbegriffen, mit Wort- und Begriffsbörsen, sodass sich sagen
lässt, dass Daten zwar der Rohstoff der digitalen Ökonomie sind,
aber sprachliche Bedeutungen damit nicht verschwinden, sondern dessen
Förderung und Verfeinerungen dienen können, sodass es auch zu
einer systematische Kapitalisierung und
Monetarisierung sprachlicher Bedeutungen kommt. Selbst im
Finanzsektor ist man sich darüber einig, dass das Kapital sich
nicht in Zahlen, Charts und Modellen erschöpft, die vor allem auf
a-signifikanten Semiotiken basieren, sondern dass die Unternehmen
semantisch und narrativ aufgeputzt werden müssen. Deshalb gehören
die Experten für „Investor Relations“ in vielen Konzernen zur
Unternehmenskommunikation statt zur Finanzabteilung. Und für den
erfolgreichen Börsengang ist eine überzeugende „Equity Story“,
also eine als Aventiure aufbereitete Unternehmensdarstellung für
Investoren und Analysten wichtig.

Zwar
kann vor allem der Wert von
Markenunternehmen nicht unabhängig von den materiellen Aktiva, der
Geschäftspraxis, dem Produktportfolio und dem messbaren und dem
erwarteten zukünftigen ökonomischen Erfolg eines Unternehmens
festgelegt werden, aber gerade bei den Marken spielen Symbolsysteme
und Narrative eine Rolle für die Bestimmung selbst des Börsenwerts.
Während das Geld als
Form des allgemeinen Äquivalents der Waren
deren qualitativen Unterschiede
nivelliert, versprechen Marken immer das Unvergleichliche und
Singuläre, sie verwenden nicht nur Markierungen des Unterschieds,
sondern ausdifferenzierte Zeichen- und Symbolsysteme. Hier besitzt
Das inkommensurable Bedeuten, das kein Äquivalent kennt, selbst noch
Bedeutung. Die Marken haben die Aneignung
symbolischen Kapitals institutionalisiert. Die
Distinktionsprofite werden nicht nur von Individuen, sondern in
großem Stil und systematisch von Unternehmen eingefahren. Dem
Einzelnen ist es dabei überlassen, auf die Symbolwelten und das
Zeichenrepertoire der Marken zurückzugreifen,Die
algorithmische Operationalisierung des lexikalischen Materials
im Netz ermöglicht es, den Wert eines Wortes zu objektivieren, zu
quantifizieren und zu monetarisieren. Und das ist aber der springende
Punkt. Das Unternehmen Google hat sozusagen eine Begriffsbörse
eröffnet, die jeder gehandelten Zeichenkombination einen Wert
zumisst und sie damit vergleichbar machen, womit eine
Gleichgültigkeit etabliert wird, die das auf Distinktion basierende
Bedeutungskapital der Marken reduziert oder gar vernichtet. Ist
der Preis der Klartext des Geldes, so übertragen umgekehrt die
Begriffsbörsen im Netz die Mechanismen der Preisbildung auf
die Sprache und ihr lexikalisches Material. Jedes Wort, jeder Begriff
hat seinen Preis, der in einer digitalen Auktion ermittelt wird. Und
dieser monetäre Wert bleibt insofern nicht ohne Einfluss auf
Wortwahl und Sprachgebrauch, als lukrative Begriffe und
Begriffskombinationen zumindest unterschwellig bevorzugt werden. Die
Konvergenz der theoretischen Perspektiven auf die marktförmigen
Mechanismen der Sprachproduktion einerseits und die kommunikative
Funktion des Geldes anderseits deutet auf eine Annäherung in der
Sache. Das Geld bildet nicht nur ein eigenes
Vokabular aus,das als eine Fachsprache unter vielen
eingrenzbar und lexikalisierbar wäre. Es spricht nicht nur eine
eigene Sprache, sondern hat sich auch die Sprache als Ganzes zu Eigen
gemacht. Schleichend und lautlos hat es sich ihrer so bemächtigt,
dass Satz- und Kapitalbildung synergetisch verschmelzen-Wenn
das Geld spricht, dann nicht in terminologischer Sperrigkeit. Die
algorithmische Sprachproduktion erzeugt ein hohes Maß an
kommunikativer Liquidität. Das Geld spricht überaus flüssig und
geläufig, und zwar lieber über Gott und die Welt als über Derivate
und Deflation. Es spricht die Sprache des Alltags, überbietet die
ordinary language, an der es sich orientiert, in gewisser
Weise sogar an Geläufigkeit. Mit der Sprache bemächtigt es sich
gleichzeitig auch der Sprecher. Es spricht mit ihnen und durch sie.
Das Kapital lässt sprechen,wie es schon lange arbeiten lässt.

Baudrillard
konstatiert eine »trügerische Analogie« zwischen den beiden
Begriffen
des Universellen und des Globalen. Während Menschenrechte, Freiheit
und Demokratie den universellen Werten der westlichen Aufklärung
zugerechnet werde, zeichnet
sich die Globalisierung durch »Techniken, Markt, Tourismus, Finanz,
Information« aus. Allerdings
sieht Baudrillard
die westliche Universalität im Schwinden begriffen, während für
ihn die
Globalisierung irreversibel ist. Jede Kultur, die sich bisher
in der Geschichte zu
universalisieren versuchte,
verlor
ihre Singularität und musste
unweigerlich absterben, so die Diagnose von Baudrillard. Er
konstatiert, dass die Universalisierung, die sich in der Aufklärung
noch als Fortschrittsdiskurs dargestellt habe, sich heute als endlose
Wucherung der westlichen
Werte
vollziehe,
die aber ständig auch
abgeschwächt
oder neutralisiert würden.
Er schreibt: »Dasselbe geschieht unter anderem den Menschenrechten,
der Demokratie; ihre Expansion entspricht ihrer schwächsten
Definition, ihrer maximalen Entropie.« (ebd.: 51).  So
zirkulieren Menschenrechte,
Demokratie und Freiheit heute global in einem entropischen Modus.
Baudrillard
schreibt
weiter:
«Zunächst globalisiert sich der Markt, die Promiskuität jeglichen
Tausches und aller Produkte, der fortgesetzte Fluss des Geldes.
Kulturell bedeutet dies die Promiskuität aller Zeichen, aller Werte,
das heißt Pornographie … Am Ende diese Prozesses gibt es keine
Differenz zwischen dem Globalen und dem Universellen mehr, das
Universelle wird selbst globalisiert, die Demokratie und die
Menschenrechte zirkulieren genau wie jedes andere globale Produkt,
wie Erdöl oder das Kapital« (ebd.: 51). ,

Solange
die universellen Werte noch eine gewisse Legitimität besaßen,
konnten die Singularitäten als Differenzen in ein System integriert
werden. Baudrillard hat das Mantra der Differenzphilosophie, noch
bevor Laruelle seinen umfassenden Angriff auf diese gestartet hat, im
Konsum entdeckt. Baudrillard schreibt diesbezüglich: «Entscheidend
jedoch ist dieser Zwang zur Relativität insofern, als er den
Bezugsrahmen für eine nie endende differenzielle Positionierung
bildet.« (Baudrillard 2015: 90) Damit sei es nun aber im Zuge der
Globalisierung
vorbei: »…nun aber gelingt es ihnen (den Werten) nicht mehr, da
die triumphierende Gloabalisierung mit allen Differenzen und Werten
tabula rasa macht, indem sie eine vollkommen indifferente Kultur oder
Unkultur einbringt.« (Baudrillard 2011: 53). Baudrillard bleibt auch
hier begrifflich ungenau, erkennt aber durchaus eine Tendenz.

Dem
postfaktischen Zeitalter ist die unaufhörliche Generierung und
Interpretation von Daten und Informationen (und ihren Bedeutungen)
immanent, was allerdings längst nicht dazu führt, dass die
Bedeutung an sich verschwindet. Die Verflüssigung der Bedeutung im
endlosen Datenbrei in Folge der permanenten Suche nach Mustern und
Korrelationen in den produzierten Datenmengen heißt nicht, wie etwa
von Baudrillard mit seiner Simulationstheorie angenommen, das die
Zeichen indifferent lediglich noch im Als-Ob zirkulieren, sondern
dass die Extraktion von »Bedeutung an sich« immer intensiver um
sich greift, gerade aufgrund des Faktums, dass nach wie vor be- und
gedeutet werden muss, unabhängig davon, was nun im Einzelnen
bedeutet wird. Dies liegt in der letzten Instanz in der auf die
Zukunft ausgerichteten Kapitalisierung, die sowohl das Geld als auch
die Bits in ihrer Austauschbarkeit als auch eine auf die Zukunft
kalkulierende Vermehrung des Kapitals umfasst, einzig zu dem Zweck,
alles und jedes als Finanzanlage oder Derivat zu inszenieren, das,
unabhängig von der jeweiligen Bestimmtheit eines Basiswerts, auf den
sich das derivat jeweils bezieht, nichts außer Rendite
erwirtschaften soll.

Bezüglich
der Austauschbarkeit von Bits erweist sich der Computer als ein
Zeichentransformator, der reine Information prozessiert, aber nicht
ohne Inhalt, sondern mit beliebigem und austauschbarem Inhalt. So wie
Geld gegen Ware austauschbar sein muss, gleichgültig, gegen welche,
so müssen Bits etwas bedeuten, gleichgültig, was sie bedeuten. Geld
und Bits indizieren Kommunikation eben ausschließlich unter dem
Aspekt der Negation einer spezifischen Bedeutung.14
Oder, um es anders zu sagen, unter Ausschluss jeder Bedeutung, außer
der, dass unaufhörlich bedeutet werden muss, sodass Dassheit und die
durchkreuzte Perspektive des Sinns hier eindeutig in den Vordergrund
tritt.15
Es kommt deshalb gerade auch bei der gegenwärtigen Dateninvasion zu
keinem generellen Bedeutungsverlust, sondern zu einer
Bedeutungsüberproduktion, die der durch das Kapital gesetzten
Gleichgültigkeit jeder spezifischen Bedeutung gegenüber
komplementär ist, aber es muss ja nach wie vor bedeutet werden,
ansonsten fiele das System auseinander.16
Diese Art der Bedeutungsüberproduktion macht den wirklichen Verlust
an Bedeutung und der Wahrheit aus. Betancourt
fasst diese
Zusammenhänge als
Agnotologie.
Er schreibt. »Das
Problem der informationsreichen
Gesellschaft besteht nicht im Zugriff auf Information – auf
Information zuzugreifen, wird zu einer alltäglichen Angelegenheit
durch die ständig aktivierten Computernetzwerke –, sondern ist
eine Frage der Kohärenz. Die Agnotologie wirkt in der Erzeugung von
Dekohärenz: Sie unterminiert die Fähigkeit, festzustellen, welche
Information wahrheitsgemäß und für die Konstruktion von
Interpretationen zulässig ist.« (211) »Agnotologie hat die
Funktion der Eliminierung des Widerspruchspotenzials.« (234) Als
korrekte Bezeichnung für die
Konstitution dieses datenimperiums
schlägt Betancourt »agnotologischer
Kapitalismus« vor: »ein Kapitalismus, der systematisch auf der
Produktion und Erhaltung von Unwissenheit basiert.« (233)
Unwissenheit ist also weniger
die Folge mangelnder Information, sondern im Gegenteil, Resultat des
Überflusses und uns
in jedem Augenblick neu überfallender
Information.

So
zeichnet sich heute das kreative Vermögen der Hightech-
Paranoia
weniger durch einen Mangel an Orientierungswissen als durch die
Überproduktion von Bedeutung aus, die aus dem Spiel
resultiert,
dass es überhaupt Bedeutung gibt
und
diese entgegen der performativen Akte, Motivationen, Interessenlagen
und Wünsche, die in eine spezifische Bedeutungsproduktion eingehen,
neutral oder in ihrem an sich betrachtet werden kann.

Wenn
somit
Bedeutungen
in
vielfach
zirkulierenden artifiziellen Deutungsverfahren austauschbar werden,
woraus die Kämpfe um die Deutungen erst entstehen, dann folgt quasi
zwangsläufig eine wahnwitzige Suche nach der Bedeutung. Während das
Kapital durchaus mit dieser Art des Bedeutungsverlusts durch die
Überproduktion von Bedeutungen leben kann, so ist das für den Staat
nicht ohne
Weiteres
möglich, denn
wie
wir gesehen haben, mit ihm ist die Äquivalenz aller Bedeutungen in
Frage gestellt, wenn er als der Standpunkt aller Standpunkte
ausgewiesen werden soll.
Man
könnte mit Lacan sagen, dass der ungefilterte Datenstrom der Bereich
des Realen ist, während Informationen und Metadaten die Realität
wiedergeben, eine durch kognitive Filter und technologische
Infrastrukturen intelligibel gemachte Welt, die selbst wiederum aus
Registern des Imaginären und Symbolischen zusammengesetzt ist.

Unentwegter
Anfall von Daten, Informationen und Meinungen, die geradezu
hysterisch, insbesondere in den sozialen Netzwerken, aufeinander
reagieren, als
gleich
und
als verschieden in jedem Moment, um Wahn
aggregate
und Illusionsabfälle jedweder Art zu erzeugen. All das ist aber
keineswegs offen in dem Sinne, dass ein Beobachter die Differenz von
Vorher/Nachher so setzt, dass er weder die eine noch die andere Seite
bezeichnet, sondern die Differenz selbst, nämlich die Gegenwart, die
wiederum selbst als Differenz ein Nicht-Ort ist und damit offen
bleibt.

Quantifizierungsdispositiv

Die
dem finanziellen Kapital adäquate Regierungsform umfasst heute
unbedingt auch das Quantifizierungs-Dispositiv. Steffen Mau schreibt
in seinem Buch Das Metrische Wir: „Die Forderung nach
Transparenz bedeutet in ihrer übersteigerten und letztlich
totalitären Form, dass jede und jeder von uns legitimerweise in
allen Aspekten des Lebens dauerhaft überprüft, beobachtet,
klassifiziert und bewertet wird.” (Mau 2017: 231) Die neue
totalitäre Massenbewegung wäre demgemäß, wenn man es übersptitzt
ausdrücken will, die sich permanent selbst bewertende und umfassend
bewertete Bevölkerung. Im Kontext der neoliberalen
Gouvernementalität, die Foucault so eindringlich beschrieben hat,
haben sich im Zuge der Digitalisierung der kapitalistischen
Produktionsprozesse, der Staatsapparate und sämtlicher sozialen
Institutionen weitreichende Quantifizierungsdispositive, das heißt
Bewertungs-, Kalkulations- und Vergleichs-Dispositive entwickelt, die
auf sich ständig modulierende Steigerungs- und Überbietungsverfahren
bezüglich der Rentabilität, Effizienz, Leistung und Transparenz von
Aktivitäten in allen möglichen sozialen Bereichen setzen und zu
einer umfassenden Quantifizierung der ökonomischen, sozialen und
politischen Körper führen, die die bisherigen Schichtungen,
Klassenspaltungen und ihre Distinktionsverfahren durchdringen und
überlagern.

Und
selbst noch die privatesten Bereiche der Bevölkerung sind heute in
diese Quantifizierungsprozesse integriert, in denen man deren Akteure
als Daten, die wiederum in Zahlen transformiert werden, konstruiert
und anschreibt. Diese Überwachungs- und Quantifizierungsprozesse
treffen heute auf seltsam passiv-aktive Dividuen, passiv insofern, da
sie durch Raking- und Ratingverfahren ständig geteilt und damit als
Dividuen, die konstitutiv für Tests und Stichproben sind, erzeugt
werden, aktiv insofern, als sie vom Wunsch motiviert, unermüdlich
Individualität simulieren und in diesem Kontext ihre aktive
Bereitschaft zur freiwilligen Vergabe von Daten, zur Teilnahme an
Rating- und Rankingverfahren und zum Casting tagtäglich
demonstrieren. Derartige Teilnahmen sind dem
Quantifizierungsdispositiv nicht nur einfach eigen, sondern sie
intensivieren andauernd dessen Wirkungen, die nicht lediglich in den
durch die Verfahren erzeugten Quantifizierungen und im numerischen
Vergleich liegen, sondern zugleich die Konkurrenz zwischen den
Bewerteten und Wertenden verstärken.

Im
Rahmen der Implementierung des Quantifizierungsdispositivs und
innerhalb dessen selbst kommt
es zu
ständigen Kämpfen der Akteure um ihre
Positionen,
es
kommt zu andauernden Aktionen der Verbesserung
und der
Übersteigerung
im
Ranking,
die durch
die kontinuierliche
Messung in
scheinbar objektivierten Ordnungen, Hierarchien und Komplexen der
Wertigkeit eingeschrieben
sind.
(Mau 2017: 49ff.) Diese
objektivierten
Quantifizierungsverfahren
inkludieren
vielfältige
Verfahren
der Klassifizierung, der Bewertung und der Integration, wobei der
Status der Objekte, der Phänomene, der Sachverhalte und der Akteure
mit Hilfe von Messungen, Skalierungen
und Tabellen
in die abstrakte Sprache der Zahlen übersetzt wird. In diesem
mathematisierten Universum herrschen exakte, das heißt eineindeutige
Ordnungsverhältnisse, innerhalb derer komparative Methoden,
Differenzierungen
und Skalierungen eine wichtige Rolle spielen. Und
gerade deswegen umgibt
das
Quantifizierungdispositiv in
der Öffentlichkeit eine
Aura der Neutralität, der korrekten Nachprüfbarkeit und der
Exaktheit
und bietet
damit
eine
brauchbare und angeblich ideologiefreie Repräsentation der
sozio-ökonomischen Verhältnisse an, die,
wenn
sie von
Maschinenintelligenzen
prozessiert wird, von
menschlichen Entscheidungen und Praktiken, ja
selbst
von
den
Machtverhältnissen entkoppelt zu sein scheint, man denke hier
etwa
an scheinbar
objektive
Kennziffern wie das Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenquoten,
Kennziffern zur staatlichen Verschuldung und viele weitere Parameter,
die auf statistische Verfahren zurückgehen, und
wenn
sie ins öffentliche Licht rücken,
dennoch
zu
nicht unerheblichen Verwerfungen in den verschiedenen sozialen
Bereichen führen können.

Mittels
der kontinuierlichen
Einschreibung
verschiedener Indikatoren, Daten und Zahlen in entfaltet
sich mit
rasanter Geschwindigkeit
das
Quantifizierungsdispositiv; dessen Metriken, Bewertungen und
Kalkulationen tief
in
die politischen, ökonomischen und sozialen
Felder eindringen
und diese
durchdringen, strukturieren und regulieren, bis
hin zu den verschiedenen Verfahren
der Selbstoptimierung der Akteure. Es entsteht eine normalisierende
und zugleich performative Ritualisierung all
dieser
Felder,
das heißt eine sozial konstruierte Vermessung mittels der Syntax von
Zahlen.

Die
Wucherungsprozesse der allgegenwärtigen
Quantifizierung
lassen sich
an den
Zahlen
ablesen, so wird geschätzt, dass die Datenmengen im digitalen Raum
in der Zeitperiode von 2005 bis 2020 um den Faktor 300 wachsen
(Mau 2017: 41), wobei nicht nur die Produktion
der Daten und ihrer Speicherkapazitäten
ansteigt,
sondern auch das
Potenzial zur
Herstellung von
Verknüpfungen und Clusterbildungen der
Daten der
Maschinenintelligenzen bei
ständiger Verbesserung der algorithmischen Verfahren sowie
der Strategien und Prozesse des Big Data (Datenminining und
-analyse). Es
lässt sich leicht nachweisen, dass das Quantifizierungsdispostiv
Teil
einer expansiven Kapitalisierung
von bisher der Profitlogik noch
weitgehend entzogenen
Bereichen ist,
man denke an Bereiche
wie Bildung,
Verwaltung, Gesundheitswesen und kulturelle Einrichtungen wie
Museen, die alle heute einer effizienten Allokation von Ressourcen
unterstellt
werden, indem man
permanent
Evaluationen,
Tests
und
Prüfungsverfahren der in diese Einrichtungen integrierten Akteure
installiert, die nun selbst
einerseits
in
den Rankings ultravisualisiert
und andererseits in einen weitgehend
Wettbewerb
hineingezwängt werden, der ständige Adaptionen
verlangt, wobei die
Akteure
selbst auf
lebende
Daten reduziert sind, die vor den flimmernden Bildschirmen sitzend
ihr Verhalten
in
die Computer tippen,
wodurch
man
sie
scheinbar
nichtsahnend umfassend vermessen
kann,
während
sie
sich diesen Prozessen aber
doch ganz
bewusst aussetzen, um Vorteile
im
Ranking und
Rating gegenüber
der
Masse der
Mitstreiter zu erzielen. Bis
ins Feinste tritt die Problematik der Credit Points, der
verschiedenen Programme
der Evaluierung und der
Optimierung
ihr sanftes Regime an, wuchert
bis in die letzten
Ritzen der Büros
und in
die
Unternehmenssituation hinein, Macht wird fluidal, sie wird
„gasförmig“, wie Deleuze sagt, sie organisiert sich in
Netzwerken, in denen jeder Knotenpunkt potentiell die Information des
Gesamtsystems enthält, sie wird mikrologisch oder gar nanotechnisch,
sie gerät „inter-aktiv“, indem sie ein unausgesetztes Spiel von
Aktion und Reaktion in Gang setzt, in dem am
ende die
Akteure
die Lücken und Poren der Kontrolle durch Techniken der
Selbstkontrolle stopfen. Dabei
generieren
der
Staat und
vor
allem die privaten
Vermessungsunternehmen
permanent in Zahlen transformierte Anreizsysteme, um die Leistungs-
und
Aussagebereitschaft der
Akteure weiter
zu
verstärken, indem
ganz
geschmeidig
mittels
algorithmischer Schattentexte, die für die Nutzer nicht einsehbar
sind, die
Anpassungsprozesse begleitet.

Algorithmische
Governance

Sachverhalte
wie Satellitenüberwachung,
enorme
Rechnerkapazitäten
auf Silizium Chips,
Sensoren, Netzwerke
und Predictive-Analytics
sind
die Bestandteile von
digitalen
Systemen
(des
Überwachungskapitals),
die
das
Leben
und
Verhalten der
Bevölkerungen
gegenwärtig
umfassend
tracken,
analysieren
und kapitalisieren.
Dabei
sieht
sich beispielsweise
Google
unter dem Druck der Finanzmärkte
gezwungen,
die Effektivität
seines Data-Trackings
und
seiner durch Maschinenintelligenz erzeugten Analysen ständig
zu
erhöhen und gerade
deswegen
jeden
Anspruch
der
Nutzer auf
den
Schutz der eigenen Privatsphäre
mit
den vielfältigsten Mitteln
zu bekämpfen. Dank
einer
Reihe von Geräten wie Laptops
und
Smartphones, Kameras und Sensoren sind heute Computer im
kapitalisierten
Alltag
allgegenwärtig, es
sind zeichenlesende
Maschinen, die Algorithmen
(unbedingt
berechenbare, formal-eindeutige
Verfahrensanweisungen) ausführen und ihre volle Kraft erst
im
Kontext digitaler Medien der Vernetzung entfalten, wofür die
programmgesteuerte Gestaltung, Transformation und Reproduktion
sämtlicher Medienformate Voraussetzung ist. Insbesondere
die sozialen
Netzwerke ermöglichen
in
diesem Spiel eine
Art
von Ökonomie, die aufgrund
die
Extraktion von persönlichen
Daten,
die
zur
Konstruktion
von
Metadaten, Cookies, Tags und anderen Tracking-Technologien führt,
eine eigenartig
neue
algorithmische Governance etabliert hat.
Diese
Entwicklung ist vor
allem als
»Big Data« bekannt geworden, ein
System, das
auf Vernetzung, Datenbanken
und hohen
Computerleistungen und -kapazitäten aufbaut. Die darin involvierten
Prozesse sind laut Stiegler solche
der »Grammatization«. Im
digitalen Stadium führen
diese
dazu, dass die Individuen durch eine
Welt geführt werden, in
der ihr
Verhalten grammatikalisiert
ist,
indem sie mit Computersystemen interagieren, die in Real Time
operieren.
Die
Grammatization
beginnt für
Stiegler
allerdings
schon
mit
den Höhlenmalereien und führt über die Medien
Keilschrift,
Fotografie, Film und Fernsehen schließlich
zum
Computer, zum Internet und zum Smartphone. Ergebnis
all dessen ist, dass die
Datenpfade
und -spuren, die mit den heutigen Technologien der Computerisierung
erzeugt werden, ternäre, aufmerksamkeitsreduzierende Retentionen
bzw. Mnemotechniken konstituieren,
die spezifische Zeitverfahren und Individuationsprozesse inkludieren,
das
heißt
«Industrialisierungsprozesse des Gedächtnisses» bzw. eine
»politische und industrielle Ökonomie, die auf der industriellen
Ausbeutung von Bewusstseinszeiten beruht«. Mit der Digitalisierung
der Datenwege und -prozesse, die heute mittels
Sensoren,
Interfaces und anderen
Mitteln
aufdringlich
dringlich funktionieren
und grundsätzlich
als
binäre Zahlen und kalkulierbare Daten generiert werden, wird
Stiegler zufolge ein automatisierter Gesellschaftskörper geschaffen,
in dem
selbst
noch das
Leben
in
einen Agenten der hyper-industriellen Ökonomie des Kapitals
transformiert wird. Deleuze hat diese Entwicklung in seinem berühmten
Essay zu den Kontrollgesellschaften schon vorausgesehen, aber zur
vollen Tragkraft kommen die Kontrollformen erst, wenn die digitale
Kalkulation die von Deleuze festgestellten Modulationen der
Kontrolltechniken
in eine algorithmische Governance integriert, die zudem
die
Automatisierung sämtlicher Existenzen, Lebensweisen und Kognitionen
inkludiert.

Die
dem
Internet zugrunde
liegenden Machttechnologien der Protokolle sind a-normativ, da
sie selten
breit in der Öffentlichkeit debattiert
werden, vielmehr
scheinen sie
der algorithmischen Governance immanent zu
sein.
Zur
Debatte steht nun: Erzeugen
Daten digitale Protokolle oder digitale Protokolle Daten? Oder noch
enger: Sind Daten digitale Protokolle? Auf jeden Fall haben
schon deren Setzungen strukturierenden
Charakter,
nicht erst die Resultate. Wie
jede Governance, wenn
wir
sie
im Sinne von Foucault denken,
implementiert
auch
die
algorithmische Governance spezifische
Technologien
der Macht, die heute aber
auf
keiner
Statistik mehr
basieren,
die sich auf den Durchschnitt und die Norm bezieht, stattdessen
haben wir es mit einer automatisierten, einer atomaren und auf
Wahrscheinlichkeit beruhenden Maschinenintelligenz
zu tun, die die
Spurensicherung
und das Datamining unabhängig
vom Medium betreibt
– ein automatisches Computing sammelt, erfasst und mobilisiert mit
den Methoden der
künstlichen Maschinenintelligenz
Daten
über das
Verhalten der Marktteilnehmer,
die mittels der Extraktion ihrer
Daten
durch
Überwachungskonzerne
kontrolliert werden
und
deren Verhalten kapitalisiert
wird.17
Die kontinuierlich Daten sammelnden
und Datenspuren lesenden
und auswertenden
digitalen
Maschinen
mobilisieren
also
eine
a-normative und eine a-politische Rationalität, die auf
der
automatischen
Analyse und
der monetären
Valorisierung
von
enormen Datenmengen besteht, indem
die Verhaltensweisen der Agenten modelliert,
antizipiert
und beeinflusst
werden.
Man
nennt dies heute
verharmlosend
ubiquitäres Computing, bei dem, und
darauf ist immer wieder hinzuweisen,
das
Überwachungskapital die
Extraktion des Verhaltens
der
Nutzer und
die
darauf
aufbauenden Vorhersageprodukte,
die
durch die
Algorithmen des Überwachungskapitals entstehen,
längst
nicht
mehr
nur
im Internet, sondern in
der realen Welt
betreibt,
um dann
die
Vorhersageprodukte durch
spezielle Verfahren ständig
zu
diversifizieren
und tiefer zu
legen.
Alles, ob belebt oder unbelebt, lässt
sich
verdaten,
verbinden,
kommunizieren
und berechnen.
Und
aus
den Automobilen, Kühlschränken,
Häusern
und Körpern usw. fließen durch
die Vermittlung von Sensoren ständig
Signale,
beruhend
auf Aktivitäten,
die
in der realen Welt stattfinden,
als
Daten in
die digitalen Netze, die der Umwandlung in Vorhersageprodukte
dienen, die
an solche Werbekunden verkauft werden, die zielgenaue Werbung
betreiben. (Zuboff
2018:
225).

Um
es genauer
zu sagen: Das
Überwachungskapital
der
Unternehmen
Google oder
Facebook automatisiert
damit
das
Kaufverhalten
der
Konsumenten,
kanalisiert
es mittels der
berühmten Feedback-Loops
ihrer
KI-Maschinen
und
bindet
es
zielgerichtet an Unternehmen,
die
wiederum
Werbekunden
des
Überwachungskapitals sind.
Die
verkaufsfördernden
Verhaltensmodifikationen,
die bei
den Nutzern
erzielt
werden sollen, beruhen auf maschinellen
Prozessen
und Techniken
wie dem
tuning
(Adaption
an ein System),
herding (Zurichtung
der Masse) und
der
Konditionierung
(das
Trainieren von Reiz-Reaktionsmustern),
die
das
Verhalten
der
Nutzer derart
lenken,
dass die maschinell
konstruierten
Vorhersageprodukte das
Verhalten
der
Nutzer
tatsächlich
in
Richtung der
von Google garantierten
Intentionen
treiben.
(Ebd.)
Die
maximale Vorhersagbarkeit des Verhaltens der Nutzer ist nun
eine
genuine Profitquelle: Der
Konsument, der
eine
Fitness-App benutzt,
soll am
besten im
Augenblick
maximaler Empfänglichkeit, beispielsweise
nach dem Jogging,
ein gesundes Getränkeprodukt kaufen,
das
ihm vorher
durch
zielgerichtete Werbung schmackhaft gemacht wurde.
Der Sportartikelhersteller Nike
hat die
Datenanalyse-Firma Zodiac gekauft und
nutzt sie in seinen Filialen in New York.
Betritt ein Kunde mit Nike-App auf dem Smartphone eine
Filiale,
so
wird
er sofort
von
der Geofencing-Software erkannt und kategorisiert. Sofort
verändert sich auch
die
Startseite der App
und anstelle von Online-Angeboten erscheinen auf dem Bildschirm
Neuheiten, das
heißt natürlich
auf
den Kunden zugeschnittene
Sonderangebote und Empfehlungen, die in
der Filiale gerade
angeboten werden. Besonders treue Kunden erhalten gleich im Laden
kleine Geschenke und können sich sämtliche Waren per Smartphone in
die Umkleidekabine liefern lassen.

Das
Überwachungskapital ist längst nicht mehr nur auf die Werbung
bezogen, es bekam sejhr schnelle ein Modell für die
Kapitalakkumulation in Silicon
Valley, das
von nahezu jedem
startup übernommen
wurde.
Aber
heute ist es nicht nur auf einzelne Unternehmen oder den
Internetsektor beschränkt, sondern hat sich auf eine große Anzahl
von Produkten, Serviceleistungen und den ökonomischen Sektor
verteilt, eingeschlossen Versicherungen, Gesundheitsvorsorge,
Finanzen, Kulturindustrie, Transportwesen etc. Nahezu jedes Produkt
oder jede Dienstleistung, die mit dem Wort »smart« oder
»personalisiert« beginnt, jedes internetanschlussfähige Gerät,
jeder »digitale Assistent« ist in der Angebotskette der Unternehmen
ein Interface für den unsichtbaren Fluss von Verhaltensdaten auf dem
Weg zur Vorhersage der Zukunft der Bevölkerung in einer
Überwachungsökonomie. Als Investor gab
Google schnell die erklärte Antipathie gegen die Werbung auf,
stattdessen
entschieden sie die Revenuen
zu erhöhen, indem sie ihren exklusiven Zugang zu dem Datenabfall der
User data
logs (once known as “data exhaust”) in Kombination
mit
ihren
substantial analytischen
Kapazitäten
und
ihrer Computerpower nutzten, um Vorhersagen der Klickraten der User,
die als Signal für die Relevanz einer Werbung gesehen wurden, zu
generieren. Operational bedeutet dies, dass Goole seinen wachsenden
Datenbestand umfunktionierte, um in als Verhaltensdatenüberschuss
»arbeiten« zu lassen, und gleichzeitige neue Methoden zu
entwickeln, um aggressiv nach Quellen der Surplusproduktion zu
suchen. Das
Unternehmen entwickelte neue Methoden zur Vereinnahmung des geheimen
Surplus, indem man Daten, welche die User für privat hielten,
aufdeckte und extensiv persönlich Informationen der User
kapitalisierte. Und dieser Datensurplus wurde insgeheim auf die
Bedeutung hin analysiert, die er für die Vorhersage des
Klickverhaltens der User
hatte. Dieser Datenüberschuss wurde die Basis für neue Vorhersagen,
die »targeted advertising« genant wurden. Hier war der Ursprung
des Übrewachungskapitals, Verhaltensüberschuss, materielle
Infrastrukturen, Computerpower, algorithmische Systeme und
automatisierte Plattformen. Als die Klickraten durch die Decke
schossen wurde die Werbung für Google so wichtig wie die
Suchmaschine, vielleicht war sie der Einstiegspunkt einer neuen Art
des E-Commerce, der von einer breiten Online-Überwachung abhängig
war. Der Erfolg dieser
neuen Mechanismen wurde sichtbar als Google damit 2004 in die
Öffentlichkeit ging.

Die
ersten Überwachungskapitalisten setzten sich zuerst durch
Deklarationen in Szene, indem sie ganz einfach die privaten
Erfahrungen der Nutzer als etwas betrachteten, dass man nehmen kann,
um sie in Daten zu übersetzen und diese als Privateigentum
anzueignen und für den privaten Wissensgewinn auszunutzen.
Überspielt wurde dies mit einer rhetorischen Camouflage und geheimen
Erklärungen, von denen niemand als sie selbst Bescheid
wussten.Google begann einseitig zu postulieren, dass das Internet
lediglich eine Ressource für ihre Suchmaschine war. Mit einer
zweiten Deklaration behaupteten sie, dass die private Erfahrung der
User ihren Revenuen diente, indem man die persönlichen Schicksale
anderen Unternehmen verkaufte. Der nächste Schritt sah vor, dass die
Surplusoperationen über das Online-Milieu hinaus in die reale Welt
vordringen sollten, wo Daten über das persönliche Verhalten als
frei gelten, um einfach von Google gestohlen zu werden. Dies war ein
normale Geschichte im Kapitalismus, Dinge, die außerhalb der
Marktsphäre liegen aufzuspüren und sie als waren zu generieren.
Einmal suchten wir nach Google, nun sucht Google nach uns. Einmal
dachten wir, die digitalen Serviceleistungen seinen frei, nun denken
die Überwachungskapitalisten wir seien Freiwild.

Das
Überwachungskapital
bedarf
der Bevölkerung nicht mehr in ihrer Funktion als Konsumenten,
sondern
das
Angebot und die Nachfrage orientieren die Überwachungsfirmen an
Geschäften, die auf die Antizipation des Verhaltens der
Bevölkerungen,
Gruppen und Individuen ausgerichtet sind. Die
Überwachungsfirmen haben in Relation
zu ihrer Computerpower (und
im
Gegensatz zu den frühen industriellen Unternehmen)
wenig Mitarbeiter.
Das
Überwachungskapital ist von der Aushöhlung der individuellen
Selbstbestimmung und
der Autonomie sowie
dem Recht
zur freien Entscheidung abhängig, um einen unbeobachteten Strom von
Verhaltensdaten zu generieren und die Märkte, die nicht für,
sondern gegen die Bevölkerung sind, damit zu füttern. Es genügt
nicht länger, die Informationsströme, welche die Bevölkerung
ausleuchten, zu automatisieren, vielmehr besteht das Ziel nun darin,
die das verhalten der Bevölkerung selbst zu automatisieren. Dies
Prozesse werden ständig neu designt, um die Ignoranz, welche die
individuelle Beobachtungsfähigkeit betrifft, zu erhöhen und jede
Möglichkeit zur Selbstbestimmung zu eliminieren.
Das
Überwachungskapital legt den Fokus weg von den individuellen Nutzern
hin zu Bevölkerungen wie etwa Städten oder eben auf die Ökonomie
eines Landes, nicht
unerheblich für die Kapitalmärkte, wenn die Vorhersagen über das
Verhalten von Bevölkerungen sich der Gewissheit annähern.
Im
Konkurrenzkampf um die effizientesten Vorhersageprodukte haben die
Überwachungskapitalisten gelernt, dass je mehr Verhaltenssurplus sie
sich aneignen, desto besser die Vorhersagen sind, was die
economies of scale zu
immer neuen Anstrengungen ermunterte. Und je mehr der Überschuss
variiert werden kann, desto höher ist der Vorhersagewert. Dieser
neue
Drive der Ökonomie führt von den Desktops
über die Smartphones in die reale Welt
- man fährt, läuft, shoppt, sucht einen Parkplatz,
das
Blut zirkuliert
und
zeigt
ein Gesicht.
Alles soll aufgezeichnet , lokalisiert und vermarktet werden. Die
effizientesten Vorhersagedaten werden
mittels der
Ökonomie der Aktion gewonnen, wenn
es denn gelingt,
Systeme zu
designen,
um in den Status
des Verhaltens
und der Modifizierung des Verhaltens einzugreifen, um es in Richtung
des gewünschten kommerziellen Outputs zu treiben.

Es
gibt eine Dualität in der Informationstechnologie zu vermelden, ihre
Kapazität zu automatisieren,
aber auch zu informatisieren, das heißt Dinge, Prozesse und
Verhalten
in Information zu übersetzen, i.e.
es werden neue Territorien
des Wissens
aufgrund
der informatorischen Kapazität produziert, die auch zum Gegenstand
politischer Konflikte werden können;
dies betrifft die
Verteilung des Wissens, die
Entscheidung über
das Wissens
und
die
Macht
des Wissens.
Zuboff
schreibt, dass die
Überwachungskapitalisten das Recht zu wissen, zu entscheiden, wer
weiß und zu entscheiden, wer entscheidet, ganz
allein für sich einfordern.
Sie
dominieren die Automatisierung des Wissens und seine spezifische
Arbeitsteilung. Zuboff
schreibt weiter, dass man das
Überwachungskapital nicht ohne
das Digitale begreifen könne,
wobei
das Digitale aber
auch auch
ohne das Überwachungskapital bestehen könne:
Das Überwachungskapital sei,
keine
reine Technologie, vielmehr
könnten digitale
Technologien vielfältige Formen annehmen Das Überwachungskapital
basiere
zwar
auf Algorithmen und Sensoren, künstlichen
Maschinen und Plattformen, aber es sei
eben
nicht dasselbe wie diese diese Komponenten.

Ein
Unternehmen wie Google
muss
schon
bei der Sammlung von Daten,
die das Verhalten der
Nutzer spiegeln
und die
zudem
dem
Tracken von Verhaltensüberschüssen (die
Datenabgase
bei Google) dienen, bestimmte
Dimensionen
von
Größen-
und Diversifikationsressourcen
erreichen,
um die
Daten
dann mittels seiner
Maschinenintelligenzen
in Vorhersageprodukte des Nutzerverhaltens umwandeln und
zielgerichtet an Werbekunden verkaufen zu
können,
Produkte, die wie Wärmesuchraketen auf den Nutzer losgehen, um ihm
beispielsweise bei einem Puls von 78 genau das richtige
Fitnessprodukt via eingeblendeter Werbung vorzuschlagen. So
muss mit der
Diversifikation,
die dazu dient, die Qualität der Vorhersageprodukte zu steigern, zum
einen eine
breite
Auffächerung
von überwachbaren
Themen
in der virtuellen Welt erzielt,
zum
anderen
müssen
die
Extraktionsoperationen aus
dem Netz
in die reale Welt verlagert
werden.
Darüber
hinaus
müssen die algorithmischen
Operationen
an Tiefe gewinnen, das heißt, sie
müssen auf
die Intimität
der Nutzer zielen,
um aktuierend und steuernd, ja formierend in
deren
Verhalten
einzugreifen,
indem die
Unternehmen beispielsweise
zeit-
und zielgerecht
Pay-Buttons auf dem Smartphone einblenden
oder

einen
Wagen
automatisch
sperren,
wenn der
Betroffene Versicherungsbeträge
nicht rechtzeitig
bezahlt
hat.

Der
Daten-Fundus, aus dem die Analytiker mittlerweile schöpfen können,
ist beinahe unendlich groß. Sie wissen genau, wer wie oft Waren
reklamiert, bei Hotlines anruft oder in Online-Portalen über ein
Unternehmen herzieht. Sie kennen die Lieblingsgeschäfte, die
Lieblingsrestaurants und -kneipen vieler Verbraucher, die Zahl ihrer
»Freunde« bei Facebook, den Urheber von Anzeigen, die
Social-Media-Nutzer angeklickt haben. Sie wissen, wer in den
vergangenen Tagen die Webseite eines Konkurrenten des Auftraggebers
einer Anzeige besucht oder bestimmte Waren gegoogelt hat. Sie kennen
die Hautfarbe, das Geschlecht, die finanzielle Lage eines Menschen,
seine körperlichen Erkrankungen und seelischen Beschwerden. Sie
wissen das Alter, den Beruf, die Zahl der Kinder, die Wohngegend, die
Größe der Wohnung - schließlich ist es etwa für ein Unternehmen,
das Matratzen herstellt,durchaus interessant zu erfahren, ob ein
Kunde Single ist oder im Fall der Fälle wohl gleich fünf
Schaumstoffmatten für die gesamte Familie ordert.

Heute
ist die Gruppe in Facebook materialisiert, in ihren unsichtbare
Algorithmen und hat eine weitgehend imaginäre Gruppensucht
unvorstellbaren Ausmaßes hervorgerufen. Und hier liegt die Theorie
der Simulation falsch, denn es ist nichts Falsches an den digitalen
Netzwerken, sie sind ganz real und erzeugen für diejenigen, die an
die Netzwerke angeschlossen sind, eine Stabilität, indem die Dinge
einfach expandieren, mehr Anfragen, mehr Freunde and so on. Mit der
Schließung der Fabriken kam die Öffnung der Daten-Minen. Und die
damit einhergehende Verletzung
der Privatsphäre ist das systematische Ergebnis einer pathologischen
Wissensteilung, bei der der Überwachungskapital weiß, entscheidet
und entscheidet, wer entscheidet. (zuboff)
Marcuse hat
geschrieben, dass es eines
der kühnsten Vorhaben des Nationalsozialismus gewesen
sei, den
Kampf gegen die Tabuisierung des Privaten zu
führen.
Und
gerade Privatheit
ist heute so befreit von jedweder Kuriosität oder jedwedem
Geheimnis, dass man ohne jede Bedenken oder geradezu begierig alles
auf seine Timewall schreibt, sodass jeder es lesen kann. Wir sind so
froh, wenn ein Freund irgendetwas kommentiert. Und man ist andauernd
damit beschäftigt, all Daten-Feeds und Updates zu managen, zumindest
muss man ein bisschen Zeit von seinen täglichen Routinen abzweigen.
Der Geschmack, die Präferenzen und die Meinungen sind der
Marktpreis, den man zahlt. Aber das Business-Modell der sozialen
Medien wird an seine Grenze stoßen und beendet werden, obgleich es
immer noch vom Wachstum des Konsumismus gepusht wird. Diese
Businessmodell wiederholt immer nach des Dotcom Booms der 1990er
Jahre. Wenn das Wachstum stagniert, dann muss das Projekt
abgeschlossen werden. Übergangsloses Wachstum des auf den Kunden
bezogenen dezentralisierten Marketings ist der Treibstoff, begleitet
von mental Verschmutzung der digitalen Umgebungen, die derjenigen der
natürlichen Umgebungen entspricht. Aber die Welt ist begrenzt,

Bei
einer Suchanfrage wiederum
zählen Faktoren wie Suchbegriffe,
Verweildauer, die Formulierung der
Anfrage,
Buchstaben und Interpunktion zu den Anhaltspunkten, mit denen man
das
Verhalten
der
Nutzer ausspioniert,
und
so
sind selbst
noch diese
sogenannten
Datenabgase einsammelnswert, alum
auch
diesen
Verhaltensüberschuss des
Users für
zielgerichtete
Werbung zu nutzen,
wobei Google den durch
algorithmische Wahrscheinlichkeit
eruierten
meist
bezahlenden Werbekunden auch
die
besten Werbeplätze
zuweist, deren
Preise
sich
aus
dem Preis pro Klick multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, mit der
die Werbung tatsächlich dann
auch angeklickt
wird, errechnen.
In
diesen Verfahren
findet man letztendlich
auch
heraus,
was ein bestimmte Individuum an
einem bestimmten Ort und zu
einem bestimmten Zeitpunkt
denkt. Singularität indeed. Jeder
Klick auf ein bei Google geschaltetes
Werbebanner
ist ein Signal für dessen
Relevanz und gilt
damit
als
ein
Maß für
erfolgreiches
Targeting. (zuboff) Dabei
ist derzeit
bei
Google ein
Anstieg
der
bezahlten Klicks und zugleich
ein
Fall der durchschnittlichen Kosten per Click zu registrieren, was
einer
Steigerung
der Produktivität gleich
kommt,
da eben
das
Volumen des Outputs bei gleichzeitigem Fall der Kosten gestiegen ist.

Neu
sind nicht
nur die
technologischen Machtstrukturen (Protokolle und Algorithmen, das
Netzwerk ist die Message),
sondern
ein
Akkumulationsmodell,
das
sich
digitaler
Mittel bedient,
um
alle
möglichen Daten,
die
das
Verhalten
der
Nutzer spiegeln,
einzusammeln
und
daraus
deren
Verhaltensüberschuss
zu
extrahieren,
sodass
künftiges
Verhalten
möglichst
exakt vorhergesagt
und

zielgerichteter
Werbung zugeführt
werden kann,
wobei Verbesserungen in der Vorhersage wie
auf Abruf die
Klickraten auf
den
Werbebannern
steigern.
Die
Verhaltensüberschüsse
entstehen
daraus, dass mehr
Verhaltensdaten als notwendig gerendert werden, um
diese
in künstlichen
Maschinen
(Ranking,
statistische Modellierung, Vorhersage, Spracherkennung und visuelle
Transformation) einzuspeisen,
die
dann
Vorhersagen
über Nutzerverhalten produzieren,
Quasi-Derivate,
welche
das
Überwachungskapital auf
den
Verhaltensterminkontraktmärkten
an
meistbietende Unternehmen verkauft.
Google
führt an
diesen
Märkten
Auktionen durch, bei
denen in enormer Anzahl »Derivate von Verhaltensüberschuss«
(Zuboff 105) versteigert werden. Es
lässt sich folgern, dass
die
algorithmischen
Operationen mit
Daten profitable Produkte,
die alle
auf
die Vorhersage und Monetarisierung
des zukünftigen Verhaltens
der Nutzer abzielen, für
ganz
bestimmte
Unternehmen
generieren:
Die
wichtigen
Kunden
von Google sind
diejenigen,
die Werbung benötigen
und bei Google dafür für zahlen, dass sie ein effektives Angebot
von Vorhersageprodukten erhalten,
die wiederum
auf
der umfassenden Überwachung der User beruhen. Diese
Produkte beruhen also
darauf,
dass Google genauestens
zu
prognostizieren
versucht,
was die User im
Jetzt
und in der nahen Zukunft tun, denken und fühlen (Zuboff
2018:
119), womit auch
das
Risiko
für die Werbekunden eingeschränkt werden
soll,
sodass
relativ sichere Wetten auf zukünftiges Verhalten abgeschlossen
werden können. Allerdings
sind die Adressaten an den Märkten, an denen Google
Vorhersageprodukte
verkauft, nicht ausschließlich Werbekunden, sondern es sind im
Endeffekt
alle,
die ein Interesse am Ankauf
»probabilistischer Informationen« ( ebd.:
120)
haben,
also
zum
Beispiel auch
Staaten, vor allem ihre Nachrichtendienste, die deshalb
ein
enges Verhältnis zu den Unternehmen im Silicon Valley pflegen.

Dabei
sind die Vorhersagemaschinen eine Art Black Box, deren
innere Abläufe wahrzunehmen,
die menschlichen
Kapazitäten der Perzeption weit
übersteigt. Zuboff spricht an
dieser Stelle von einem zweiten
Schattentext, in dem nicht nur
die extrahierten
Daten erscheinen,
sondern die Maschinen die relevanten
Handlungsanweisungen vorgeben,
die meisten auf die Beeinflussung des
Konsums der
Nutzer abzielen; es soll generell
ein Verhalten mittels
Verhaltensmodifikationsmaschinen
erzeugt werden, das zu den gewünschten Ergebnissen führt,
welche die Maschinen als
Verhaltensanforderungen, die angeblich alleine dem Nutzer nutzen,
vorgeben.
So gehen beispielsweise
in die algorithmisierte
Auswahl der Bilder, die Instagram einem
Nutzer zeigt, Ströme der
Verhaltensdaten
dieses
Nutzers, die Daten
seiner
Freunde,
Daten von Leuten, die demselben Account wie der Nutzer folgen, sowie
Daten und Links seiner Aktivitäten auf
Facebook ein.
(Zuboff 2018: 555) Es
gibt eine Vielzahl von Daten und
Operationen, welche selbst die Programmierer der Maschinen nicht mehr
durchblicken. Facebook
kann
mit
der
Abfrage der
Likes eines
Users ein
umfassendes Spektrum von
dessen persönlichen
Verhalten erfassen, das den Sex, die politischen Ansichten, das
Konsumverhalten,
Intelligenzleistungen
etc. betrifft. So
gesehen
setzt
das
Like-Belohnungssystem im richtigen Timing die notwendigen
Dopamin-Spritzen,
um
die Aktivitäten der User andauernd
anzuspornen
weitere
Datenströme zu produzieren.
Ein Post, der
keine
Likes erhält,
bedeutet
für
den User den
sozialen Tod. Das
muss auch so sein, seit das
Überwachungskapital jeden
Click und Like trackt und monetarisiert,
sodass jeder
einzelne Überwachungsakt eine
Investition
in
Profit bedeutet.

Die
neuen automatischen Systeme modellieren das Soziale in Realtime,
kontextualisieren und personalisieren die sozialen
Interaktionen mit
automatischen Produktionen, sei es nun
im Gesundheitswesen, im Business oder
in der Administration. Wir sollten mit
den Autoren französischen
Autoren Rouvray und Berns hinzufügen,
dass die neu algorithmische Governance zudem
Technologien mit
territorialen und räumlichen Dimensionen umfasst,
welche in den Programmen der »Smart und Sensored Cities« Anwendung
finden; sie
basieren auf »automatic computing« und »ambient computing, auf
Technologien, deren Unsichtbarkeit die Dividuen noch aktiver und
effizienter macht, weil sich
diese
Technologien unbemerkt und zugleich
doch
anspornend und
das Verhalten verstärkend in die Fabrik
des Lebens einweben, bis sie von dieser ununterscheidbar sind. Die
algorithmische Governance fokussiert ganz auf Relationen, auf
Relationen von Relationen, die wiederum auf Korrelationen reduziert
werden, denn die
Modelle der Künstlichen
Neuronalen Netze ermitteln insbesondere
Korrelationen,
und Muster,
niemals aber Ursachen oder die Erklärung von Kausalitäten;
sie dienen der Klassifizierung, der Bündelung und der Optimierung
des Verhaltens,
sind aber vom Verstehen weit entfernt.

Es
geht also um
die aktive Intervention und Ausformung von Verhalten in der Zukunft.
Und je mehr
Datenspuren der Kunde hinterlässt, oder,
um es anders zu sagen, je mehr Daten
durch die Methoden der Diversifikation,
und zudem
durch eine
Tiefe, die weit ins Innere des Nutzers
reicht, extrahiert werden, desto
präziser können die selbstlernenden
algorithmische Maschinen (Stimmsuche,
neurale Netzwerke, Feedback etc.) prozessieren,
um nicht nur die richtigen
Kaufentscheidungen für
den Kunden im
Voraus zu treffen, sondern auch seine
Retentionen und Protentionen
sanft zu massieren, sie letztendlich aber knallhart zu determinieren,
und das heißt, dass die optimierte Autonomie, die das
Überwachungskapital dem
Kunden verspricht, eine Pseudo-Autonomie
ist, denn sie dient nur als ein
mageres Versprechen,
weil
letztendlich unwidersprochen
die gewinnbringenden
Vorhersageprodukte automatisiert hergestellt und vertrieben werden.
Das Überwachungskapital durchkämmt
pausenlos mit
beispielloser maschineller Systematik den
Content und dessen Kontext,
und
insgesamt das Verhalten der Nutzer
(Emails, Suche, Terminkalender, Telefon, Kamera etc.), um
Informationen über das Verhalten zu
antizipieren, die eine Person bei ihrer Durchquerung der realen Welt
angeblich benötigt, sodass die aus Daten gestanzten
zielgerichteten
Werbeangebote auch verkauft werden
können. Dabei
erweisen sich sowohl die Metadaten,
etwa die Verbindungen und Links, die der
Nutzer wählt, als
auch Informationen
über das Ausmaß
seiner preisgegebenen
Informationen als weitaus
gewinnbringender als seine
ursprünglichen Rohdaten. Zudem will die
von Google und Co konstruierte
Extraktionsarchitektur
ständig Wettbewerbs-
und Größenvorteile gegenüber
vermeintlichen Konkurrenten erzielen,
gerade indem auch
die
Implementierung
maschinenbasierter Architekturen in der realen Welt vorangetrieben
wird, das
heißt die
Verdatung, Vernetzung, Kommunikation und
Berechnung von Aktivitäten in
der realen Welt forcieren,
um diese
dann ins
Netz einzuspeisen, wo sie als
Daten, die der Umwandlung
in Vorhersagen dienen, zirkulieren.

Antoinette
Rouvroy und Thomas Bern zeigen
in ihrem
Essay
zur algorithmischen Governance, dass die Größe,
die
Geschwindigkeit
und die
Performativität
der Algorithmen, die sich auf die
relationale
Datenbearbeitung
bezieht, die
Kapazitäten humaner
Entscheidung weit
übersteigt.
Sie beschreiben diese Governance
als »a certain type of (a)normative or (a)political rationality
founded on the automated collection, aggregation and analysis of big
data so as to model, anticipate and pre-emptively affect possible
behaviours.« Es
herrscht eine
Topologie der Relationen, die sich nicht um die Individuen und
Subjekte sorgt, ja diese sogar in
ihrer Eigenart vernichtet,
weil
man lediglich darauf aus ist, sie in jeder Sekunde und an jedem Ort
zu orten und zu überwachen, um Verhaltensdaten zu extrahieren und
diese als Vorhersageprodukte zu verkaufen. Mit Googles Street View
macht das
Personal von Google
aus dem öffentlichen Raum einen unpersönlichen Raum des Spektakels,
verwandelt
ihn in eine
lebende Tourismusbroschüre einzig
und allein mit dem
Ziel der Überwachung und der Extraktion der Daten von Nutzern,
(zuboff169), sodass letztendlich
sogar
von
einer Enteignung der Wege und des Raums gesprochen werden kann
(die
in der flegelhaft einschmeichelnden Sprache des »Smart« zudem noch
daher kommt), gerade
indem es Google über die Exploitation der Online-Datenquellen hinaus
gelingt, das Monitoring der realen Welt immer
umfassender flächendeckend vorzunehmen,
wenn
die Leute eben
entlang
bestimmter Wege permanent
getrackt
und über
Verhaltensmódifikationsmaschinen gleichzeitig noch zu
bestimmten Zielorten gesteuert
werden. Google kann
mühelos voraussagen,
dass
jemand vermutlich in
Kürze einen
Anzug kaufen will, und wenn dieser jemand sich in der Nähe eines
Schaufensters
befindet, hinter dem Anzüge
ausgestellt sind,
dann ploppt auf dem Handy sofort
und pflegegerecht eine
Werbeanzeige auf,
die
den
Kauf eines
ausgestellten
Anzugs
anempfehlt.
Das
Leben selbst
wird
immersiv in die Datenproduktion eingebunden, in eine Glut von
Informationen,
aber darüber hinaus sind wir selbst Daten geworden, die in Relation
zu Maschinen stehen, die unser Leben
einfangen, vereinnahmen und prozessieren, als ob wir selbst Teile
seien, die moduliert und für Maschinenintelligenzen bereitgehalten
werden. All
dies
man muss nicht mehr ausdrücklich betonen, denn
es
ist Teil des Habitus, durch den die
Subjekte
selbst maschinisiert werden, wenn sie
streamen,
updaten, einfangen, teilen, verlinken, verifizieren, mappen, sichern,
trollen und Trash produzieren, selbst wenn es die höchste Langeweile
hervorbringt.

Die
algorithmische Governance generiert sowohl
ein
neues
polit-ökonomisches
Feld und
Regime
der
Datenbewirtschaftung,
das sich durch eine
spezifische
technologische
Performativität auszeichnet, deren
wichtigste Punkte wir hier bestimmen wollen:

1)
Das
permanente
Einfangen von Daten, siehe
Googles Versuch der Digitalisierung
von Büchern, die
Erfassung persönlicher Daten durch Google
Street-View,
die
Umgehung des Datenschutzes, die
Speicherung
von Suchdaten, die
Übermittlung
des Standortes durch das
Smartphone,
Gesichtserkennung, Körpersensoren, Drohnen,
die mit Sensoren ausgestattet sind, und
die
Generierung von
Daten Doubles und Big Data. Es
geht um Enteignungsoperationen, denen
der Nutzer Tag
und Nacht unterworfen
und
damit
noch seiner
Erfahrungen, Emotionen und seines Gesichts beraubt ist.
Mittels
virtueller
Kapazitäten und
maschineller
Prozesse
extrahieren
die Überwachungskapitalisten
noch
aus
den banalsten
Dingen des Alltags ständig
Verhaltensüberschüsse,
um
diese zu monetarisieren
bzw.
an Werbekunden zu
verkaufen.

2)
Digitale
Operationen, die diese Daten verarbeiten.
Die maschinelle
Bearbeitung
dieser Daten
beinhaltet
die
Extraktion
und
Modifizierung von
Verhaltensmerkmalen
der Dividuen, die man qua Muster,
Clouds und Relationen
sortiert und
in Rankings integriert,
um zudem
noch die
Korrelationen,
die zwischen den Daten
der Dividuen
bestehen, auszuwerten.
Dieses Datamining erscheint als
absolut,
insofern die Subjekte keine
Möglichkeit haben zu intervenieren,
sodass
von
einer total
automatisierten Produktion von automatisierten Protentionen
(Erwartungen) gesprochen
werden muss,
welche die Differenz zwischen performativen und konstativen
Verhaltensweisen liquidieren. Die automatisch produzierten
Protentionen prozessieren heute in automatisierten maschinellen
und vernetzten Systemen.
In
diesen Netzwerken gilt keineswegs, dass das
Ganze
größer als die Summe seiner Teile ist, vielmehr gibt es gar keine
Teile mehr, denn das Ganze ist omnipräsent und manifestiert sich
»in
jedem der in allen Maschinen eingebauten Geräte« (Zuboff 2018: 472)
Es handelt sich hier
um
ein modulares System, innerhalb dessen prinzipiell
jede
Maschine dieselbe Maschine ist und wie alle anderen Maschinen in
derselben Logik
operiert, wenn
es auch zu Modulationen und Transformationen kommt.
Diese
künstliche
lernenden
Maschinen
bedürfen
wiederum
der
materiellen
Infrastrukturen,
oder, um es noch
genauer zu
sagen,
bedürfen
der
Konfigurationen,
die sich aus den Komponenten Hardware, Software, Algorithmen,
Sensoren und Konnektivität zusammensetzen – Konfigurationen,
die
heute
alle
möglichen Objekte
ausstatten und
gestalten - Kameras, Chips Nanobots, Fernseher, Drohnen etc. (Ebd.:
156).

Die
digitalen
Maschinen
integrieren
die
Dividuen in das algorithmisierte Feld, wo sie als autoperformative
Effekte der Korrelationen von
Daten erscheinen.
Und
das
Feld, in das die automatisierten Aktionen der
Dividuen integriert
sind, ist nicht in der Gegenwart, sondern in der Zukunft situiert.
Gleichzeitig
reintegriert
die
algorithmische
Governance durch Methoden
der perfekten
Adaption, Viralität und Plastizität
noch jede
Störung und jeden Fehler in das System, um die Modelle und Profile
des Verhaltens sogar
zu
redefinieren.
Es scheint, als könne man die Macht des algorithmischen Systems
strukturell niemals
beunruhigen oder
das Unwahrscheinliche nicht stören. Wenn
das auch nicht möglich sein wird,
zerstört das
Überwachungskapital mit dem Einsatz
algorithmischer
Performativität zumindest
die
Essenz der Politik.

3)
Digitale
Doubles
(Profile),
die ganz
das
ergreifende
Resultat
der
maschinellen
Operationen sind. Um
mit
diesen Operationen
eine Aktion
des
Users hervorzukitzeln,
müssen
dessen
digitalem
Double
lediglich Signale gesendet
werden,
die beim
User
wiederum
gewünschtes
Verhalten,
Stimuli
und Reflexe provozieren. Das
Tragische des Profil-Subjekts besteht darin, dass
es,
je mehr es durch Einträge die Unverwechselbarkeit seines »Ich
selbst« sichtbar machen will, es desto eindringlicher von den
algorithmischen
Maschinen modelliert wird. Es findet jetzt
der
K(rampf) um das Permanent- und Performanz-Singularisieren
seines Profils statt, eine Daueraufgabe, an der das Subjekt
letztendlich
sang-
und klanglos scheitert, weil das modulare Tableau, in das sein
Profil eingeschrieben ist, die Vorgaben gibt, wobei
die
Aktualität, dies
so
instantan ausstellt,
dass
es einem eigentlich
den
Atem nehmen
müsste.
Es könnte noch
zehntausend
Jahre so weiter gehen. Zudem
ist
Glamour
des Profils nur
einer
für diejenigen, die es auf
der ökonomischen
Stufenleiter
nach oben nicht geschafft haben, denn
die Privilegierten bleiben nämlich offline.

Als
digitales Double wird
nicht
nur
die Subjektivität, sondern das Subjekt selbst wird durch die
Kollektion infra-individueller Daten, die auf supra-individueller
Ebene
als Profil zusammengesetzt werden, eliminiert. Das
Subjekt
erscheinst nicht länger.
Es
kommt immer schon zu spät und kann sich kein Zeugnis über das
ablegen, was es ist oder was es in Zukunft tun
will,
stattdessen verschmelzt es
als
User mit seinem
eigenen Daten-Profil,
das in
erster Linie eben nicht von ihm, sondern von
den Algorithmen automatisch und in Realtime designt wird. Dennoch
stellen die User
ihre
Doubles
bzw.
ihre
Profile irgendwie
auch ohne Unterlass aktiv
her,
als
wären sie durch eine unsichtbare Macht
getrieben und bleiben
alles
in allem doch
die
tiefgefrorenen Produkte
algorithmisierter
Kontrollsysteme, einerseits
als
Individuen,
die
eine
höchst
effektive
Nachfrage verkörpern, andererseits
als
Dividuen,
die funktionell in das Generieren der Parameter der eigenen Kontrolle
involviert sind, um ständig
weiter
assoziierte
Milieus der
Kontrolle zu
erzeugen. In
ihrem FB-Newsfeed bekommen
sie dann vor allem
jene Posts ihrer
»Freunde«´angezeigt,
die schon eine hohe Aufmerksamkeit durch die große Anzahl von
Aufrufen und Likes auf sich ziehen konnten. Darüber
hinaus trackt
Google über Mobil-Apps den User auf seiner Reise
durch das Internet und
in der realen Welt in
jeder Millisekunde,
um persönliche Daten
zu sammeln, ein Profil von
ihm anzufertigen
und Profit
mit
zielgerichteter
Werbung zu erzielen.
(Ebd.:
164).
Und
der User wird dabei scheinbar ganz
individuell adressiert, als Singularität, die sich aber als modular
erweist, das heißt sich aus diskreten Bestandteilen im Sinne eines
Pfad-Trackings zusammensetzt. Googles Netzwerkprotokolle und
Auswertungsmodule
verfolgen
sämtliche Spuren im Netz und in der realen Welt, um das multiple
Selbst
zu generieren, das bestimmte Muster von
Verhaltensweisen
aufweist, um
zukünftiges Verhalten vorhersagen und monetarisieren zu können.
Konstitutiv
für
das Überwachungskapital ist
das
algorithmische Erzeugen von Profilen hinter dem Rücken (die
Codes, Algorithmen und Datenbanken, durch die er zusammengesetzt
wird, bleiben
für den Nutzer unsichtbar und unerreichbar) derer,
denen ein für
sie singuläres, maßgeschneidertes Profil
zugewiesen wird und
du dennoch weiterhin
glauben,
sie würden das alles aus eigenen und freien Stücken tun, ja
die sogar
vom Wahn besessen sind,
mit den Profilen ihre
eigenen Singularitätsansprüche zum Ausdruck zu bringen und sich
dabei in narzisstische Erregung versetzen, ohne im geringsten zu
ahnen,
dass
die
Art der algorithmischen
Behandlung
sie
schon im voraus definiert
und
im Remote-Verfahren kontrolliert,
wobei die automatisierte Wissensproduktion, die durch lernende
digitale Maschinen operationalisiert wird, entgegen
aller subjektiven Singularitätsansprüche der
in Erregung Versetzten eine
nicht
zu unterschätzende
Objektivität erzeugt. Für
den User bleibt es aber bei
dem
für ihn konstruierten und auf ihn zugeschnittenen Weltausschnitt,
der allein für ihn zugänglich ist. Die
digitalen Operationen, die das Verhalten betreffen, antizipieren so
gerade die
individuellen Wünsche und ordnen sie dem Profil zu.

Digitale
Transparenzsysteme verschärfen nicht
nur die Kontrolle, sondern sie verändern das
Verhalten von Dividuen bis
zu einem Tipping Point, an dem
Kommunikationstechnologien, automatische
Computersysteme, das Wachstum
der Speicherkapazitäten und umfassende
Datenanalysen eine neue Qualität
generieren, mit der
die Dividuen zu Multi-Dividuen, die
in Virtual
Clouds schweben, transformiert
werden. Gleichzeitig will
man die Wahrscheinlichkeit einer
subjektiven Aktion
ganz auf
Sicherheit trimmen
und auf garantiertes Verhalten modulieren,
um zahlende
Käufer für diese Art der Information
zu finden. Es geht dabei
also nicht
nur um das Monitoring oder andere Formen
der Kontrolle der Aktionen der
Subjekte, sondern auch
um die Antizipation
ihrer Verhaltensweisen.
Was die intelligenten Maschinen
damit einzufangen
und zu
identifizieren versuchen, das ist nichts
weniger als die Intentionen der Nutzer,
als ob ein zukünftiger Akt
schon mit
der Beeinflussung der Intention
modifiziert werden müsse.
Diese Präformation, welche schließlich
auch noch die Teilung von Intention und
Aktion zerstört, um sie durch simple
behavioristische Reiz-Reaktionsmuster
zu ersetzen, tötet die Zukunft als
etwas Unvorhersehbares ab.
Die Zukunft kollabiert nun in eine Gegenwart hinein, in
die Präsenz, die
sich immer weiter dehnt. Und
was damit
unbedingt verhindert werden soll, das
ist das Ereignis des
Außen und
das Fremde,
das sind nicht-standardisierte
Singularitäten oder radikale politische Ereignisse, gegen
die man sich schon im Voraus
immunisiert.

Wunschökonomie
und Kontrolle

Nach
dem Verlust des Arbeiter-Wissens im 19. Jahrhundert und dem Verlust
des Wissens vom Leben im 20. Jahrhundert haben wir es nun, wenn wir
an dieser Stelle Bernard Stiegler folgen, im 21. Jahrhundert mit dem
Verlust des theoretischen Wissens zu tun, oder, um es genauer zu
sagen, es findet eine umfassende Proletarisierung des theoretischen
Wissens statt, die eben darauf aufbauen kann, dass die Einschreibung
des Arbeiterkörpers in die Maschinerie, wie sie Karl Marx
beschrieben hat, zu einer Proletarisierung des Wissens der Arbeiter
und damit ihrer Lebensbedingungen und später das Radio und das
Fernsehen zu einer Proletarisierung des Wissens vom Leben (der
Affekte und der sozialen Relationen,) geführt haben.18
Auch die Ausbeutung des »seelischen Werts« der Dividuen erreicht
nun seinen Peak-Point: Sie betrifft das Denken, ja sie betrifft das
Denken als solches, seine Konsistenz und damit auch sämtliche
Wissenschaften und ihre Modelle und Methoden und darüber hinaus eben
auch die Intuition und das Fühlen. Weber, Horkheimer und Adorno
haben diese Prozesse der Rationalisierung ausführlich beschrieben,
Prozesse, die für sie eindeutig zum Nihilismus führen.

Die
Aufmerksamkeit wird heute ganz
von der algorithmischen Governance eingefangen, die Stiegler entweder
als eine lesende Industrie oder als eine entropische Ökonomie der
Expression beschreibt, welche die Proletarisierung der Konsumenten
intensiviert, während die Lohnarbeit längst Beschäftigung geworden
ist und das mit
der
Arbeit eigentlich
verbundene
Interesse aufgelöst hat.
Parallel
zur
Organisation der Konsumtion und der Konstitution der Massenmärkte
durch die Kulturindustrie gerinnt die Proletarisierung der
Arbeit
zur Jobindustrie und definiert die skills nur noch in Bezug auf die
Beschäftigung, die jetzt mit Adaption an
volatile Jobs zusammenfällt.
Die Proletarisierung bezeichnet aber
heute
nicht nur die ökonomische Verarmung und das Prekarität,
sondern auch den Verlust der Kontrolle über Wissen, Savoir-faire und
Produktion. Das
Arbeitswissen und das Wissen vom Leben wurden durch Maschinen und die
Kommunikation der Informationssysteme ersetzt, um jegliches Wissen in
Automation zu transformieren, wobei die Proletarisierung allen
Wissens längst auch die Formen der Planung und der
Entscheidungsfindung betrifft.19

Die
Jobs sind heute sehr oft von jedem Inhalt entleert und geben den
Beschäftigten keine Befriedigung mehr, womit als ihr Zweck nur noch
die Steigerung der kaufkräftigen Nachfrage übrig bleibt, die nun
zum Anliegen sowohl der Arbeitsorganisationen als auch des Kapitals
wird, obwohl das durchaus verschiedene Formen annimmt. Das Kapital
benötigt die Nachfrage, um Waren zu verkaufen, und die
Gewerkschaften verhandeln die Lohnhöhen, um die entsprechenden
Kompensationen zu erreichen. Man hätte es oft mit Bullshit-Jobs zu
tun, die Graeber eher von der subjektiven Seite fasst, wenn Jobs von
den Arbeitenden hauptsächlich als entfremdet und nutzlos
wahrgenommen werden, indem sie die Arbeitenden von der Kapazität
entfremden etwas zu produzieren oder etwas zu tun, das noch
irgendeinen Effekt haben könnte, während andere argumentieren, dass
die Arbeitenden für entfremdete Arbeit ja bezahlt werden und man
sollte deshalb weiter der Devise folgen sollte, doch hart zu
arbeiten, um zu konsumieren. Dann wäre eben zu fragen, warum die
Leute ihre Bullshit-Jobs gerade als solche gar nicht begreifen.
Grundsätzlich gilt es zu sagen, das Marx das subjektiv orientierte
Konzept der Entfremdung später Im Kapital durch das Konzept der
Extraktion von Mehrwert ersetzt hat, die subjektiv so ohne weiteres
erfahren werden kann, denn die Trennung von notwendiger und
Mehrarbeit ist nicht sichtbar. Der Mehrwert wird notwendig durch das
Kapitalverhältnis evoziert.

Es
ist heute mehr und mehr die unbezahlte Arbeit der Konsumenten, die
eigentlich keine Arbeit, sondern Dividuation oder Beschäftigung in
unbezahlter Zeit ist, die die Parameter der automatischen und
performativen kollektiven Protentionen und Retentionen, die durch den
computerisierten Kapitalismus produziert werden, speisen, setzen und
verstärken. Dem ging eine Periode voraus, in der sich die
Konsumenten einer Massen-Dividuation ausgesetzt sahen, der
Proletarisierung des Wissens vom Leben. Die Marketing-Unternehmen
produzierten die kollektiven sekundären Retentionen, die das
ausführten, was bestimmte Forschungsabteilungen von ihnen forderten.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die analoge durch die digitale-
Kulturindustrie ersetzt, welche die proletarisierten Konsumenten
durch die tausend Fäden der Vernetzung in das digital-technische
System integriert und sie gleichzeitig psychisch und sozial
des-integriert, das heißt, eine aus der Vernetzung resultierende
Dividuation erzeugt, die die proletarisierten Konsumenten und
Produzenten in dem Sinne neu zusammensetzt, dass sie zu nichts weiter
als ausführenden Organen der Informationssysteme werden, der
Kapitalisierung. Im Jahr 1993 wurde mit dem Internet eine weltweite
digitale Infrastruktur etabliert, die die
Telekommunikationstechnologien grundlegend veränderte und zur
totalen Vernetzung fast aller Territorien führte, die zu digitalen
Territorien transformierten, wobei man deren Bewohner mit mobilen
oder fixen Geräten ausstattete, die wiederum kompatibel mit den
Netzwerken waren.

Die
Entwicklung des Kapitalismus in den
Metropolen hat seit Anfang der 1970er
Jahre im Zuge der Globalisierung auch
zu einem globalen Konsumismus geführt
(von dem allerdings die
Surplus-Bevölkerung im globalen Süden weiterhin ausgeschlossen
bleibt), der die durchaus
positiven Prozesse
der Anbindung der Triebe an alle Arten von Objekten, die Teil
einer befreienden Sublimierung sind,
weitgehend zerstört hat. Der
anti-ödipale Wunsch,
der das Objekt ökonomisiert, indem er es idealisiert und
transindividuiert, geht stets
mit der Artifizialisierung des Lebens
einher, die auch
das Technische umfasst, und diese
verstärkt und intensiviert
normalerweise auch die
Macht der Sublimierung, wenn das
Individuum mit
einem transindividuellen Gedächtnis ausgestattet ist,
das Simondon die psychische und kollektive Individuation nennt. Dabei
bleibt die vitale Individuation zunächst
an eine Ökonomie der Instinkte
gebunden,
die das animalische Verhalten mit der Rigorosität eines Automatismus
kontrolliert, während mit
der
Herankunft des noetischen
Lebens, das
durch die libidinale Ökonomie (Fetisch,
Kult, Ritual etc.) geformt wird, die Instinkte und Triebe relativ
de-automatisiert werden, sodass die gewünschten Objekte ersetzt,
verschoben
und umgestaltet werden
können. Selbst die
Instinkte sind damit
als artifizielle Organe der
Fetischisierung zugänglich und gestalten sich zu Trieben um. Und
auf diesem Weg führt die
vitale Individuation zu einer kollektiven Individuation, in der die
Triebe konstant aufbewahrt und zugleich verändert werden, insofern
sie selbst die
Objekte der
Begierde verändern und
damit der
Perversion zugänglich sind.
Perverse Triebe sind strukturell fluid
und heften sich an artifizielle Organe, sie sind fetischistisch und
an Objekten orientiert.

Diese
spezifische
Ökonomie
der Libido, wie
sie Stiegler darstellt,
hat das Kapital vollständig zerstört. Die
gegenwärtig
ins
Panische und exzessiv ins
Pornographische
freigelassenen
Triebe
werde
von einer
Industrie
der Spurensicherung und
-verfolgung mittels
der Automatismen und der Automation in den sozialen Netzwerken
kontrolliert
und
gleichzeitig verstärkt,
indem
die Triebe einerseits
funktionalisiert,
das heißt durch
mimetische Mechanismen in
niemals
zu befriedigende konsumistische
Triebe transformiert werden, was
andererseits
die derart
ungebundenen
Triebe noch destruktiver, unkontrollierbarer und ansteckender macht.
Die Kanalisíerung und
Verstärkung der
Triebe durch die Applikation mathematischer Algorithmen impliziert
automatisch
eine
automatisierte soziale Kontrolle, während
gleichzeitig
die Triebe auf ein höchst gefährliches Niveau getrieben
und
durch
die Kontrollmechanismen aber
auch
de-integriert
werden. An
dieser Stelle spricht Stiegler
von einer modernen kapitalistischen Ökonomie der Seele, die auf dem
Kommerz und industriellen Technologien aufbaue, wobei wir uns
inzwischen aber
schon
in
einer hyper-industriellen Epoche befänden, in
der ein
total (be)rechnendes
und quantifizierendes
Kapital herrsche.
In libidinöser Hinsicht handele
es sich hier
aber
um
eine Dis-Ökonomie, die sich überhaupt nicht mehr um das
Verhältnis von Libido und Objekte
kümmere.
Die absolut berechnende libidinale Dis-Ökonomie ist für
Stiegler der
komplette Nihilismus, oder,
um es anders zu sagen, der
strukturelle Effekt der Automation
der
Libido und des Wissens,
der
Formalisierungen innerhalb eines kybernetisch-technologischen Systems
besteht
in einem berechnenden und
zählenden Nihilismus.
Dieser
nihilistische
Triebkapitalismus,
so schreibt
Stiegler,
zerstöre
das
Sublimierungsvermögen der Dividuen, die nun
in
einen gefährlichen Entsublimierungsprozess hinein
getrieben
würden,
während
die automatisierten digitalen Industrien der Wunschökonomie zugleich
jedes
reale
Begehren
ausgetrieben hätten.
Davon
zeugen neben
den gestreamten
Hardcore-Bilderfluten der US-Pornoindustrie Gruppenvergewaltigungen,
serielle Morde
während der Sexspiele,
der
Kindesmissbrauch
in Kirchen, olympischen Sportverbänden und UNO-Camps,
Genderwhansinn.

Stiegler
schreibt: »Die
Libido ist das, was die Triebe bändigt – sobald sie zerstört ist,
entfesseln sich die Triebe.« (93) Ist
aber nun aber
beispielsweise
der
Bereicherungstrieb
wirklich das
Resultat einer Libido-Zerstörung, oder handelt
es sich doch
eher
um eine
Umbesetzung im
Sinne des
Abzugs
der Energie vom Äquivalenzprinzip oder
der Warenästhetik und
einer
neuen
Besetzung
des Gewinn- und Profitstrebens mit Energie?
Die von Stiegler beschriebenen
technischen Objekte wären
dann zum
Teil
hervorragend
als Übergangs- und Ersatzobjekte geeignet. Und wenn die digitalen
Puppen
und Teddies von heute, die mit
ihren Iphones
und Smartphones
auch noch die
Daten
liefern, eine
kostbare Ressource der
Kapitalisierung –
was will das
Überwachungskapital
dann
mehr?
Die Libido der User
richtet sich auf die begehrten Objekte, für die
Überwachungskapitalisten
wiederum
sind
die Daten der
User die
Objekte der Begierde, auf die ihre »Libido« sich konzentriert. Dass
hier nebenbei
auch der Todestrieb am Werk ist, der Verbrauch von Naturressourcen
und
die Zerstörung der Umwelt (via Produktion der technischen Geräte)
auf der einen und die Anbindung und Ausbeutung der Konsumenten
(zwecks Mehrwertproduktion) auf der anderen Seite – das wird in
Kauf genommen einerseits und ist beabsichtigt andrerseits.

Wir
alle werden mehr oder wenig dumm (gemacht), ja wir werden sogar zu
plagenden und geplagten Biestern. Die verdummenden Mechanismen der
industriellen Epoche, die der Integration der Arbeiter in das System
der Maschinerie geschuldet waren, warfen ihre Schatten schon voraus,
bis später Deleuze, als die dazugehörigen disziplinarischen
Maßnahmen und Normen ihre Wirkungskraft nach und nach verloren und
das Fernsehen in eine Maschine der totalen sensorischen Regulation
umgewandelt wurde, von den Kontrollgesellschaften sprach, die zu
neuen Formen der Subjektivierung und der Unterwerfung führten. Vor
allem Guattari hat mit der Einführung des Begriffs »Dividuum« in
den 1980er Jahren kurz vor dem langen Winter schon geahnt, dass die
ultraliberalen Kontrollmechanismen, die mit dem Computer verbunden
sind, die mechanische Liquidation des menschlichen Entscheidungs- und
Urteilsvermögens nach sich ziehen werden. Sowohl das Verhalten als
auch der Verstand werden bis heute nachhaltig automatisiert und immer
stärker der analytischen Macht den künstlichen Maschinen und den
Algorithmen überlassen. Smarte vernetzte Sensoren registrieren heute
längst auch in der realen Welt jede Art von Kognition und Verhalten,
um beides zu analysieren und um daraus zu schließen, wie beides zu
antizipieren und sicher und zielgenau zu verändern ist, sodass bei
den ins Visier genommenen Akteuren genau diejenigen Echtzeit-Aktionen
hervorgerufen werden, die es den Betreibern von
Überwachungsunternehmen erlauben, ihre Verhaltens- und
Verstandesmodifikationsprodukte weiter zu perfektionieren. Die
Automatisierung von Verhaltensdaten erzeugt innerhalb der Ökonomie
der Spurensicherung geradezu eine artifizielle, maschinelle Kunst der
Hyper-Kontrolle, die durch die Auslagerung des Denkens in die
digitalisierten Netzwerke entfaltet und dort auch monetarisiert wird.
Alles läuft auf die Exploitation der ternären Retentionen hinaus,
und fast alle Aspekte des Verhaltens der Dividuen generieren nun
digitale Spuren, die wiederum zu Objekten der Kalkulation und der
Kapitalisierung werden.

Das
transdividuelle (nicht transindividuelle) tracking der Daten muss
noch genauer beschrieben werden. Man muss sich hier auf die
jeweiligen Marktsegmentationen des Marketings beziehen, wobei die
viel beschworene Individualisierung der Kunden, die man mit
bedarfsgerechter Werbung anspricht, eher einer Dividualisierung
gleichkommt, einer infra-individuellen Teilung und einer
Dekomposition der Individuation und dies trotzdessen es einen
individuellen digitalen Fußabdruck gibt. Die Determination des
Wunsches durch die Automatisierung, welche die schlechten Triebe
freisetzt und triggert, wobei sie mit Netzwerk-Effekten verstärkt
werden, wird heute mit den Modellen des Neuro-Marketing, der
Neuro-Ökonomie und den mathematischen Modellen der Künstlichen
Neuronalen Netze vorangetrieben. Das Neuromarketing versucht beim
Konsumenten Aktionen zu generieren, die ganz ohne die Formierung
eines autonomen Wunsches auskommen. Und dies basiert unter anderem
auf der Eliminierung von konstruktiven Unterbrechungen, die erst zu
Entscheidungen führen, indem man einen sensomotorischen Loop in das
Verhalten einzubauen versucht, sodass es zu keinerlei Verzögerungen
zwischen Rezeption und Entscheidung und damit auch zu keiner sozialen
differance mehr kommt und somit von einem rein funktionellen
Kreislauf oder einem sekundengenauen Feedback-Loop gesprochen werden
kann, ja eben im Sinne Skinners von einem reinen
Reiz-Reaktion-Muster, das mit deskriptiven und präskriptiven
Methoden operiert – beispielsweise ist das Zeitinterval
(Verzögerung), das die Rezeption eines Produkts vom Effekt (Kauf)
trennt, nicht länger vorhanden. Die Ökonomie der Algorithmisierung
der persönlichen Daten reduziert immer weiter die Zeit, die für
menschliche Entscheidungsprozesse notwendig ist, und eliminiert damit
auch die »nutzlose« Zeit des Denkens und der Kontemplation. Gerade
die funktionale Integration der psychischen Individuation durch ein
automatisch assoziiertes Milieu, das in Lichtgeschwindigkeit
prozessiert, konstituiert für die Individuen eine faktische
Naturalisierung des technischen Milieus und zugleich eine
artifizielle Naturalisierung, womit die individuellen und kollektiven
Individuationen zu kollektiven und psychischen Dividuationen
mutieren, die wie eine 24/7 Insekten-Gesellschaft funktionieren.

Die
algorithmische Krankheit - für Stiegler ist sie ein Begleiteffekt
der Epoche der Hyper-Kontrolle - erzwingt eine fatale
Desorientierung: All die großartigen Versprechen der Aufklärung
sind heute toxisch geworden, ja sie wurden in Prozesse der
generalisierten Hyper-Kontrolle des Denkens überführt. Dies geht
über die von Deleuze konstatierte Kontrolle-durch-Modulation weit
hinaus, insofern heute selbst noch die noetischen Fakultäten der
Theorie mit den aktuellen Operatoren der Proletarisierung, die die
ternären Retentionen durchziehen, kurzgeschlossen werden. Wiederum
bleiben die ternären Retentionen, egal was ihre Materie und Form
sein mag, auf die primäre und sekundäre Retention angewiesen, auf
die Wahrnehmung, Imagination, die Erwartung und das Gedächtnis,
Faktoren, die in die Prozesse der je schon verschiedenen kollektiven
Transindividuation integriert sind.

Schließlich
erfordert die
Behandlung der Daten in Form der ternären digitalen Retention und
in Realtime und auf globaler Ebene -
ausgeführt von intelligenten Maschinen
mit der Rechenkapazität
von Billionen von Gigabytes - lernende
und vernetzte Systeme, die die Daten
absorbieren, modifizieren
und kapitalisieren. Wenn aber die
psychische und die kollektive Individuation mit den digitalisierten
Prozessen einer automatisierten Transindividuation kurzgeschlossen
werden, dann können sich auch
unberechenbare Individuationen
ergeben,
aber die automatisierten Triebe bleiben den automatisierten
retentionalen Systemen unterstellt, um
mittels der Mathematik formalisiert und
durch Algorithmen konkretisiert zu
werden, das
heißt, dass
die Datenspuren, die man durch die
Überwachung des individuellen
und kollektiven
Verhalten erzeugt, gesammelt,
modifiziert
und kapitalisiert werden müssen.
Dabei behält Stiegler allerdings seinen Begriff des »pharmakon«
immer bei, das heißt er sucht immer auch nach Spuren im Internet,
die eine neue Form der kollektiven Individuation anzeigen.

Versicherung
und Risikosubjekte

Die
Kontrolle der zeitgemäßen Risikosubjekte erfordert heute
gewinnorientierte Versicherungen, die ihre Kunden am laufenden Band
klassifizieren, differenzieren und bewerten, indem sie ihnen Zahlen
zuordnen, die sich auf Faktoren wie Konsumeigenschaften,
Interaktionen, Gesundheit, Bildung und Kreditfähigkeit beziehen, was
die somit zu Stichproben degradierten Kunden, wie wir schon gesehen
haben, auch zu geteilten Entitäten, ja zu Dividuen macht. Weil die
Versicherungen dem Imperativ, der darin besteht, Unsicherheit soweit
wie möglich nicht nur durch Risikokalkulation, sondern durch
Gewissheit zu ersetzen, folgen, scannen ihre mobilen Apps in Zukunft
beispielsweilse permanent das Verhalten von Autofahrern, sodass die
Versicherungsbeiträge von Sekunde zu Sekunde fallen oder steigen
können, und dies auf der Basis von Informationen, wie schnell man
gerade fährt oder ob man beim Fahren telefoniert, wobei
Maschinenprozesse die Verstöße gegen fixierte Parameter
herausfinden und diese dann auch ahnden. Konsequenterweise gliedert
man die Kunden in verhaltensorientierte Tarife ein, wobei die
Maschinenprozesse das Verhalten der Versicherten in Richtung
maximaler Profitabilität der Versicherer drängen, indem
abweichendes Verhalten mit Bußgeldern geahndet oder
Versicherungsbeiträge erhöht werden. (zuboff 249) So haben
beispielsweise Krankenversicherungen nicht nur die Gesundheit,
sondern längst auch die Fitness zu einem moralischen Imperativ
gemacht, sie haben die Risiken unter die Bevölkerung so verteilt,
dass die Kranken und Übergewichtigen oder einfach nur solche
Personen, die zu wenig auf ihre Gesundheit achten, mit Rückstufungen,
Sanktionen, Restriktionen oder gar Ausschluss aus der Versicherung zu
rechnen haben.

Die
Versicherungen, die heute über ein breites Repertoire an Modellen
und Methoden des Risikomanagements und auch die entsprechenden
Finanzinstrumente verfügen, fassen quantitative Elemente, die das
Verhalten der Versicherten definieren, in Tabellen zusammen und
setzen sie in höherskalige Kategorien um, wobei die Elemente ständig
zu ihrem Vorteil neu kombiniert, neue ausgeklügelte Anreiz- und
Allokationssysteme geschaffen und somit höhere Profite mittels der
Steigerung der Performanz, die die durch Risikoprofile dokumentierten
Subjekte selbst zu leisten haben, erzielt werden. (Lee, Martin
2016:539) Aufgrund von standardisierten Risikodefinitionen erheben
also die Versicherungen Daten, indem sie die Risikosubjekte nach ganz
gewöhnlichen Kriterien wie Einkommen, familiäre Herkunft, Beruf,
Wohnort, Geschlecht und Bildung sortieren und gliedern, um sie
schließlich auszupreisen. Es gibt Unternehmen, die einen
Risiko-Score für Personen auf der Basis der Verlaufsgeschichte ihrer
Beschäftigung, ihrer angemieteten Wohnungen, ihrere Beziehungen zu
Familienmitgliedern und Freunden etc. entwerfen, wobei man sozial
prekäre Personen aufgrund der Klassifizierungen und der Auswertung
maschineller Verfahren als hoch-risikoreich identifiziert und damit
die ökonomische und soziale Ungleichheit algorithmisch
re-inskribiert. So sind die Versicherungen fest entschlossen, die
Macht über die Versicherten permanent auszuweiten, was sie auch tun,
wenn sie mit deren Geldern an den Finanzmärkten als Big Player
auftauchen.

Die
Erstellung von bestimmten Risikoprofilen ist heute eine
Quantifizierungsarbeit sui generis, um sich zum einen ein Bild über
das jeweilige Dividuum zu machen und zum anderen es beständig dazu
aufzufordern, seine ökonomische Positionen zu verbessern und zu
effektivieren. Bezüglich der Körpereffektivierungsarbeit kommt es
in diesem Kontext zu einer immer stärkeren Verschmelzung von
medizinischen Diagnosen mit Wellness-, Fitness- und
Lifestyleangeboten, wobei eine ganze Reihe von Geräte den Körper
erweitern, indem sie Körperzustände messen, Informationen zur
Bewegung, zum Schlaf- und Stressverhalten, zum Alkohol- und
Nikotinkonsum aufzeichnen, um die Kontrolle zu perfektionieren und
Anleitungen zur weiteren Selbstoptimierung des Körpers geben.20
Diese Arbeit am eigenen Körper resultiert in einem persönlichen
Aktienkurs der Gesundheit und des Wohlbefindens in Echtzeit (ebd.:
116), der für die Akteure wiederum neue Anreize vermittelt, den
Versicherungen und Krankenkassen Informationen für die Ausarbeitung
von neuen Tarifmodellen bereitzustellen, was die Versicherungen in
personalisierte Kostenberechnungen umwandeln. Diese Art der
Selbstvermessung wird von den Versicherungen so strukturiert, dass
man technische Applikationen entwickelt, die ein bestimmtes Verhalten
messen, um es in Relation zu den bestehenden Tarifsystemen zu setzen.
Es entwickelt sich hier ein fein gesponnenes Netzwerk aus
Versicherungen, Kunden und App-Produzenten, innerhalb dessen
permanent die Differenzierung und Personalisierung von auf die
Gesundheit bezogenen Daten vorangetrieben wird, um weitere monetäre
Anreizsysteme zu schaffen und die Mitmachtätigkeit der Dividuen
anzustacheln, und dies alles unter dem Aspekt des spielerischen
Umgangs mit Daten.

Während
die verantwortungsbewussten Risikosubjekte in den einschlägigen
Wellnesscentern Tag für Tag hartnäckig mit ihrer individuellen
Fitness beschäftigt sind, um sich in infantil-singularisierten
Freiheitsritualen kreativ neu zu erfinden (und sich damit meistens
nur dem Sachverhalt anpassen, dass sie nicht im geringsten in der
Lage sind, etwas verändern zu können, oder es vielleicht auch gar
nicht wollen), werden sie von den Versicherungen doch als ziemlich
stereotype und einfache Protagonisten betrachtet, die ein ganz
gewöhnliches Leben leben, unter Umstände das des »lebendig
gewordenen Stelleninserats, eine gelungene Synthese aller
Charaktereigenschaften, die sich Personalchefs und Volksschullehrer
bei einem Menschen wünschen.« (Pohrt) Und um es noch einmal zu
wiederholen: Während die erfolgreichen und besonders risikoaffinen
Subjekte, insbesondere die der Eliten und aus der oberen
Mittelschicht, permanent die Befreiung von den Fesseln verkrusteter
alter Identitäten und ein neues Singularitätsregime beschwören,
ihre
durch und durch algorithmisierten Leidenschaften auf alle möglichen
analogen Events, auf Live-Konzerte und Musikfestivals in ihrer
angeblichen Außeralltäglichkeit richten, auf Sport- und
Kunstereignisse, auf all das, was die Event-Industrie Tag für Tag an
gewöhnlichen Verbrechen inszeniert, und zudem noch auf alles, was
die Kulturindustrie als singularisierte Imagination verkauft, werden
sie auch weiterhin äußerst effizient durch Versicherungen und
andere private Kontrollfirmen gescannt, klassifiziert und motiviert
und damit verdurchschnittlicht. Eine gelungene Identität zu besitzen
heißt dann, sich als Risikosubjekt zu generieren und als solches zu
gewinnen und darin grundsätzlich dasselbe zu bleiben:
handlungsfähig, opportunistisch und risikobereit, alles in allem
eine neue Form der Stupidität, weil der große Andere im Schatten
weiterhin unbemerkt waltet und das vom Kapital konstituierte
Risikosubjekt sich dem unbewusst zumindest verpflichtet fühlt. Die
aufstiegswillige Mittelschicht – ökonomisch nach oben, kulturell
nach unten orientiert – findet diesen Oberflächentext extrem chic,
und einige ihrer Repräsentanten, die vielleicht sogar auch höhere
Funktionen bei den Versicherungen selbst einnehmen, gelingt es im
High-Sein des Hedgens ihres Lebens sich gegenseitig zu übertrumpfen,
und dies im Zuge eines schnellmachersüchtigen Ausspuckens von
Funktionen, Formeln und Slogans, die den eigenen Lebensstil gnadenlos
und zugleich doch ziemlich trübselig ornamentieren. Gleichzeitig
untersteht die Existenz risikobereiter Subjekte einer von den
Versicherungen selbst operationalisierten Kontrollstruktur
(Statistiken, Tabellen und Taxonomien), die ihre Kunden strikt nach
Risikokategorien eingliedert, klassifiziert und sortiert – zum
Zweck der Erstellung eines ordnungsgemäßen und gewinnträchtigen
Risikoprofils. Selbstoptimierungsprozesse und Kontrollstrukturen
bedingen und verstärken sich also gegenseitig.

Es
ist einschlägig, dass Unternehmen, Staaten und private Personen
heute weniger durch die Analyse des konkreten Einzelfalls auf ihre
Kreditwürdigkeit geprüft werden, sondern anhand einheitlicher
quantitativer Indizes, das heißt die Kreditkontrolle durch Prüfung
des Einzelfalls wird durch die Erstellung von standardisierten
algorithmisierten Risikoprofilen ersetzt. So wurde zur Evaluation der
Verbraucher der Fico Score eingeführt, ein Algorithmus, der generell
als ein wichtiges statistisches Instrument zur Kontrolle des
neoliberalen Subjekts gelten kann. Zunächst bedeutet Scoring ganz
allgemein, dass man bestimmten Entitäten/Subjekten Eigenschaften wie
Performanz, Leistungsfähigkeit, Rentabilität oder Zahlungsfähigkeit
zugeschreibt,, worauf man sie nach der Skalierung dieser Kriterien in
Gruppen einteilt, sie also klassifiziert und mit Punkten bewertet,
die man wiederum gewichtet und zu einer Bonitätsnote zusammenfasst,
um dann mit dem Gesamtscore schließlich auch die Kreditvergaben
festzulegen. Versicherungen konstruieren mit dem Fico Score die
Kreditgeschichten der Kunden, Unternehmen prüfen mit ihm die
Stellenbewerbungen und suchen nach optimalen Standortbestimmungen,
Krankenversicherungen erheben Prognosen, ob die Patienten die
Medikamente ordnungsgemäß einnehmen, Spielcasinos eruieren die
gewinnträchtigsten Gäste. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
heute ein dichtes Netz von Rankings, Ratings und anderen
Evaluationsmechanismen die gesellschaftlichen Felder durchzieht und
sich auf fast alle Tätigkeiten und Bereiche bezieht. Dabei gehen
bestimmte Kreditscorings sogar so weit, über den Einsatz geheimer
Algorithmen nicht nur Informationen über den Gesundheitszustand, die
Mobilität, den Jobwechsel und die persönliche Risikobearbeitung
einzuholen und zu bewerten, sondern man zieht sogar Daten aus dem
Freundeskreis heran, was je nach deren ökonomischen Status Vorteile
oder Nachteile für den Kreditnachfrager bringen kann.

Statistisch-maschinelle
Verfahren
dienen dazu, die Wahrscheinlichkeit, dass
jemand
einen
Kredit bedient,
oder Kreditausfälle zu modellieren, in dem man den
Kunden Bonitätsnoten
vergibt, womit nicht nur generell
über
die Vergabe von Krediten, sondern auch über die genauen
Konditionen
der Kredite (Laufzeiten,
Zinssätze etc.) entschieden wird. Über die Geschichte
der Verschuldungen,
der
Marktaktivitäten
und generell die ökonomische Situation der Subjekte liegt heute ein
breit zugängliches Datenmaterial vor, das ständig erweitert
wird und in
die aktuellen
Risikokalkulationen
und Bewertungen
einfließt, wobei der Trend dahin geht, immer weitere
Bevölkerungsteile über die sog. credit risk coloniziation in die
Kreditierung
integrieren
und und
damit
zur Generierung
eines Surplus für das finanzielle Kapitals verfügbar
zu machen .(Mau
2017: 109)
Bei
der Kreditvergabe kommen auch
wieder die berüchtigten Apps
zum Einsatz, die aus den Anwendungen des Smartphones
eines Antragsstellers, aus
seinen
Postings in den
sozialen
Medien, aus
GPS-Koordinaten, aus
E-Mails und Profilen Daten herauslesen und modulieren, indem
daraufhin
Algorithmen Muster
konstruieren, die auf die Wahrscheinlichkeit schließen lassen, ob
der
Antragssteller
in
Zukunft Kredite auch bedienen
kann.
(zuboff 202)
Und als ob das nicht genug wäre, dienen diese Informationen wiederum
zur Verfeinerung des Fico-Algorithmus und eben auch anderer
Algorithmen, ein Nebeneffekt, um noch exaktere
und umfassendere
Persönlichkeitsprofile zu erstellen, die nicht nur den finanziellen
Stresspegel eines
Nutzers umfassen,
sondern vielleicht auch noch dessen
Fürze riechen.

Rating
und Ranking

Ein
weit aufgespanntes und zugleich dichtes Netz von Rankings, Ratings
und anderen Evaluationsmechanismen, die ständig zahlenmäßig
angeschrieben und daraufhin in Charts auch visualisiert werden,
überzieht heute alle gesellschaftlichen Felder und bezieht sich auf
fast alle Tätigkeiten, Stimmungen und Affekte der Subjekte, womit
wir es hinsichtlich der letzteren mit dem Design einer Aggregation
und Rekombination von normalisierten Verhaltensweisen und Attributen
zu tun bekommen, das heißt einer explizit derivativen und
transformierenden Logik, insofern die Subjekte durch die Mechanismen
des Rankings, des Screenings und des Scorings, der Quantifizierung
und der Monetarisierung ihrer Risikoprofile selbst zu dividuierten
Produkten transformieren, die wiederum von Manager, Analysten und
Wissenschaftler, die sich paradoxerweise selbst als ziemlich
einzigartige Individuen wahrnehmen, evaluiert werden. Es wird hier
ein neues Objektivitätsregime generiert, das nicht nur Unterschiede
und Vergleiche sichtbar macht, sondern neue Klassifikationen zur
Kontrolle des Systems und der Subjekte einsetzt. Während das Rating
dazu dient, bestimmte Objekte, Sachverhalte und Subjekte mittels
bestimmter Techniken nach bestimmten Mustern zu beurteilen und zu
bewerten, werden die Objekte beim Ranking in eine Rangfolge gebracht.
Die Monetarisierung und Ökonomisierung der Ratings und des Rankings
führt heute in allen möglichen Bereichen zur permanenten
Restrukturierung der Methoden der Effizienz, der
leistungsorientierten Mittelvergaben und der Budgetierungen unter
den Gesichtspunkten der quantifizierenden Rentabilitätssteigerung
mittels der in Zahlen übersetzten Input-Output Matrizen, wobei
Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Gefängnisse und selbst noch Kriege
davon betroffen sind.

Die
Subjekte sind zur weiteren Anfeuerung dieser Quantifizierungsprozesse
ständig selbst aktiv und präsentieren sich anhand von fabrizierten
Daten (man denke an Einkommen, Körper und Gewicht, Laufstrecken, die
man zurücklegt, und an die Gesundheit) in den Medien und
Institutionen und setzen ihre Daten äußerst gerne in den Vergleich
zu denen der Mitkonkurrenten und erzeugen somit in gewisser Weise
selbst noch die numerische Hegemonie mit, die stets die Aura des
Objektiven mittels der Heroisierung der Zahlen umgibt. Dabei sind
solche Vergleichbarkeiten und Numeriken aber längst nicht apriori
gegeben, sondern sie werden in quantifizierenden sozialen Prozessen
konstruiert, indem auf Konsens zielende Messverfahren eingerichtet
werden, die gewünschtes Verhalten, das nach metrischen und ordinalen
Differenzen in Rangordnungen integriert wird, andauernd nur
verstärken. Dabei wird zum die Gleichwertigkeit der Verhaltensweisen
der Subjekte vorausgesetzt, die einer spezifischen Gleich-Gültigkeit
ihnen gegenüber gleichkommt, zum anderen werden hierarchische und
die Konkurrenz verstärkende Rang-Ordnungen inszeniert, die das Mehr
oder Weniger oder das Besser oder Schlechter des Verhaltens der
Subjekte diktieren.

Status

So
ziemlich jeder Sachverhalt, jedes Objekt oder Subjekt kann heute qua
Ranking in eine Reihenfolge gebracht werden, man denke insbesondere
an die situative Festschreibung der Popularität jeder Art von
Promi-Stars, seien es Politiker, Fußballspieler, Models bis hin zu
den Pornostars, aber das Ranking betrifft natürlich auch die
Rentabilität von Unternehmen und Institutionen, die
Bildungsleistungen der Universitäten und die Gesundheitsangebote,
den Glanz der Städte, den Geschmack des Essens und der Getränke,
die Datingseiten und den Lifestyle der Mittelklassen in den
Metropolen, die Reputation in den Berufen und es betrifft selbst die
Staaten, die nach ihren Verschuldungsgraden hierarchisiert werden.
Dabei wird eine scheinbar objektive quantitative Bewertung
suggeriert, die sich allerdings um qualitative Unterschiede, Nuancen
und Abweichungen wenig schert, letztere eher noch sanktioniert,
ausschließt oder zumindest in die untereren Ränge des sozialen
Körpers verweist. Der Soziologe Mau spricht an dieser Stelle von
Objektivitätsgeneratoren, die nicht nur die sozialen Verhältnisse
und Subjekte quantifizieren, indem sie sie skalieren, sondern diese
Resultate auch noch visualisieren, das heißt in Charts, Diagramme
und Tabellen übersetzen, und dabei handelt es sich keineswegs um
rein deskriptive Prozesse, vielmehr um performative Praktiken mittels
des Einsatzes a-signifikanter Semiologien, die der Abbildung von
hierarchischen Strukturen und Systemen dienen, die stets politisch,
ökonomisch und sozial aufgeladen sind; sie weisen die Subjekte
innerhalb einer Rangskala auf bestimmte Plätze, indem sie die
Kriterien und Verfahren festlegen, mit denen die Plätze zugeordnet
und besetzt werden.

Wir
haben gesehen, dass das Rating ein fortlaufendes Procedere ist, mit
dem man Subjekte, Objekte und Sachverhalte hinsichtlich bestimmter
Merkmale, Leistungs-, Rentabilitäts- und Verhaltensdimensionen, die
in Symbole und Zahlen übersetzt werden können, beurteilt, evaluiert
und bewertet, während das Ranking insofern darüber hinaus geht, als
die beurteilten Objekte und Subjektte durch Differenzbildung in eine
numerische Reihenfolge gebracht werden. Beides sind objektivierende
Klassifizierungsverfahren, mit denen Fremdbeobachtung und
Selbstbeobachtung in ein System integriert wird, wobei der
performative Aspekt darin besteht, dass man die Akteure dazu
auffordert, sich permanent zu sich selbst und andern in Beziehung zu
setzen. (Mau 2017: 76) Für die kapitalistischen Profiteure des
Rankings is der freie Zugang zu großen Datenbeständen, die die
Akteure ja freiwillig liefern, die erste Voraussetzung, um ein
Dispositiv zu erzeugen, für das zum Ersten die Identifizierung von
Unterschieden und zum Zweiten der Wettbewerb um die exklusiven
Platzierungen kennzeichnend sind, wobei letztere per definitionem
instabil und relativ sind, sodass der Kampf gegen die eigene
Entwertung und für die Überbietung der anderen immer präsent
bleibt. Der Zweck dieses stillen Kampfes ist, wenn wir uns die
Subjekte anschauen, die Sichtbarmachung der eigenen Position, vor
allem, wenn man sich schon im vorderen Bereich des Feldes befindet,
und dies zeitigt eben ganz reale und eben nicht nur symbolische
Effekte. Die wichtigen Indikatoren, auf die sich diese
Vergleichsverfahren beziehen, sind heute definitiv die Rentabilität,
die Effizienz und die Produktivität.
Die
Quantifizierungsverfahren des Screening und Scoring funktionieren
ähnlich, sind aber stärker auf das Individuum oder besser das
Dividuum bezogen. Auch hier ordnet man den Dividuen bestimmte
Merkmale wie Leistungs- und Zahlungsfähigkeit, Angaben zum
Gesundheitszustand und zur Bildung oder zu anderen speziellen Risiken
zu, wobei die Ergebnisse von den Unternehmen, Märkten und anderen
Organisationen natürlich begierig aufgegriffen werden, um wiederum
Selektionen vorzunehmen, die, als ob es ein Naturzustand sei, den
einen Vorteile und den anderen Nachteile bringen. Mit der
Zuschreibung von bestimmten Eigenschaften werden die Subjekte durch
das Screening mittels der Anwendung einer bestimmten Anzahl von
Parametern von vornherein geteilt bzw. aus einem größeren Pool von
Akteuren selektiert und sind damit nur noch als Stichroben vorhanden,
wobei es aber immer zu Einschlüssen und Ausschlüssen kommen muss.
Auch beim Scoring werden statistische Daten und Verfahren
hinzugezogen, um die Akteure in eine feine Ordnung der Wertigkeit
(Ebd.: 104) zu bringen.

Für
die Abwicklung der Bewerbungen sind die Verfahren des Screening für
die Unternehmen heute essenziell, wobei meistens externe
Dienstleister die Ausführung übernehmen, indem sie getreu den
Methoden einer Rasterfahndung die Leute ein- und aussortieren. Dabei
können die überwachenden Unternehmen auf ein Unzahl von Daten und
Informationen zugreifen, die die User in den sozialen Medien
permanent produzieren, man denke an ihre Angaben zum Freundeskreis
und Wohnumfeld, zur Mobilität und zu dem eigenen Konsumverhalten und
vieles mehr. Auch mit diesen Verfahren werden in den verschiedenen
Teilbereichen der Ökonomie, der Kultur und der Politik den Subjekten
Plätze zugeordnet, womit sie per definitionen zu Geteilten
transformieren, und die algorithmischen Zuweisungen bestimmen ihren
Zugang zu Optionalitäten, Handlungspotenzialen und generell zu den
Möglichkeiten, das Leben als ein positives und zu kapitalisierenden
Produkt zu gestalten.

Literatur

Bahr,
Hans-Dieter (1970): Kritik der »Politischen
Technologie«.Frankfurt/M.

– (1973):
Die Klassenstruktur der Maschinerie. Anmerkung zur Wertform. In:
Technische Intelligenz im Spätkapitalismus. Vahrenkamp (Hrsg.).
Frankfurt/M. 39-72.

-(1983):
Über den Umgang mit Maschinen. Tübingen.

Mainzer,
Klaus (2014): Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big
Data. München

Martin,
Randy (2009):The Twin Tower of Financialization: Entanglements
of Political and Cultural Economies. In: The Global South
3(1).108-125.

– (2015):
Knowledge Ltd: Toward a Social Logic of the Derivative.Philadelphia.

Mau,
Steffen (2017): Das metrische Wir. Franfurt/Main 2017.

Sahr,
Aaron (2017):Das Versprechen des Geldes. Eine Praxistheorie des
Kredits. Hamburg.

Schlaudt,
Oliver (2011): Marx als Messtheoretiker. In: Bonefeld, Werner/
Heinrich, Michael (Hg.): Kapital & Kritik. Hamburg.

– (2014a):
Was ist empirische Wahrheit?: Pragmatische Wahrheitstheorie zwischen
Kritizismus und Naturalismus (Philosophische Abhandlungen).
Frankfurt/M.

Strauß,
Harald(2013): Signifikationen der Arbeit. Die Geltung des
Differenzianten »Wert«. Berlin.

Vief,
Bernhard (1991): Digitales Geld. In: Rötzer, Florian (Hg.):
Digitaler Schein. Frankfurt/M. S.117-147.

Das
pharmapornographische Regime

Dieser
Artikel beansprucht keine umfassende Darstellung (und Kritik) des
Buchs „Testo
Junkie“ von Paul B. Preciado
, sondern beschreibt lediglich die
basic facts des sog. pharmapornographischen Regimes. Auf NON hat
Alexander
Galloway
zu den Fragen des Widerstandspotenzials einer queeren Ontologie
und Differenzphilosophie, in deren Umfeld sich auch Preciado bewegt,
Stellung genommen. Gender bleibt für Galloway eine Idee, die auf
einem naiven Universalismus basiert und ein imaginäres Zentrum
besitzt. McKenzie
Wark hat wiederum in seiner
umfassenden
Besprechung
von “Testo Junkie” darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem
Text um etwas handele, das Lyotard „Libidinöse
Ökonomie“
genannt habe, eine Ökonomie, die heute aber
auf
der digitalen und molekularen Ebene funktioniere, um Sex, Geschlecht
und Subjektivität postindustriell zu produzieren. Dabei stehen
Pharma- und Pornoindustrie innerhalb der postfordistischen
Kapital-Ökonomie in Opposition zueinander wie sie auch
zusammenarbeiten. Geschlecht und Sex mutieren heute
laut
Preciado zu Komponenten umfassender
biopolitischer
Regulationen und zugleich
sind sie
Resultate
des Technokapitalismus, der globalen Medien und des Internets. Einige
Komponenten des »pharmapornokologischen Kapitalismus«, wie
ihn Preciado bezeichnet,
wollen wir hier zusammenfassen.

Die
Zeit des kalten Krieges zwischen
den beiden Supermächten markiert
laut Preciado
eine intensive Phase der endokrinologischen Experimente, die in
der Herstellung
der Antibabypille
als dem bis heute am meisten verwendeten Molekül in der menschlichen
Geschichte münden, und dies darf auch
als
ein wichtiger Ausgangspunkt der postindustriellen Regulierung von
Pornographie und Prostitution durch Staat und Ökonomie gelten. In
den 1960er Jahren wurde die Pille von weißen amerikanischen
Medizinern, deren eugenisches Interesse nicht zu unterschätzen war,
bestimmten proletarischen Frauen in Puerto Rico verabreicht, um die
Geburtenraten der »rassifizierten Anderen« zu kontrollieren. Die
Geburtenrate fiel dann tatsächlich auch in rekordverdächtiger Zeit.
Ein paar Jahre später schon
war
die Pille in den USA verfügbar und wurde als ein Instrument
prpagiert
und vermarktet,
dass es Frauen ermöglichen sollte, ihre eigenen Körper endlich
selbst zu
kontrollieren, ja sogar zu befreien. Preciado sieht hier aber eher
(mit Foucault) das biopolitische Versprechen einer neuen
Governance
von freien Körpern realisiert. In der Pille sieht sie ein neues
Paradigma der Subjektkonstitution der Frau, deren Körper durch die
Einnahme nun
biologisch rekonfiguriert und einem strikt zeitlich durchgeführten
hormonellen Management unterstellt wird, eine spezifische Form des
Körperdesigns, das wiederum sexuelle und kosmetische Aktivitäten
der Frauen programmiert. Darüber
hinaus fungiert die Pille
als ein Kontrollinstrument sowohl
zur
Regulierung der Bevölkerung als auch zur Normalisierung der
weiblichen Sexualität.

In
die Zeit des kalten Krieges fällt auch die Erfindung des Begriffs
»Cyborg«,
der im Kontext der
ersten Durchführung von
Weltraumprogrammen einen technisch ausgerüsteten Organismus
beschreibt, der in einem Milieu außerhalb der Erde als ein
gleichgewichtiges homöostatisches System überleben kann. In dieser
Zeit wurde die Entwicklung des Kunststoffs und des Plastiks
(Polymerisation von Kohlenstoffketten) vorangetrieben, was zu einer
dramatischen
ökologischen Transformation der Erde mit einem bis heute
ansteigenden Vergiftungsgrad insbesondere
auch der Meere führt.
Die aus all diesen technologischen
Prozessen
resultierende Subjektivität markiert
eine umfassend
bio-molekulare Kontrolle und technisch-statistische Protokollierung.
Preciado fasst zusammen: »Unsere globale Ökonomie ist von der
Produktion und Zirkulation riesiger Mengen synthetischer Stereoide
abhängig, von technisch transformierten Organen, Flüssigkeiten,
Zellen (techno-Blut, techno-Sperma, techno-Ovarien, etc.), von der
globalen Verbreitung pornographischer Bilder, der Entwicklung und
Verbreitung neuer legaler und illegaler synthetischer psychotroper
Substanzen (Lexomil, Special K., Viagra, Speed, Ecstasy, Poppers,
Heroin, Omeprazol…), von Zeichenströmen und digitalen
Informationskreisläufen, der totalen Ausweitung diffuser urbaner
planetarischer Architektur, in denen die Ghettos der Megacities an
Knotenpunkte hochkonzentrierten Sex-Kapitals grenzen.« (Preciado
2016: 35) Diesen global-medialen und postindustriellen
kapitalistischen
Komplex nennt Preciado das »pharmapornographische Regime«, das im
Zuge von molekularen und semiotechnischen Modulationen am
laufenden Band ein
differenziertes technoides Subjekt generiert.

Dieses
Regime ist ein Designer-Regime, insofern mittels des digitalen
Designs
spezifische Körpertechnologien und
technoide
Relationen
zwischen Körpern, Raum und Zeit hergestellt werden. So
ist es wahrlich kein Zufall, dass die Körper
und das Leben zunehmend durch Drogen, Hormone und Moleküle reguliert
werden:
die
betrifft den Sex
und die
Fortpflanzung,
die
Arbeit, Freizeit und den
Schlaf,
das äußere kosmetische Design und die psychischen Stimmungen.

Das
dazugehörige
semiotechnische
Regime ist pornographisch; es umfasst die Sexualität, installiert
ein hegemoniales Bildregime und okkupiert heute nahezu
die
gesamte Kulturindustrie. Während die Pharmaindustrie die Produktion
von
Medikamenten wie der
Pille, Prozac und Viagra betreibt, produziert die Pornoindustrie eine
ihnen
korrespondierende
visuelle
Liste
der Blowjobs, der Penetrationen und der Sex-Stellungen.
Daraus
ist zu schlussfolgern, dass die
Bio-Wissenschaften in einer Art performativen Bio-Feedback
synthetische Produkte mit psychischen Zuständen
(Depression
und Prozac; ADHS und Ritalin) und mit Geschlechtsdynamiken
(Testesteron, Viagra und Maskulinität; Fruchtbarkeit, Kosmetik und
Pille) verbinden.
Zwar produziert das Pharma-Porn-Kapital weiterhin
auch ständig
neue Objekte, aber sie dienen letztlich
nur
als bio-psychische
Stützen
für das Subjekt, oder,
um es anders zu sagen,
die
Produktion der Dinge und Ideen, der Organe und Zeichen, der Hormone
und der Seele befördern die Kreation des postindustriellen Subjekts.
Es
ist kaum verwunderlich, dass
Psyche und der Sex des
Subjekts heute technologisch
designte Produkte sind, wobei
keineswegs ein kohärentes Subjekt entsteht,
sondern eher,
um es metaphorisch auszudrücken, ein
durchlöchertes (weibliches)
System,
dem man Pillen und Schwänze in den Mund und
Dildos in die Vagina steckt,
Silikon in die Brüste einsetzt
oder Haut und Fett entnimmt,
um neue Organe und Prothesen herzustellen.

Zwar
können mit diesen Technologien alte Geschlechtsbinaritäten in Frage
gestellt werden, aber zugleich werden diese Binaritäten mit ihnen
auch wieder festgeschrieben. Das Pharma-Porn-Kapital produziert
geradezu einen neuen Techno-Naturalismus des Sexes und des
Geschlechts, indem man ständig Technologien entwickelt, die dieser
Idee näher rücken. Es bleibt zu betonen, dass sich Preciado nicht
prinzipiell gegen einen solchen Techno-Körper ausspricht, dem
vielleicht ja auch ungeahnte Potenziale innewohnen könnten, sondern
sie polemisiert insbesondere gegen die eigenartige Kapitalisierung
und gegen die spezifische biotechnische Kontrolle und Produktion
dieses Körpers. Das Signum der biopolitischen Produktiion ist das
der Zeichen, der Symbole und der Information sowie der Affekte, und
zwar nicht der persönlichen Affekte, sondern der systematischen
Effekte, welche sie produzieren.

Eine
wichtige Komponente der heutigen Informationsökonomie stellt für
Preciado die pornographische Industrie dar (ca. 1,5 Millionen
Webseiten im Internet, die für den Umsatz von ca. 14 Milliarden
Dollar pro Jahr mitverantwortlich sind). In
den
1980er Jahren
beschleunigten
Pornofilme die Verbreitung des
Videomarktes,
sie
lösten zehn Jahre später den
Boom der
TV-Sex-Kanäle der amerikanischen Hotelketten aus sowie
den Höhenflug
der Hotlines der globalen Telefongesellschaften, wobei
vor
allem das hardcore-Pornomaterial
stark
zur schnellen
Entwicklung
Internets
beitrug.
Kaum
verwunderlich, dass die kriminelle
Rotlicht-Subkultur bis
in die Banken, Büros und Etablissements
der
Eliten
vordrang.
Mehr als 70% des weltweiten Hardcore-Pornomaterials
entstehen hinter den Fassaden endlos-monotoner Villen
der Mittelklasse
im San Fernando Valley westlich von Los
Angeles, Drehorte, in denen im 24/7 Modus
zwischen Hollywoodschaukeln, großräumigen
Schlafzimmern
und Infinity-Pools Geschlechstverkekehr
in Nahaufnahme gefilmt
wird,
und
unerschöpflich ist der Nachschub
des attraktiven Fleisches der
meist farbigen
und osteuropäischen
Modelle sowie blutjunger und gebrochener Kids aus den weißen
Waisenhäusern, Drogenheilanstalten und Obdachlosenheimen. Ein
Mix aus Hormonspritzen, Crack und Opiaten treibt
die Sexmaschinerie unermüdlich an. Im
geheimen
Einvernehmen mit ihren
Konsumenten
erfinden die Producer und Regisseure ständig neue Brutalisierungen,
sportive Akte und Grenzwerte,
gegen deren Folterlust sich de Sade ausnimmt wie ein bukolischer
Nonnengeburtstage. (Wolf
Reiser auf Telepoli

Das
Internet und die pharmapornologische Industrie produzieren heute im
einvernehmlichen
Verbund
eine ausdifferenzierte
Kontrolle des weiblichen Körpers, während aber
auch die
ejakulatorische Funktion des männlichen Körpers zunehmend ins
Blickfeld der Techno-Ökonomie gerät. Alles
in allem zielt das ökonomische
Modell der Pornoindustrie für Preciado vor
allem auf die
masturbatorische Logik des Konsums ab,
das heißt auf
minimale Investition, Echtzeit-Verkauf und Echtzeit-Konsum des
Produkts, i.e.
möglichst
hohen
Profit. So
funktionieren
Porno- und Pharmaindustrie durch einen
Mechanismus,
der
die Modulation der Körper
im Kreislauf Erregung-Frustration-Erregung in
Permanenz betreibt,
und
zwar durch
die
»Spielereien« mit der Erektion,
Ejakulation, Lust, Masturbation, Kontrolle und Destruktion, deren
Produkte Techno–Sex
Körper sind,
wobei diese,
der
Sex selbst und die semiotechnischen Informationen wichtige Ressourcen
und Waren für das postfordistische Kapital darstellen. Es geht
immerhin
auch um das Mapping der Kapitalökonomie, das unter
diesen Gesichtspunkten auf
dem Management der Körper, des Sexes und der Identitäten beruht,
oder dem, was Preciado das “Somatico-Politische” nennt – das
Sex-Geschlecht des industriellen Komplexes, dessen wichtigste
Ressourcen
und Objekte
synthetische Steroide, Porno und Internet sind. Dieses
Prozesse
generieren
eine ubiquitäre pharma-porno-punk Hypermodernität.

Analog
zur Automobilindustrie im Fordismus müsse man heute, so Preciado,
von der Pharmapornographie als dem wichtigsten Element der
postfordistischen Ökonomie sprechen. Entscheidend für diese
Dominanz seien aber nicht die quantitativen Umsätze, sondern der
Fakt, dass die Pharma-Porn Modelle, die sich aus masturbatorischer
Logik und dem Kreislauf von Erregung und Frustration zusammensetzen,
grundlegend für alle anderen Arten der Produktion gälten. Die
Arbeitskraft der klassischen Ökonomie sei in eine (aktuelle und
virtuelle) orgasmische Kraft, die »potentia gaudendi«, umgewandelt
worden. Ganz in der Nachfolge Spinozas definiert Preciado diese
psychische und somatische Kraft jenseits der Frage der Geschlechts-
und Organzugehörigkeit als ein unendliches Vermögen, das die
gesamte Welt in Genuss übersetzen könne oder in die Kapazität,
erregt zu sein oder zu erregen, erregend zu sein und mit jemandem
erregt zu sein. Und das Kapital verdient daran und es verführt
zugleich, indem es die sexuellen Ressourcen dieser Kraft in Arbeit
verwandelt. Zugleich versucht das Kapital die potentia guadendi zu
privatisieren und sie gleichzeitig in Form der Produktion von
Molekülen (Pharma) und von pornographischen Zeichen und Sexdiensten
produktiv zu machen. Preciado behauptet jedoch weiter, dass diese
Kraft – Ereignis, Werden oder Praxis, fleischlich und doch digital
flüssig – letztendlich nicht angeeignet oder als Eigentum
festgeschrieben werden könne, sie schreibt der orgasmischen Kraft
ein Potenzial zu, molekulare Freude zu produzieren, die nicht
verbraucht werden könne, also unendlich sei, auch wenn mit der
herstellung des technisch supplementierten pharmapornographischen
Körpers alles daran gesetzt werde, die orgasmische Kraft auf das
nackte Techno-Leben zu reduzieren, sie im kontrollierten Körper
(bioport) also massiv wirke, dem umfassend diskursivierten und
technologisch hergestellten Körper. Donna Haraway hatte den
Techno-Körper schon früh als ein »flüssiges, verstreutes,
vernetztes technisch-organisches-textuell-mythisches System«
bezeichnet. Der sexuelle Körper ist das Produkt einer sexuellen
Teilung des Fleisches, wobei jedes Organ durch seine Funktionalität
innerhalb des Organismus gekennzeichnet ist. In der Folge von Haraway
schreibt Preciado (in leichter Absetzung von Foucault) von einer
Techno-Biomacht, die das gesamte Leben technologisch reguliere,
statistisch protokolliere und höchst produktiv verwalte, indem sie
Viren, Hormone, Stimmen, Bilder, Internet, Medikamente und Pille als
produktive Werte in die globale bio-elektronische
Erregungsmaschinerie integriere. Um es kurz zusammenzufassen, die
diesen jenseits von Leben und Tod existierenden Techno-Körper
antreibende Kraft ist die potentia gaudendi, die vom Kapital bio-
oder thanatopolitisch verwaltet, kontrolliert und produktiv gemacht
wird, das letztere im Rahmen eines profitablen Managements der
diversen Industrien bis hin zur Finanzindustrie.

Die
Pharma-Porno-Industrie sei zum paradigmatischen Modell der
Kapitalakkumulation geworden, einerseits mit ihrem Modell des
minimalen Einsatzes, den enormen Verkäufen und der unmittelbaren
Konsumbefriedigung, basierend auf der niemals endenden somatischen
Kette von Erregung–Frustration–Erregung, andererseits angetrieben
von neuen Materialien wie Sperma, Blut, Testosteron, Adrenalin,
Östrogene etc. sowie Zahlen, Semiotypen und Zeichen. Die darin
fungierende, pornofizierte Arbeit ziele einzig auf Erregung (und
frustrierende Befriedigung), während das globalisierte Kapital diese
Prozesse produktiv verwalte, wie es auch die Körper, Patente und
Copyright kontrolliere. Alle mutieren jetzt zu Arbeitern in einer
globalen Pornofabrik, die mit körperlichen Flüssigkeiten,
synthetischen Hormonen, Silikon, Stimulanzien und
Stimmungs-Regulatoren und digitalen Zeichen aufgefüllt ist. Und die
sexuelle Arbeit transformiert die potentia gaudendi in Waren.
Préciado spricht hier ausdrücklich von einer Pornifizierung und
nicht von einer Feminisierung der Arbeit.

Preciado
stellt sich an dieser Stelle eine ähnliche Frage wie Lyotard:
Inwiefern ist das Libidinöse ein Konstituens des heutigen Kapitals
und wie ist das Kapital am Libidinösen interessiert? Preciado
spricht von einer toxi-pharma-pornographischen Ökonomie, und diesen
Term benutzt sie als einen Panoramabegriff, der insofern eine
Scharnierfunktion erfüllt, als er auf die Analyse der Bedingungen
einer sozio-ökonomischen Gesamtheit verweist, und damit zumindest
einen symptomalen Status besitzt, wenn er die Bedingungen für die
Konstitution dieser Gesamtheit nicht selbst setzt. Bruno Latour hat
auf solche Panoramen hingewiesen, sog. 360-Grad-Darstellungen des
sozialen Raums. Und diese Panoramabegriffe bleiben fragwürdig, egal
ob man nun von Risikogesellschaft, Prekarisierungsgesellschaft oder
dem pharmapornokologischen Regime spricht. Der Wille zur Totalität
ersetzt an dieser Stelle die kritische Analyse der Ökonomie.

Wenn
Preciado weiterhin mit McLuhan annimmt, dass die globalen
Informationstechnologien nichts weiter als eine Ausdehnung des
monströsen Techno-Körpers seien, dann bleibt sie doch einem sehr
alten Technodiskurs verhaftet, nämlich dem der Technik als einer
Erweiterung der menschlichen Organe und Kognitionen. Noch weniger
nachvollziehbar ist dann die Aussage, dieser Körper sei heute als
eine Ausdehnung der Informationstechnologien zu verstehen. In dem von
Preciado übernommenen Technikdiskurs beschreibt man den Leib, damit
er als abbildendes Projektionszentrum für die Technik gelten kann,
als Triebzentrum. Infolgedessen wird es unmöglich, die technischen
Objekte weiterhin als rein gestaltähnliche Abbildungen oder
quantitative Erweiterungen des Leibes zu imaginieren, vielmehr muss
man in ihnen das Resultat generativer Projektionen sehen, eben des
Triebes oder des Techno-Körpers und letztendlich des menschlichen
Hirns, womit es dann allein auf Funktionsähnlichkeiten zwischen der
Maschine und dem Techno-Körper/Hirn ankommt. Wenn Produktivität nur
als die Transformation von Energien Bestand hat und nicht das
Resultat eines leiblichen Triebüberschusses ist (Einwirkung
leiblicher Organe und ihrer Funktionen auf die äußere Natur), so
muss mam eben die meta-physische Energie eines Techno-Körpers
und/oder Verstandes voraussetzen, die die Fähigkeit besitzt,
Verdopplungen, Axiomatiken und Kompliziertheiten der Maschinen neu zu
erzeugen. So erst kann die Philosophie voll in den Technikdiskurs
einsteigen!

Schließlich
ist die Pornographie
für Preciado die zum Spektakel, zur Virtualität und zur digitalen
Information mutierte Sexualität. Sie ist das neue Paradigma der
kapitalistischen
Kulturindustrie,
obgleich sie ihren Underground-Status nicht ganz
überwinden
kann; ihre Kennzeichen sind Performance, Virtuosität,
Theatralisierung, technische Reproduzierbarkeit, Digitalität und
audiovisuelle Verbreitung. Porno beinhaltet das profitable
und effektive Management
des Erregungs-Frustrations-Zirkels, und
die Kulturindustrie will exakt denselben physiologischen Effekt
monetarisieren,
sei es eben
die Pornoindustrie,
die Popmusikindustrie oder der Fußball. Pornographie ist
Sex-Performance, Fußball ist Sport-Performance, Pop ist
Kunst-Performance – zusammen bilden sie die hegemoniale Kette der
öffentlichen Darstellung regulierter und zugleich kapitalisierter
Kultur
bzw. der öffentlichen Exerzitien regulierter Wiederholungen, die dem
g Regelkreis von Erregung-Frustration-Erregung folgen. Porno mag hier
eher mit Freak Shows zu tun haben als mit dem Kinematographischen des
Fußballs und des Pop. (Korruption,
das ist der Stallgeruch von Fußball, Sexindustrie, Drogenhandel
etc., mit dem die Finanzindustrie etwas anfangen kann, wenn er sich
denn kapitalisieren lässt, aber der Staat als moralisierende Instanz
muss regulieren und Sicherheiten injizieren (indem er bspw.
Delinquenz erzeugt). Dabei spielt er sich auch gerne einmal als
Staatsfeminist auf, der gerade entdeckt hat, dass Werbung sexistisch
ist, worauf die Verbotsfeministinnen freudig einstimmen, dass dieser
Schmuddelkram von der öffentlichen Bildfläche endgültig zu
verschwinden habe. Es soll nur ja keiner auf die Idee kommen, die
Pornoindustrie sei
Teil einer Werbe– und Kinoindustrie bzw. der Kulturindustrie, zudem
von Migrantinnen durchsetzt, und auch deswegen soll die
Pornoindustrie im Zuge eines rassistischen Diskurses der
Mittelklassen und des Kapitals wieder stärker reguliert werden.)

Die
Pornoindustrie macht das als privat gedachte Szenario öffentlich,
indem er andauernd Bilder mit stimulierenden Eigenschaften erzeugt,
die sowohl beim Produzenten als auch beim Konsumenten biochemische
und muskuläre Mechanismen der Lust freisetzen. Das Porn-Dispositiv
privatisiert den öffentlichen Raum und lädt ihn mit
masturbatorischem tele-medialen Werten auf. Die audiovisuelle
Digitalisierung findet auf verschiedenen Plattformen statt
(Fernsehen, Smartphone, Computer), die im Kontext des
Erregungs-Frustrations-Kreislaufs eine Vervielfachung ermöglichen –
in Los Angeles saugt ein Mund und in vielen Orten rund um die Welt
kommt es zu Entladungen. Für Preciado zeigt sich der Zusammenhang
zwischen Pornoindustrie und Kulturindustrie wie folgt: Im Zuge von
Judith Butler begreift Preciado das Geschlecht und später mit Anni
Sprinkle den Sex als performativen Akt, der zur Internalisierung von
Normen, der Stilisierung und der Inszenierung der Körper im
öffentlichen Raum führt. Porno inhäriert ein spezifisches
Repräsentationssystem oder ein Darstellungsdispositiv, das in das
Bild oder den Videofilm hinein wandert, dessen Konstitutien wiederum
Theatralisierung, Inszenierung und Licht sind. Im Pornofilm wird die
Lust einzig zum Zweck der Erregung der Konsumenten visualisiert, es
handelt sich um ein sowohl optisches als auch ein
pragmatisch-chemisches Dispositiv, das die dargestellten und
darstellenden Lustmaschinenkörper mit Hilfe der technischen
Möglichkeiten des Schnitts ins Irreale bzw. A-Topische abgleiten
lässt, denn die Lust kennt im pornografischen Set ja anscheinend
keine Erschöpfung und auch kein Ende, vielmehr wird diese allein zum
Zwecke der Dauer-Erregung (und Frustration) der Zuschauer
visualisiert.

Ganz
im Gegensatz zur Orgie bei Sade, die einer Dramaturgie der
zerstörenden Überschreitung folgt (welche das zu Überschreitende
und damit das Verbotene voraussetzt), um die Erregung durch die
(sprachliche) Kombination von Sex, Philosophie und Verbrechen
einzufordern und sie bis hin zum Ziel der Orgie (meistens Mord
und/oder Inzest) auch zu steigern, obwohl über die Stellungen
(elementare Einheit in der Orgie) genauestens Buch zu führen ist -,
ganz im Gegensatz dazu kennt bspw. der Gangbang weder bei den
Beteiligten noch bei den Rezipienten die Idee/Praxis der
Überschreitung. Der Gangbang negiert selbst noch die fantastischen
Turnerpyramiden de Sades, mit denen dieser die Orgie berechenbar
macht, sie sozusagen normalisiert, und was von der Orgie im Pornofilm
übrig bleibt, ist die spröde Vernunft des Profits, die neutrale
Konstruktion des Addierens des Erregungszyklus und Kopulierens. Zudem
ist die Teilnahme an einem Gangbang für den Newcomer im
Pornobusiness ein Sprungbrett auf der Karriereleiter nach oben.
Gangbangpartys versammeln in der Regel ein Minimum an Frauen, die ein
Maximum an Männern befriedigen. Gangbangs addieren & optimieren,
erhöhen fast fahrplanmäßig die Sexualfrequenz. Dennoch,
Lustmaschinen sind immer auch Frustmaschinen.

Gonzo
(die bloße Darstellung des Geschlechtsakts und der Verkettung von
Partialobjekten im Pornofilm, ohne jeden Hauch einer den Akt
umrahmenden Handlung) scheint deswegen so erregend und schal zugleich
zu wirken, weil man schon so viele Filme gesehen hat. Die Lust will
aber Wiederholung. (Zunächst wiederholt die Wiederholung nicht die
Vergangenheit, so wie sie tatsächlich war, sondern deren
Virtualität, die man eben nicht nur der Zukunft, sondern auch der
Vergangenheit zugestehen muss.) Beim Pornofilm ist die Struktur der
Wiederholung allerdings eher der Ähnlichkeit bzw. der bloßen Kopie
zugeneigt, wobei der Film eine spontane Aktivität, so scheint es
jedenfalls, jenseits des Triebaufschubs und der Sublimierung (die
genau genommen auch wiederholbar, also verschiebbar ist) bis in das
letzte Detail ausleuchtet und kodifiziert, um beim Zuschauer eine
Erregung zu erzeugen. Körperdesign, Sprache & Geräusche,
Stellungen & Szenen, Kameraeinstellungen & Licht unterliegen
im Pornofilm einer strengen Kanonisierung. Darüber hinaus
inszenieren die Filme und Clips (mit Hilfe der Schnitttechniken) das
ewige Phantasma, dass es Sex so einfach gibt, überall, egal ob bei
der Autopanne, beim Fernsehen oder am Strand. In ihrer Rolle als
verkörperte Erregungsmaschinen können die Akteure immer und sie
können alles. Diese Fiktion faket die Sexualität, vor allem im
Film, der die Imagination des Zuschauers nicht, wie beispielsweise
den Leser pornophiler Texte, in der Schwebe hält, sondern durch die
Abbildung und Darstellung unmittelbar zuschlägt. Während Sade alles
sagen will, will der Sexfilm alles zeigen. So substituiert der
Pornofilm in Permanenz das Authentizitätswollen der
Einbildungskräfte und der Subjekte, deren Begehren inmitten der
Bilder/Filme, die vermeintlich nur ein Reales konnotieren,
stabilisiert und zugleich destabilisiert wird. Die
chemisch-elektronischen Bilder des Pornofilms evozieren eine sexuelle
Stimulation, die durch Triebabfuhr einen Kreislauf in Gang setzt, der
des Partners und des Realen nicht mehr bedarf. Der Imperativ eines
Genießens, das in der normalisierten Variante der Werbeindustrie den
Sex ohne Körper serviert, zieht die Produktion von Bildmaschinerien
nach sich, die ein programmatisches Interesses an dem Konsum von
Sexualität befriedigen.

Porno
wird für Preciado durch eine Art »spermatischen Platonismus«
reguliert, in dem vor allem Cumshot real ist. Porno produziert die
Illusion der potentia gaudendi, wenn die Erregung und ihr Abbau eine
mehr oder wenige unwillkürliche Antwort auf die Ejakulation, einem
Akt der Desubjektivierung, ist, auf den man mit der eigenen
Desubjektivierung antwortet. Pornographie erzählt die performative
Wahrheit über die Sexualität, das heißt sie produziert
Wiederholungen im öffentlichen Raum und bleibt immer in den
Regelkreislauf Erregung-Frustration-Erregung integriert. Man kann nun
zwar behaupten, das der Sex und die Körper im Porno unrealistisch
seien, aber gerade das Fiktive beinhaltet die platonische normative
Form, um die sich der industrielle Komplex von Geschlecht und Sex
zirkuliert. Die Kulturindustrie versucht die Pornoindustrie zu
moralisieren, ihren Praktiken, Organen und Zeichen einen
nicht-kinematographischen Charakter zuzusprechen, das heißt sie zu
denunzieren, um sie im selben Augenblick hinsichtlich der
Sexualisierung der Produktion, der Informatisierung der Körper und
der Aufrechterhaltung des Erregungs-Frustrations-Kapitals Kreislaufs
anzuzapfen. Schließlich ist Porno ein Medien- wie ein Kunst- wie ein
Pop-Produkt.

Die
Wahrheit über den Kristallpalast, oder, im Resonanzraum von
Einkaufszentrum und Discounter

Das
Einkaufszentrum

Warum
heute noch Baudrillard lesen?
Sicherlich sind heute viele der poststrukturalistischen Texte,
die oft genug als Science-Fiction-Texte
wahrgenommen
wurden, paradoxerweise »dated«,
und manche der
Texte von
Baudrillard,
sieht man einmal davon ab, dass es generelle Zweifeln
an
seiner Simulationstheorie gibt,
sind
da wirklich keine
Ausnahme.21
Aber doch
sind es gerade
die inzwischen
längst zur Normalität
geronnenen
Alltagsphänomene, die
Baudrillard frühzeitig
entdeckt und heraus kristallisiert hat, als ob er ein Bild im Sinne
einer erforschenden Photographie angehalten hat, Phänomene, die
einen
heute oft
weitgehend
unberührt
lassen,
vielleicht
dann auch
gegenüber Baudrillard selbst, da
man schließlich selbst zu
normalisiert
und
abgestumpft schon ist.
So
scheint es,
dass hinsichtlich der drei von Deleuze beschriebenen Zeitsynthesen
(Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft) beim zeitgenössischen
Konsumenten
ganz die Gewohnheit, die
der
Gegenwart angehört,
regiert.

Baudrillard
analysierte schon im Jahr 1970 die ersten Shoppingmalls und
definierte sie umgehend als eine Synthese der Fülle und der
Kalkulation zugleich. Sie waren damals schon als Orte vorgezeichnet,
an denen man sich verlaufen, aber nichts weiter erleben konnte als
den Anblick der Schaufenster der ubiquitären Firmen-Ketten, die eine
Ausgeburt ultramoderner Kleinkariertheit darstellten, im Modus des
Flüssigfernsehers zu genießen. Jeder Versuch, diesen Shopping Malls
Benjamins Aura der Pariser Passagen des 19. Jahrhunderts
zuzuschreiben, musste von Anfang an misslingen. Die Langeweile beißt
einem ja geradezu in s Gesicht, wwenn man heute durch die
Einkaufsstraßen selbst der großen Metropolen geht. Viel später
führte Baudrillard dann aus, dass das postmoderne Subjekt das Leben
einer schleichenden Katze führe, die sich sich in einer
indifferenten und zugleich hochdesignten Häuslichkeit wohlfühle,
welche allerdings ganz und gar öffentlich geworden sei und damit, um
es in Worten von Günther Anders auszudrücken, zu einer Verbiederung
des Öffentlichen führe.

Es
ist so einigermaßen bekannt, dass Baudrillard das Einkaufszentrum
nicht lediglich als eine optimierte Anordnung von materiellen
Warensorten versteht, sondern als die verräumlichte Ausstellung von
Zeichen, die stets geteilt sind und miteinander in Beziehung stehen
und dabei immer Teile einer Totalität von Wohlstands-Zeichen
bleiben. Und so mutierte das sterile weiße Kulturzentrum, das die
globale Mittelschicht heute ganz unverdorben und unverschämt mit
ihren Leitwerten der Singularität, Weltoffenheit, Toleranz und
Cleverness propagiert, schon früh zum integralen Bestandteil des
Einkaufszentrums, sodass die Ware schnell auch kulturalisiert und in
spielerische Eleganz und distinktive Substanz verwandelt werden
konnte.

Um
es einmal auf einige Zahlen
herunter zu rechnen: Im Durchschnitt
verbringt der Konsument zwei Jahre seiner Lebenszeit im
Supermarkt vor den Regalen mit Käse, Fleisch und anderen
Lebensmitteln oder den Vitrinen mit Tiefkühlkost und schließlich
zum krönenden Abschluss in den Warteschlangen an den Kassen.
Statistisch legt er dabei 3800 Kilometer zurück und braucht doch
angeblich ungefähr nur drei Sekunden, um ein Produkt auszuwählen
und es aus dem Regal zu ziehen und in seinen Einkaufswagen zu legen,
eine Reaktionszeit, die in ungefähr an das Verhalten einer
konditionierten Ratte in der Skinner Box erinnert. Wie in einer Art
subtil gesteuerter Kamerafahrt fließen und zirkulieren die
Konsumenten kollektiv und zugleich vereinzelt, das heißt meisten
ohne jeden Augenkontakt zueinander, wie von selbst und eingeschlossen
in das hermaphroditische Milieu der Waren durch die klimatisierten
und seicht bespielten Einkaufszentren, in denen sie verdaut und mit
Tüten voller Waren auf die Straßen ausgespuckt werden. (Baudrillard
2015: 47) Zur Steigerung der Zirkulationsgeschwindigkeit und der
Einkaufseffektivität der durch die Supermärkte fließenden
Konsumenten ist doch eine Art unsichtbarer Steuerung vonnöten, die
in gut regulierter Raumtemperatur vonstatten geht und ohne Einspruch
auch konsumiert wird. Shoppingmalls sind scheinbar leichte Zonen des
Durchquerens, die in ihrer nüchternen und ernüchternden affektlosen
Fluidität die Durchquerenden und Durchquerten doch einer kinoesken
Flüchtigkeit aussetzen und dabei eine Kinetik der
Transitlandschaften in Gang setzen. Ein privater Nicht-Ort, der
gleichzeitig fern und nah und permanent in Bewegung ist, der in
Boutiquen, Elektronikshops, Mulitmedia-Restaurants und Designerbars
kadriert und von weißen Elementen aus Licht und unsichtbaren Wellen
von Muzak leise durchflutet ist. Wo der Wunsch als Maschine mit sich
selbst und mit der Maschine spazieren geht, da sucht er im
Einkaufszentrum für die Waren die passenden Konsumenten und für die
Konsumenten die passenden Waren. Mit Verve und doch ohne Leidenschaft
gleiten die Körper der Shopping-Movers reibungslos durch Korridore
und Boutiquen, währenddessen die Blicke nahtlos durch sämtliche
Komfort-Installationen der Shoppingcenter geleitet und gleichzeitig
durch Kameras kontrolliert und gescannt werden. Die Kameras dienen
der tayloristischen, der algorithmischen Analyse, die mittels der
Verpixelung, Zerlegung und Teilung des Einkaufsverhaltens die
Präzisierung, Antizipation und Steuerung der Effektivierung des
Konsums leisten soll und schließlich mit einer weitgehenden
Dequalifizierung des Konsumenten einhergeht, die allerdings mit einer
Steigerung seiner Kaufproduktivität positiv korreliert.

Es
ist längst kein Hirngespinst mehr, dass in Zukunft die
Einkaufsregale in den Supermärkten eine smarte Haut überziehen
wird, die mit RFID Technologie ausgestattet ist und erkennr
analysiert und kommuniziert, um bestimmte Einkaufs-Parameter zu
operationalisieren, die das Kaufverhalten der Kunden für das
Unternehmen optimieren. Der Konsument betrachtet - ohne weiter zu
reflektieren - die bunten Verpackungen, fühlt sich frei und
entspannt, ohne zu ahnen, dass jeder der eigenen Blicke in Echtzeit
in digitalisierte Klicks transformiert und in ein algorithmisches
Beobachtungsnetz (Foucault) integriert wird. Gleichzeitig reizen
verschiedene Effekte die individuellen Sehakte und animieren den
Verstand zum Kaufen, weil unter anderem Augenbewegungsscanner
detaillierte Informationen über das Kaufverhalten sammeln, ausgehend
vom Momentum, wie lange man ein gekauftes oder nicht-gekauftes
Produkt betrachtet und es kauft oder nicht kauft, woraus künstliche
Maschinen ihre Schlüsse ziehen, um dem Unternehmen
Kaufmodifikationen vorzuschlagen, denen die Konsumenten
quasi-automatisiert Folge leisten. Heute ist der Supermarkt einer der
mit Kameras am effektivsten überwachten Orte und das geht hin bis
zur Ausspähung und Bearbeitung von Emotionen, die aus den
Gesichtsausdrücken des Kunden beim Anschauen eines Produkts gelesen
werden, womit die digitalen Geräte zudem noch zu Emotionsverstärkern
und Stimmungsaufhellern transformieren, wenn sie denn beim Einkauf
entsprechende Vorgaben machen, vielleicht einen Joghurt, dessen
spezielle Bakterienkultur angeblich die Widerstandskräfte stärkt,
empfehlen, wobei natürlich nichts von seinem Produktionsprozess und
von möglichen den Schäden an Menschen und Umwelt erzählt wird, wie
andere Produkte nichts von der Sklavenarbeit auf den
Orangen-Plantagen in Brasilien, von den Milchbauern, die unter ihrem
Herstellungspreis verkaufen müssen, von der Zerstörung des
Regenwalds durch die Palmölplantagen in Malaysia erzählen.

Der
Supermarkt soll heute so weit wie möglich an eine Art
Roundabout-Center, der von elektronischen Reizen, maschinellen
Analysanden und billiger Pop-Musik durchflutet ist, herangefahren
werden, jedoch nicht mehr als ein Flüssigfernseher, wie dies Arthur
Kroker am Ausgang des 20.Jahrhunderts noch annahm, sondern als ein
Flüssigcomputer, der ohne jede Unterbrechung das Kaufverhalten der
Kunden analysiert und daraufhin Anreize und Optionen als buntes
Warensortiment auswirft und anbietet, um das Begehren, die Kauflust
und das Genießen, das in den vielen einzelnen humanen
Mikroschaltkreisen zirkuliert, zu vernetzen, anzustacheln und zu
optimieren. Permanent-Vacation und Travelling-Panoramieren, die
beides unter der Kontrolle unsichtbarer Verbreitungsalgorithmen
stehen, inkludieren eine ständige antizipierende Formatierung der
Verflüssigungsprozesse des Kaufens. So setzt
Walmart eine App für das »predictive shopping« ein, mit der die
Analysten des Unternehmens aufgrund der
Kenntnis der Verlaufsform
und des Umfangs früherer
Einkäufe eines Kunden ganz
für ihn speziell neue
Einkaufslisten mit
sogenannten Wunschwaren
erstellen
und auf dessen Smartphone senden,
sodass der
Wunsch längst automatisiert
ist, die
individuellen Präferenzen qua Musterbildungen maschinisiert
sind, nur
um künftige Kaufentscheidungen zu
»erleichtern«, womit
letztendlich maschinell organisierte Entscheidungen zur Addition
weiterer maschinell organisierter Verkaufsentscheidungen führen,
beruhend auf
Datenprofilen, die eben aus
der maschinellen Verarbeitung der Einkäufe und der
Suchmaschineneingaben der Kunden resultieren. Als
wäre das nicht genug, liefert man einen
persönlichen
digitalen
Lebensmittel-Butler Frei Haus mit, der für den Konsumenten
auf den Online-Markt geht und dort die algorithmisch empfohlenen
Wunschwaren zusammensucht.

Um
es noch einmal zusammenzufassen: An den Regalen, an den Einkaufswagen
und vor den Theken der neoliberalen Cloud-Supermärkte sind Kameras
und Sensoren angebracht, die wiederum drahtlos mit dem zentralen
Computer des Supermarktes verbunden sind, der ständig mit
genetischen Algorithmen gefüttert ist, die nicht nur auf das
Kaufverhalten der Kunden reagieren und mit ihnen über Smartphones
und Tablets kommunizieren, sondern die auch Kaufmodifikationen in
Gang setzen, indem sie Kaufentscheidungen antizipieren und
Kaufvorschläge unterbreiten, was vor allem jenem wunschlosen
Unglücklichsein der Mittelklasse-Konsumenten entgegen kommt, das
blitzschnell in das Verlangen umschlägt, alle Filterbubble-Waren
haben und sie gleich wieder entsorgen zu wollen. Die durch die
Beobachtung des Kaufverhaltens entstehenden Datenströme werden
permanent mit dem internen Warenwirtschaftssystem des Supermarkts
abgeglichen. Und der Kunde kann nun dankenswerterweise auf seinem
Smartphone prüfen, gegen welche Lebensmittel er allergisch ist,
indem er das Gerät wie eine Kamera vor das gefüllte Regal hält und
daraufhin im Display sofort das Bild des ausgewählten Lebensmittels
erkennt, das entweder mit einem roten X oder einem grünen Haken
versehen ist. Es ist kaum noch erwähnenswert, dass der
Einkaufszettel schon zuhause in einer Cloud gespeichert wurde, wobei
er beim Betreten des Supermarktes jederzeit über das Smartphone
abgerufen und mit denjenigen Produkten abgeglichen werden kann, die
im Warenwirtschaftssystem des Supermarktes gerade vorhanden sind.
Wenn es ein Produkt auf der Einkaufsliste nicht gibt, bekommt der
Kunde natürlich sofort Alternativvorschläge angeboten. Im Idealfall
führt ihn dann sein Navigationssystem umgehend vor das richtige
Regal. Und um es nicht zu vergessen, der Supermarkt ist natürlich
ein gieriger Daten-Grabber, insofern es eine Reihe von Schnittstellen
gibt, die aktuelle persönliche Informationen mit solchen Infos
verbinden, die einer Handelskette schon längst vorliegen, sodass
weiterhin möglichst genaue Produkt-Angebote gemacht werden können.

Im
zukünftigen Supermarkt teilt der Kunde die Infosphäre also mit
einer Reihe von artifiziellen Agenten, die smart, autonom und zudem
angeblich noch sozial agieren, und dies bis zu einem Punkt, an dem
der Kunde einem Fisch im Wasser gleicht, der aber das Wasser nicht
kennt, oder er gleicht einem Bemitleidenswerten, der im digitalen
Ozean untergeht ohne Blasen zu hinterlassen. In diesem digitalen
Bestarium ist der Konsument wirklich voll und ganz mit digitalen
Maschinen connected, sein Verhalten und sein Denken werden bis in das
kleinste Detail aufgespürt, getrackt und verfolgt, um als daten in
die algorithmischen Maschinen eingespeist analysiert, prozessiert und
moduliert zu werden. Selbst im Supermarkt herrscht nun eine
ausgeklügelte algorithmische Governance, die auf den ubiquitären
digitalen und ins Räumliche übersetzten Technologien basiert, mit
denen die Angebote der Smart-Supermärkte designt werden, sehr naiv
‘autonomic computing’ und ‘ambient computing’ genannt,
Technologien, deren Unsichtbarkeit sie gerade umso aktiver und
effizienter macht. Eindeutig sind die profundesten Technologien
diejenigen, welche unsichtbar sind, weil sie sich damit so
selbstverständlich in die Netzwerke des alltäglichen Lebens
einweben können, dass sie von ihm letztendlich ununterscheidbar
werden.

Inzwischen
drängen auch
Internet-Monopolisten
wie Amazon in den Lebensmitteleinzelhandel vor.
Und bald
können wir unseren Grundbedarf online per Abonnement erledigen.
Besuche im Supermarkt würden dann sehr viel seltener werden. Das
Unternehmen Amazon
verdient Geld damit, dass es
über das, was die
Konsumenten
kaufen, Kundendaten erhebt
und damit quasi deren
Kaufgewohnheiten
auswendig
kennt.
Das
wird wahrscheinlich dazu führen, dass die
Konsumenten
auf
der Webpage von Amazon zukünftig gar
nicht mehr in ein komplett ausdifferenziertes Warensortiment blicken,
sondern in einer sehr engmaschigen Filterbubble ganz
bestimmte
Waren
präsentiert bekommen,
von denen relativ wahrscheinlich ist, dass sie
sie auch
kaufen,
weil sie eben
ganz
genau ihren
Käufer- und Interessenprofilen
entsprechen. Unter
dem Label Personalisierung wendet Amazon algorithmische Verfahren an,
die uns Buchempfehlungen auf Grundlage früherer Bestellungen geben,
wobei es am effizientesten ist, wen du ein Buch bekommst, dass du
wirklich haben willst.
In
diesem Fall kennen die Algorithmen die Wünsche des Kunden, bevor es
sich selbst über diese klar wird oder sie reflexiv behandelt, sodass
wir hier von einer präemptiven Persönlichkeit reden können.

Die
neoliberale Vision des hochklassigen
Cloud-Supermarkets
besitzt eine voll integrierte digitale
Infrastruktur,
sie
ist ein
Traumland vor
allem für
die Upper-Classes, während es für die Arbeiter und Angestellten,
die Migranten und Prekären ganz anders aussieht, die von den
High-Class Supermärkten von vornherein ausgeschlossen sind. Zwar
begegnet man heute in den klassischen
Supermärkten
noch unterschiedlichen sozialen Schichten und kann sie anhand der
Produkte ihrer Einkaufswagen auch
leicht
analysieren. Und dennoch entwickeln sich die Supermärkte zusehends
zu an die jeweiligen
Klassen und Schichten
angepassten Ghettos. Zwischen dem billigen Discounter mit einem
Warensortiment von etwa 1000 Produkten und dem High-Class-Supermarkt
mit
bis
zu 50.000 Produkten klafft eine signifikante
Lücke,
was
wiederum
auch auf
das langsame
Verschwinden
der sicheren
Positionen der Mittelklasse
verweist., die
sich immer stärker mit dem Discounter begnügen muss.
Die
Mittelklasse will zwar weiter an die Luxuswaren heran, kann sie sich
oft genug aber nur noch am Flachbildschirm als Konsum eines Bildes
leisten, während sie öfters als gewollt ganz real mit den No-Name
Produkten im Discounter Vorlieb nehmen muss, welche die Markenwaren
nicht einmal mehr unbedingt kopieren, verpackt am sie doch oft genug
in einem schlichten Design, während man aber auch weiterhin
versucht, mit schrillem Design die Markenwaren zu konterkarieren,
indem man bis an den Rand der Verletzung des Copyrights geht, wenn
man etwa auf Verpackungen ein Markendesign zitiert und redundant
macht. (Seeßlen190) Gleichzeitig organisieren die Discounter
inzwischen eigene Produktlinien oder Bio-Waren für den etwas
gehobeneren Geldbeutel und treten damit in Konkurrenz zu den
klassischen Supermärkten der Mittelklasse.

Auffallend
ist, dass Menschen, die viel Geld ausgeben können, mit ihrem Konsum
eine Art von psychisches Doping für sich selbst betreiben und sich
damit auch die Grundlage für weitere Anerkennung und weiteren Erfolg
schaffen, während diejenigen, die wenig Geld haben, von diesen
durchaus wirksamen und fast schon heilsamen Placebo-Effekten
ausgeschlossen sind und damit auch im konsumistischen Wettbewerb
immer weiter zurückfallen. Allerdings kommt es selbst im Konsum
immer wieder zu Überlappungen zwischen den Klassen und zu diffusen
Mischformen, die es dann verbieten vom expliziten Klassenkonsum zu
sprechen, nicht nur weil Luxus und Askese etwa beim spiritualisierten
Körperwahn seltsame Ehen eingehen, sondern weil die Luxusware sich
oft vom Gimmick oder der Ein-Euro-Ware kaum noch unterscheidet, weil
Erhabenes und Obszönes, Vulgäres und Geschmackvolles in einem neuen
Produkt, das eigentlich den Namen Wahnaggregat tragen sollte, sich
ununterscheidbar vermischen. So unterscheidet sich der
Diamantring, der an der Hand einer superreichen Frau glänzt, dann
lediglich noch durch den Preis vom Ring aus dem Kaugummiautomaten.
Und erst wenn der
Porsche mit einem
Ein-Euro
Maskottchen verziert ist,
gewinnt
er eine
neue Wahnsinns-Existenz, zelebriert er
das Delirium des durchgeknallten
Zeichens, das die Elite
vorführt,
um das Ende
des Ästhetischen zu proklamieren, ohne
es selbst zu wissen. Metz/Seeßlen
schreiben: »Die Pointe ist, dass Luxus
im Ein-Euro-Laden genauso zu haben ist wie in den Glamour- und
Geldagglomeraten, durch die sich die Geissens bewegen.«
Die Originalität der Star-Existenz,
seine Singularität,
seine Faszinationskraft und
Verführbarkeit, wie dies die Medien Tag
für Tag vorführen,
ist nicht
so anders grundsätzlich anders gegenüber
dem
Durchschnittsbürger, vielmehr
erhält der
Promi letztendlich
selbst noch durch
die mediale Ausleuchtung der eigenen
Toilette wie durch ein Wunder den Stempel der Originalität
aufgedrückt, sodass sich sozusagen
seine Originalitätszeichen addieren und anhäufen, was wiederum dazu
führt, dass die
Stars die Bewirtschaftung der Bedeutungslosigkeit immer
intensiver betreiben, bis ihre Eitelkeit jenen Scheitelpunkt
erreicht, an dem die eigene Marke in die bestehende Angebotsstruktur
diffundiert
ist. Selbst noch das Klopapier in der
weiß designten und irgendwie
atmosphärisch aufgeladenen Toilette
erhält eine sakrale Würde, einen Wert, dessen Affekthaftigkeit
darin besteht, dass der Promi sich am liebsten noch vor laufender
Kamera den Arsch abwischen würde.

Selbst
die Designerprodukte
der
Kunstindustrie
sehen heute nicht viel
besser aus
wie die halb
gelungenen
Re-Arrangements
von Nippes in den
Ein-Euroläden wie Kik. (seeßlen 177) Und
dass die Eliten, die Kreativen und Promis einen identischen
Wohnungsstil pflegen,
der angeblich vom ökonomischen Kapital kaum beeinflusst wird, sieht
man einmal von der Größe und dem Preis des Designs
des Interiors ab, das
beweist eher, dass selbst noch die Frage der Wohnungseinrichtung
keine Frage der
Singularisierung, sondern der Eingewöhnung in das außergewöhnlich
Gewöhnliche ist, das
man entgegen den Gepflogenheiten der Unterklasse, denen die
Gewohnheiten aufgezwungen werden, gerne freiwillig
an sich und seinen Produkten vornimmt.
Deren Originalität, die sich angeblich
durch hohe Eigenkomplexität und Dichte sowie durch die Andersheit
nach außen darstellt, ist die gepflegte Fiktion ihrer Schreiber, die
nun Qualitäten
in die Produkte hinein interpretieren, die sie selbst
cool finden, ein Euphemismus, der der
Exklusivität eines akademischen Zirkels entspricht, dessen Luxus
darin besteht, dass man ihn in
sich selbst kreisen lässt.

Der
Preis einer Ware, der sich durch den durch die notwendige abstrakte
Arbeit induzierten Wert der Ware, die ihr zugehörigen Zeichen und
Distinktionsmekrmale bestimmt, ist heute oft zusätzlich noch an das
Ranking der Marke gebunden. Der Marke, die ein Logo, ein Bild, ein
Image, einen Diskurs und ein Narrativ enthalten muss und am besten
ein A-Promi-Gesicht ausstellt, sollte es heute wirklich gelingen,
spirituelle, heimatliche, nationale oder sexuelle Energien bei den
Konsumenten in Gang zu setzen, beispielsweise Deutschland als
Konsumartikel für 80 Millionen absolute Monarchen, für die die
Ideologie der Heimat das neue Sonnenwendfeuer des Neon-Zeitalters
geworden ist und die das spielerische Austesten von Möglichkeiten
des rechten Tabubruchs gründlich ernst nehmen, wobei sich aber
selbst noch die präfaschistischen Wandervögel unter ihnen bei ihren
Irrfahrten durchs Konsum-Labyrinth auf das zusammen gelogene
Naturerlebnis des »Ich selbst« spezialisieren, das nach wie vor
Authentizität verspricht, wenn sie nicht gerade wieder einmal auf
der Straße »Wir sind das Volk« grölen. Die aktuellen führenden
Marken, die nach der Markenkrise in den 1990er Jahren entstanden
sind, müssen heute unbedingt einen Lifestyle inszenieren oder
simulieren, indem sie die Konsumenten sanft regieren oder lenken, und
interessante Beispiele dafür sind die Kleidungsstücke der Marke
Lonsdale, deren Wert durch die wechselnden »Kulturen« bestimmt
wird, die sie sich irgendwie aneignen.

In
das Design der einschlägigen Markenprodukte sind verschiedene Formen
der Aufforderung zur Selbstdarstellung und die Vermarktung von Images
oder Lifestyle-Konzepten eingestanzt, wobei die Verbreitung eines
neuen Trends (Anrufung einer Abweichung von der Norm) wie ein
unbekannter Verbreitungsalgorithmus funktioniert, der für die
Individuen aber das bequeme Einfädeln in Konsumschleifen ermöglicht
(das wenig mit einer individuellen Kaufentscheidung zu tun hat), die
wiederum die Werbe- und Designerindustrien dramatisieren, um den Hype
zu forcieren und dadurch eine affektive Einstimmung der Körper zu
forcieren. Der Akt des Shoppens klebt an den Waren und bleibt doch
eigenartig gegenstandslos, nicht nur weil das Shoppen um des Shoppens
willen in der Tautologie der Erlebniswelten und im Triumphalismus
selbstreferenzieller Einkaufsgewohnheiten hängen bleibt, die eben
das Shopping umranden und inszenieren, indem sie die Kauf-Ströme
kanalisieren, sondern weil das Shoppen zunehmend als
Client-Server-Verhältnis stattfindet, wobei
Erlebniserweiterungsmittel, Erlebnissteigerungsmittel sowie
Erlebnisersatzmittel per E-Empire in allen Zeitzonen in Echtzeit
bereitgestellt werden, sodass Shopping nun verstärkt auch im
virtuellen Medium stattfindet, in das User, Interface und Screen als
Verbundsystem integriert sind. Das wissenschaftliche
Begründungsarsenal für die darin enthaltenen Subjektivierungen
liefert nicht nur der Neoliberalismus mit seiner Propaganda des
finanzialisierten Risikosubjekts oder die Neoklassik mit ihrem
rationalen homo economicus, sondern auch der Behaviorismus oder die
Verhaltensökonomie, welche die Ökonomisierung der Wünsche mit den
Mitteln der Psychologie aufbereitet und einen letzten Menschen
fingiert, der entweder arbeitet oder konsumiert, ansonsten existiert
der Mensch einfach nicht. Mit spezifischen Technologien will diese
angewandte Verhaltenswissenschaft a la Skinner das Kaufverhalten
beobachten, analysieren, berechnen und automatisch und zielführend
verstärken, um die wirklich gewinnbringenden Veränderungen in Szene
zu setzen, die für die Konzerne einfach notwendig sind.

Baudrillard
zufolge gibt es im Konsum nur scheinbar die Freiheit des
Verbrauchers, der zwar zwischen einer breiten Palette an Waren wählen
kann, aber der Überfluss an Objekten und Konsummöglichkeiten ist
eher einem magischen Denken verhaftet. Die Monstrosität voller
bunter Regale lebt nicht vom Versprechen auf Bedürfnisbefriedigung,
sondern vom »Überfluss« der Zeichen und des Designs, darüber
hinaus von der »Akkumulation der Zeichen des Glücks« (ebd: 48).
Baudrillard schreibt: »Es geht um das konsumierte Bild des Konsums.
Das ist die neue Stammesmythologie, die Moral der Moderne.« (Ebd.:
284/5) Und weiter: »Es ist also nicht richtig, dass die Bedürfnisse
Ergebnis der Produktion sind, vielmehr ist das System der Bedürfnisse
das Produkt des Produktionssystems.« (Ebd.: 109) Darüber hinaus
setzt sich das fragmentierte Konsum-Subjekt aus verschiedenen
Kaufakten zusammen, die sich nicht allein am Preis orientieren,
sondern an einem Patchwork von narrativen Identifizierungen, am
Design und den Zeichen, an einer Wunschmaschinerie; das
Konsum-Subjekt akzentuiert im System des Überflusses und des
Wohlstandes aber auch die Knappheit, da gegenüber den von der
Werbung getriggerten und gesteigerten Bedürfnissen und Wünschen die
finanziellen Mittel zur Bedürfnisbefriedigung bei großen Teilen der
Bevölkerung nach wie fehlen, während zugleich auch bei ihnen ein
Kreislauf des Begehrens insistiert, der nicht enden will, was die
Sache nur noch dramatisiert.22

Der
Discounter

Vielleicht
ist es wirklich so, dass
ein
Sortiment von
Designerwaren
einer
prallgefüllten
Wundertüte
für Schulanfänger
gleicht,
währen
d
umgekehrt
die
Ein-Euro-Waren
der
Discounter
die
teuren Designergegenstände und Markenwaren
so
weit es geht

faken,
damit
aber den Genuss des Schulanfängers verfehlen.

Zumindest
werden
die
Wegwerfwaren

in
den Discountern
im
Überfluss
angeboten,
von der Büroklammer
über
das Glas mit einem x beliebigen Emblem
bis
zum rosa Schächtelche
n,
und vielleicht mag ihr
Kauf
die Stimmung des kleinen Glücks für eine Sekunde nähren (ihr
Überfluss
bzw.
ihre Überproduktion
wäre
hier
der
Luxus), bevor der Albtraum

real
wird, wenn dem
abgehängten
Konsumenten
nämlich
der
Schreck direkt ins Gehirn fährt, die Erkenntnis, dass diese
Art
des

Überfluss
es
vom Ab-fall,
vom
Müll
nicht
mehr
zu
tren
nen
ist, und so erlangen diese Gegenstände ihre wahre Bestimmung nicht
im Gebrauch, sondern
allenfalls
zu
einem Zeitpunkt, an dem der nächste Sperrmüll ansteht,
werden
sie nicht längst
schon
vorher
entsorgt
oder
auf Ebay verscherbelt
.
Jedoch
lernen die

Unterschichten schnell und halten sich deswegen dann doch viel
stärker an Geräte, die
die
reale
Anwesenheit unter seinesgleichen anbieten,
nämlich
an
die
digitalen
Geräte,
die
sozialen Plattformen

und ihre Apps.

Jeder
weiß längst, dass die Kunden der Discounter auf die raffinierten
Inszenierungen, Schmeicheleien und kunstaffinen Designs der teuren
Markenprodukte meistens verzichten müssen, und so hat auch das
Environment bei Aldi &Co deutlich härtere und spartanischere
Konturen als in den Luxussupermärkten für Besserverdienende.
Meterlange Verpackungsreihen, serielle Anordnungen und effizientes
Design haben in diesen zivilisierten Elendsräumen das Ende des
Ornaments, der Inszenierung und der Ausstellung bzw. des Fetischismus
(den des Kristallpalast und der Passagen) längst besiegelt. Die
Differenzproduktion der Waren ist weitgehend durch Ähnlichkeit
(dividuiert, mitförmig) ersetzt und zum homogenen Konsumformat
geglättet. Und der Sicherheitsdienst weist leise und dezent darauf
hin, dass man im Discounter nicht nur als relativ kaufkräftiger
Kunde, sondern auch als Ladendieb in Empfang genommen wird.

Die
Discounter standen in Deutschland mit ihrem zunächst überschaubaren
und recht einfachen Warenangebot am Anfang in der Tradition der
US-Supermärkte der 20er und 30er Jahre, als man in den USA begann,
den Kaufakt nach und nach zu rationalisieren. Die Portionierung und
Verpackung der Waren in den kleinen Lebensmittelgeschäft an einer
Bedientheke war mit der Zeit deutlich zu arbeitsintensiv, wobei
natürlich auch die Beratungsgespräche und der kleine Plausch mit
den Kunden zu viel Zeit kosteten. Demgegenüber wurde der Supermarkt
schnell und effizient als eine automatisierte Verkaufsfabrik
durchgesetzt, auf die industriell verpackten Waren konnte man bequem
und schnell zugreifen und das Band an der Kasse fungierte quasi als
Fließband des normierten Konsums. Mit der großen
Weltwirtschaftskrise begann dann endgültig der Siegeszug der
Supermärkte in den USA und die Verbraucher waren preisbewusst wie
nie zuvor.

Im
Nachkriegsdeutschland folgten Discounter wie Aldi diesem Vorbild und
verkauften die wenigen angebotenen Produkte sogar direkt von den
Lieferpaletten. In diesem in Deutschland bis heute hochkonzentrierten
Segment, man könnte dessen Einrichtungen durchaus Konsumfabriken
oder stalinistische Zwangsernährungsstationen nennen, lieferten sich
die wenigen Unternehmen in den Anfangszeiten noch erbarmungslose
Preiskriege untereinander (diese werden jetzt von den Discountern
gegen die Produzenten geführt), während man heute, was den Preis
angeht, eher zu kooperativen Absprachen zwischen den Unternehmen
neigt, um nichtsdestotrotz einen harten Konkurrenzkampf auf der
Ebene des Designs, der trivialisierten Luxuswaren und des Marketings
zu führen. Manchmal wird in den funktionalen weitläufigen Hallen
sogar noch der Anschein des klassenlosen Konsums erzeugt, bei dem die
Reichen und Armen sich begegnen, wenn auch nicht gerade in die Arme
fallen, um sich aber dann an der Kasse doch einfältig zu
begutachten, wer denn da was auf das Laufband gelegt hat. So finden
die Klassenkriege auch noch an der Kasse statt.23

Die
gewaltige Positivität der Discounter manifestiert sich als dehnbare
und wenig differenzierte Homogenität und zugleich als kaufbare
Simulation eines deutlich regulierten Exzesses, als reguliertes
Zuviel oder Zuwenig, einer Kaufaktion, der in der Wiederholung des
Gleichen jede Negativität abhanden gekommen ist. Kein Wunder, dass
die Menge Warenmüll mit dem Wortmüll korreliert, den die
Konsumenten auf den Straßen, Plätzen, in Bus und in der Bahn
absondern und verstreuen. Auch die als Weltoffenheit und Toleranz
ausgegebene Pornographie der Hyper-Kommunikativen mästet sich am
Exzess des in letzter Instanz Gleichen, schließlich sei ja schon
alles gesagt. Oder, um es anders zu sagen, man sagt, was alle sagen,
man hat, was alle haben, und man grillt, wenn alle grillen.
(Metz/Seeßlen 2011)

2000ff.,
das ist im Konsumsekttor vor allem der Siegeszug der Discounter (und
der Alditude), die nicht nur von den Unterschichten und dem
Prekariat, sondern auch von einem Teil der Mittelschichten regelmäßig
besucht werden. Dabei stehen Discounter und Reallohnstagnation in
einer innigen Beziehung, ja sie verstärken einander. Natürlich
versorgen die Discounter insbesondere die Unterschichten nachhaltig
und billig mit krankmachenden Substanzen – Fett, Zucker, Alkohol,
Nikotin und Salz -, um neben deren Überlebenssicherung ein
statistisch berechenbares Krankheitsbild zu erzeugen. Die Discounter,
die anstatt der fluiden Flüssigbildschirms der Einkaufszentren den
indiskreten Charme einer Nahrungsmittel-Anstalt re-etabliert haben,
in der auf den wirklichen Genuss gründlich geschissen wird, sind
heute zudem Anbieter von billigen Gadgets, Games und Zeichenwaren,
sie sind das Kulturzentrum und die Wahrnehmungsmaschine der
Unterschicht. Uns es ist natürlich kein Zufall, dass der Staat heute
die Höhe seiner Sozialleistungen an Arbeitslose und Bedürftige nach
den Preisen der Discounter berechnet, während die
Zwangsernährungskonzerne (ebd.) infolge der wachsenden Armut stetig
reicher (Zwangsernährer und Beschleuniger der Armut) werden, die
Armut der Konsumenten gleichzeitig im denkbar schlechtesten Sinne
auch erträglich machen und zudem durch ihre aggressive Politik
gegenüber der arbeitenden Bevölkerung auch noch neue Armut
schaffen.24

Aus
den Oxfam Studien weiß man, dass die reichsten 1% mehr an Reichtum
besitzen als der Rest der Welt. Geht man jedoch davon aus, dass Teile
der Vermögen unregistriert in Offshorezentren liegen, dann ist das
eine eher noch
eine konservative
Schätzung. Gegenwärtige Schätzungen gehen davon aus, dass die
Superreichen $32 Billionen in Offshorezentren lagern, ein 1/6 der
weltweiten privaten Vermögen. Aber es geht nicht nur um Ungleichheit
der Vermögensverteilung, sondern auch um die der Einkommen. Letztere
wird mit dem Gini-Index
gemessen. Die Zahl Null steht hier für totale Gleichheit und die
Zahl Eins für totale Ungleichheit. Nach den Zahlen des
Ökonomen Branko
Milanovic ist der Index von 1988 von 0.72 im Jahr 2008 auf 0.71
gefallen. Aber der Gini-Index misst nur relative Veränderungen. Wenn
die Einkommen der Reichen und der Armen mit derselben Rate wachsen,
dann bleibt der Gini-Index identisch, selbst wenn die absolute
Ungleichheit ansteigt. Wenn die Person A 1000 Euro und die Person B
100 Euro besitzen, und beide nun ihr Einkommen verdoppeln, dann
bleibt der Gini-Index identisch, selbst wenn die Differenz der
Einkommen sich von 900 Euro auf 1800 verdoppelt hat. Wenn man den
absoluten Gini-Index ansetzt, dann ist er als Folge der
neoliberalistischen Politiken von 0.57 im Jahr 1988 auf 0.72 im Jahr
2005 gestiegen. Allerdings muss man davon ausgehen, dass die
durchschnittlichen Einkommen heute
höher als in den frühen 1960er Jahren sind, sodass man bspw. den
Versuch, die Unterkonsumtionstheorie zur Erklärung der gegenwärtigen
Rezession heranzuziehen, von vornherein zurückweisen darf.Der
Gini-Koeffizient hat für die USA, Japan, China und Großbritannien
seit 2010 zugenommen, am stärksten in Deutschland, das unter Führung
der Großen Koalition, also unter Mitwirkung der Sozialdemokraten,
Japan, Großbritannien und China überholt und mit 81,6 schon nahe an
die amerikanischen Werte kommt.

Der
Konsum

Doch
ist die Shoppingmall nicht verschwunden. Und natürlich auch das von
Baudrillard beschrieben Konsumsystem nicht, obgleich sich gegenwärtig
einige Modifikationen des Konsums im Vergleich zu seinen Aussagen
nachweisen lassen. Für Baudrillard sind nicht die Objekte das
primäre Ziel der Bedürfnisbefriedigung, sondern das mit ihrem Kauf
erworbene Prestige, i.e. Konsum ist ein Prozess der sozialen
Differenzierung und Klassifizierung. Die Zeichen der Produkte zeigen
nicht nur signifikante Differenzen im Code an, sondern sie
manifestieren auch die Statuswerte innerhalb einer sozialen
Hierarchie der Klassen. Dabei wird das Distinktionsverhalten, das
sich auf den Kauf der Produkte bezieht, von den Konsumenten als
Freiheit erlebt und eben nicht als der Zwang sich differenzieren und
einem Code zu gehorchen zu müssen. Für Baudrillard hingegen
erzwingt der Konsum sogar die emotionale Pflicht zum Genuss, sodass
von einem systematisch und systemisch organisierten Konsum auszugehen
ist. (Das ist etwas ganz anderes als die in der Bataille`schen
Ökonomie angesprochene Verausgabung und Vergeudung, deren
hervorragendster Akteur die Sonne ist, die sich mit reiner
Grundlosigkeit verschwendet.) Und sein Vergnügen erlebt der
Konsument als absolut, ohne den strukturalen Zwang überhaupt noch zu
registrieren, wobei dieser gearde für den permanenten Wechsel
sorgt, aber die Ordnung der Differenzen auch erhalten bleibt.
Baudrillard konstatiert einen Zwang zur Relativität, der den Rahmen
für eine nie endende Differenzierung liefert, die exakt die
Grenzenlosigkeit des Konsums befördert. Während das Prestige an der
positiven Differenz klebt, kennen die distinktiven Zeichen zudem noch
die negative Differenz: Man konsumiert nicht das Objekt, man folgt
lediglich der Manipulation der Objekte als Zeichen.

So
kann
das
Produkt schon
einmal zu
einem austauschbaren Zeichen des Begehrens mutieren,
mehr noch, die Produkte und Wünsche inszenieren
eine »generalisierte Hysterie«, die
den
Konsum als
eine
Art objektloses Verlangen befördert,
ein Verlangen, das auch ohne die Objektwahl und die Konsumtion des
Objekts insistiert. Deshalb kann auch
die
derzeit
ultrapopuläre
Kochshow in den unvorstellbaren
Dimensionen
überhaupt erst funktionieren, denn der Prolet, der vom realen Genuss
und
der Distinktion weiterhin
ausgeschlossen bleibt, findet anscheinend nichts dabei, wenn bei
seiner Konsumtion vor
dem Fernseher nur
die Augen mit-essen, geht es doch
lediglich
um den visuellen
Genuss
der
Kochkünste
der Köche und von Höchstleistungen, die an den Profisport erinnern.
Somit orientiert sich der Konsum nicht am Gebrauchswert, sondern an
der Produktion und Manipulation sozialer Semiotypen und
Signifikanten, oder, um es anders zu sagen, der Konsum ist ein
Prozess der Signifikation und der Kommunikation, basierend auf einem
(klassenspezifischen) Code, der sich beständig und zugleich
unsichtbar in die Konsumpraktiken einschreibt. Konsum ist für
Baudrillard ein
System des Tauschs und ein Äquivalent der Sprache. Allerdings
vollzieht sich der
Konsum der gehobenen Klasse wie die Bewegung des Kapitals
in einer Art Spiralbewegung, in der die Bedürfnisse derart
differenziert gestaltet
werden,
dass ihre vollkommene Deckung nicht mehr möglich ist, sodass
die Befriedigung noch
des letzten
banalen Bedürfnisses ein weiteres,
ein reflexives
Bedürfnis weckt. Schließlich mutiert für den Kaufsüchtigen das
Konsumobjekt bzw. die Ware zum Müll. Dann werden die erworbenen
Produkte im Keller gestapelt oder in Vitrinen abgelegt, weil
letztendlich
der Genuss des Kaufakts zählt, der wiederum durch die Information
und
die Werbung angekurbelt
wird. Baudrillard fügt richtigerweise hinzu, dass die Wünsche und
die Produkte keineswegs nach derselben Logik und Rhythmik produziert
werden. Während die Warenproduktion von der Produktivität des
Kapitals abhängig bleibt, basiert die Wunschproduktion auf
kultureller Differenzierung und
der Aneignung von symbolischem Kapital..
Die Differenzierung der Produkte ist also in sehr
spezifischer Art und Weise in Relation
zur Differenzierung der Wünsche zu setzen (die of course in letzter
Instanz durch die Einkommen definiert werden). Und
immer öfters wachsen
die Wünsche schneller als die verfügbaren Güter, wobei
für größere Teil der Bevölkerung nur der Konsumentenkredit
Kurzfristige
Abhilfe schafft, der Konsument also
sein
zukünftiges Einkommen für gegenwärtigen Konsum verwendet bzw.
einekleine

Ego-Bank mit einem feinen, kleinen Kreditgeschäft betreibt, bei dem
sich die auf Kredit gekauften Waren als Sicherheiten für neue
Kredite erweisen – je mehr Kredite man aufnimmt, desto mehr Kredit
erhält man. An
die Weltbevölkerung denkt man dabei nicht.

In
relativen Begriffen ausgesagt leben die Reichen auf globaler, auf
nationaler, regionale und urbaner Ebene auf Kosten der Armen, und das
kostet zuerst die Ärmsten der Armen letztlich das Leben. Diese Form
der strukturellen Gewalt vollzieht sich aus der Perspektive der ins
Glück Geborenen diskret, ein einfacher kausaler Zusammenhang ist es
nicht. Man erschauert vielleicht leise beim Blick in den Instagram
Account von Astro-Alex, der das Verdorren Europas imSommer 2018 aus
dem All fotografiert hat. Mehr ist nicht. In Pakistan ertrinktman
währenddessen in den Regenfluten.Mit
der Einsicht,
dass die Erde eine Kugel, also begrenzt ist, verbindet sich das
Naturrechteines – wenn auch unbestimmten – Platzes auf dieser
Erde für die Menschen,die eingedenk dieser Begrenztheit zur
Hospitalität gezwungen sind.Wenn also z. B. der deutsche Lebensstil
ab untere Mittelklasse aufwärts weltweitverallgemeinert würde,
dafür aber die Ressourcen und Senken von zwei Planeten notwendig
wären, dann wird einem Großteil der Weltbevölkerung ein Auskommen
an ihrem jeweiligen Platz mit der Zeit verunmöglicht.

Mit
dem Konsum erwirbt man weder die Kenntnis von der Welt noch übt man
sich in Ignoranz, sondern man betreibt mit ihm eine Verkennung, die
durch die permanent gereizte Neugier der Marketingindustrie
vorangetrieben wird. André Gorz hatte schon vor 30 Jahren angemerkt,
dass die in den Marketing-Abteilungen beschäftigten Spezialisten
genau wüssten, dass ein großer Teil des produzierten überflüssigen
Mülls von sich aus niemand kaufen würde. Der Konsum fördert somit
zum einen das aktive Moment (alles muss ausprobiert werden) einer
generalisierten, in diffuse Umtriebigkeit verwandelte Neugier, zum
anderen verspricht er er aber Beruhigung, Selbstgenuss und
Genugtuung. Das entspricht ungefähr dem von Žižek konstatierten
Siegeszug von Produkten, welche die Paradessenz des Produkts pflegen
(Entspannung und Erregung zugleich, bspw. beim Kaffeekonsum,
alkoholfreies Bier, entkoffeinierter Kaffee, fettarmer Joghurt etc),
womit man den Konsum auf eine adversative Struktur des ubiquitären
Genießens festgeschreibt: Verfolge durch Mehr-Essen konsequent den
Weg zur Bulimie, um das Ziel der Anorexie zu erreichen bzw. iss mehr,
um schneller abzunehmen, womit einerseits die Teilnahme am Genuss qua
Imperativ zugesichert, andererseits das exzessive Moment, das dem
Konsum mancher Produkte anhängt, zugleich entschärft wird. Ähnliche
Tendenzen finden wir beim Konsum der Diszipliniken (Potenzsysteme,
inklusive Ästhetik, Akrobatik und Therapeutik, klinische Kriterien
und Selbsttechnologien, Gastronomik und (digitalisierte)
Spaßtechnologien, plus deviante Sexualprozeduren und Ritualistiken
des Dopinsg und des Medikamentenkonsums, diversen
Trainingstechniken). Die Funktion der Motivationsforschung im
Konsumbereich besteht darin, eine konstante Nachfrage an den Märkten
zu erzeugen, womit das System der Wünsche zu einer Manövriermasse
verkommt, die Baudrillard als Konsumtivkraft bzw. als die Form der
rationalen Systematisierung der Produktivkräfte auf individueller
Ebene bezeichnet. Im System der Zeichen sind aber die Produkte nicht
mehr an ein einziges Bedürfnis oder eine einzige Funktion gebunden,
sondern werden von einem beweglichesn und unbewussten
Signifikationsfeld überschrieben oder zumindest überlappt.. Es gibt
im System allgemeiner Austauschbarkeit der waren und des Geldes
andauernd Verschiebungen zu vermelden, womit beim Konsumenten auch
der Wunsch nach sozialer Differenzierung nie zu einem Ende kommt.

An
dieser Stelle kann man Baudrillard zusammenfassen: 1) Der Konsum ist
keine Funktion des Genusses, sondern eine Funktion der
Kapitalzirkulation, wobei er eine kollektive Funktion besitzt.
Produktion und Konsumtion inaugurieren ein und denselben logischen
Prozess der Reproduktion des Kapitals. Die Konsumenten sind einem
kollektiven Code zugeordnet. 2) Der Konsum stellt die Anordnung der
Zeichen und die Integration der Klassen sicher. 3) Der Konsum beruht
auf einem Code der Zeichen und ihren Differenzen, letztere stellen
die Gefügigkeit gegenüber dem Code her, die Integration in eine
mobile Werteskala. 4) Der Konsum impliziert weniger den funktionalen
Umgang mit Produkten, sondern basiert auf einem ausgeklügelten
Kommunikations- und Zirkulationssystem.

Norbert
Bolz, der das noch
halbwegs kritische
Konsumistische
Manifest”
verfasst hat, singt hingegen heute
das
neoliberale Loblied auf den Konsum. Bolz bezeichnet den Konsumismus
als das Immunsystem der Weltgesellschaft. Wenn alle Menschen auf
höchster reflexiver Stufe konsumierten,
würde
es keinen Fundamentalismus und auch keinen Terrorismus mehr geben.
Was aber Bolz als reflexiven Konsum abfeiert, das sind die
Konsumpraktiken des grün-urbanen Konsumenten, die
– Medien und Marketing erprobt – im
Zuge ihres
Singularitäts-
und
Authentizitätswahns glauben,
sie
seien
mit dem hinreichenden
Durchblick ausgestattet, um gegenüber den ubiquitären
Marketingkampagnen
und
dem Massenkonsum
immun zu sein, um
damit umso reflexiv erfrischender jene auf
Kunst getrimmte Markenkultur
in
den gentrifizierten Zentren der Weltstädte genießen
zu können. Man zelebriert
die
singuläre
Selbstfindung
durch Konsum, weil man angeblich gerade dadurch das System
unterläuft, das einem ja
immer nur
scheinbar
eine Identität aufzwingt. Die von
der Werbeindustrie heiß umworbenen
Zielgruppen sollen wirklich
glauben,
dass sie gegenüber dem Marketing, der Propaganda und der Verführung
immun seien, während sie sich doch gerade im Zuge des durch
das Marketing inszenierten Singularitätsshypes
in das Konsumsystem nahtlos
einfügen.
Philip Mirowski schreibt: „Gelebte Erfahrung wird durch Lifestyles
ersetzt, wobei es den Widerspruch zwischen Zugehörigkeitsgefühl und
Individualität auszuhalten gilt.“ (Mirowski 2015: 2714;
Kindle-Edition) In diesem Kontext gewinnen FairTrade, Nachhaltigkeit
und andere ethisch orientierte Konsumweisen eine sehr
behaglich individuelle
Note, schließlich feiert man im ethischen Konsum eher den Ausdruck
der eigenen Persönlichkeit, als dass man etwas von
den Produktions- und Distributionsweisen solcher Produkte, die
meistens
auf
Landraub basieren,
wissen
oder gar etwas ändern
will.
So
mutiert Rebellion
zum Freizeitvergnügen der
Mittelklassen: Simulierte
Rebellion im Konsum und Guerilla-Marketing fallen
zusammen.
Aufgenötigt wird der Konsum zweiter oder dritter Ordnung, der die
ständige Selbstverwandlung der Konsumenten integrieren soll. Dabei
wird ihm sogar suggeriert, dass er im und mit dem Konsum Projekte
organisiert, mit denen er jeden Versuch des Marketings, ihm eine von
außen aufgezwungene Identität aufzustülpen, unterläuft. Mehr
noch, Konsumenten kaufen Produkte ohne sie zu gebrauchen, sondern sie
setzen sie für Werbung ein, die wiederum neuen Konsum generiert. So
wird ein Teil der Werbung von den
Konsumenten selbst
generiert.

Die
Freiheit des Konsums ist für Baudrillard eine reine Mystifizierung,
vielmehr wird einem die Wahlfreiheit im Konsum aufgenötigt, oder, um
es noch zu erweitern, das System des Konsums vervollständigt das
aufgezwungene Wahlsystem – Shoppingmall und Wahlkabine sind
systemisch produzierte Orte der individuellen Freiheit, die beide nur
noch konsumiert werden. Ähnlich hatten das schon Adorno/Horkheimer
formuliert: »Aber Reklame wird Information, wenn es eigentlich
nichts mehr zu wählen gibt, wenn das Wiedererkennen der Marke den
Wahlvorgang substituiert und wenn zugleich die Totalität des Systems
jeden, der sein Leben erhalten will, dazu zwingt, solche Leistungen
aus Berechnung zu vollbringen. Das geschieht unter der
monopolistischen Massenkultur. Drei Stufen in der Entfaltung der
Herrschaft übers Bedürfnis lassen sich unterscheiden: Reklame,
Information, Befehl. Als allgegenwärtige Bekanntmachung führt die
Massenkultur diese Stufen ineinander über.« (Adorno/Horkheimer
1969: 133)

Beim
Verhältnis von Konsum und Zeit geht man laut Baudrillard von drei
Voraussetzungen aus: Die Zeit ist die Dimension apriori. Sie ist da
und wartet auf uns. Die Freizeit ist das Reich der Freiheit. Jeder
Mensch ist von Natur aus frei und gleich. Der Anspruch der Freizeit
besteht darin, der Zeit wieder ihren Gebrauchswert zurückzugeben,
jedoch kann sie, und das gibt Baudrillard nun zu bedenken, im Kontext
der Freizeitindustrie nur als chronometrisches Kapital von Jahren,
Stunden und Minuten befreit werden, ein Kapital, in das man
investieren muss. Die Zeit bleibt deshalb knapp und sie bleibt den
Gesetzen des Tauschwerts unterworfen. Und schließlich mutiert nicht
nur die Arbeitszeit, sondern auch die Konsumzeit – die freie Zeit,
die man durch den Konsum eines Produkt gewinnt, das sofort flüssig
konsumiert und nicht erst tiefgefroren aufgetaut werden muss –
mutiert zum verzinslichen Kapital, zur virtuellen Produktivkraft, die
man kaufen muss.

Im
Kontext der therapeutischen Fürsorge, einen weitere Nebenwirkung des
Konsums, regredieren die Konsumenten schließlich zu Pflegefällen:
»In diesem Sinne noch einmal die TWA, die »Fluggesellschaft, die
Sie versteht«. Und sehen Sie, wie gut sie Sie versteht: »Für uns
ist der Gedanke kaum erträglich, Sie ganz allein in ihrem
Hotelzimmer zu wissen, wie Sie wild durch die Fernsehprogramme
zappen. Wir wollen alles tun, damit Sie auf Ihrer nächsten
Geschäftsreise Ihre bessere Hälfte mitnehmen können … mit dem
speziellen Familientarif usw. Mit ihrer besseren Hälfte an Ihrer
Seite haben Sie zumindest jemanden, mit dem Sie den Fernseher
umschalten können … das ist es, was wir Liebe nennen …« Die
Frage ist nicht, ob Sie allein sind – Sie haben nicht das recht
dazu, denn »für uns ist das unerträglich«. Wenn Sie nicht wissen,
was Glücklichsein bedeutet, werden wir es Sie lehren, wir wissen das
nämlich besser als Sie und wissen auch, wie Sie mit ihrer besseren
»Hälfte« vögeln sollten, wo sie doch Ihr Zweites Programm, Ihr
erotischer Sender ist. Das wussten Sie nicht? Dann werden Sie auch
das bei uns lernen. Denn dazu sind wir da. Sie zu verstehen – diese
Aufgabe ist die unsrige … (Baudrillard 2015: 249) Der Computer
drückt sich heute allerdings etwas distinguierter aus:
»Liebeskummer? Besuchen Sie unsere Branntwein Abteilung!«

Literatur

Adorno,
Theoder W./Horkheimer Max (1969) : Dialektik der Aufklärung.
Frankfurt/M.

Anders,
Günther (1961): Die Antiquiertheit des Menschen 1. Über die
Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen
Revolution. München.

Baudrillard,
Jean (1982): Der symbolische Tausch und der Tod. München.


(2015):
Die Konsumgesellschaft. Ihre Mythen, ihre Strukturen. Berlin.

Metz,
Markus/ Seeßlen, Georg (2011): Blödmaschinen. Die Fabrikation der
Stupidität. Frankfurt/M.


(2012):
Kapitalismus als Spektakel. Oder Blödmaschinen und Econotainment.
Frankfurt/M.

Mirowski,
Philip (1986): The Reconstruction of Economic Theory. Berlin.


(2015):
Untote leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der Krise
noch stärker ist. Berlin.

Sloterdijk,
Peter (2016): Was geschah im 20.Jahrhundert? Frankfurt/M

Der
neoliberale Kapitalismus: Leben und Denken wie die Schweine

Die
Überschrift wurde Gilles Châtelets Buch To Live and Think Like
Pigs: The Incitement of Envy and Boredom in Market Democracies
entlehnt. Auf welche Maxime, die anstatt des schweinischen Lebens
ein anderes Leben einfordert, bezieht sich Châtelet in seinem Buch?
Die Antwort ist einfach: Entfalte immer einen Raum, der allen die
Möglichkeit zur Gerechtigkeit gibt und der deine eigenen Neigungen
verstärkt. Das Aufnehmen einer Neigung oder wie Tiqqun sagen, einer
forme-de-vie, betrifft nicht nur diese selbst und das Wissen von ihr,
sondern sie betrifft auch das Denken, seine Differenzierung und
Steigerung. Anders zu leben heißt laut Châtelet unbekannte
Dimensionen der Existenz zu entdecken, oder, wie Rimbaud sagt, den
Schwindel (des Systems) zu definieren. Wer nichts von dieser Idee
versteht, lebt wie ein Schwein. Das neoliberale Schwein will, falls
möglich, alles so gestalten, dass ein Profit für sich selbst raus
springt; es will alles exakt etikettiert, ausgepreist und
konsumierbar haben und schließlich sind all seine Begierden,
Strategien und Projekte auf die Steigerung der Produktivität und der
Profitabilität des eigenen Humankapitals ausgerichtet. (was es noch
als Freiheit verkennt, denn es ist das Kapital als ein System, das
über die Konkurrenz den Zwang zur Profitmaximierung setzt.
Folgerichtig Adorno: »Die Signatur des Zeitalters ist es, daß kein
Mensch, ohne alle Ausnahme […] sein Leben mehr selbst bestimmen
kann.«). Dazu benötigt man zudem noch eine Ethik. Die Genossen des
amerikanischen Magazins »Hostis« schreiben dazu: »Wenn die
Preisgabe der Ethik einen verstört zurücklässt, dann weil die
Ethik eine ganz persönliche Angelegenheit ist. Heute bedeutet
ethisch zu sein noch nicht einmal mehr reformistisch zu sein – es
geht um eine Politik, die rein der Fantasie huldigt, ein lebendes
Rollenspiel derjenigen vorführt, die es «gut« meinen.« Die Sphäre
des ethischen Lebens besteht heute aus einer Welt von Psychopathen,
Angebern und Fieslingen, die nur nach den Anderen schauen, um sich
selbst zu beweisen, dass sie persönlich mit sich selbst die richtige
Wahl getroffen haben. »Die Ethik verwertet für sich die Kraft der
aktiven Intentionen, während sie die systemische Destruktion des
global integrierten Kapitals vollkommen intakt lässt. Mit anderen
Worten, sie wird durch den Elitismus des »besser-als-der-andere-Sein«
befeuert.«

Für
Châtelet schläft heute das Denken im dahin siechenden zeitlichen
Kontinuum, es gibt aber immer wieder Singularitäten, die nur darauf
warten reaktiviert zu werden, um Virtualitäten in den Falten der
Zeit zu erfinden und zu aktualisieren. Die Maxime eines
nicht-schweinischen Denkens heißt: Aktiviere deine Virtualität!
(Für Deleuze ist Virtualität nicht alles Mögliche, sondern das,
was in einem spezifischen Zeit-Raum möglich ist, möglich war oder
möglich sein wird. Das Virtuelle verfügt über enorme Wirkungen im
Realen, und gleichzeitig erweist sich das Virtuelle wegen seiner
Anbindung an empirische Kausalmechanismen immer auch als Wirkung
einer Wirkung. Es fungiert als eine unkörperliche Quasi-Kausalität,
wobei das Virtuelle auch inaktuell bleiben kann und damit den Status
einer Reserve annimmt.) Wie ein Schwein zu denken heißt hingegen die
Virtualität in sich selbst abzutöten und stattdessen zu
imaginieren, dass man stets eine gut ausbalancierte, eine
beneidenswert erfolgreiche Person sei, sprich ein Niemand.
Paradoxerweise richtet diese Art von Niemand seine Aufmerksamkeit
andauernd nur auf sich selbst. Das schweinische Denken sucht nicht
nach Bedeutungen für seine Existenz, sondern immer nur nach der
Exaktheit und Effizienz seiner Dimensionen. Châtelet fordert
hingegen zu etwas ganz Anderem auf, wenn er schreibt: Sei der Dandy
deiner Ambiguitäten und wenn du Angst hast dich zu verlieren, dann
bewahre nur das auf, was dich übersteigt. Oder sei der
Rebell-in-Person, wie Laruelle es ausdrückt. Oder nehmen wir doch
eine Bemerkung von Félix Guattari: »Die Arbeit der Revolutionäre
besteht keineswegs darin, Worte zu befördern, Dinge zu haben oder
Modelle und Bilder zu transportieren oder zu übermitteln. Ihre
Aufgabe ist es, die Wahrheit ohne Übertreibung und Tricks zu sagen.
Wie aber kann diese Wahrheitssuche erkannt werden? Das ist ganz
einfach und es funktioniert immer: Die revolutionäre Wahrheit ist
etwas, das dich nicht ankotzt, etwas, in das du involviert sein
willst, das dir deine Furcht nimmt, das dir Stärke gibt, das deine
Neigungen verstärkt, egal wie, selbst wenn es dich tötet. Die
Wahrheit ist mit der Theorie oder der Organisation nicht identisch.
Die Theorie und die Organisation beginnen, wenn die Wahrheit
erscheint.«

Was
hat das nun alles mit dem zu tun, was man heute gemeinhin als
»Neoliberalismus« bezeichnet? Philip Mirowski geht in seinem Buch
Die Untoten leben länger. Warum der Neoliberalismus nach der
Krise noch stärker ist
einer neoliberalen Subjektivierungsform
nach, einem unternehmerischen, mit wechselnden Identitäten
ausgestatteten Selbst (das wir Dividuum nennen). Dieses
unternehmerische Selbst versteht noch jedes denkbare Glück oder
Unglück als Folge von selbst zu verantwortenden Risiken und als
Konsequenz seiner richtigen oder falschen Investitionsentscheidungen.
Genauso tönen heute auch die diskursiven Sprachrohre der neuen
Mittelschicht, wenn sie sagen, dass man zwischen diesen oder jenen
Lifestyle-Angeboten frei entscheiden könne, obgleich doch alle
Entscheidungen praktisch immer auf dasselbe hinauslaufen, nämlich,
dass sie in letzter Konsequenz kapitalisiert werden. Um sich als
einzigartiges Individuum zu imaginieren, muss man in die Performance
des Lebens permanent Differenz, besser noch Singularität im Stil
einer Authentizität25
injizieren , im Zuge deren man eisern darauf besteht, dass man ist,
was man isst, dass man ist, was man arbeitet, dass man ist, was man
konsumiert, dass man ist, was man performt, dass man ist, was man
investiert und so weiter und so fort – alles, um die Sakralisierung
des eigenen Ego gerade auch im Alltag so weit zu treiben, dass
vergessen werden kann, wie die Arbeits- und Konsumgewohnheiten gerade
unter dem Imperativ des »Verändere dich selbst« unter dem
Imperativ der Ökonomisierung des Selbst bleiben. Der Trick des
Neoliberalismus besteht einfach darin, diese Art von
Freiheitsprogramm, nämlich die bloße Möglichkeit, unter
verschiedenen Arbeits- und Konsumangeboten (beispielsweise bei den
Nahrungsaufnahmeangeboten von der Countercuisine über Slow Food und
Vergan) frei wählen zu können, als Strategie gegen die veraltete
erste Moderne zu verkaufen, gegen deren angeblich industrialisierte
Nahrungsmittel, die sie vor den 1980er Jahren ja noch gar nicht
waren, wohingegen sie heute industrialisiert gerade auch in der
creative economy doch meist bleiben. Das scheinbar Inkommensurable
und Außergewöhnliche, ja das fast schon Heilige, wird von den
Mitgliedern der creative economy und der neuen akademisierten
Mittelklasse mit Vehemenz gegen Hierarchien, Zwang und verkrustete
und verknöcherte Systeme in Anschlag gebracht, ein selbst
initiierter »Kulturkampf«, der sich aber nicht gegen das System
richtet, sondern der stahlharten Durchsetzung der eigenen
Anerkennungshegemonie dient, mit der alles, seien es Güter, Objekte,
Subjekte und Events, die in Relation zur Elite und gehobenen
Mittelklasse stehen, mit dem Attribut »einzigartig« versehen wird.
Wenn man aber den Zwang, dem man dabei nach wie vor unterworfen ist,
als Freiheit empfindet, dann ist aber nichts weiter als das Ende der
wirklichen Freiheit angesagt.

Wir
können heute zunächst von zwei sich überschneidenden
Subjektivierungsprozessen ausgehen: Individuierung und Dividuierung.
Die digitale Arbeit ist fragmentiert; das Dividuum – eine zelluläre
Form – erfährt in den digitalisierten Produktionsprozessen eine
rekombinante Fragmentierung in modularen rekombinierbaren Segmenten.
Wir haben es hier mit einem immensen Anwachsen einer
depersonalisierten Arbeitszeit zu tun, insofern das Kapital immer
stärker dazu übergeht, anstatt einen Arbeiter für acht Stunden
verschiedene Zeitarbeitspakete zu mieten, um sie dann zu
rekombinieren (Out- und Crowdsourcing) – und dies eben unabhängig
von ihrem austauschbaren und damit mehr oder weniger zufälligen
Träger. Das »Selbst« fluktuiert als fluides Rest-Ego und wird in
immer neuen Relationen rekombiniert, und diese Formierung vergleicht
Ulrich Bröckling mit einem Kaleidoskop, »das bei jedem Schütteln
ein neues Muster zeigt.«

Laut
Mirowski war es Foucault, der als erster linker Intellektueller (mit
all seinen Begrenzungen) den Debatten liberaler und neoliberaler
Wissenschaftszirkel, Think Thanks und anderen Organisationen größere
Aufmerksamkeit schenkte, angefangen von den deutschen Ordoliberalen
bis hin zur Chicago Schule um Milton Friedman, wobei Foucault
ausgerechnet dem Ziehvater der Neoliberalen, Friedrich Hayek,
vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit widmete (Hayek fungiert vor
allem als Verbindungsstück der beiden Lehren). Man könnte nun mit
Foucault sagen, dass neben der Fragmentierung und Dividuierung die
unternehmerische Gestaltung der eigenen Person, die über eine
Vielheit ineinander fließender Unternehmen verfügen soll eine
wichtige Rolle spielt. Das neoliberale Subjekt ist für sich selbst
Kapital, Einkommensquelle und Produzent, so Foucault. Egal, was es
macht, seine unternehmerischen Aktivitäten sollen über die Ökonomie
hinaus auf alle gesellschaftlichen Felder ausgedehnt werden. Geltung
und Sollen fließen ineinander. Nach Foucault betrifft das Modell des
Homo oeconomicus, der als ein gut durchkonstruiertes Stück
Humankapital endgültig vollständig regierbar ist, damit nicht nur
den ökonomischen Akteur, sondern den Akteur im Allgemeinen, der
bspw. sein Liebesleben wie eine Datingmaschine pflegt (Maximierung
der Rendite bezüglich der Investition in Gefühle, Zeit und Geld),
der den Nutzen eines Verbrechens kalkuliert oder seine Freundschaften
evaluiert wie er seinen Jobs evaluiert und der schließlich die
Gefühle sein Privateigentum nennt, um sein Lebendig-Sein in Szene zu
setzen, jene Form des Lifestyle-Frankensteinismus, den man eher aus
Horrorfilmen kennt. Das zur Lebensform radikalisierte
Designerbüroüro, in der Jeder Jedem rund um die Uhr in den Ohren
liegt, ist heute das letzte Mittel, die überflüssig Beschäftigten
vor ihrer Selbstabschaffung abzuschrecken. Und so wird das Leben
über sein Ende hinaus gestreckt, die Menschen wandeln sich zu
lebenden Leichnamen, ihren sozialen Tod hinter sich, ihren physischen
Tod vor sich. Die praktisch gewordene Wahrheit, der Sinn des Lebens
sei das Leben selbst, hängt das Leben an den Tropf und macht die
Lebenden zu Vampiren, deren zielloser Wunsch die aktive Sterbehilfe
nach dem Vorbild der Erlösung Frankensteins ist.

Das
neoliberale Subjekt ist kein klassischer Unternehmer mehr, sondern
ist als Humankapital der Vervielfachung der Unternehmensform quer
durch alle sozialen Bereiche unterworfen. Als zu kapitalisierendes
Subjekt hat es schließlich so in sich zu investieren, dass sein
Kapital- bzw. Portfoliowert in allen gesellschaftlichen Feldern
steigt und/oder Investoren auf seine Kreditwürdigkeit aufmerksam
werden. Es verdichtet sich zu einem Bündel mentaler Eigenschaften,
wobei sein Interessenkalkül in eine äußerst geschwätzige
Gefühlsökonomie eingebettet bleibt. Mirowski zitiert in seinem Text
zum Neoliberalismus einen Gesprächstherapeuten: »Ob jemand weiß,
wovon er redet, ist egal, solange er nur bereit ist viel zu reden.«
Das souveräne Handeln, das durch die digitalisierte Arbeit in der
Tendenz zerstört wird, muss ständig rekonstruiert werden, indem es
simuliert wird, und zwar durch das Zusammenspiel von Semiologien,
ansteckender Kommunikation und der sie ergänzenden Kognition, wobei
dieses Spiel sich im Modus der Endlosschleife vollzieht, die
Kroker/Weinstein als postmoderne Ideologie folgendermaßen
beschrieben haben: »Ich könnte für immer hier bleiben und mit dir
weiter reden.« Das ist die Einstellung jener Leute, die bei MC
Donald`s herumhängen: die ideale Sprechgemeinschaft, die es bereits
gibt, aber von der „Kritischen Theorie“ übersehen wurde.«
Darüber hinaus stattet der neoliberale Refrain (Kommuniziere!
Verhalte dich als Unternehmer! Werde ein Asset! Trage ein Risiko!)
die Dividuen mit funktionalen, effizienten Relationen aus, damit sie
in den kapitalisierten Raumzeiten und im Wettbewerb mit den anderen
Mitspielern bestehen können. Man muss nur das Stimmengewirr im
Internet zur richtigen Zeit platzieren, das sture Nachbeten im
Anfangsstadium einer Marketingkampagne betreiben und man braucht eine
Strategie für das nachlassende Interesse am Ende der Kampagne. Alles
wird zur blöden Anekdote, kann jederzeit aktualisiert, um
gleichzeitig als Zeichen entaktualisiert zu werden.

Die
neoliberalen Dispositive produzieren aber
nicht
nur das unternehmerische
Subjekt,
sondern auch die Surplus-Bevölkerung, die im Sinne einer inklusiven
Exklusion ausgeschlossen bleibt
, und
so
ist auch
die
Surplus-Bevölkerung Teil der neoliberalen Dispositive, aber eben nur
als Element, das abgelehnt wird.

Der
Markt ist nach Hayek der vom Wettbewerb (und nicht vom Tausch)
angetriebene optimale, der komplexe und der unsichtbare, der auf alle
Ewigkeit bestens funktionierende Informationsprozessor. Für Foucault
muss er als der Ort der Veridiktion, der Produktion und Zirkulation
von Wahrheiten, ständig neu konstruiert werden. Wo aber derlei als
Norm und Wahrheit instruierter perfekter Wettbewerb herrscht, da
existiert eigentlich kein Wettbewerb mehr. Das Glaube des
kybernisierten Thermostat-Bürgers, so nennt Châtelet das sich
selbst regulierende neoliberale Subjekt, negiert, dass die dem
perfekten Wettbewerb entsprechende perfekte Kommunikation nichts mehr
kommuniziert, denn es herrscht vollkommene Transparenz, obgleich doch
im Zeitalter des Datenexzesses eine schwere Asymmetrie des
Datenzugangs zu verzeichnen ist. Die hobbeschen Robinson Partikel, so
nennt Chatelet die klassischen liberalen Rechtssubjekte, mutieren im
Neoliberalismus zu halbwegs friedlichen Menschen, die sich in zwei
Lagern befinden: Entweder dem des Angebots oder dem der Nachfrage,
organisiert von einem Prozessor, der beständig Gleichgewichtspreise
herstellt, das heißt alle profitieren von den instantanen und freien
Informationen, die angeblich jede Spekulation und Übervorteilung
verunmöglichen. In der Realität hat jedoch gerade die neoliberale
Kapitalisierung ein ökonomisches Modell für Praktiken
hervorgebracht, welche die Unternehmen, Haushalte und Staaten
gleichermaßen betreffen und ein umfassendes Risikomanagement
einfordern, um die Portfoliowerte sowie die Ratings und Rankings der
jeweiligen Akteure zu steigern. Dies impliziert, dass fast alles zum
Rohmaterial für den Markt oder zum Basiswert für ein Derivat
mutieren kann, wobei das aktuelle Ding jederzeit durch eine bessere,
volatilere Materie ersetzt werden kann, die einen noch schnelleren
Shortcut von Geld zu MehrGeld ermöglicht. Und dies in einem System
der Überblendungen und Superpositionen: Ein Tisch mag ein Ding zur
Bereitstellung einer Mahlzeit sein, aber wenn Faktoren wie zu
zahlende Zinsen auf die Kredite des Tische produzierenden
Unternehmens, Optionen und Versicherungen auf den Holzpreis und
schließlich Währungsschwankungen mit den entsprechenden Faktoren in
der Produktion übereinander geblendet werden, und dies im Kontext
der Produktion weiterer Güter und Dienstleistungen, so wird über
dem äußerst bescheidenen Tisch (als physikalisches Objekt) ein
globales Festgelage des monetären Kapitals platziert.

Die
Möglichkeit vom eigenen Risikomanagement auf Dauer profitieren zu
können, besteht stärker denn je in der kontinuierlichen Ausnutzung
der Arbitrage (auch der Ausnutzung der Arbitrage der anderen, der
Ausnutzung von kleinsten Differenzen, die Volatilität erzeugen), und
dies als eine bevorzugte Weise der finanzialisierten Subjektivierung.
Ein derartig motivierter Arbitrage-Handel ermöglicht die Verleugnung
der Abhängigkeit, der stattdessen als befreiender Wettbewerb
propagiert wird, der sich individuell-souverän ausnutzen lässt,
als ob dieser Wettbewerb einzig und allein aus der Perspektive der
individuell kontrollierbaren Inputs und Outputs gemessen werden
könnte, oder, um es etwas anders zu sagen, manche gewinnen, manche
verlieren. Und dies heißt wiederum, dass manche gerettet werden,
während andere weggeworfen oder zertreten werden. Shit happens. So
inkludieren gegenwärtige finanzialisierte Biopolitiken die
beständige Modulation des Risikos sowie die statistische Sortierung
der Bevölkerung, nämlich in die, die im Angesicht des Risikos
erfolgreich sind, und die, die es definitiv nicht sind – und nichts
anderes heißt eben at-risk zu sein.Freiheit ist der trübe Sud, in
dem sich das Marktverhalten der Unternehmen und der Subjekte
spiegelt.

Damit
verschwinden Kategorien wie Profit, Mehrwert und Kapital, auch der
Klassenbegriff aus den neoliberalen Diskursen, stattdessen wird das
Risiko zu einem allgemeinen Handlungsimperativ auserkoren, obgleich
es bei den Neoliberalen doch letztendlich immer der Markt sein soll,
der untere anderem auch über das individuelle Risikomanagement
entscheidet. Risiko ist zunächst ein versicherungstechnischer
Begriff. anders im Neoliberalismus, denn hier fungiert das Risiko als
ein Leitwert, dem es sich quasi stürmisch hinzugeben gilt und der
nur noch von dem der Freiheit (des Unternehmers) übertroffen wird.
Als Markenzeichen des Unternehmers, der keine Wahrscheinlichkeiten
mehr abzuwägen braucht, gilt es sich also in purer Ekstase dem
Risiko und dem es kontrollierenden Markt hinzugeben, jedoch einem
Markt, der alles übersteigt, was wir zu denken vermögen und dem wir
einen seltsamen Vertrauensüberschuss schenken, wie es vielleicht
einmal die Pfaffen mit Gott gemacht haben. Bedingungslose Hingabe an
das Risiko, das aber letztendlich wie eine unsichtbare Hand vom Markt
gestaltet wird und zugleich die bedingungslose Konkurrenz einfordert,
gilt als die wichtigste Methode zur Veränderung der Identität und
zur maximalen Verwertung des eigenen Lebens. Mirowski schreibt dazu:
»Es grenzt an Schwachsinn, die Vorzüge eines Marktes zu preisen,
der den Menschen bietet, was sie wollen, wenn man ihnen zugleich den
Drang zuschreibt, jene Art von Person zu werden, die eben das will,
was der Markt ihr bietet.«

Der
neoliberale Propagandaminister spricht: »Das Risiko ist eine Droge,
die Ihnen das Paradies verspricht, greifen sie einfach zu.« Das hat
mit den ökonomischen Strukturen des Kapitals zunächst wenig zu tun,
es handelt sich hier um ein diskursives Konstrukt der Neoliberalen,
das nicht nur die Relationen zwischen Staat, Politik, Subjekt und
Wirtschaft unter die Dominanz der Ökonomisierung und der
Marktrationalität stellt, sondern auch bisher noch nicht
ökonomisierte Sphären, Dinge und Begierden in Prozesse der
Kapitalisierung umwandeln will.,

Und
dies hat Folgen, die schon Adorno weitsichtig voraussah: »Mit der
Auflösung des Liberalismus ist das eigentlich bürgerliche Prinzip,
das der Konkurrenz, nicht überwunden, sondern aus der Objektivität
des gesellschaftlichen Prozesses in die Beschaffenheit der sich
stoßenden und drängenden Atome, gleichsam in die Anthropologie
übergegangen.« Es gilt weiterhin festzuhalten (auch gegen
Foucault), dass es nicht in erster Linie die neoliberale
Regierungsrationalität und Vernunft, sondern das Kapital in der
letzten Instanz ist, das über seine Operationen, Mechanismen und
Strategien die heutigen Welten und Subjekte strukturiert,
konstituiert und beherrscht. Und insofern bedeutet die risikobereite
und zugleich verantwortungsvolle Investition in das unternehmerische
Subjekt seine Unterwerfung unter das Kapital, den Staat und die
Technologien. Zwangsläufig muss die Selbsterhaltung und
Selbstverwertung im Sinne der Erhaltung und Steigerung der eigenen
Kreditwürdigkeit der Govenance des Staates und der Gesundheit des
Kapitals und seinen Wachstumsimperativen und
Finanzialisierungsanforderungen, seinen Konjunkturen und Krisen,
seinen Blasenbildungen und Akkumulationsbewegungen unterstellt
werden.

Zeigt
der Markt nach unten, dann beruht das auf falschen Einschätzungen
der Risikoakteure, deren Scheitern natürlich immer selbst
verschuldet ist. Ständig motiviert man díe Bürger dazu, ihr
eigenes Leben wie ein Portfolio zu behandeln und bricht das Leben
vielleicht einmal zusammen, dann ist der Einzelne selbst dafür
verantwortlich und wird verteufelt. So wie einmal die Pflicht zur
Einordnung in die Volksgemeinschaft als stummer Zwang fortbestand, so
ist es heute die Einübung in das Risikomanagement, das als stummer
Zwang insistiert. Der Idealtyp des unternehmerischen Akteurs erledigt
jedoch nicht nur alles freiwillig und ohne Zwang, er wähnt sich
unter Umständen sogar in der Rebellion gegen das System, aber diese
Art von Glücksspiel simuliert das Leben nur zu Übungszwecken, mit
denen sich ganz und gar den Marktprozessen übergeben wird. (Ob in
einer Straße im Stadtzentrum, in einer U-Bahn-Station oder einer
Gruppe von Arbeitskollegen: die Vollkommenheit des
Überwachungsdispositivs besteht gerade in der Abwesenheit des
Überwachers, so Tiqqun. Es sind Algorithmen, welche die Datenflüsse,
die man aus den, Smartphones von Nutzern und deren Reisen, Sensoren
und Bewegungen gewinnt, verwalten, um beispielsweise die smarte Stadt
zu entwickeln, das heißt die performanceorientierte Flächennutzung
der Stadt, welche die Dividuen als begreifbare und lenkbare
Mobilitäten solange hin und herschiebt, bis sie die maximale Rendite
einbringen. Oder, um es genauer zu sagen, die Vollkommenheit der
Kontrolle besteht in Verarbeitung aller persönlicher Verhaltensdaten
durch algorithmisierte Maschinen, die noch jede Kommunikation, jedes
Lachen und jeden Furz indexierbar machen, um noch bessere Prävention,
Vorhersehbarkeit und Mustererkennung von Verhalten zu erzielen und
dieses dann zu modifizieren und in gewinnbringende Kanäle zu
schicken, aber auch, um jedes abweichende Verhalten durch gezielte
Eingriffe zu eliminieren. (Wenn Versicherungen nicht bezahlt werden,
bleibt die Tür des Autos versperrt.) Unternehmen und Personen werden
heute nicht mehr am konkreten Einzelfall auf ihre Kreditwürdigkeit
geprüft, sondern anhand der Erstellung einheitlicher quantitativer
Indizes.

Man
betrachte etwa die Entwicklung der Lebensversicherungen, die über
die Methoden der Verbriefung von Krediten und Wertpapieren zu einem
handelbaren Finanzprodukt geworden sind. In den 1980er Jahren
entstanden in den USA Firmen, die den Kauf von Policen HIV kranker
Menschen mit Pauschalsummen betrieben. Dabei übernahm die
Versicherung die Beitragszahlungen des Kranken in der Erwartung, dass
sein baldiger Tod die Kosten im Verhältnis zur Versicherungssumme
minimieren würde. Heute werden die Policen in forderungsbesicherte
Wertpapiere gebündelt und an institutionelle Anleger verkauft, denen
die teilweise makabren Ausgangsgeschäfte gar nicht bekannt sein
müssen. Während selbst noch totkranke Menschen zur Verstärkung
ihrer unternehmerischen Aktivitäten angehalten werden, gehen die
Firmen, die ihre Policen verbriefen, nur kalkulierte Risiken ein, das
heißt auf Basis versicherungstechnischer Kategorien und der Kenntnis
fixierter Kundenidentitäten. Generell bedarf die Ekstase der
Marktbereitschaft qua Kreditkarten, Studentendarlehen und Hypotheken
als Pendant die Operationalisierung versicherungstechnischer und
-mathematischer Größen wie Klassenzugehörigkeit und feste
Identität, zu deren Kontrolle ganz spezielle Panoptiken errichtet
werden.

Das
gegenwärtig zugerichtete Risikosubjekt ist nicht passiv, sondern
muss sich im Rahmen seines Risikomanagements ständig aktiv und
strategisch verhalten, ja seine Zukunft kakulierend planen. Dies geht
ungefähr so: Du kannst alles werden, was du willst, du musst es nur
wollen, obgleich Google dir vorgibt, was du gerade tun willst und was
du morgen tun wirst, und glaube mir, du wirst es tun. Belohnung oder
Strafe sind das Ergebnis eines permanenten Managements um die zu
kalkulierenden Risiken. Mirowski bezeichnet das Risiko als den
Sauerstoff des unternehmerischen Selbst, ein kleines Kapital, das
sich effektiv und vielgestaltig in allen Lebensbereichen verwerten
soll. Dies erfordert zwingend, dass man Unwissenheit und Unsicherheit
als konstitutiv für das eigene Leben und seine Relationen zum Job,
Familie, Versicherungen und Konsum versteht. Und das unternehmerische
Selbst funktioniert am Besten, wenn es einem noch unternehmerischeren
Selbst zu mehr Geld verhilft, wenn es sich riskanten
Hypothekengeschäften überlässt, die leichte Wirtschaft im Internet
goutiert, die Absorption des Alltags durch die Finanzialisierung
mitorganisiert, wie ein Profi an der Börse spekuliert, auf Facebook
sein Profil effektiviert. Das neoliberale Risikosubjekt ist simultan
das Unternehmen, der Kunde, das Produkt und das Rohmaterial seines
Lebens. Die Unterscheidung von Konsument und Produzent löst sich
hier zugunsten eine Subjekts auf, das mit einem kleinen Kapital
zusammenfällt. Seine Eigenschaften, Projekte, Skills und Fähigkeiten
hat das neoliberale Risikosubjekt wie Kapital- und Vermögenswerte zu
behandeln, die es zu pflegen, zu managen und zu vermehren gilt.
Eingeschlossen sind auch die Verbindlichkeiten, die unbedingt
gemanagt werden müssen, ansonsten droht das Aus. Natürlich steht
man besser auf der Seite der Forderungen als auf der Seite der
Verbindlichkeiten, wobei Versicherungen die notwendige Form sind, um
die anfallenden Schwankungen zu regulieren. Schließlich mutiert das
neoliberale Subjekt zum Spielball von Derivatgeschäften, von denen
es abhängt wie es sie gleichzeitig in höchster Alarmbereitschaft
bzw. Flexibilität zu pflegen, zu festigen und zu effektivieren hat.
Zwischen den verschiedenen Rollen, die es dabei zu besetzen gilt,
besteht keine feste Hierarchie, sondern sie werden je nach momentanen
Anforderungen besetzt und gerade diese Art der Flexibilität
erfordert die permanente Selbstkontrolle. Emotionen, Techniken und
Verfahren wechseln ständig, und wer das eigentlich orchestriert, ist
nicht ganz klar (man denke an Adorno und seine Bemerkung, wie
unverschämt es eigentlich sei, noch Ich zu sagen), aber es muss
weiter ein Integral existieren, so provisorisch es auch sein mag,
will das neoliberale Subjekt nicht ganz in das Pathologische
abdriften. Der Opportunismus besteht einfach darin, in der Beziehung
zu sich selbst ständig die Figuren, die dieses Selbst verwalten,
auszutauschen, indem man neue Techniken ausprobiert, emotionale
Bindungen und Affekte je nach Erfolgsaussichten verändert.
Integration und Auflösung sind die Komponenten, in denen sich das
abspielt.

Jede
gelebte Erfahrung wird durch ein Konglomerat von Lifestylen ersetzt,
wobei man die Spannung zwischen engem Zugehörigkeitsgefühl zu einer
Trendgruppe und Individualität auszuhalten hat, und dies gerade so,
dass beide Eigenschaften in bestimmten Momenten kurzgeschlossen
werden können. Tiqqun schreiben: „Franzose, Ausgeschlossener,
Frau, Künstler, Homosexueller, Bretone, Bürger, Feuerwehrmann,
Moslem, Buddhist oder Arbeitsloser: alles ist recht, solange nur ein
jeder in diesem oder jenem Tonfall und mit verklärtem Blick ins
Unendliche das wunderbare „ICH BIN…“ grölen kann.“ Dabei
geht es meistens nur um die Beschwörung der eigenen Nichtigkeit
oder, wie David Foster Wallace sagt, um die Bewirtschaftung der
eigenen Bedeutungslosigkeit, die heute am erfolgreichsten vom Promi A
bis C vorgeführt wird.

Die
Tower aus Glas und Stahl, in denen die Finanzmärkte zu Knotenpunkten
sich verdichten, sind Hochsicherheitstrakte der Risikokalkulation.
Permanent Access, schneller Zugriff. Beschleunigungs- und
Verlangsamungszumutungen kalkulieren die Broker & Sales Manager
normalerweise in monetären Größen, klar ein Risiko ist bei jedem
nur denkbaren Trade dabei, jedoch kein gänzlich unkalkulierbares
bzw. keines jenseits der zu bewirtschaftenden Kontingenz, dafür
stehen bezüglich der Subjektivierung sowohl die obsessive
Manipulation subjektiver Beschleunigungstechniken à la
zen-orientiertes Konzentrationstraining als auch die hingebungsvolle
Ökonomisierung der eigenen subjektiven Zeit, und nicht zuletzt
experimentieren Broker gerne mit Präparaten wie Ciprexilex oder
Zanosar, ohne dass allerdings medizinische Diagnosen mentaler
Störungen bei den meisten Akteuren vorliegen. Es geht hier um die in
Eigentherapie rekursiv produzierte Selbsterkenntnis, dass man zu
Recht einen possessiven Individualismus frönt, der einem irgendwie
auch
von den
anderen
Kollegen unterscheidet, denn jeder ist in der Tat einzigartig,
einzigartig aber im Sinne der zynischen Selbstverwertung, die den
eigenen Zensor auf Autopilot stellt, wenn es um die sadistische
Vernichtung der Vorstellung geht, man könnte etwas mit den
narzisstisch induzierten Klischees bzw. Stereotypen von ihm Selbst zu
tun haben, bis man schließlich wieder
drauf
und dran ist, der Absorption des Selbst durch die
soziopsychologischen Imperative der Kontrolle durch die
telemetrischen Finanzmärkte zuzustimmen, mit all den Prozeduren der
Individualisierung und der Modulation, die die Finanzmächte in
Gang setzen,
was einem mittels Projektion das In-das-Zentrum-Stellen seines Selbst
in der Jobwelt möglich macht.

Die
Investitionen, die das Dividuum betreffen, erstrecken sich heute bis
in die genetische Manipulation hinein. Neurotransmitter, Organe,
biologische Komponenten und somatische Identitäten werden zum Tausch
freigegeben. Es wird als
eine
umfängliche Begeisterung für die Freiheit verstanden,
wenn
der
Körper andauernd in Bezug auf das Monetär filetiert
wird.
Selbst
noch der
Körper mutiert zur gewinnbringenden
Firma,
die zudem
Fusionen
eingeht, man denke an Implantate, Transplantationen und chirurgische
Eingriffe, und man tätigt mit ihm Verkäufe, seien es Organe, Blut
oder Keimzellen. Gerade dies führt zur Asomatognosie, einem
Nichtwissen um den eigenen Körper. Der Begriff bezeichnet den
Verlust der Wahrnehmung oder des Gefühls der Zugehörigkeit eigener
Teile. Es gibt Personen, die im Zuge ihres Self-Trackings ihre Körper
mit Sensoren ausstatten und rund um die Uhr Blutdruck, Blutzuckerwert
und Fettanteil messen und diese Daten dann ins Netz stellen.
»Self-Tracking«
– die Extraktion,
Sammlung, Zusammenfassung und Auswertung von Daten über alle nur
denkbaren Merkmale und Funktionen des eigenen Körpers durch
unterschiedliche Apps und Verfahren – beschreibt eine neuartige
Form der Optimierung des eigen Selbst. Solche
Apps und Technologien können alle möglichen Daten automatisch
aufzuzeichnen, katalogisieren und danach grafisch darstellen. Jede
versäumte Joggingrunde, jede überzählige Kalorie, jede verträumte
Minute Arbeitszeit wird unmittelbar registriert und angemahnt, um
nicht vor sich selbst in den Verdacht zu gerade, nicht das Maximum
aus sich herauszuholen«, Dabei unterscheiden sie drei Formen des
Vergleichs: Zuerst der Vergleich mit sich selbst, als Fort- oder
Rückschritt sichtbar gemacht im Vergleich zu früheren Aktivitäten
Der Vergleich mit (konkreten) Anderen durch Nebeneinanderhalten der
Daten. Und der Vergleich mit normierten Durchschnittswerten wie etwa
dem Body-Mass-Index.  »Vergleichen, Verbessern, Motivieren«,
fassen Leger, Panzitta und Tiede die Imperative solcher Technologien
zusammen – die sich in breiter Front auf dem Vormarsch befinden.
,Die Technologien des Self-Trackings ermöglichen es nun erstmalig,
den gesamten Körper in Wert zu setzen und für das Kapital
interessant zu machen. Die gesamte Lebensführung wie Essen, Schlaf,
Bewegung, Beziehung und Emotionen können nun erfocht und bewertet
werden – und dies alles in Echtzeit. Die Daten sind selbst schon
Ware. Sie werden weiterverkauft – und rund um die Selbstvermessung
entsteht ein riesiger neuer Markt an Apps und weiterem Zubehör. Das
Silicon Valley hat die Krankheit als Marktpotenzial, unser Sein zum
Tode als Innovationstreiber erkannt. So drängen die Konzerne
zielstrebig in einen Markt, der allein in den Vereinigten Staaten ein
Volumen jenseits der drei Billionen erreicht.

Amazon gründete unlängst eine Krankenversicherung, baut gerade
Kliniken – probeweise – für die eigene Belegschaft und hat sich
die Internetapotheke Pillpack einverleibt. Facebook verhandelte bis
zum Datenskandal um Cambridge Analytica mit Krankenhäusern über
anonymisierte Gesundheitsdaten, um sie mit denen seiner Nutzer
abzugleichen. Und zuletzt entwickelte das soziale Netzwerk einen
Algorithmus, der die Aussagen amerikanischer User auf die Gefahr
eines Suizids scannt.

Der avancierteste Player im Rennen um unsere Gesundheit ist
derzeit jedoch Alphabet. Das Mutterschiff von Google entwickelte
zuletzt KI-basierte Software-Lösungen, um Krankheitsverläufe und
gar den Todeszeitraum von Patienten in Spitälern genauer zu
bestimmen. Mit dem Subunternehmen Verily, vormals bekannt als Google
Life Sciences, forschte man bereits an einer Kontaktlinse, die
mittels Tränenflüssigkeit die Glukosekonzentration misst.Als das
beste aller behavioristischen Aufschreibesysteme bewährt sich hier
zurzeit das Smartphone, ein multisensorisch-gläsernes Device, auf
dessen Oberfläche sich – zumindest für die digitale
Gesundheitsavantgarde – das Unbewusste zu spiegeln scheint.

Besonders das Startup Mindstrong Health des früheren Direktors
des amerikanischen National Institute of Mental Health und nicht
zufällig auch vormaligen Leiters der Abteilung für psychische
Gesundheit bei Verily, Thomas Insel, eröffnet ganz neue Sichtachsen.
Man analysiert das Tippverhalten des Smartphone-Users – wie er
scrollt, klickt oder wischt –, um qua Mustererkennung
Verhaltensprofile zu erstellen, die wie Kompassnadeln auf mentale
Schwachpunkte verweisen.

ie
der biologische ist auch der Datenkörper immer «work in progress»:
So werden nicht nur die Schlafqualität oder die körperliche
Aktivität aufgezeichnet, sondern auch Langzeit-EKG durchgeführt,
Genome sequenziert, Labor-Scans, Tests auf Herz und Nieren oder zur
mentalen Verfassung unternommen. Krankheiten und ihre Entwicklung
sollen – in einer Art Live-Ticker – genauer analysiert werden und
damit immer besser vorhersagbar werden. Insel nennt das Verfahren
«digital phenotyping», eine Form der Kartierung, die anhand von
digitalen «Biomarkern» und ohne Inhalt oder Semantik des Getippten
zu deuten, Depressionen zu diagnostizieren verspricht. Wer,
vereinfacht gesagt, zu langsam tippt, der erscheint geknickt; wer
sehr schnell auf sein Smartphone einhämmert, befindet sich womöglich
in einer manischen Phase. n der Netzwerkgesellschaft gibt es keinen
Ort für das einzelne Individuum, denn es ist im Zuge der
Auswertungen – das hochgejazzte «Wir» wirkt wie ein latenter
Hinweis – kaum noch als solches sichtbar. Allenfalls kennzeichnet
es einen Knotenpunkt, der sich lose im Spiel der Patterns bewegt;
eine ephemere Hülle, die mehr als Profil denn als fühlendes Subjekt
erscheint.

Das
»quantifizierte Selbst führt
dazu, dass man beim Laufen beginnt
seine
Schritte zu zählen und
sich damit
zunächst in einen Vergleich und eine
Verpflichtung begibt.
Man
muss sich
steigern, denn
man
war schon einmal besser.´,
sodass man sich
etwas schuldet..Jeder
Post auf einer sozialen Plattform genügt derselben Logik. Er löst
ein, was er ankündigt, nämlich den Anspruch auf Aufmerksamkeit.
Keine Begegnung in meinen sozialen Beziehungen entgeht demselben
Kalkül. Sie baut Schulden ab und Erwartungen auf, die ihrerseits
beglichen werden müssen.

Wer
aber ganz scheitert, kommt ins psychatrisierende Rehaprogramm, wo ihm
stur eingetrichtert wird, dass gegen einen Burnout nur die Steigerung
des eigenen Unternehmertums hilft.

Wenn
das Leben, so wie es ist, noch einmal einen Sinn bekommen soll, der
ewige und alternativlose Freiheit verspricht, dann muss die
Unterwerfung unter die ameisenhafte Schufterei, die stupide
Beschäftigung und der Verzicht als selbstverschuldet erscheinen, als
mangelnde Kompetenz oder unzureichende Risikobereitschaft, die es für
jeden Einzelnen schleunigst zu beheben gilt. Auf das Schweigen der
Massen, das alles andere als harmlos ist, wurde der primitive
Ökonomismus der Mittelschicht und der Eliten gestülpt, dessen
Leitfiguren der Buchhalter und Krämer sind – jeder Cent zählt –,
die wiederum von einer administrativen Spiritualität befeuert
werden, die heute insbesondere die Inspektoren der Finance
zelebrieren. Die Jagd nach jedem Cent ist unter subjektiven
Gesichtspunkten weder allein als Gier noch als Geiz zu verstehen. Die
sie begleitende Abschreibung jeder Art von Kulanz verweist vielmehr
auf die bedingunglose Konkurrrenz (einst von Adorno als »Kameraderie
der Anrempelei« bezeichnet), in die sich ständig Panik mischt, eine
Art latenter Melancholie verschnitten mit einer Menge Wahnsinn.
»Denke positiv, eliminiere das Problem und maximiere (deinen
Kapitalwert)« lautet der Imperativ der globalen neoliberalen
Mittelschicht, die so in aller Ausführlichkeit das Ende der
Geschichte genießen will.

Das
heutige Dividuum ist
als
ein modularer Baukasten konstruiert und seinem Erfolg soll nichts im
Weg stehen. Die Fragmentierung erreicht dann ihren einsamen
Höhepunkt, wenn das Dividuum affirmiert, dass es nicht nur
Zeitarbeiter, Angestellter oder arbeitslos, sondern ein zu
verkaufendes Produkt, ein Werbeplakat, ein Manager seines Lebenslaufs
ist und sich dabei zudem noch als Artist seiner Motivationen
imaginieren darf. Dabei rechnet sich das Dividuum die eigene
Durchschnittlichkeit noch als Verdienst an. Unter zeitlichen
Gesichtspunkten steht es unter dem Diktat des Futur 2, des
»Es-wird-gewesen-Seins«. Die Vergangenheit gilt ihm als ein
Kostenfaktor, der im Zuge einer Kalkulation, die ganz auf die Zukunft
ausgerichtet ist, reduziert werden werden muss. Gleichzeitig ist, wie
Mark Fisher es eindringlich in seinem Buch Gespenster
meines Lebens. Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft

beschrieben hat, die Vergangenheit, vorangetrieben von der
Popindustrie, heute überpräsent. Jede x-beliebige Vergangenheit
wird rekapituliert, so ähnlich wie George A. Romero es in seinem
Zombie-Filmklassiker Die
Nacht der lebenden Toten

inszeniert hat. Wenn es den Toten in der Hölle zu eng wird, müssen
sie eben auf die Erde zurück. Dies ist aber nur die eine Seite der
Temporalisierung im neoliberalen Kapitalismus. Die ominöse
Okkupation der Zukunft durch das spekulative Kapital, die
gleichzeitig einer monströsen Vernichtung jeder anti-axiomatischen
Überraschung
und Virulenz entspricht, lässt sich eben nur vom Futur II her
schreiben, obgleich selbst diese Zeit vom Kapital immer wieder
überwunden werden will. Das Kapital hält daran fest, seiner Zukunft
einerseits entgegenzustürzen, sodass die Gegenwart per se an der
Zukunft gemessen wird, andererseits seine eigene Zukunft beständig
auch zu überholen, das Trauma par excellence, das durch die
futurisierende Kapitalisierung, die paradoxerweise zugleich auf
absolute Selbstgegenwärtigkeit setzt, eingeholt werden will und doch
nicht eingeholt werden kann. In dieser gesellschaftlichen Situation
scheinen nicht nur die ökonomischen Prozesse, sondern auch die
politischen und sozialen Bewegungen erratisch und ziellos
umherzuwandeln, sodass der Zeitpfeil endgültig ins Trudeln gerät,
obgleich weiterhin das Diktat von ewiger Jugend herrscht. Der
Burner in den Medien sind derzeit Kindfrauen, die hochemotional und
zu Tränene rührend und vor allem ohne jede Folgen für oder gegen
irgendetwas angagiert sind. Bei dem ständig wchselnden und doch
anhaltenden Jungedn-Authenzitätswahn könnte man den Zynismus eines
kapitalistsichen Szenarios vergessen, der in seiner Flexibilität,
Resilienz und Jugendhaftigkeit einer Gummizelle gleicht.
Alain
Badiou hat darauf hingewiesen, dass es hinsichtlich des
Imperativs
ewiger Jugend für die Subjekte nur zwei Möglichkeiten gebe, nämlich
einerseits der aufgrund demografischer Entwicklungen und
unterentwickelter Gebiete, in denen die
Geldzirkulation
nur vermindert stattfindet, aufkeimende jugendliche Terrorismus, und
andererseits die Affirmation der Maxime „«Have Fun« in den
kapitalistischen Metropolen. Damit unterschätzt er sicherlich den
Zwang, sich zumindest in den Metropolen ständig als
profitorientierte Risikosubjekte modellieren zu müssen. Gleichzeitig
korreliert in den Metropolen das jugendliche Design des Lebens mit
einer Todesproduktion, die Deleuze/Guattari folgendermaßen
beschrieben haben: «Der einzige moderne Mythos ist der der Zombies –
tödliche Schizos, die, wieder zur Vernunft gebracht, gut für die
Arbeit sind. In diesem Sinne stellen der Wilde und der Barbar mit
ihrer Art, den Tod zu codieren, Kinder dar gegenüber dem modernen
Menschen und dessen Axiomatik (es braucht so viele Arbeitslose, so
viele Tote, der Algerienkrieg tötet nicht mehr als die
Verkehrsunfälle am Wochenende, als der geplante Mord in Bengalen …
). Der moderne Mensch deliriert noch mehr. Sein Wahn gleicht einer
Fernsprechanlage mit dreizehn Telefonen. Er gibt der Welt Befehle. Er
liebt die Damen nicht. Er ist auch brav. Er wird mit aller Macht
dekoriert. Im Spiel des Menschen ist der Todestrieb, der schweigende
Trieb, sicher eingesetzt, vielleicht an der Seite des Egoismus. Er
nimmt das Feld der Null beim Roulette ein. Das Kasino gewinnt immer.
Der Tod ebenso.« Die von Deleuze/Guattari beschriebenen Zombies sind
sicherlich nicht diejenigen von Romero, der das Szenario einer Stadt
entwirft, in der sich die Reichen in einem Tower einquartiert haben,
in dem sie den gewöhnlichen Luxus genießen, während die Masse
unter dem Tower in Elend dahinvegetiert. Diese Art von
Klassenstruktur kann nur aufrechterhalten werden, weil das Land von
Zombies besetzt ist, die jeden Ausbruch aus dem Tower mit Tod
bedrohen. Die Zombies von Deleuze/Guattari sitzen aber auch im
Luxustower selbst, gestalten ihre Lifestyles wie digitale Püppchen
an den Bildschirmen und gehen zugleich wie gewohnt ihrer Arbeit nach.
Unter ihnen gibt es realiter eine weitere Art von Zombies, die aber
die Luxuszombies in ihren Worldghettos kaum bedrohen. Sie besteht aus
der Masse von Arbeitsnomaden, für die das globale Kapital keinerlei
Verwendung mehr hat. Es ist ein schönes Irrenhaus, das Leben im
Spätkapitalismus .

Und
wie sieht ees mit denjenigen Agenten aus, die im Angesicht des
Risikos gewonnen, und denjenigen, die versagt haben, aus? Mirowski
schreibt: »Seit den Neunzigerjahren verfolgen nicht nur die Reichen,
sondern fast jeder, der noch einen Job hat, mit elektrisierender
Schadenfreude, wie die Vollstrecker der Austerität tausenderlei
grausame Einschnitte im Sozialstaat vornehmen. Dass die Armen, wie
oben argumentiert wurde, nicht mehr als Klasse gelten, macht es
leichter, sie zu hassen. Sie sind der Abfall des Marktes. Diese
jämmerlichen Gestalten, so gibt man zu verstehen, leben von unserer
Großzügigkeit. Deshalb sind sie es, die uns etwas schulden; und
deshalb haben wir jedes Recht, Zuschauer im Theater der Grausamkeit
zu sein. Bei diesem dunklen Vergnügen lernen selbst
einkommensschwache Menschen, sich in einer Ära des Niedergangs wie
Reiche zu fühlen.«

Wie
im Neoliberalismus die Bereitschaft zur Selbstverwertung
vorausgesetzt wird, so auch die Bereitschaft zur Selbstentwertung.
Letztere entspringt dem Umbau der Sozialversicherungssysteme und der
Existenz von Jobcentern, sprich Anstalten, die den Arbeitszwang und
die Armut verwalten. Umschulungsprogramme und eine gigantische
Maßnahmenindustrie organisieren die staatlich subventionierten
Demütigungen. Als beliebig verwertbares Material, als Personen,
denen jedes Bedürfnis ausgetrieben worden ist, sind die Armen heute
der beständigen Belästigung, dem Zwang und der Nötigung durch den
Staat ausgesetzt. Die Kunden der Arbeitsanstalten werden in
teambasierte Netzwerke von sog. Maßnahmen eingepasst, mit denen sie
in loser Reihenfolge mit sinnlosen Kursen und Coachings gequält
werden oder die Kunden werden wahlweise dazu gezwungen, jede
Drecksarbeit anzunehmen, und parieren sie nicht, werden sie
sanktioniert, das heißt in den Hunger getrieben. Leiharbeitsfirmen
besitzen das Recht, die Kunden zu nahezu jeder beliebigen Arbeit zu
nötigen. Ein ungeheurer Apparat der Verdummung, der Verrohung und
der Bedrohung ist entstanden, eine neue Panikindustrie hat sich
entwickelt. Hartz IV leitete eine Entwicklung ein, an deren Ende
nicht nur die Verstaatlichung der Arbeitskraft steht, sondern die
Aneignung der Körper als einer Biomasse durch den Staat, durch die
politische Souveränität des Gesamtkapitals. Hartz IV und Agenda
2010 sind die Labore der Panik. Es geht hier keineswegs um die
begründete Furcht, die man als Kunde des Jobcenters durchaus haben
kann und die man irgendwie bewältigen muss. Dem Staat geht es
vielmehr darum, die reale Angst ins Phantastische zu überhöhen und
die Furcht durch die Panik der Selbsterhaltung zu substituieren. Die
Produktion der Panik will den Schock, und sie erzeugt nichts weiter
als die Nazifizierung des Bürgers. Gerade weil der Bürger weiß,
wozu er selbst fähig ist, darum traut er seinem Staat noch viel mehr
zu. Die Todesproduktion wird wieder konsumfähig. Und noch ein
Letztes, Badiou hat es aktuell angesprochen: Auch die jungen
Selbstmordattentäter sind Effekte eines unterdrückten oder
unmöglichen Verlangens. Wenn man hartnäckig erklärt, dass eine
andere Welt unmöglich ist, dann fragen sich diese Jugendlichen,
warum sie in dieser Welt keinen Platz haben. Wenn nämlich jede
andere Welt als unmöglich abgewiesen wird, erscheint es keineswegs
tolerierbar, keinen Platz in dieser Welt zu haben, keinen Platz, der
den Kriterien dieser Welt entspricht: Konsum, Komfort und Geld.
Gerade diese Frustration eröffnet den Raum für den Todestrieb: Was
wir wollen, das hassen wir, gerade weil wir es nicht bekommen können.
Gerade im Hass auf diese Welt zeigt sich dann das Begehren auf diese
Welt.

Die
Barbarei der Beschäftigung

Die
Transformation der Arbeit in Beschäftigung 1) strukturelle Ursachen

,

Grundsätzlich
betrachtet entsteht fiktives Kapital immer dann, wenn ein
Geldbesitzer einer anderen Person sein Geld überlässt und im
Gegenzug dafür einen Eigentumstitel (Anleihe, Aktie etc.) erhält,
der den Anspruch auf dieses Geld und seine Vermehrung (etwa in Form
von Zinsen oder Dividenden) repräsentiert. Auf diese Weise
verdoppelt sich die ursprünglich vorhandene Geldsumme. Sie existiert
nun zweimal und kann von beiden Parteien genutzt werden. Der
Empfänger kann das Geld für Konsum, Investitionen oder auch
Finanzanlagen verausgaben und für den Geber ist sein Geld zu
Geldkapital geworden, das einen regelmäßigen Gewinn abwirft.

Dieses
Geldkapital besteht aber aus nichts weiter als aus einem verbrieften
Anspruch, der den Vorgriff auf zukünftigen Wert repräsentiert. Ob
dieser Vorgriff tatsächlich auch gedeckt ist, stellt sich erst im
Nachhinein heraus. Wird die betreffende Geldsumme in eine
Produktionsanlage investiert und ist diese Investition erfolgreich,
erhält sich der Wert in der Gestalt des fungierenden Kapitals und
vermehrt sich durch die Anwendung von Arbeitskraft in der
Warenproduktion. Schlägt hingegen die Investition fehl oder wird das
geliehene Geld gleich für privaten oder staatlichen Konsum
verausgabt, so ist der ursprüngliche Wert zwar verbraucht, aber der
Anspruch darauf lebt fort (etwa in der Gestalt eines Kreditvertrags
oder einer Anleihe). Das fiktive Kapital ist in diesem Fall ungedeckt
und muss durch die Schaffung neuer Ansprüche auf zukünftigen Wert
(etwa die Ausgabe neuer Anleihen) ersetzt und „bedient“ werden,
damit der monetäre Anspruch eingelöst werden kann.
Die
Finanzialisierung der entwickelten Ökonomien lässt sich anhand der
relativen Größe des Finanzsektors im Vergleich zum BIP, des
Volumens der Profite, welche die Finanzinstitutionen im Vergleich zu
anderen Unternehmen realisieren, und anhand der Portfolioeinkommen
der nicht-finanziellen Unternehmen messen. Was über solche
Indikatoren hinaus, welche den Transfer von Geldmitteln von der
Realökonomie hin zu den spekulativen finanziellen Kreisläufen
nachweisen, die Kreditgeber heute auszeichnet, ist ihre Macht, sich
diejenigen Projekte auszusuchen, die es verdient haben, finanziert zu
werden, womit wiederum diejenigen, die auf Kredite angewiesen sind,
andauernd ihre Attraktivität für Investoren nachweisen und damit
ihre ökonomischen Aktivitäten nicht nur an die Erzielung von
Profit, sondern auch an der Herstellung von Kreditwürdigkeit
ausrichten müssen. Vor allem die Aktienunternehmen müssen nicht nur
bemüht sein, die Differenz zwischen Einnahmen und Produktionskosten
langfristig zu maximieren, sondern auch kurzfristig zugunsten der
Shareholder an einer Steigerung der Aktienpreise, die durch die
Finanzmärkte bewertet werden, zu arbeiten. Somit resultiert der
reale Erfolg dieser Unternehmen nicht ausschließlich aus der
Realisierung von Profiten, die durch den Verkauf von Produkten und
Dienstleistungen erzielt werden, sondern beruht auf dem
Kapitalgewinn, der auch aus Aktienrückkäufen erlangt werden kann.

Nun
gehört der Vorgriff auf zukünftigen Wert in der Gestalt fiktiven
Kapitals zum kapitalistischen Normalbetrieb dazu. Doch in der
fundamentalen Verwertungskrise im Gefolge der Dritten industriellen
Revolution erhielt er eine grundlegende neue Bedeutung. Diente die
Schöpfung von fiktivem Kapitals bislang im Wesentlichen dazu, den
Prozess der Kapitalverwertung zu flankieren und zu unterstützen
(etwa durch die Vorfinanzierung großer Investitionen), so fand nun,
da die Grundlage dieses Prozesses wegbrach, ein Rollenwechsel statt.
Die Kapitalakkumulation beruhte fortan nicht mehr maßgeblich auf der
Vernutzung von Arbeitskraft in der Produktion von Gütermarktwaren
wie Autos, Hamburgerbrötchen und Smartphones, sondern auf der
massenhaften Emission von Wertpapieren wie Aktien, Anleihen und
Finanzderivaten, die Ansprüche auf zukünftigen Wert darstellen. Auf
diese Weise wurde das fiktive Kapital selbst zum Motor der
Kapitalakkumulation, während die Produktion von Gütermarktwaren zur
abhängigen Variablen herabsank.

Diese
Form der Kapitalakkumulation unterscheidet sich freilich in einem
entscheidenden Punkt von der bisherigen Form kapitalistischer
Selbstzweckbewegung. Da sie auf dem Vorgriff auf zukünftig zu
produzierenden Wert beruht, handelt es sich um Kapitalakkumulation
ohne Kapitalverwertung. Ihre Grundlage ist nicht die gegenwärtige
Vernutzung von Arbeitskraft in der Wertproduktion, sondern die
Erwartung künftiger realwirtschaftlicher Gewinne, die in letzter
Instanz der zusätzlichen Vernutzung von Arbeitskraft entstammen
müssen. Da diese Erwartung jedoch angesichts der
Produktivkraftentwicklung nicht eingelöst werden kann, müssen die
Ansprüche immer wieder erneuert und muss der Vorgriff auf
zukünftigen Wert zeitlich immer weiter in die Zukunft gestreckt
werden. Das hat zur Konsequenz, dass die Masse der Finanztitel einem
potenzierten exponentiellen Wachstumszwang unterliegt. Aus diesem
Grund übertrifft das aus Finanztiteln bestehende Kapital längst den
Wert der produzierten und gehandelten Gütermarktwaren um ein
Vielfaches. In der öffentlichen Meinung wird dieses „Abheben der
Finanzmärkte“ meist als vermeintliche Krisenursache kritisiert;
tatsächlich kann jedoch die Kapitalakkumulation, nachdem die
Grundlagen der Verwertung verloren gegangen sind, überhaupt nur noch
in dieser Weise weiterlaufen.

Der
Zwang zum potenzierten exponentiellen Wachstum markiert allerdings
eine logische Grenze für die Akkumulation von fiktivem Kapital; denn
die realwirtschaftlichen Bezugspunkte, auf die sich die Erwartungen
zukünftiger Gewinne beziehen, lassen sich nicht beliebig
multiplizieren und entpuppen sich einer nach dem anderen als Chimäre
(New Economy, Immobilienboom etc.). Dennoch lässt sich diese Grenze
in erheblichem Maße zeitlich hinausschieben, wie ein Blick zurück
auf die mittlerweile rund fünfunddreißig Jahre währende Epoche des
fiktiven Kapitals zeigt. Allerdings ist dieser Aufschub mit stetig
wachsenden gesellschaftlichen Kosten erkauft, die immer
unerträglicher werden. So haben sich die Einkommen und Vermögen in
immer weniger Händen konzentriert, die Prekarisierung der Arbeits-
und Lebensbedingungen nahm weltweit zu, und die verbliebenen
natürlichen Ressourcen wurden gnadenlos verschleudert – nur um die
Dynamik der Kapitalakkumulation in Gang zu halten.

Um
die Ursachen dafür besser verstehen zu können, müssen wir zunächst
untersuchen, welche Auswirkungen die Verschiebung der
Kapitalakkumulation in die Sphäre des fiktiven Kapitals auf die
grundlegende gesellschaftliche Beziehungsform, die Vermittlung über
die Arbeit, gehabt hat. Im Anschluss daran ist zu fragen, wie sich im
gleichen Zuge das Verhältnis der beiden Seiten der kapitalistischen
Reichtumsform, des abstrakten Reichtums in der Gestalt des Werts und
des stofflichen Reichtums, verändert hat.

Oben
habe ich argumentiert, dass bis in die 1970er Jahre hinein die
gesellschaftliche Vermittlung über die Arbeit von einer
wechselseitigen Abhängigkeit von Kapital und Arbeit geprägt war.
Diese beruhte darauf, dass das Kapital in seinem Drang zur Verwertung
auf lebendige Arbeit angewiesen war, während die Eigentümer der
Ware Arbeitskraft vom gelingenden Verkauf eben dieser Ware abhingen,
um leben zu können. In der Epoche des fiktiven Kapitals hat sich
jedoch dieses Verhältnis grundlegend verändert. Nicht nur ist durch
die Dritte industrielle Revolution massenhaft lebendige Arbeit
überflüssig gemacht worden, entscheidender ist noch, dass sich der
Schwerpunkt der Kapitalakkumulation von der Vernutzung von
Arbeitskraft in der Produktion von Gütermarktwaren hin zum Vorgriff
auf zukünftigen Wert verschoben hat. Dadurch ist das Kapital in
seiner Selbstzweckbewegung in einem ganz neuen Sinn
selbstreferentiell geworden. Zwar verbleibt der Vorgriff auf
zukünftigen Wert, der im Hier und Heute kapitalisiert und
akkumuliert wird, innerhalb der Logik und Form der Warenproduktion;
denn er wird ja durch den Verkauf einer Ware erzeugt, nämlich durch
den Verkauf eines Eigentumstitels, der den Anspruch auf eine
bestimmte Summe Geld und deren Vermehrung verbrieft. Aber die
Verkäufer dieser Eigentumstitel sind keinesfalls irgendwelche
Arbeitskräfte, die das Versprechen auf eine Arbeitsleistung in zehn
oder zwanzig Jahren verkaufen, also eine Art langjährigen Vorschuss
erhielten, deren Einlösung im Ungewissen bliebe; es sind vielmehr
die Funktionäre des Kapitals selbst, in erster Linie die Banken und
andere Finanzinstitutionen, die sich gegenseitig die verbrieften
Ansprüche auf zukünftigen Wert verkaufen und damit fiktives Kapital
erzeugen und akkumulieren. In dieser Hinsicht ist das Kapital also
tatsächlich vollkommen selbstbezüglich geworden; die Ware, die
zusätzliches gesellschaftliches Kapital repräsentiert, entsteht
innerhalb der Sphäre des Kapitals selbst.

Umgekehrt
bedeutet das nun aber, dass die Verkäufer der Ware Arbeitskraft ihre
Verhandlungsmacht weitgehend verlieren. Nicht nur können sie ohnehin
angesichts der voranschreitenden Produktivitätsentwicklung und der
Globalisierung jederzeit durch Maschinen oder durch billigere
Konkurrenten irgendwo auf der Welt ersetzt werden; viel
entscheidender noch ist aber, dass ihre Ware nicht mehr die Basisware
der Kapitalakkumulation ist. Daraus ergibt sich ein strukturelles
Ungleichgewicht. Für die übergroße Mehrheit der Weltbevölkerung
ist die gesellschaftliche Vermittlung über die Arbeit immer noch
insofern zentral, als sie hier und heute ihre Arbeitskraft oder ihre
Arbeitsprodukte als Ware verkaufen müssen, um im Gegenzug dafür am
gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu können, also um die
benötigten Konsumtionsmittel zu kaufen. Dagegen bleibt zwar auch das
Kapital auf die gesellschaftliche Vermittlung über die Arbeit
bezogen; denn es hat sich ja keinesfalls aus dem Universum der
Warenproduktion verabschiedet. In dem Maß wie das Kapital durch den
Vorgriff auf künftige Wertproduktion akkumuliert, also die Resultate
möglicher Arbeit in der Zukunft vorwegnimmt, befreit es sich aus
seiner Abhängigkeit von der heutigen Arbeitskraftverausgabung und
den Verkäufern der Ware Arbeitskraft.

2.Die
Phänomenologie

Und
die Arbeit ist überall, jederzeit. Wenn die Unterdrückung absolut
ist, gibt es keine Muße, keine “Freizeit” mehr. Der Schlaf wird
überwacht. Der Sinn der Arbeit ist dann die Zerstörung der Arbeit
bei der und durch die Arbeit. Wenn aber, wie es in manchen
Konzentrationslagern vorkam, Arbeiten darin besteht, im Laufschritt
Steine zu einem Ort zu schleppen, sie aufzutürmen, um sie dann,
immer noch rennend, wieder zum Ausgangspunkt zu bringen … Dann kann
die Arbeit nicht mehr durch irgendeine Sabotage zerstört werden,
wenn sie bereits dazu bestimmt ist, sich selbst zu vernichten.
Trotzdem behält sie ihren Sinn; nicht nur den Arbeitenden zu
zerstören, sondern, unmittelbar, ihn zu beschäftigen, ihn zu
fixieren, ihn zu kontrollieren und ihm gleichzeitig das Bewußtsein
zu geben, daß Produzieren und Nicht-Produzieren ein und dasselbe
sind, ebenfalls Arbeit ist

Maurice
Blanchot zum Arbeitslager

Ist
die heutige Situation nicht ganz ähnlich? Es gibt in den zumeist
prekären Arbeitsverhältnissen eine große Anzahl sinnentleerter und
sogar unter kapitalistischen Gesichtspunkten unproduktiver
Beschäftigungen, die Graeber als Bullshitjobs bezeichnet, und die,
egal, ob sie mit langem Warten, bei dem nichts passiert, oder
unerträglicher Arbeitshetze verbunden sind, komplementär zur
ubiquitären Zirkulationslogik des Kapitals verlaufen (Hauptsache die
Arbeit zirkuliert als Beschäftigung); man soll immer etwas machen,
zwanghaft, ja fast schon neurotisch soll man etwas machen, selbst das
Warten auf den Knopfdruck wird zum Machen, besser jedoch sollte es
computergetaktet, schnell und Stress verursachend sein, die
Beschäftigung muss einfach zirkulieren. Die affektiv besetzte,
blitzartige Schnelligkeit, die man im Umgang mit digitalen Geräten
und Medien zu pflegen hat, erwartete man oft auch im Umgang mit
Personen, Objekten und Materien, und diese Attitude ist als
Beschäftigung getarnt: Nonstop-doing ist hip und angesagt, auch wenn
es noch der allerletzte Blödsinn ist, der ausgeführt wird,
zumindest sollte ein wenig spiritueller Profit aus der Beschäftigung
entspringen, wofür der wuchernde Hobbysektor vom Baumarkt bis zur
FKK-Oase, der Boom der therapeutischen Wellness- und
Freizeitbeschäftigungen mit ihren Patchworks selbststeigernder
Aktivitäten und die spirituelle Wohlfühlindustrie vom Trantra über
das Yoga bis hin zum Thai Chi die affektive Steilvorlage geben, wobei
monetäre Profite aus solchen Tätigkeiten meist nur vermittelt
gezogen werden.

In
der industriellen Arbeit ging es immer auch darum, den Arbeiter (als
variables Kapital) zu produzieren, dessen Arbeitskraft, aber niemals
mit der Arbeit, die er leistete und mehrwertschaffend war, identisch
war. Die
große Verkennung: Heute
aber ist der
Beschäftigte (nicht der
Arbeiter) immer öfters
nicht mehr
in erster Linie der Eigentümer einer
Arbeitskraft, die
sich aus Vermögen,
Fähigkeiten, Qualifikationen und Potenzialen zusammensetzt
und die der
Eigentümer auf dem
Arbeitsmarkt anbietet
und für eine gewisse
Zeitspanne vermietet, um
damit als ein Produzent
zu fungieren, der neben
der Ausübung von Arbeit,
die durch seine Arbeitskraft
gewährleistet ist, noch
als Freizeitmensch existiert.
Als moderner Konsument
von Arbeit oder
als Kunde
von Arbeit (bei der Arbeitsagentur für
Arbeit) gilt der
Beschäftigte heute
hingegen als Humankapital
im 24/7Modus bzw. als
ein Halter eines Selbst-Portfolios, das
mit beruflichen, sozialen und emotionalen Kompetenzen (nicht
Qualifikationen)
aufzufüllen und
ständig zu verbessern ist,
wobei
ein Gespür
für günstige Gelegenheiten und Optionen zu
entwickeln und die
Chancenspekulation geradezu anzunehmen
ist, damit der
Beschäftigte,
in die Sprache der Ökonomie übersetzt,
als ein ständig zu
verbesserndes Konglomerat
von verschiedenen kleinen Kapitalsorten gelten
kann, ja vielmehr noch,
der Beschäftigte ist
dieses Konglomerat,
das
er vor der Arbeitsagentur als Kunde
durch den Nachweis
von
kleinen Wertpapieren, die seine Beschäftigungsgeschichte und
-fähigkeit dokumentieren, glaubhaft verkörpern
muss. Sein Kapital bleibt
ein durch andere angewandtes Kapital, oder, um es anders zusagen, als
Konsument von Arbeit ist
er zugleich das
kleine Kapital x, das
spekulative Kompetenzkonglomerat, das
er in seiner angeblichen
Unaustauschbarkeit oder
Singularität gefälligst zu steigern hat, so
lauten zumindest
die neoliberalen
Imperative, aber er
bleibt dabei sein Profil,
das ihm von Unternehmen, sozialen Medien und Arbeitsagenturen
zugeschrieben wird, ein zwischen Konsolidierung und Vielseitigkeit
oszillierendes Produkt. Dabei
bleibt der Konsument
immer eingefroren
in einen volatilen
Arbeitsprozess
(training for job),
den man zeitweilig
sogar »Leben« nennt.
Händeringend, soweit
es einen gewissen Status erreicht hat,
sucht das Kompetenzkonglomerat nach seinen
stets auffrischbaren Talenten sowie nach einem
Alleinstellungsmerkmal, das of course in seinem (nie
zu aktualisierenden) Potenzial
liegt, es in ferner
Zukunft einmal zu
verkörpern, während es
doch gänzlich den Techniken des Plusquamperfekt eines »Es wird
gewesen sein« unterworfen bleibt, Techniken, die am laufenden
Band die Zukunft in Vergangenheit umwandeln.

An
die Stelle des Produzenten, der sich im Laufe der kapitalistischen
Historie zumindest für gewisse Lebensphasen von seiner Internierung
in der Fabrik sowie von der kompletten Rechtlosigkeit in Sachen
Freiheit emanzipiert hatte, der also immerhin die Freiheit besaß,
seine Arbeitskraft an Märkten anzubieten, tritt heute zunehmend der
Beschäftigte bzw. der Konsument von »Arbeit«, der an diese Tag
und Nacht gekettet wird. Während der potenzielle Produzent am
Arbeitsmarkt als Arbeitskraft ein Angebot verkörpert, stellt der
Konsument von Arbeit die verkörperte Nachfrage dar, insofern die
Arbeitskraft an den Arbeitsmärkten permanent designt und gehandelt,
gecoacht und gecastet wird; sie wird nun zum flexiblen Modus für das
Businessmodell einer Arbeits-Design-Industrie, welche der
Arbeitskraft das Permanent-Casting verordnet. Und selbst wenn heute
der Produzent seine Arbeitskraft noch verausgabt, ist sie an ihm
insofern tendenziell gestrichen, als er sich nicht mehr allein über
einen Produktions-, sondern überdies als Konsument von Arbeit über
einen Kaufakt definiert. Und je weniger heutzutage angesichts der
Automation und der exzessiven Zunahme von Bullshit-Jobs den
Beschäftigten die Notwendigkeit von Arbeit noch zu vermitteln ist,
desto stärker soll die Nachfrage nach Arbeit zum ubiquitären Modell
gerinnen, was auch heißt, dass man die potenziellen Produzenten über
die Jobcenter und die diversen privaten Vermittlungsdienste in die
Rolle des Konsumenten von »Arbeit« versetzt.

Der
flexible Arbeitsmarkt ist heute zum großen Teil durch die prekäre
Dienstleistung charakterisiert, welche unter anderem die
Bundesagentur für Arbeit anbietet, die aber die Beschäftigung
eigentlich nur dann vermitteln kann, wenn sie auch vorhanden ist, was
von dieser ohne weiteres vorausgesetzt wird. Folgerichtig müssen
dann eben die Arbeitslosen für ihre Arbeitslosigkeit auch selbst
verantwortlich sein, was wiederum einschließt, dass es sich bei
ihnen zumeist um faule oder redundant arbeitsunwillige Subjekte
handelt. Entkräftet man nun diese Behauptung mit Fakten/Zahlen, dann
bleibt nichts als die fehlende Arbeit übrig. Und exakt dieses Fehlen
der Arbeit muss die Bundesagentur für Arbeit als ihre
»Dienstleistung am Arbeitsmarkt« ständig bearbeiten, indem sie die
fehlende Arbeit wundersam in eine Arbeit in Potenz transformiert,
womit selbst noch die fehlende Arbeit zu einer potenziellen Ware
gemacht wird. Und nimmt man weiterhin an, dass die Arbeit vielfach
prekäre und unterbezahlte Arbeit ist, wobei die Beschäftigten
entweder potenziell zu Tode gehetzt und gemobbt oder reinen
Beschäftigungstherapien unterworfen sind, so wird das Fehlen von
Arbeit niemals fehlen.

Um
es zu wiederholen, die Bundesagentur für Arbeit hält trotzig daran
fest, dass es an Arbeit nicht fehlt, womit das Fehlen der Arbeit
selbst zur Arbeit wird.26
Egal welche Arbeit von der Agentur angeboten wird, sie zirkuliert nun
scheinbar selbst als potenzielle Ware (die klassische Verkennung, die
in der Verwechslung bzw. Gleichsetzung der Arbeit mit der
Arbeitskraft besteht), die sich aber meistens nur noch zeitlich
befristet aktualisiert, wobei auch die potenzielle Beteiligung der
Kunden an der Suche nach Arbeit längst keine Garantie mehr dafür
ist, dass eine aktuelle Beteiligung an der Arbeit aus ihr resultiert.
Wenn Arbeitslose zu Kunden von staatlichen oder privaten
Arbeitsvermittlungsagenturen mutieren, dann kommt darin gerade eine
weitere Verkehrung ins Spiel: „Arbeitslose, die per definitionem
Produzenten ohne Arbeit sind, werden potenziell zu Konsumenten, zu
Käufern von Arbeit. Daraus folgt, dass die Arbeitslosen als
Nachfrager von Arbeit gleichzeitig die Unternehmer ihrer selbst sind,
die scheinbar ihre eigene Arbeit einkaufen. Sie haben auf jeden Fall
ihr kleines Kapital X zu vermehren, und da dieses außer ihrer Potenz
Arbeitskraft zu sein, meistens gleich Null ist, kam die Bundesagentur
auf Arbeit eines Tages auf die schlaue Idee, dieses kleine Kapital X
aufzubessern, Kennwort »Ich AG«, hat diese Bemühungen aber mehr
oder weniger schnell wieder aufgegeben. Der prekäre Beschäftigte
sollte nun am eigenen Leib erfahren, was Verantwortung und
Unternehmertum heißt, damit er sich mit den Opfern, die Staat und
Kapital für ihn erbringen, endgültig identifiziert, um die
Staatsapparate und Unternehmen aus ihrer rechtlichen und sozialen
Verantwortung zu entlassen.

Den
Kaufakt von Arbeit muss der prekär Beschäftigte im Laufe seines
Joblebens ziemlich häufig wiederholen, sodass Faktoren wie
Fortbildung, Performancepotenz, Wissenserwerb und Verbesserung der
Qualifikation und Kompetenz auf Dauer gestellt sind, womit
folgerichtig ein wucherndes Beratungs-, Trainings- und
Weiterbildungsangebot an den Arbeits- und Coachingmärkten entsteht.
Dabei haben wir es hier mit der Logistifizierung eines
Beschäftigungs-Mobilitätsregimes zu tun, das darin besteht, die
richtige Menge an Arbeitskräften, mit den richtigen Kompetenzen und
Qualifikationen, zum richtigen Zeitpunkt und zu den richtigen Kosten
an den richtigen Ort zu vermitteln, wobei dafür ein permanentes
Tracking der Bewegungen der Arbeitskräfte stattfinden muss, um
dieser Art der just-in-time Produktion gerecht zu werden, und dies
betrifft insbesondere auch die to-the-point-Migration, (Logistische
Grenzlandschaften 54), bei deren Management eine Logistik der
Wartezeiten, umfassende Überwachung, Steuerung und Verhinderung von
Friktionen gefordert sind.

Das
meistens am Bildschirm erworbene Wissen resultiert in einem
fluktuierenden Informationswert (des Konsumenten von Arbeit), wobei
dieser mit der Arbeitskraft eines Produzenten, der mit einem
standortgebundenen und für eine spezifische Fertigung konstruierten
Maschinenpark konfrontiert ist, nur noch wenig zu tun hat. Das neue
Paradigma der Beschäftigung ist der Computer, der mobil und flexibel
ist und in ein Netzwerk integriert ist. Um erfolgreich zu sein, muss
man heute in fast allen Berufsbereichen vernetzt sein, denn nur so
kann man Investoren anziehen, die das eigne humane
Investitionskapital fördern und voranbringen. Durch den Einkauf und
die Anwendung von affektiven und sozialen Kompetenzen und beruflichem
Wissen, das den Beratungs-, Coaching- und Weiterbildungsprogrammen
abgewrungen wird, scheinbar bestens informiert, muss der Konsument
von Arbeit zum flexiblen und attraktiven Verkauf seiner selbst
unbedingt imstande sein, gerade indem er ständig eine Art von Assets
erwirbt, nämlich Zeugnisse, Urkunden, Gutachten, Arbeitsverträge,
Zeitgutscheine, Steuererleichterungen etc., die er wie seinen Ausweis
bei jeder Vorstellung vorzulegen hat.

Die
Arbeitskraft wird in manchen Berufen weiterhin verausgabt, aber ihr
symbolischer Stellenwert, der durch das erkämpfte Recht auf Arbeit
repräsentiert wird, ist weitgehend gestrichen. An seine Stelle tritt
also der Informationswert des Konsumenten von Arbeit, der durch
Coaching, den durch Bildung und Ausbildung erworbenen Wert, das
Performance-Selbst-Portfolio und den genetischen Code gekennzeichnet
ist. In dieser vierfachen Konnotation des Informationswerts besteht
das kleine Kapital x, das die Informationsverarbeitung der
Kompetenzen und des eingekauften Wissens beim Selbstverkauf deckt.
Jetzt zeigt sich, ob der Konsument von Arbeit als ein sich selbst
informierendes Netzwerk funktioniert oder eben nicht. ,Über die
Anerkennung der Assets wird dann der Kaufakt abgewickelt, sofern denn
der Konsument von Arbeit über einen attraktiven Informationswert
verfügt (und eventuell auch über die nötige Kaufkraft). Und
sollten sich dann seine Assets durch einen Arbeitsvertrag
aktualisieren, dann ist er auch als Leiharbeiter zur Beschäftigung
hinreichend mobilisiert. Diese Assets beinhalten wie alle
Finanzanlagen eine Potenz, die sich allerdings lediglich als
Beteiligung an der Arbeit bzw. als Beschäftigung aktualisiert. Wird
ein Asset dann auch aktualisiert, dann muss bei der Arbeit aber auch
alles hingenommen werden, denn unzumutbare Arbeit gibt es laut der
Bundesagentur für Arbeit nicht. Gelingt allerdings die
Kapitalisierung des eigenen Informationswerts nicht, spricht der
Markt das Urteil, das besagt: Das Entstehen von Arbeit durch ihr
Fehlen schlug fehl.

Die
Leih- und Zeitarbeit stellt das permanente Entstehen (und
Verschwinden) von Arbeitsplätzen auf Dauer, womit nichts weiter als
die Arbeitslosigkeit ganz verschwinden soll, sodass die Zeitarbeit
zwar Zwischenzeiten ohne Arbeit, aber eben keine Arbeitslosigkeit
mehr kennt. In diesen Zwischenzeiten ohne Arbeit wiederum zirkulieren
die Assets ohne Unterlass in der Form von Bewerbungen durch die
privaten und staatlichen Agenturen, denn zwar ist die Zeitarbeit
befristet, aber die Bewerbungszeit ist es eben nicht, sodass also die
Assets am Arbeitsmarkt Jahre oder fast das ganze Leben zirkulieren,
aber es sind ja keine verlorenen Jahre, weil die Assets, die von den
Agenturen gehandelt werden, (angeblich) stets zur Verbesserung des
eigenen Informations- und Kompetenzwerts dienen. Es dürfte nun klar
sein, dass der Konsument von Arbeit ein Risiko-Subjekt ist, und wenn
er seinen in Assets investierten Informationswert für eine Zeitlang
oder auch für immer unter Wert verkauft, dann ist eben das sein
Pech, denn ausgerechnet im »Leih- und Zeitarbeitsspiel mit Gewinn
und Verlust« gibt es keinerlei Versicherungsansprüche.

Und
um es weiter zu führen, Arbeitslosenhilfe oder Hartz4 ist nur dann
ein Recht, wenn das Recht auf Arbeit vorausgesetzt ist. Es wurde von
den Produzenten und ihren Organisationen in langen Klassenkämpfen
unter Berufung auf die angeblich weltbildende Potenz der
industriellen Arbeitskraft erkämpft, die heute am Konsumenten
gestrichen ist, womit eigentlich auch das Recht auf Arbeitslosenhilfe
entfällt und letztendlich konesquenterweise zu Hartz4 transformiert
wurde, das einem Paniklabor mit einem Almosen (das Strafrecht in das
Sozialrecht einführt) gleicht, für das selbstverschuldete Unglück,
das ja eigentlich nur dem zufällt, der jede von der »Modernen
Dienstleistung am Arbeitsmarkt« vermittelte Arbeit für unzumutbar
hält. Der Hartz4 Empfänger hat auf dem offiziellen Arbeitsmarkt
nichts zu suchen, auf dem es eine hochqualifizierte, akademisch,
privilegierte Lohnarbeiterklasse, die abgesicherte Kernbelegschaft
der großen und mittleren komerziellen und industriellen Unternehmen
und das zum Teil selbständige und zumindest phasenweise gut
verdienende Prekariat gibt. Der Rest der Bevölkerung befindet sich
im Niedriglohnsektor oder hält sich auf dem Level einer staatlich
subventionierten und/oder staatlich erzwungenen Beschäftigung oder
fällt ganz aus der Beschäftigung heraus, was das Unglück nur noch
vergrößert.27
Ein Teil des überflüssigen Rests wird als Hartz4 Empfänger
gemeinerweise noch in die Zwangsarbeit verwiesen, in der die
Beschäftigung selbst das geringfügige Einkommen ist, da ein von der
Arbeit unabhängiges Grundeinkommen weiterhin strikt abgelehnt wird.
Zwangsarbeit heißt permanente Mobilisierung für die Arbeit. Und auf
eines ist dabei noch hinzuweisen: Die
scharf abgegrenzte Aufteilung zwischen Beschäftigung und
Arbeitslosigkeit (Arbeitslosigkeit als Kehrseite der Beschäftigung),
die Insti auf ein ganz anderes Akkumulationsregime zurückgeht
(Standardisierung und Kontinuität der Produktion, mithin Stabilität
und Kontinuität der Beschäftigung), hat sich in ein immer engeres
Ineinandergreifen von Perioden der Anstellung und Perioden der
Arbeitslosigkeit gewandelt. Dass die Arbeitslosigkeit strukturell
geworden ist, besagt nicht, dass Millionen von Menschen auf einen
unbefristeten Vertrag warten, vielmehr arbeiten sie, während sie
gleichzeitig als arbeitslos gemeldet sind. Arbeitslosigkeit ist
nunmehr Teil der Norm der Anstellbarkeit. Arbeitslos zu sein
bedeutet, verfügbar und sofort einsetzbar zu sein, und zwar nicht
für einen unbefristeten Vertrag, sondern für einen befristeten
Vertrag mit einer Laufzeit.”(Lazzarato)

Wenn
größere Teile der Arbeit, im speziellen Hilfsarbeiten, vom
Einkommen nicht ganz abgekoppelt werden dürfen, werden sie zum
Dienst, der nicht in der Arbeit selbst besteht, sondern in der vom
Staat befohlenen Unterwerfung zur Arbeit. Als solcher ist der Dienst
heute ein Dienst an der Arbeit, der sich in der Pflichtarbeit
ausdrückt. Sie ist de facto „Arbeitsdienst. Und je weniger der
Dienst noch Dienst an der Arbeit ist, desto mehr mutiert er zum
Dienst an der Kompetenz und Information mittels Aufsaugen, Bearbeiten
und Speichern derselben. Dabei wandert die Information in den Körper
und seine kognitiven Vermögen hinein und wird mit der
Dienst(leistung) tendenziell identisch. Die Nachfrage nach Arbeit,
die objektiv fehlt, wird zur Nachfrage nach dem, was an ihre Stelle
tritt, sie wird zur Nachfrage nach dem, was die Arbeit ersetzt:
Kompetenz, Information, Automation und Digitalisierung. Deshalb muss
immer leistungsfähigere Software bereitstehen, um die Daten- und
Informationsströme mit den Körpern, den Affekten und den Hirnen von
Dividuen zu verschalten, wobei diese durch die in die digitalen
Programme encodierten Steuerungs-, Regelungs- und Feedback-Prozesse
regelrecht in Haft genommen werden, weil eine Rückverfolgbarkeit
jeder einzelnen Aktion und die Antizipation von weiteren Aktionen in
die zirkulierende Logik der Informationsströme eingebaut ist.

Die
transitive Normierung des Verhaltens, das heißt die volle
Integration der Akteur in Systeme, in der sie letztendlich lediglich
als zu erfassende und zu verwertende Punkte in Netzwerken fungieren,
wird recht eigenartig durch den Konsum der Angebote der
Enhancement-Industrien supplementiert, die es wiederum ermöglichen,
sämtliche Kräfte der Selbststeigerung im Sog von
Performanzaktivitäten wie eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.
Der Kompetenz-, Fitness- und Wellness-Status wirkt hier wie
»systemisches Doping«, das jede Menge von positiven Placeboeffekten
bereithält. Im gleichen Maß, in dem der neue Konsument von Arbeit,
tendenziell arbeitslos, sein Arbeitslos als Vollzug einer
Dienstleistung affirmiert, er sein prekäres Angeeignet-Werden sich
fortlaufend selbstverantwortlich mit aneignet, scheint die dem
klassischen Arbeitsvertrag immanente Erpressung aufgehoben, als gäbe
es da aus dem Nichts heraus ein endlos kreativ und performativ
anwendbares Arbeitsvermögen, als sei der Dienstleistende die
Reinkarnation der Vergöttlichung von positivierender Arbeit und
Kompetenz. Darin ist auch reflektiert, dass der Verlust der Arbeit
für die Dividuen heute als Katastrophe aufscheint, die mit allen zur
Verfügung stehenden Mitteln abgewendet werden muss – wenn kein
Mensch mehr an die Arbeit glaubt, erst dann wird der Glaube an ihre
Notwendigkeit universell. Konnte Marx noch ganz trocken konstatieren,
dass der Arbeiter nicht für sich, sondern für das Kapital
produziere, um damit wirklich jede Apotheose, welche die Arbeit zum
Idol erhebt, auszuschließen, so wird mit der kreativen
Selbstkonfiguration durch den Kauf von Arbeit, die von der
beständigen Konsumtion von Coaching-, Casting- und
Enhancement-Programmen stilvoll begleitet wird, eine wirklich
unheimliche Genussfreude an der (digitalisierten) Arbeit
wiederentdeckt, deren Propagandisten beständig ausposaunen, dass es
sich bei den in die informierenden Netzwerke integrierten Personen
tatsächlich um die Verkörperung kreativer Mit-Teilungen und
Singularitätsvorführungen handele - anstatt einfach zuzugeben, dass
diese Personen nach wie vor meistens Befehlsempfänger sind, die sich
unter Umständen im Team auf einer unteren oder mittleren Ebene des
Unternehmens gegenseitig die Befehle geben.

Die
Arbeit, die als industrielle Arbeit (in den Metropolen) zunehmend
verschwindet, bleibt als Mangelware und als Beschäftigung, die als
Amphetamin und Tranquilizer zugleich verabreicht wird, erhalten. In
der Folge muss man der Arbeit, die in der Tat nicht mehr Arbeit,
sondern Beschäftigung ist, welche entweder im Warten oder wahlweise
in übelster Hetze besteht, eine Schönfärbung besonderer Art
beimischen, sie wird nämlich zur Selbstverwirklichung und
-steigerung umgeschrieben, ein Euphemismus, den nicht nur diejenigen,
die einmal in den Genuss einer Maßnahme des Jobcenters kamen,
sondern auch diejenigen, die einem ganz normalen Job im Büro
nachgehen – eine beängstigende Konvulsion aus Mobbing, Hetze und
lähmender Langeweile zugleich, als sinnentleerte Betriebsamkeit –
nur als einen schlechten Scherz begreifen müssten. Tun sie das nicht
und zeigen etwa auch noch ansatzweise delinquentes Verhalten, dann
extrahieren heute Data-Science Engines aus dem Web und anderen
Quellen Daten und Signale, die genau dieses abweichende Verhalten
anzeigen, und damit wird man ganz schnell zu einem Arbeitsrisiko,
das auf einem Risikoindex eingeordnet wird, sodass das Unternehmen
und sein Management schon mal präventiv eingreifen und das
personifizierte Risiko einfach mal vor die Tür setzen können. Aber
weil die meisten Beschäftigten das Abweichende nicht tun, müssen
sie zur Strafe ihre eigene Beschäftigung als
Selbstverwirklichungsprojekt konsumieren, die Höchststrafe, die das
Kapital für derart zusammen geprügelte Subjekte, denen selbst noch
die Arbeit im Schweiße ihres Angesicht verwehrt bleibt, bereithält.
Und ein solcher Konsum der Arbeit ist heute oft genug Verschrottung
von Arbeit, die wiederum von der Kreativität der Arbeit nicht mehr
zu trennen ist, sodass noch der Imperativ der Arbeit entfällt, weil
die neuen Stachanows des vulgären Hedonismus und der affektiven
Kompetenz keine Befehle mehr brauchen, um ganze Arbeit (an sich) und
an und für die anderen zu leisten, sie benötigen lediglich den
gefühlvollen und einfühlsamen Hauch, den Anschub, den der Coach
oder Leader ihnen beständig einflößt.

Und
diese Strafe setzt sich in der Freizeit fort; bekanntlich beginnt der
Ernst des Lebens – untrennbar vom Spaß am Leben - in der Freizeit,
in welcher nicht nur Produkte, Affekte und Events konsumiert werden
wollen, sondern der Konsum selbst im Loop. Bezeichnunegn wie
Freizeitindustrie, Wellnesszentrum, Freizeitpädagogik und Ähnliches
weisen auf die Zugehörigkeit der Freizeit zum Geschäft und zum
Betrieb hin, wobei Freizeit und Arbeit in Konkurrenz zueinander um
die höchste Anerkennung buhlen, womit es im Leben eben nicht mehr
nur darauf ankommt, möglichst viel gearbeitet, sondern auch
reichlich Freizeit im Rahmen angeblich hochindividualisierter
Erlebniswelten konsumiert oder genossen zu haben. Das gilt
insbesondere für die Eliten und den einkommensstarken Teil der
Mittelklasse, die wie aufgelöst in ihrem Singularitätswahn und
Einzigartigkeitsexzess die Freizeit und Arbeit ständig miteinander
vermischen und unter den Glanz der Kreativität stellen, Menschen,
die rundherum glücklich mit ihrer Art der singulären
Selbststeigerung sind, während der größere Teil der Bevölkerung
selbst in den westlichen Wohlfühloasen des Westens das Abartige der
täglichen Beschäftigung nur so leidlich erträgt, um irgendwie hin
zu den kostbarsten Wochen des Jahres zu gelangen und den Urlaub zu
genießen, das heißt in irgendwelchen Hotelbunkern im Süden nur
leidlich herumzulungern, das heißt unter der Aufsicht und Anleitung
von professionellen Fachkräften, Coachs und Entertainern zu stehen,
die einem Tag und Nacht beibringen, wie man zu tanzen, Gymnastik zu
machen, zu essen und den Beischlaf auszuüben hat. Wolfgang Pohrt
schreibt dazu: »Das harte Faktum, daß das Kapitalverhältnis seinem
historischen Zweck gemäß die Lohnarbeiter in überflüssiges
Menschenmaterial verwandelt, in nutzlose Esser, die man in den armen
Ländern verhungern lassen kann, während sie in den reichen Ländern
als Unterstützungsempfänger halbwegs bei Laune gehalten werden
müssen, dies harte Faktum also wird dabei mit viel ideologischem
Weichspülmittel behandelt, und am Ende des Weichspülwaschgangs, den
mache als Umdenken, andere als Etikettenschwindel bezeichnen, hat
sich wie seinerzeit die Putzfrau zur Raumpflegerin das simple
Zeittotschlagen beispielsweise in selbstverantwortliche
Identitätsfindung verwandelt.« Pohrt ein hauch von nerz.186

Und
wenn selbst noch die Linke ein letztes Mal die Arbeit, die in vielen
angesagten Kreisen jetzt Kreativarbeit heißt, als die
Selbstverwirklichung des Individuums verstanden wissen will, dann
befindet man sich ganz und gar nicht in der Nachbarschaft von Marx,
den man dieses Jahr arschverkrampft bemüht hat, sondern man befindet
sich in der Lebensphilosophie einer heute nicht zu Tode zu kriegenden
Jugendbewegung, die im Sog des Aufgesogen-Werdens innerhalb eines
Pools von »interessanten Optionen« auf permanente Durchsetzung von
kulturellen Novitäten setzt, mit denen denen das aufgeblähte Selbst
aufstiegswilliger kleiner Spießer vor allem auch in der Kunst sich
der Illusion von Einzigartigkeit, im Neuspeech Singularität,
Unverwechselbarkeit und Genialität hingibt, etwas, was das aller
Macht beraubte Exemplar heute unbedingt braucht, um nicht gegen den
täglich erlittenen Mix aus lähmender Langeweile und stressiger
Beschäftigung eine lebenstherapeuthische Fachkraft aufsuchen zu
müssen, die einem zwei und zwei zusammenrechnet, dass nämlich für
Schöner Wohnen, Gepflegter Trinken und Gesünder Essen auch noch die
kreative Arbeit hinzukommen muss, sonst könne man nicht glücklich
und zufrieden sein, sondern bleibe der sinnentleerte Hedonist, vor
dem einem, das muss man hinzufügen, niemand gewarnt hat. Und so
verbindet sich die Freiheit, aus angeblich Nichts etwas Neues zu
schaffen, mit dem Zwang in den diversen Attraktivitätswettbewerben
ständig kreativ sein zu müssen, und je mehr alle kreativ sein
müssen, desto weniger können es die Einzelnen noch, aber weil sie
es weiter krampfhaft versuchen, entsteht eine Welt der
Pseudo-Originalität, der Fakes und der Plagiate, die vor allem eines
zeigt: Dass es trotz der millionenfachen Erfindungen und dem
Überfluss von Waren mit angeblichem Einzigartigkeitscharakter nichts
mehr zu erfinden gibt, außer die Hightech-Lifestyle-Presse gibt die
Angebote und deren Remix vor. Und je schneller das Objekt oder
Produkt heute verfällt, desto mehr muss es mit einer kreativen Idee
aufgebrezelt werden, vom kreativen Obstkuchen über den kreativen
Wandschmuck bis hin zum kreativen Selbst, das man an den Arbeits- und
Aufmerksamkeitsmärkten als das kleine Kapital x vermehren, anlegen
oder einfach auch mal bei einer Beratungsfirma kaufen kann. Es kommt
hier aber nicht, wie Seeßlen/Metz meinen, zur Zerstörung alter
Bedeutungen und zu ihrem Ersatz durch neue Bedeutungen, was sie
surreal nennen, sondern der energetisch produzierte
Bedeutungsüberschuss verweist einzig und allein darauf, dass
bedeutet werden muss, was bedeutet wird, ist vollkommen
gleich-gültig. Aber noch jede Bedeutung muss kapitalisiert werden.

Dabei
zerfasern
heute selbst noch
die
weniger fragilen Lebens- und Arbeitsentwürfe an der Allgegenwart der
Einschnitte, mit denen das Leben, die
Beschäftigung
und
die Generierung des Surplus
immer
schneller jenseits
einer chronologischen Zeit in
Intervalle geteilt, gepresst
und wieder
verstreut
oder
rekombiniert und
damit Kontinuität durch eine Art indeterminierten
Aufschubs
ersetzt wird, – wahrlich ein anhaltender Schwebezustand einer
spekulativen Zeit,
mit
der
auch das Nie-zu-Ende-Kommen lebenslangen Lernens und
Investierens perpetuiert
wird.
Es kommt zu einer immer
tieferen
Fragmentarisierung
der Arbeitszeit und der Lebenszeit, und beide Zeiten bleiben
eingespannt in den Prozess einer rasenden, deterritorialisierenden
Rekombination, in
der
beispielsweise
die Arbeit
am Telefon für eine Woche, einen Tag oder eine Stunde abgerufen
werden
kann,
womit die
Beschäftigung
fraktal und rekombinant gerät. Die digitale Arbeit ist
fragmentiert; das Dividuum – selbst eine zelluläre Form –
erfährt in den digitalisierten Produktionsprozessen eine
rekombinante Fragmentierung in zellulären und zugleich
rekombinierbaren Segmenten. Es geht hier nicht nur darum, dass die
Arbeit selbst prekär wird,
sondern es kommt in den
Arbeitsprozessen
fortwährend zu Teilungen, unter Umständen zur Auflösung der Person
als ein
unifizierter
produktiver Agent, als Arbeitskraft. Es ist ganz klar, als Zellen der
produktiven Zeit können die Dividuen in den
punktuellen
und fragmentierten Formen der Arbeitsprozesse ständig neu
mobilisiert, angereizt
und rekombiniert werden. Wir haben es mit einem immensen Anwachsen
einer depersonalisierten Arbeitszeit zu tun, insofern das Kapital
immer stärker dazu übergeht, anstatt den Arbeiter, der acht Stunden
am Stück arbeitet, verschiedene Zeitpakete zu mieten, um sie dann zu
rekombinieren (Out- und Crowdsourcing) – und dies eben unabhängig
von ihrem austauschbaren und damit mehr oder weniger zufälligen
Träger. Auch
das
»Selbst« fluktuiert nun
als
fluides Rest-Ego und wird in immer neuen Relationen rekombiniert, und
diese Formierung gleicht einem Kaleidoskop, »das bei jedem Schütteln
ein neues Muster zeigt.«10 Diese Art der weit über die
Arbeitsbeziehungen hinausreichenden spasmischen Rekombination der
Beschäftigung
wird heute auch
in
den diversen sozialen
Netzwerken
geleistet. In
der Meisterung des Beschleunigens und Entschleunigens, des Dehnens
und Aufschiebens, der Kompression und des Resettings
von Zeitplänen, stellen die Beschäftigten auch
erweiterte
Möglichkeiten her
mit
nicht-chronologischen
Strömen des Geldes Surplus für
das finanzielle Kapital zu
generieren. Voraussetzung
dieser Art der Surpoluserzeugung, die mit der Verschuldung
einhergeht, sind
sowohl
niedrige
Löhne als auch prekäre Arbeitsformen, bei
denen
die Beschäftigten sich konstant an nicht vorhersehbare Arbeitszeiten
und an volatile Löhne anpassen müssen, nicht zuletzt an das Hebeln
ihrer
Schulden, sodass sie in nicht determinierte und unvorhersehbare
Zeitströme geradezu hineingezogen werden.

In
der
Share Economy wiederum
kontrollieren
und
steuern
die
digitalen Interfaces, die man heute Plattformen nennt, die Arbeit auf
einem ganz neu strukturierten
Arbeitsmarkt.
So
unterscheiden sich die
Fahrer
und
Fahrradkuriere
neuer
Plattformen wie
Uber von
den abhängig Beschäftigten der
traditionellen Unternehmen dadurch,
dass sie selbst
eine
Dienstleistung anbieten,
wobei die
Mittel, um
die
Dienstleitung,
die eine App der
Plattform ihnen
vermittelt, auszuführen,
selbst
aufzubringen sind, seien
es das Auto
oder
das
Fahrrad
und auf
jeden Fall
das
Smartphone. Was also
während der Ausführung
der
Dienstleistung
verschlissen
wird, ist das
Eigentum der
Fahrer und
Kuriere.
Dabei
stehen die Fahrer,
denen beispielsweise
Uber
ermöglicht, Fahrgäste aufzunehmen, unter strikter digitalisierter
Kontrolle
und sind auch
räumlich dazu
gezwungen, den Algorithmen der Plattform zu folgen. Die Routen, die
sie fahren, werden durch das GPS diktiert, während ihre Effizienz,
Verfügbarkeit sowie
ihre
Interaktion mit den Fahrgästen Gegenstand ständiger Bewertungen
ist, die dann
weiterhin
bestimmen
wie, wann und wo die
Fahrer zum Einsatz kommen.

Dabei
fungieren die Fahrer
und
Kuriere nicht
als offiziell
Beschäftigte,
sondern sie
sind gegenüber
den Unternehmen der Plattformen private
Vertragspartner. Weit davon entfernt eine Alternative zur prekären
Arbeit anzubieten, oszillieren
diejenigen,
die den
Service für
die Kunden letztendlich
bereitstellen,
im
Spannungsfeld zwischen
den
restriktiven Bedingungen
der
Lohnarbeit und dem Risiko der Selbstständigkeit. Damit
sind die Anbieter
von Dienstleistungen, welche die Angebote der Plattformen nutzen,
zwar
von
den Repressionen der Lohnarbeit, aber auch von den mit ihr
einhergehenden sozialen
Garantien
befreit
(weil die Plattformen keine Sozialabgaben zahlen).
Solchermaßen scheinen sie
das Epitom neoliberaler Subjekte darzustellen. Zumindest
ist
die
persönliche
Abhängigkeit von einem Chef, der
einem Arbeitsalltag mit
allerhand Befehlen versüßt,
überwunden, denn
mit
den Organisatoren der Plattform haben die
Fahrer nämlich wenig
zu tun, selbst
im
Notfall ist
es kaum
unmöglich,
mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Es ist also scheinbar
den Fahrern selbst überlassen, wie sie ihren
Arbeitsalltag
gestalten, aber
sie dürfen eben während
der
Arbeit niemals
zu langsam werden und sie
müssen
unbedingt
mit
der Konkurrenz mithalten, und
deshalb gilt
es einfach
komme
was wolle auf
das Pedal zu treten.

Die
Unternehmen stocken
den
Stundenlohn für die effektivsten
ihrer
Fahrer
immer
etwas auf,
was
aber nichts anderes heißt, als dass durch
die
permanente
Überwachung und die
automatisierte
Auswertung der
Performance
der
Fahrer
die
Konkurrenz, der
Vergleich und die Skalierung auf
Dauer sichergestellt
sind.
So
bemisst sich bei den
selbstständigen Fahrern
der Verdienst an der Anzahl der
ausgefahrenen Lieferungen. Und
das
erhöht für
gewöhnlich
auch
die
Risikofreude während
des Fahrens
und damit
wie
nebenbei auch
noch die
Nachfrage
der
Fahrer nach
den Leistungen der Unfallversicherung; die ansteigenden
Versicherungsprämien reflektieren
den
Mut zum Risiko, was wiederum die
Leistung
der
Fahrer
beflügelt, denn auch das
Geld für die
Unfallversicherung
muss
von
ihnen verdient
werden.
Wenn in einer
Schicht
keine Bestellungen eingehen, kriegen die
Fahrer
zwar keinen Lohn, aber
ihre
Arbeitszeit verwandelt
sich
dafür bruchlos in freie Zeit. Weil die Kuriere aber
mit
dieser freien Zeit überhaupt
nichts
anfangen können und auch
nicht wollen
– wer
will sich schon durch den lähmenden Zeitbrei des
Alltags
fressen -
sind folgerichtig
nicht nur die
wirklich
stressigen
Schichten bei den selbstständigen Fahrern die beliebtesten, sondern
diese
verlangen
andauernd auch
noch
nach neuen Schichten. So
sorgen die Fahrer
in
der Regel
ganz
zuverlässig
für die
sogenannte Markträumung
und melden
darüber
hinaus aufgrund
eigener
fehlender
finanzieller Mittel andauernd weiteren
Bedarf nach Arbeitsschichten
an und
steigern
damit
die
Nachfrage nach den Kurier-Arbeitsplätzen, weswegen
der
Algorithmus
mit jedem Update die
finanziellen Bedingungen für seine Nachfrager weiter
verschlechtern kann,
was nun aber
keineswegs dazu führt, dass
die
Nachfrage
spürbar nachlässt.

Für
viele Theoretiker sind die großen Plattformen nichts weiter die
Assemblage kommerzieller Verträge zwischen einer »principal
authority«, die im Namen des Unternehmens Verträge abschließt, und
einer Multiplizität von Agenten, die selbstständig für die
Unternehmen Dienstleistungen bereitstellen. Die Plattformen
multiplizieren somit Partnerschaften, die auf rein kommerziellen
Begegnungen basieren und aufgrund derer für Dritte Serviceleistungen
ohne geregelte Arbeitsverträge und Lohnarbeiter angeboten werden.
(Nach wie vor ist es aber einer Reihe von Unternehmen in
verschiedenen Branchen kaum möglich, ohne die Einstellung von
Lohnarbeitern zu produzieren.) Schließlich sind die neuen Anbieter
von Dienstleistungen aber nicht nur von ihrer eigenen geleisteten
Arbeit, sondern auch von ihrer Einbindung in Netzwerke abhängig, die
durch Ratings und Rankings und andere Ordnungsverfahren strukturiert
sind, und das heißt auch, dass die Ausbeutung ihrer
Arbeitsressourcen und ihr Risikomanagement letztendlich vom Kredit
abhängen, der durch positive Ratings begünstigt wird und dessen
Akkumulation ihnen unbedingt gelingen muss. Deshalb bedarf die eigene
Arbeitsleistung sowie die Anpresiung der Skills im Zuge der
Selbstvermarktung andauernd der positiven Bewertung und der
Anerkennung durch die Kunden, die sich in Scores, Likes, Freunden und
Followers manifestiert, und diese Bewertungen zu optimieren, ist eine
wichtige Aufgabe, die es für einen Fahrer zu erledigen gilt. Und die
Akkumulation des »reputational capitals« muss unbedingt einen
effizienten Kreditscore zur Folge haben, um auch das Vertrauen von
Banken und Versicherungen zu erlangen. Die Nachhaltigkeit der
Operationen der Serviceanbieter hängt damit wesentlich stärker von
der Zustimmung der Kreditgeber und Sponsoren ab als von dem von
neoliberalen Ideologen in den Vordergrund gestellten Unternehmerethos
oder dem zu steigernden Preis des Humankapitals, wobei die Sponsoren
meistens finanzielle Spekulanten sind, die für die Extraktion und
die Prognosen bestimmter Ressourcen und Rohstoffe (in diesem Fall die
Verhaltensweisen von Usern) auf digitalen Maschinen beruhende
Produktionsmittel einsetzen, die der gewinnbringenden
Verhaltensmodifikation der Kunden dienen, welche wiederum ohne die
totale Kontrolle der Fahrer nicht zu erlangen ist, sodass diese heute
beispielsweise auch auf Facebook von spurenlesenden Maschinen
verfolgt werden.

Auf
den Webpages der Plattformen, auf deenn sich Anbieter der
Dienstleistungen und ihre Kunden miteinander austauschen können,
weisen die Plattformen ihren Serviceleistenden ein spezifisches Set
von kontinuierlich zu bewertenden Assets zu, welche die
Serviceleister wiederum als Teil ihres »reputational capitals«
kombinieren, verschieben und managen müssen. Dabei sehen manche
Theoretiker im Management des »reputational capitals« schon die
Hauptressource, welche die fahrenden Akteure unbedingt zu managen
und zu kultivieren haben, um in der Hierarchie aufsteigen oder
schlichtweg überleben zu können. Am Ende werden Dienstleistende
wie Fahrer oder Kuriere schließlich selbst eine Facebook-Hyperpage
führen müssen, auf der die verschiedenen Empfehlungen von Freunden,
Mentoren, Kreditgebern, Sponsoren, Kunden und Serviceprovidern
dokumentiert sind. Diese offenen, durch Algorithmen designten
Profil-Portfolios, ermöglichen es erst, die Attraktivität und
Vertrauenswürdigkeit einer Person darzustellen, ihren reputationalen
Wert zu bestimmen und damit ihre Fähigkeit für eine Arbeit, eine
Kreditlinie oder eine Partnerschaft auszuweisen. Offensichtlich
müssen die privaten Asset-Manager nun selbst auf ihr eigenes
»reputational capital« spekulieren oder sie müssen den
Spekulationen anderer folgen, aber sie werden dazu auch bis in ihre
geheimsten Wünsch verführt oder angeleitet, indem sie komplexen und
doch schwer nachvollziehbaren Verhaltensmodifikationsmaschinen
unterworfen sind, das heißt in der Black Box operierenden
Algorithmen oder automatisierten Protokollen, die nicht nur das
Arbeitsverhalten, sondern selbst noch die Ausbreitung von Emotionen
über die Plattformen zu lenken versuchen. (zuboff)

Wenn
es schließlich dazu kommt, dass die Zeit der Arbeit und die Zeit der
Nichtarbeit durch keine exakte Grenze mehr getrennt sind, dann
besteht auch zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung kein
wesentlicher Unterschied mehr. Deswegen kann Paolo Virno in aller
Überspitztheit schreiben: »Die Arbeitslosigkeit ist unbezahlte
Arbeit; die Arbeit ist dann ihrerseits bezahlte Arbeitslosigkeit. Mit
gutem Grund lässt sich also genauso gut behaupten, dass man nie zu
arbeiten aufhört, wie man sagen kann, dass immer weniger gearbeitet
wird.« Paolo Virno weist damit auf den Sachverhalt hin, dass der
Kunde der »Modernen Dienstleistung am Arbeitsmarkt« längst schon
dem von Günther Anders als »Automationsdiener« titulierten Subjekt
oder dem von Baudrillard beschriebenen »Arbeitsmannequin«
entspricht, das die nicht vorhandene Arbeit simuliert, als ob sie
vorhanden wäre, oder trotz der zuviel vorhandenen Arbeit simuliert,
als ob diese gar nicht vorhanden wäre. Eine
weit verbreitete Form der Beschäftigung,
die ganz in maschinelle Komplexe integriert ist, ist heute die des
Beschäftigungsmannequins,
das in bestimmten Zyklen die Tätigkeit des Wartens oder Tastendrucks
ausführt, der in Abhängigkeit von einer anderswo programmierten
Abfolge eines maschinellen Feedback-Systems erfolgt. So besteht die
Wendigkeit, Cleverness und Schnelligkeit des heutigen Dividuums, ein
Prozak und Ritalin-Mutant, vielfach im niederschmetternden Warten, im
Warten darauf, den roten Knopf drücken zu dürfen, während die
Entscheidung anderswo längst schon abläuft oder gefallen ist,
nämlich in den rekursiven Schleifen des maschinellen System selbst.,

Diese
Art von abgrundtiefer Trostlosigkeit (der Beschäftigung) bedarf
seltsamerweise einer ganzen Reihe von Bedingungen hinsichtlich der
Entlohnung und Kontrolle, sei es die individuelle Führung von
Zeitkonten, die Protokollierung der Länge von Telefonaten, die
penible Aufzeichnung von Meetings in den Unternehmen oder das
ausführliche Studium von Compliance-, Sustainability- und
Controll-Kompendien. Es gibt die ADHS erzeugenden Tätigkeiten, bei
denen die Zeit, in der sich die Büroangestellten mit verschiedenen
Aufgaben beschäftigen müssen, notorisch durch die Kommunikation qua
Telefon, Fax, E-Mail unterbrochen wird, wobei die Zeiten dieser
Unterbrechungen oft länger als die der Aufgabenerledigung sind. Die
Unterbrechung, die auf den Rhythmus der Informationsflüsse in den
Kommunikationsnetzwerken zurückzuführen ist, suspendiert die Zeit
der Aufgabenverarbeitung. Je mehr die (objektive) Notwendigkeit der
Arbeit sich nicht mehr darstellen lässt, desto mehr wird die Arbeit
im Zuge ihrer universellen Präsenz heroisiert oder genossen, und
dies geht so weit, dass sogar die Arbeitslosen und Kinder von der
Arbeit besessen sind, wobei kein Zweifel aufkommt, dass man seine
Arbeitskraft zur Sicherung des Lebensunterhaltes auf Gedeih und
Verderb vermieten muss. Mit der Ubiquität der Propaganda der Arbeit
kommt es noch zur Kolonialisierung der Wochenenden, der späten
Abende, ja sogar der Träume, bis die Beschäftigten nicht nur einen
Job haben oder einen Job performen, sondern der Job selbst sind.

Da
die neuen Managementmethoden mit ihrer wuchernden Semantik sowie
Semiotik ständig das Wort »Performance« in den Mittelpunkt ihrer
Strategien rücken, scheint für die Beschäftigten der Unterschied
zwischen Leistung, Casting und purer Angeberei, die durchaus auch
eine Maßnahme zur Selbstmodifizierung sein kann, tendenziell
aufgehoben. Entscheidend ist nicht mehr allein das Produkt oder die
Qualität der Arbeit, sondern die als Supplement zugefügte
Performance, bei der man alle möglichen Rollen auskosten darf, vom
Ethiker bis zum Bösewicht, die Performance darf nur nicht zu weit
gehen und dem Unternehmen schaden, dann handelt man sich nämlich
einen Verweis ein. Der Performance muss wiederum ein Profil
zugewiesen werden, das die Potenziale aufzeigt, die die (angebliche)
Besonderheit eines Beschäftigten ausmachen und im Betrieb
systematisch simuliert und letztendlich sogar gefordert wird. Dieser
Pseudo-Unterschied, der einen Unterschied macht, ist in das
betriebliche System fest eingeschrieben. Fremdsingularisierung und
Selbstsingularisierung verzahnen sich wie ein tadellos
funktionierender Reißverschluss. (Reckwitz 3441) Gerade diese
Spannung, welche die Performanceaktivitäten bis auf Messers Schneide
vorantreiben, führt nicht nur zu nicht-linearen Phasen des
Karriere-Machens, das durch das Vernetzungspotenzial,
Profilsteigerung, Matching und Kompetenzen bis zu einem gewissen Maß
beeinflussbar ist, sondern auch zu dem allseits gefürchteten
Karrierestress, der von der Angst lebt, dass der eigenen Leistung,
die ja wie »Kapital« behandelt werden soll, nicht die supplementäre
Performance entsprechen könnte (oder umgekehrt), so dass man sich
letzten Endes gezwungen sieht, die eigene Leistung mit der
Performance gleichzuschalten was wiederum heißt, dass zur leidigen
Erledigung der Aufgaben noch die Darstellung der Aufgaben hinzutritt.
Diese generalisierte Performativität, die mit dem Ideal der
Kreativarbeit eng verschweißt ist und unaufhörlich Selbsterfindung
und gleichzeitig Selbststeigerung propagiert, kreiert bei Erfolg den
funktionellen Psychopathen, der das mit ADHS behaftete Subjekt in
sich einschließt, oder bei Misserfolg das depressive Subjekt. Zudem
generiert die Beschleunigung des Informationsaustausches oft genug
weitere Pathologien, weil die Beschäftigten in den Büros oft
einfach nicht in der Lage sind, die immensen und ständig steigenden
Mengen an Informationen, die über die Computer, Smartphones, Screens
und elektronischen Tagebücher in die Hirne wie gefräßige Parasiten
eindringen, noch zu prozessieren. Man reagiert darauf mit einer
weiteren Beschleunigung der Kommunikation, arbeitet so gut es geht
zügig an Lösungen und wenn etwas nicht klappt, dann entspannt man
am besten, so das Script der Coaches, für ein paar Minuten in den
kleinen, pseudo-exotischen und warmherzigen Wohlfühloasen der Büros
unter künstlichen Palmen oder läuft eine Runde auf dem Laufband im
Fitness-Room des Unternehmens.

Dass
die Angestellten noch zusätzlich damit beschäftigt sind, sich die
Readymades der neobuddhistisch inspirierten Coachingdiskurse und
andere Soft Skills anzutrainieren, um so etwas wie eine Gemeinschaft
der sozial kompetenten und zugleich die Eigentätigkeit und
Eigenverantwortung einfordernden Akteure gerade im Bürobetrieb
herzustellen, wo jenseits der Gängelungen des Fabriksystems
Lohnarbeit auch weiterhin das bestimmende Prinzip darstellt, das
lässt einen wirklich aufhorchen, denn längst reicht ein höflicher
Ton oder ein kurzes taktisches Gespräch, dem jede Tendenz zum »Du«
oder zur Überkommunikation zuwider ist, nicht mehr aus, um die
Zusammenarbeit im Büro unter Bedingungen, die man sich wahrlich
nicht selbst ausgesucht hat, zu erleichtern. Längst benutzen die
großen Unternehmen Datensoftware, die das Verhalten der eigenen
Angestellten mittels der Durchsuchung des Internet nach deren
Datenspuren aufarbeitet und vorhersagt. Daraufhin ordnen die
Maschinenlernmodelle gewisser Software-Firmen die Angestellten des
Unternehmens einem Risikoindex zu, wobei die auf dieser Basis
getroffenen Vorhersagen über das Verhalten der Angestellten mit den
tatsächlich stattfindenden Personalfluktuationen im besten Fall
identisch sein sollen. So kann das Management des Unternehmens durch
den Kauf der Informationen und Vorhersageprodukte über die eigenen
Angestellten präventiv eingreifen, wenn es denn eine aktive
Personalpolitik betreibt. Aber das ist nur die maschinell-objektive
Seite des Spiels, zu dem die subjektive Verfasstheit der
Beschäftigten hinzukommen muss.

Das
geschickte Surfen auf den Wellen der Beschäftigung verlangt für die
Angestellten nach Ausdauer und Geschmeidigkeit im Modus
auto-operativer Wendigkeit, um überraschende Optionen im Job sofort
wahrzunehmen oder schnelle Entscheidungen, um quasi unvermittelt neue
Aufgaben auszuführen, es verlangt den spielerischen Opportunismus
als Handlungsmaxime, mit der man sich stets gegenüber einer Vielzahl
von Möglichkeiten offen hält, um die beste, die sich gerade
anbietet, zu ergreifen, oder, um eine Option, ohne zu zögern,
zugunsten einer besseren Gelegenheit fallenzulassen; so gebietet
diese Art des perfromativen Surfens die Ausformulierung eines
zynischen Interesses, mit dem oft genug dieselben Aussonderungen, die
andere vornehmen, als bedauernswerte, aber doch unvermeidliche
Deformationen diffamiert werden. Dieser Form der Beschäftigung
korrespondiert eine volatile Subjektivität, die bis an die Grenzen
der insbesondere digitalen Mobilität ausgedehnt wird, um noch jeden
affektiven und monetären Surplus einfahren zu können. Bernhard
Stiegler kritisiert in diesem Kontext äußerst scharf eine heute
vorherrschende Mentalität, die er mit »I-don’t-give-a-fuckism«
umschreibt, eine generelle Attitude der organisierten
Verantwortungslosigkeit. Und je intensiver die Mitarbeiter eines
Unternehmens sich aufgrund eines zeitweiligen, aber zugleich
uneingeschränkten Einverständnisses den betrieblichen Regeln,
Programmen und Dispositiven aussetzen und sich derer zugleich
bedienen – inklusive der kybernetischen Feedback-Mechanismen, die
kein dummer Gesinnungsstaat mit seinen Organen und Apparaturen der
Überwachung und Kontrolle je erfinden könnte, weil eigentlich kein
aktueller Bedarf nach ultraharter Ausforschung, Bespitzelung und
Inhaftnahme von Agenten der Unzufriedenheit besteht (und diese
Überwachung doch stattfindet) –, desto stärker schillert erst die
Variationsbreite der individuellen Optionen und Performance im
betrieblichen Feld auf. So bleiben heutzutage die Büroangestellten
dem halbherzigen und doch pflichtbewussten Sich-Einbringen in den
Büroalltag gerade aufgrund ihres quälenden Opportunismus, der noch
den geringsten Vorteil auszunutzen versucht, jederzeit verpflichtet,
ohne dass da unbedingt eine knallharte Arbeitsanweisung bestehen
muss, und dies geschieht im Rahmen einer operativen Steuerung und
Optimierung der eigenen Person, was wiederum im besten Falle die
100%ige Identifikation mit den Unternehmenszielen voraussetzt oder
verlangt. Hierin übernimmt die doch eher raunende Gemeinschaft der
Betriebsangehörigen das Geschäft einer therapeutischen, sekundären
Kontrolle, welche die primäre, durch die kapitalistische Ökonomie
inszenierte Kontrolle des Lohnarbeiters und des Prekären flankiert
und vervollständigt.

Es
ist ja nicht so, dass die Mitarbeiter in den Büros unmittelbar
sichtbar dem terrorisierenden Kommando einer Zentrale unterliegen,
stattdessen sind sie in flexible technologische Kontrollsysteme und
horizontale Gruppen-Dispositive eingelassen, die sowohl ihre eigene
Effektivität, ihren Status, ihre beruflichen und emotionalen
Kompetenzen und operativen Aufgaben als auch die der anderen
Mitarbeiter zum Teil auch auf den Bildschirmen jederzeit abrufbar
halten. »Online« zu sein kondensiert die hegemoniale Arbeits- und
Lebensform, ständig mobile und mobilisierbare Verfügbarkeit im
Kontext einer flexiblen Normalisierung ist die Arbeit selbst, die
sich die Beschäftigten zusätzlich mit dem Konsum von
Erlebniswelten, Wellness- und Fitnessprogrammen antrainieren, bis sie
die Beschäftigung im Zuge einer permanenter Rekursion mit den
Maschinen quasi reibungslos inkorporieren. Mittels Mikrotechnologien,
Laptops und Smartphones, die man meist sitzend bedient, werden die
Mitarbeiter einer modularen Logik folgend ständig in die
Informationsströme eingebaut, die in den Netzwerken der Unternehmen
zirkulieren. Unaufhörlich mobilisierbar und potenziell rund um die
Uhr abrufbar bleiben die Angestellten mental angeregt, um während
der Arbeitszeit aufgeregt in Real-Time auf die Fluktuationen der
Informationsflüsse zu reagieren, die ständig über ihre Bildschirme
flimmern. Im Rahmen der technowissenschaftlichen und
psychologistischen Dispositive, Programmierungen und
Konstruktionsprinzipien gibt es heute kaum noch einen Arbeitsplatz,
der nicht permanent auf Evaluierung gestellt und zugleich nicht auf
das kreative Potenzial und die Performancefähigkeit von Dividuen und
Projektgruppen hinterfragt würde, um dann abermals evaluiert, das
heißt auf neue Performance-Potenziale hin untersucht zu werden, aber
dies eben weniger aufgrund des totalitären Drucks eines Leaders,
sondern die Evaluation bleibt meistens eingebunden in das Team; und
kein Team, das nicht nach Aussprachen, Ansprachen und Absprachen qua
anglizierter Sprachspiele verlangt, von denen Wittgenstein nicht im
Schlaf geträumt hätte. Mitten im Team schwirrt dann aber doch der
Leader, der beispielsweise geradezu enthusiastisch in einer Art
Aktionskunst eine Power-Point-Präsentation kommentiert, damit sich
alle ein Bild vom Unternehmen, vom Produkt oder dem Projekt machen
können. Selbstverständlich trägt der Leader keine Krawatte und auf
dem lässigen, offenen, weißen Freizeithemd glänzt auf Herzhöhe
das Logo der Firma, das grau gefärbte Haar mit weißen Strähnen und
das kleine Schlangen-Tattoo im Nacken verrät aber auch ein ganz
klein wenig Individualismus, der aber, wenn es darauf ankommt, ganz
in den Dienst des Teamgeistes gestellt wird. Diese Situation
perpetuiert sich noch bis in die Haarspitzen des Unternehmens, wenn
zeitgenössische Chefs sich betont locker geben, den Mitarbeitern das
Du geradezu aufdrängen und notorisch behaupten, ihre Betriebe würde
eine wunderbar flache Hierarchie und eine fast schon kosmologische zu
deutende Wellness-Atmosphäre durchziehen, während die Chefs im
gleichen Atemzug ihre Mitarbeiter mobben, aus reiner Schikane oft von
den Informationsflüssen abschneiden oder sie mit krankmachender
Arbeit überhäufen und sie durch die diversen Abteilungen jagen.
Statt wie früher strategisch vorzugehen, besteht die Aufgabe der
Manager heute darin, die Fehleranfälligkeit und Langsamkeit
menschlicher Entscheidungen im Vergleich zur algorithmisch
ablaufenden Prozessen zu verringern, nur um die algorithmische
Technokratie am Laufen zu halten. Die Manager sind dabei selbst
völlig deskilled, um als skrupellose Vollstreckungsorgane der
Unternehmen und als soziale Polizei in der Organisation selbst tätig
zu werden. Sie geben keinerlei Richtungen vor und haben auch keine
Erklärung für die Richtung, die das Unternehmen gerade einschlägt,
sind dabei höchst flexibel, offensiv und defensiv zugleich,
mobbend, aufheitend und verletzend, fokussiert und scheinbar
unsicher, das heißt clever, und letztlich sind sie darauf
beschränkt, den Imperativen des Shareholder-Value-Systems
wiederzugeben und ihren Vorgaben minutiös zu folgen, die Mitarbeiter
anzuspornen, ihnen aber auch mal schön die Meinung zu geigen, alles
natürlich nur im Rahmen der kreativen Teamarbeit und zum Wohl des
Teams versteht sich. Wer gut im Fertigmachen von Schlappschwänzen
ist, der hat heute Zukunft.

Die
Performanzhaftigkeit der
Beschäftigten und deren Valorisierung zieht ganz und gar nicht, wie
Reckwitz etwa annimmt, auf
die Entwertung des
Durchschnittlichen,
sondern der Durchschnitt
richtet sich
nun nach seinen
Amplituden aus, die durch
das Team, den
Leader und das jeweilige
Projekt, an dem man gerade
arbeitet,
konfiguriert werden,
indem
die
Leader dvor allem
verstärkende Kompetenzen
und Fähigkeiten der
Mitarbeiter
in den Mittelpunkt
zu stellen versuchen sowie
die
Begeisterung für neue Aufgaben, eine
weichgespülte Toleranz
und taktische Freundschaft, Opportunismus und Schlagfertigkeit, die
Fähigkeit, sich im und vor dem Team zu
präsentieren, als Potenz
zu verkaufen. Der
projektorientierte Beschäftigte,
der
sein Ego im Fundamental-Casting herrlich auf der Bühne des
Büros präsentieren muss,
auch wenn sich die obsessive Suche
nach dem
Ego als die Suche nach
einem Gespenst entpuppt, vielleicht noch
nach einem virtuellen Ich,
das dem anpassungsfähigen Subjekt seltsamerweise deckungsgleich ist,
kann der
Narration des Casting nur
folgen wenn
Coaching
und Casting sich gegenseitig bedingen.

Das
Ethos, das
sich
aus Opportunismus, Kreativität
und sozialem Engagement zusammensetzt
und sich
heideggerianisch als Gerede oder systemdeutsch als Singularitätsspiel
oder Kommunikation artikuliert, ein Ethos, über das jedes
Bewerbungsevent
heute hinlänglich Auskunft gibt, wird beständig neu verhandelt bzw.
austariert, ohne dass ein
Coach,
der in seiner Funktion als Unternehmensberater eher
einem
postmodernen
Wanderprediger gleicht, es ständig
ausdrücklich
zu empfehlen hätte. Dennoch
bleibt der Coach in seiner besonderen Art des
Clowns
eine nicht unwichtige Figur, neben dem manchmal sogar der Manager als
der Remixer oder DJ der postindustriellen Produktion verblasst.
Seeßen 97 Im
Rahmen der geforderten und bereitwillig auch
vollzogenen
und vor allem sehr operativ-gesprächigen, kreationswütigen
und
performancegeschwängerten Zwangsharmonisierung
wird mit Hilfe eines Pseudo-Sadismus, das heißt insgeheim
gegenseitiger Verachtung sowie dem paradoxen Interesse an aktiver
Passivität, ein Kampf aller gegen alle geführt, der die
Intensivierung des Ressentiments sowie des
Erlebens,
das
ja im Gerede keinerlei Referenz mehr kennt, im Prozess eines
öffentlichen Absonderns von Meinung zur Folge hat. Dabei
werden im Büro alle Stufen des geselligen Austauschs ausprobiert,
vom gemeinschaftsfördernden und zugleich den Leistungswillen des
Einzelnen herauskitzelnden Spiel, den berüchtigten flachen
Hierarchien und der Vermischung von Arbeit und Freizeit, über die
Förderung der Konkurrenz, dem Abwatschen der Versager und der
Überwachung von jedem durch Jeden bis hin zum gemeinsamen Konsum
leistungssteigender Drogen, Amphetamine und Vitamine.
Aber
am Ende ist sich jeder selbst der Nächste. »Clever
ist«, schreibt Wolfgang Pohrt, »wer es versteht, sie (die anderen)
für sich einzunehmen oder sie hereinzulegen. Wer es nicht versteht,
ist der Dumme.«

(Die
Logik der Büroräume besteht unter anderem darin, dass man, wenn
nötig, einen Mitarbeiter gemäß spezifischer
organisationstechnischer Strategien entfernt, ohne ihn sogleich durch
einen anderen Mitarbeiter zu ersetzen, weil eben der (soziale)Platz
und nicht die Person konstitutiv für den sozialen Raum des Büros
ist. Wenn sowohl die Arbeitsproduktivität als auch das
Flexibilisierungspotenzial dieses Mitarbeiters miserabel war, dann
lag es nicht unbedingt an seinen persönlichen Variablen &
Koeffizienten, nicht einmal an seiner mangelnden Motivation oder
Kreativität, nicht an den Skills, sondern an gewissen systemischen
Bedingungen, den hinreichenden, aber nicht notwendigen Bedingungen,
unter denen eben ein Platz ein Platz ist. Man hat die falschen
Bedingungen favorisiert und damit den Mitarbeiter zu allerlei Unsinn
ermutigt.)Der Schlüssel für eine gelungene Performance liegt darin,
dass die Spekulationen auf einen fallenden Kurs mit denen auf einen
steigenden gutausbalanciert sind.)

Der
absolute Automat verschiebt die Arbeitswelt von der Manpower hin zur
Brainpower. Wie es am Anfang der Industrialisierung zu einer
Verkopplung von Hand und Maschine kam, so werden heute das Gehirn und
die Maschine in einer neuen Ökonomie verkoppelt, die Stiegler
“Iconomy” nennt. Diese Transformation involviert eine
transduktive Relation, wobei die Produktion nicht länger auf der
Arbeitszeit, sondern auf der Maschinenzeit basiert. Schon mit der
Verkopplung von Hand und Maschine ist es die letztere, die wirklich
arbeitet, und sie tut das blind und automatisch, womit man diesen
Prozess kaum noch als Arbeit beschreiben kann, insofern diese immer
auch eine Öffnung enthält, während die serielle und automatisierte
Produktion immer abgeschlossen ist. Insofern sind die Produkte dann
ready-made Waren.

Es
geht heute um die Frage, ob die (angebliche) Eskalation der
Produktivität, die mit der automatisierten Produktion erreicht wird,
in freier Zeit oder in befreiter Arbeit münden soll.28
Wenn die Automation die Zeit generell befreit, wie vermeiden wir es
dann, dass diese befreite und damit verfügbare Zeit eine verfügbare
Gehirn-Zeit wird, eine Zeit, die nicht mehr an die Television,
sondern an Google, Amazon und Facebook angebunden ist. Die Netzwerke
der sozialen Medien erschaffen eine Realität, die real ist, aber als
eine Technologie der Unmittelbarkeit kann man keine Befriedigung
bekommen, obwohl wir sie gerade lieben wegen ihrer Trennung von der
Jetzt-Zeit. Sie sind soziale Drogen für diejenigen, die das Humane
wollen, das irgendwo in Zeit und Raum lokalisiert ist. Es ist der
Pseudo-Andere, mit dem die User sich connecten, nicht der radikal
Andere oder der fremde oder gar reale Andere. Wir arbeiten uns an der
Schwäche und Vagheit ab, um die die Ausstellung des eigenen Selbst
voranzutreiben, aber egal wie stylish, aggressiv,
verzweifelt oder diplomatisch die Promotion des Selbst auf den
dominanten Medien-Plattformen ist, sie bleibt Teil der alten Logik
der Medien: Die Message ist die Leere. Ist.

Befreite
Zeit muss befreite Arbeit sein, wobei dabei von der Energie und ihrem
Potenzial nicht abstrahiert werden darf, Hand, Gehirn und Energie
müssen verbunden werden.
Heute
sieht es ganz anders aus. Maurizio Lazzarato schreibt:
“Um wachsende Einnahmen der Finanzinvestoren zu gewährleisten,
muss die Verfügbarkeit für prekarisierte und mangelhafte
Beschäftigung wie auch für schlecht entschädigte Arbeitslosigkeit,
für Austerität wie auch für „Reformen“, total sein. Arbeit zu
verweigern heißt heute, diese Verfügbarkeit zu verneinen, welche
die Finanzialisierung gerne hätte, und zwar ohne Limits und
Gegenleistung. Die Verweigerung der Arbeit unter den Bedingungen
gegenwärtiger Ausbeutung zu praktizieren bedeutet, neue Modalitäten
des Kampfes und der Organisation zu erfinden, um nicht nur die
ererbten Rechte der historischen Kämpfe gegen die Lohnarbeit zu
erhalten, sondern um auch und vor allem neue Rechte durchzusetzen,die
an die neuen Modalitäten der Ausbeutung von Zeit angepasst sind,
Formen der Solidarität zu konstruieren, die in der Lage sind, die
Enteignung von Wissen und Savoir-faire zu verhindern, sowie zu
vermeiden, dass die Modalitäten der Produktion von den
Erfordernissen finanzieller Valorisierung diktiert werden, der sich
weder Kunst noch Kulturindustrien entziehen können.” Es
muss außerhalb des unerträglichen
Systems
der Beschäftigung wieder
nach
Tätigkeiten im Marx`schen Sinne gesucht werden, die nachhaltigen
Reichtum schaffen und die Lohnarbeit zugunsten des Wissens, das heute
ganz in
Maschinen materialisiert ist, abschaffen, aber
eines
transformierten Wissens, insofern die Zeit durch die Arbeit der
De-Automatisierung befreit wird, um eine freie Zeit der
Transindividuation zu erreichen, und zwar
im
Sinne des otiums oder der sholhe, einer
Muße, neuen
Techniken
des Selbst und der
Anderen, und
das
heißt, für sich selbst und durch den Anderen zu arbeiten. Dazu
bedarf es einer organologischen Revolution, der Erfindung neuer
Instrumente des Wissens und der Publikation, eine epistemische und
epistemologische Revolution, und dies kann dann eben nicht auf die
Ausweitung des Dienstleistungssektors oder die Kreation neuer Jobs
oder auf ein minimales Grundeinkommen reduziert werden, das der
Kapitalisierung, dem Markt und dem Geld unterstellt bleibt. Reichtum
ist Zeit und Zeit muss
auch für Unterbrechungen zur Verfügung stehen,
weil
sie xer
Quanten-Sprung für psychische und soziale Individuationen liefert,
die wiederum durch Transindividuationen formiert und metastabilisiert
werden. Diese Zeit der Unterbrechungen ist wichtig, um eine neue
Form der Arbeit zu erfinden, die sich
von
der Entropie unterscheidet und die Negentropie fördert, eine
energeia, eine Passage hin zur Aktion, wobei Energien wie die fossile
Energie immer nur eine Bedingung für die neotische Energie sein
können, nicht diese selbst. “Das Mögliche,
das Werden und das Ereignis eröffnen Bereiche, die weder von Zeit
noch Raum beherrscht sind und die von anderen Geschwindigkeiten
animiert werden (unendliche Geschwindigkeiten, würde Guattari
sagen), sei es von höchster Geschwindigkeit oder von größter
Langsamkeit (Deleuze)…

Gorz
geht von einem zweigeteilten Einkommen aus, zum einen ein Einkommen
aus kreativer Arbeit, das mit der Dauer fällt, und einem sozialen
Grundeinkommen. Während Hegel die Arbeit mit der Aufhebung
synthetisiert und deshalb keine Proletarisierung kennt, kennt Marx
diesen negativen Aspekt der Deproletarisierung sehr wohl,
synthetisiert aber die Arbeit im Kommunismus wieder, und eliminiert
damit das pharmakon, wobei auch zu bedenken ist, das es nicht die
Proletarisierung der Arbeit, sondern das Ende der Beschäftigung
kombiniert mit der organologischen Mutation (frei verfügbare
Software), die durch die digitale ternäre Retention ermöglicht
wird, ist, als ein Sorge-Tragen eines pharmakons, das durch das
objektivierte Wissen transindividualisiert
wird. Heute entleert die Macht des Computers – determiniert durch
die Geschwindigkeit der Mikroprozessoren und des Datentransfers- die
kreative Arbeit und die energeia, wobei Stiegler jedoch nicht zu
einer ursprünglichen intuitiven Intelligenz zurück will, weil die
Intelligenz sui generis artifiziell, das heißt organologisch ist,
i.e. die Verkopplung
des Lebens mit anorganischen Organen zu
leisten hat.,

Kauf
dir einen postfordistischen Burger! – Das Ende vom (McDonald`s)
Lied

By
Achim Szepanski

Fordistisches
Essen

„Das
fordistische Prinzip von McDonald’s wird 60 Jahre alt und ist in
der Krise“, hieß es vor Monaten auf Telepolis.
„Wir erleben die Geburtswehen einer tiefen Depression und
nichts ändert sich. Es sind wahrscheinlich 30 Prozent aller
Betreiber insolvent“, zitiert der Business
Insider
einen McDonalds-Betreiber.

Es
klang schon in
den 1990er Jahren ein
wenig euphemistisch, als
Arthur Kroker
schrieb, McDonald´s verkaufe postmoderne
Hamburger. Okay, der Hamburger war bei McDonald´s immer schon sein
Bild, wahnsinnig ästhetisiert und er war überall anwesend – im
Kindergarten der Kleinen, im Seniorenaltersheim für eine
nostalgische und zahnlose Zeit, als windelweiche Kost
für den
Freizeitparkzeit und als Beigabe
zur Freundschaftszeit
für dauergesprächsbereite Jugendliche, bei den GI`s vor der Kaserne
war
er sowieso der Bruner,
und nicht zuletzt im Werbefernsehen wurde
er
als
Beigabe zu den
Heidi Klum Gesichtsgrimassen gereicht
– man denke an jene unsägliche Heidi-Klum-Werbesentenz, bei der
die Begegnung des Dreikäsehoch-Verkäufers mit dem attraktiven
Objekt der Begierde zu einer scheußlich emotionalen Überlegenheit
der Werbeikone führt, indem diese die kindliche Verlegenheit des
Verkäufers aufgrund seiner Attraktivitätsdefizite mit einem kräftig
strahlenden (schneeweißen) Biss in einen doppelten Cheeseburger auf
die Spitze und damit die Kastrationsängste des Jungen in
schwindelerregende Höhen treibt, als würden jeden Augenblick seine
Hoden an wattstarke Elektroden angeschlossen.

Das
phasische Essen bei McDonald`s war aber dann doch eher eines für
fordistische Gepflogenheiten und Bäuche – eine Art gebratener
Hackfleisch-Scheiben zwischen zwei industriell hergestellte lappige
weiße Brötchenteile gesteckt – auch wenn die Bäuche wie die
Köpfe irgendwann längst zu geisterhaften Bildern ihrer selbst
geworden waren. Nirgends konnte man die Massen besser kontrollieren
und konnten sie sich selbst besser qua Kommunikation kontrollieren,
als in diesen stalinistischen Essverarbeitungsstationen, die kräftig
die Kommunikationskanäle schmierten, gerade wie es Kroker/Weinstein
beschreiben: „“Ich könnte für immer hier bleiben und mit dir
weiter reden.“ Das ist die Einstellung jener Leute, die bei
McDonald`s herumhängen: die ideale Sprechgemeinschaft, die es
bereits gibt, aber von der „Kritischen Theorie“ übersehen
wurde.“ Konsum ist Kommunikation und umgekehrt.

Und
dazu gab`s immer
ne
Coke. Besser war das kollektive Leben nie. Coke war nämlich immer
mehr als Coke, es war mehr als die flüchtige Vereinigung mit der
Werbung. Okay, irgendwie war
und ist
Coke in Eurer Hand bis heute immer auch nur eine Bestätigung dafür,
dass Ihr in das Bild der Company passt, das ihr ausfüllt. Aber wie
keine andere Ware konnte Coke andere Produkte infizieren, um die
Kette von Gebrauchswert, Tauschwert, Kommunikation, Bild, Sinn und
Design noch weiter zu hysterisieren, nämlich in die Lebensqualität
oder neudeutsch in den Lifestyle hinein. Zeugt die Opulenz voller
Regale in den Supermärkten keineswegs vom Versprechen auf
Bedürfnisbefriedigung, sondern vom diferenziellen Überfluss der
Zeichen, die wiederum einem organisierenden Code unterworfen sind
(Baudrillard), so geht es immer auch um das konsumierte Bild des
Konsums.  Aber noch mehr: Coca-Cola signifiziert oder designt
heute keinen Sinn mehr, sondern das Getränk ist selbst schon Sinn.
War Coca-Cola aber noch die Brause, die sich den Stars lustvoll
unterwarf, wie Georg Seeßlen es beschreibt, so ist heute Red Bull
die Ware, die selber zum Star geworden ist: „Eine einzige gewaltige
Casting Show, in der Red Bull das Brandzeichen des Erfolges
darstellt.“ (Georg
Seeßlen
)

Als
Gegenprogramm zum fordistischen Hamburger und zur Coke zirkulierten
damals in München-Schwabings Luxusrestaurants Austern, deren
hellbraun gescheckter Kalk mit kräftigen radialen Rippen auf beiden
Klappen die Gäste beim ersten Anblick schon faszinierte, wobei aber
die den Austern zugeschriebene aphrodisierende oder libidinöse
Wirkung nach Meinung der anwesenden Köche eine Scheiße-Chimäre
oder bloße Ideologie der zu dieser Zeit langsam aufblühenden
Lebensmittelindustrie war. Okay, der nussige und feinherbe bzw. der
subaquamarine Geschmack nach Meer, der ja selbst von subsidären bzw.
biochemisch indifferenten Geschmacksbanausen kaum bestritten werden
konnte, mochte für die legendäre emotionale Heißhungrigkeit, die
dem Konsum bzw. dem Effekt des Konsums der Austern anhaftete,
mitverantwortlich sein; schlussendlich blieb der damals
vergleichsweise hohe Preis des hochgesexten Lebensmittels das
alleinige und entscheidende Kriterium für den Erfolg auf der
sogenannten Market-Sexappeal-Matrix.

(Kriterien
wie menschliche Arbeit, Zuchtanlagen oder gar Transport- bzw.
Zubereitungskosten für die Preisfindung des hochgesexten
Lebensmittels ins theoretische Lampenlicht zu rücken, führen die
Problematik um die Wahrheit der Arbeitswerttheorie bzw.
Produktionskostentheorie nur weiter ad absurdum,  wobei das
Ephemere damals schon aufschien, nämlich, dass der Preis hier vor
allem eine Information bewertet und sich von der Bewertung einer
Funktion oder der Arbeit zu einem reinen Maß der Zahlungswilligkeit
der süffisanten Celebrity-Kundschaft gewandelt hat, die bis heute in
deprimierender Regelmäßigkeit experimentelle Fünf-Gänge-Menüs
oder irre bunte Designer-Cocktailabende mit öffentlichem Interesse,
beispielsweise als Spendenkampagnen für die Opfer von Schusswaffen,
ADHS und Dauerwerbefernsehkonsum veranstaltet.)

Sollte
die Menschheit untergehen, sie hätte es verdient. Seit 1970 hat der
Mensch 60% aller Säugetiere, Fische, Vögel und Reptilien
ausgerottet. Damit sind seit Beginn der menschlichen Zivilisation 83%
aller wild lebenden Säugetiere, 80% der Meeressäuger, 15% der
Fische und 50% der Pflanzen von der Erde verschwunden.

Doch
keine Panik: Von allen Säugetieren auf der Erde machen wild lebende
Säugetiere ohnehin nur (noch) 4% aus. Der Rest besteht aus uns (36%)
und unseren "Nutztieren" (60%). Mit ihnen leben wir in
erquicklicher Symbiose: Im Jahr 2011 wurden geschätzt weltweit über
60 Milliarden Tiere geschlachtet - rund 58 Milliarden Hühner, knapp
drei Milliarden Enten, 1,4 Milliarden Schweine, 517 Millionen Schafe
und 300 Millionen Rinder.

Lästig
jedoch: Als Tierfutter werden die Getreide- und Sojaerträge von 70%
der globalen Agrarflächen benötigt. Wälder und fruchtbare Böden
schwinden, bereits ein Drittel der globalen Weide- und Ackerflächen
ist mittelgradig bis stark beschädigt. Doch Tierfutter will
gedeihen! Dafür müssen tonnenweise "Pflanzenschutzmittel"
ausgeschüttet werden: Herbizide, Fungizide, Bakterizide, Virizide,
Insektizide, Molluskizide, Rodentizide, Akarizide und Pheromone.
Immerhin vergiftet dies Gewässer und Böden und vernichtet Pflanzen
und Insekten, so dass wir auch bei der totalen Ausrottung von
Fluginsekten auf einem guten Weg sind.

Fehlt
noch die Scheiße. Wohin mit dem ganzen Mist? Allein die Schweine in
Deutschland produzieren rund 40 Milliarden Liter Gülle pro Jahr. Die
verfluchte Folge: Nitrat im Grundwasser. Laut Umweltbundesamt wiesen
2015 lediglich 8,2% aller Oberflächengewässer in Deutschland einen
"sehr guten" oder "guten ökologischen Zustand"
auf. Der emittierte Ammoniak führt zudem nicht nur zur Versauerung
und Eutrophierung von Böden, sondern vergiftet auch die Luft
(Feinstaub und Ozon) und verschärft den Klimawandel (Lachgas).

Postfordistisches
Essen

Jeder
kennt die Erfolgsstories von Deutschlands einflussreichsten
Spitzenköchen – Castingkochshows  à la „Manche mögen’s
heiß“ erzielen für das Produktmanagement vielversprechende
Einschaltquoten, und darüber hinaus stehen Mulitmedia-Kochbücher
mit DVD, die unter anderem die angeblich kalorienärmsten, aber
zugleich leckersten Süßspeisen der deutschen Konfiserie-Branche
anpreisen, hoch im Kurs, wobei es hier unverschämt geile Tricks zu
vermelden gibt, bspw. Rezepte mit Ingredienzien wie
Sojamilchextrakten, Zuckersurrogaten, raffinierten Kohlenhydraten,
Transfettsäuren und High-Density-Lipoproteinen als Junkfood auf
höchstem Niveau zu featuren, was zuweilen von dem in den eigenen
Körperzementierungen festgesessenen und fettgefressenen
Qualitätsjournalismus, der mit den Grundregeln der Dialektik und den
Grundzügen des vertikalen Denkens bestens vertraut ist, unglaublich
abgefeiert wird.

Okay,
die Zeiten sind härter: Minuspunkte für durchaus raffinierte, für
kalorienreiche Lebensmittel, die außerordentlich reich an
Transfettsäuren, billigen Ölen und Industriezucker sind, bspw. ein
mit einer Erdnussbutterfüllung in einem crispen, hartkrokantigen
Mantel aus einer Mischung von gehärteten Pflanzenfetten, Polyolen &
karamellisiertem Zucker zusammengebasteltes Teil, möglicherweise
Haselnuss-Krokant, plus einer kakaohaltigen Fettglasur plus
Emulgatoren, Milchpulver und hyper-gesättigten Fettsäuren, alles in
allem ein wahres Meisterwerk hinsichtlich der Implosion karzinogener
Darm-Infiltrationen, das total overstyled und absolut am Maximum des
noch Genießbaren ist. Ein Produkt, das durch den Zusatz von Koffein
und Taurin eigentlich die Marktführerschaft von Red Bull auf den
Märkten der Schnellmacher-Lebensmittel sehr schnell ins Wanken
bringen könnte (hätte es denn eine Story zu erzählen).

Es
gibt heute einen wahren Garten Eden der (gesunden)
Differenznahrungsaufnahme. Vom Designer-Hamburger, über
strahlungsbehandelte Hühnchen und simulierte Putenteile bis hin zum
reinen Bio-Landglück. Differenzieller gings nie. Die Mittelschicht –
finanziell nach oben, kulturell nach unten orientiert – frisst sich
heute reichlich mit Distinktionsgewinnen voll, aber
dieser Gewinn muss erlebt werden und dazu benötigt es eine soziale
Performance, welche in den neuen Designer-restaurants aufgeführt
werden kann, wo man den wahrhaft sensationellen Burger anbietet und
Teil einer luxurierten Bewegung werden kann, die sich trendgemäß
ihre Klassenzugehörigkeit zusammen frisst. (Seeßlen 217). Jetzt
kommt aber das große Aber, auf das Frederic
Jameson
immer wieder hingewiesen hat. Er registrierte in der
postfordistischen Kultur eine Äquivalenz zwischen der beschleunigten
Dynamik der Differenz auf allen Ebenen der sozialen Aktivitäten, des
Konsums, der Symbole und Habiti  und einer beispiellosen
Standardisierung und Funktionalisierung – der Produkte, der
Emotionen, der Sprache und so weiter. Jameson schreibt: “Aber dann
dämmert es uns, dass keine Gesellschaft  jemals so
standardisiert war, wie es diese ist, und dass der Strom von
menschlicher, sozialer und historischer Zeitlichkeit noch niemals so
homogen war.”

In
seine erst vor kurzem in deutscher Sprache erschienenen
Grundlagentext “Die Konsumgesellschaft” hat Jean Baudrillard
schon im Jahr 1970 eine noch differenziertere Sichtweise des
Konsumsystems vorgenommen, das nach wie vor ganz am Tropf des
Produktionssystems des Kapitals hängt. In Stichworten lassen sich
einige Punkte zusammenfassen: Die Logik des Konsums orientiert sich
nicht am Gebrauchswert, sondern an der Produktion und Manipulation
sozialer Signifikanten und Zeichen. Konsum ist ein Prozess der
Signifikation und der Kommunikation, basierend auf einem Code, in den
die Konsumpraktiken sich einschreiben. Konsum ist für Baudrillard
das System des Tauschs und das Äquivalent der Sprache. Er ist zudem
ein Prozess der sozialen Differenzierung und Klasssifizierung.
Zeichen und Objekt sind nicht nur signifikante Differenzen im Code,
sondern auch Statuswerte einer sozialen Hierarchie. Das
Distinktionsverhalten wird von der Masse als Freiheit erlebt, nicht
als Zwang sich differenzieren zu müssen und einem Code zu gehorchen.
Sein Vergnügen erlebt der Konsument als absolut, ohne den
strukturalen Zwang des Codes überhaupt zu registrieren, der für die
modischen Wechsel sorgt, wobei die Ordnung der Differenzen aber
erhalten bleibt. Konsum, das ist der Zwang zur Relativität, die den
Rahmen für eine nie endende Differenzierung liefert. Das Prestige
hängt an der positiven Differenz, während das distinktive Zeichen
zudem die negative Differenz kennt. Man konsumiert nicht das Objekt,
man manipuliert die Objekte als Zeichen. Soweit in Kurzfassung.

Apropos
Landglück oder glückliche Kuh. Happy Spießburger.

Der
postfordistische Konsum, das ist für die Mittelschicht die erste
Bürgerpflicht. Das unternehmerische Subjekt von Foucault erweitert
sich zu einem Unternehmen des Genusses “mit der Pflicht, glücklich,
verliebt,  schmeichelnd/geschmeichelt,verführerisch/verführt,
teilnehmend, euphorisch und dynamisch zu sein … Alles muss
ausprobiert werden … Man weiß ja nie, ob der eine oder andere
Kontakt, diese oder jene Erfahrung (Weihnachten auf  den
kanarischen Inseln, Aal mit Whisky, der Prado, LSD, Liebesspiele auf
Japanisch) nicht eine “Sensation” für es bereithalten.”
(Baudrillard. Die Konsumgesellschaft, 117) Das konnte Baudrillard
1970 schreiben, aber längst ist diese Art der “fun morality”
Ausdruck eines neuen imperialen Spießertums geworden, dessen
Organisationsform die Bürgerfabrik ist.

(Konsumiert
werden darf heute im Spiel der Differenzen fast alles, Glauben,
Fair-Trade, Subkultur, Subversion, Freiheit etc. Aber selbst noch der
Antikonformismus wird konformistisch konsumiert. So hat David Foster
Wallace darauf hingewiesen, dass die rebellische Konsumtionspraxis
des Pseudo-Rebellen darin besteht, gegen die seelenlosen
Profitmaschinen zu protestieren, indem er Produkte von Konzernen
kauft, “die die unternehmerische Praxis am überzeugendsten als
leer und seelenlos repräsentieren können.”Siehe Starbucks. Es
gibt eine Second-Order des Genießens, das Genießen des Genießens,
welches, wenn es denn kontrolliert wird (Diäten), zum Genuss der
Kontrolle des Genießens mutiert. Es handelt sich hier um ein
Zerebralgenießen oder einen Zerebralkonsum (Gehlen), der längst
reflexiv geworden ist, und im Shopping, dem Genuss des kommunikativen
Ereignisses, den man auch Lifestyle zu pflegen nennt, seinen
vollkommenen Ausdruck findet. Das Konsumieren selbst wird konsumiert.
Und die Konsumenten kaufen Produkte, die sie sich entweder at once
geradezu sadistisch einverleiben oder zu denen ihnen nur ein Ratgeber
Zugang verschafft, oder die Produkte werden erst gar nicht
konsumiert, sondern man macht mit ihnen Werbung, und zwar für sich
und für das Unternehmen zugleich.)

Gastrosophie
und die Geschichte vom Hans im Glück

“Hans
im Glück”
nennt sich eine neue Hamburger-Kette und ihre
Hamburger heißen “Heimweh” (mit Gorgonzola), “Stallbursche”
(gegrillte Hähnchenbrust) oder “Birkenwald” (mit Mozarella).

Die
Philosophie des Unternehmens lässt verkünden:

„”So
glücklich wie ich, gibt es keinen Menschen unter der Sonne!” Diese
Worte spricht Hans, nachdem er auf seinem Weg Schritt für Schritt
Wertvolles gegen Wertloses eingetauscht hat – seinen Goldklumpen
gegen ein Pferd, das Pferd gegen eine Kuh, die Kuh gegen ein Schwein
und so weiter. Am Ende steht Hans mittellos da, trotzdem empfindet er
pures Glück.“ Zitat Ende.

Nicht,
dass man hier allein nur mit Brecht ankommen sollte, von wegen erst
kommt das Fressen, dann die Moral – bittere Realität für eine
Milliarde Menschenmüll, für den die Eliten und Mittelschichten nur
ein müdes Lächeln übrig haben.

Es
gibt hier nämlich weiter zu vermelden: Die Story mit Hans im Glück
geht etwas anders. Für Hans besteht das Glück des Tausches darin,
dass er nicht derselbe geblieben ist. Hans hat das Glück nicht
einmal gesucht, nichts weniger interessiert ihn als die ökonomisch
profanierte Sucht nach Geld, Ruhm und Teilhabe. Der Tausch bleibt
Rätsel, Stil und Mikrophysik, jenseits der Kapitalisierung, der
objektivierten Sucht nach Mehr, die das Kapital selbst ist. Dessen
Pendant ist der individualisierte Anspruch der kaufkräftigen
Kundschaft, die noch Ernährung, Service und Qualität als ihr Mehr
simuliert. Die den postfordistischen Luxus-Hamburger als ihr Mehr
veranschlagt, und dies noch unter dem Gesichtspunkt, dass dessen
Verzehr  im Vergleich zu dem des fordistischen Hamburgers die
Zeitspanne von der Sekretion zur Exkretion verkürzt. (Lang lebe der
Akzelerationismus!)
Über diesem  Mehr hängt aber nach wie vor der Segen der
Verblödung, weil die Ware der Mittelschicht das Echo des Marketings
und der Werbung bleibt. Ihr Konsum wird von den Medien und von den
Semiotypen angetrieben. Das feine Burger-Restaurant ist die Moschee,
und Hollywood bleibt das Mekka.

Und
die Philosophie des Unternehmens kündet den Endsieg der Philosophie
an, und sie verbirgt nur schwerlich den neoliberalen Refrain: Esse
Intelligent! Kommuniziere! Verhalte dich als Unternehmer! Werde ein
Asset! Trage ein Risiko!

(Jede
Philosophie, so resümiert Laruelle,
unterschreibe heute die kommunikative Entscheidung, die darauf
abziele, dass alles, was existiere oder erkennbar sei, auch
kommuniziert werden müsse. In dieser self-inscribed world, soll
tatsächlich noch das letzte Geheimnis kommuniziert werden; alles,
was bisher noch nicht gesagt wurde, ist nur dazu da, um endich gesagt
zu werden. Für Laruelle ist die kommunikative Entscheidung noch
heimtückischer als die philosophische. Es ist eine Sache zu sagen,
dass alles, was existiert, einen zureichenden Grund besitzt. Es ist
eine andere Sache zu fordern, das alles, das aus irgendeinem Grund
existiert, transparent kommuniziert werden sollte, um vielleicht
einen Grund für seine Existenz erst noch zu erfinden. Wenn die
philosophische Entscheidung eine Variante des Prinzips des
zureichenden Grundes ist, dann fügt die kommmunikative Entscheidung
die Kommunizierbarkeit der Bedeutung noch als heimtückische Zugabe
hinzu.)

Also
noch einmal: Kauf dir deinen postfordistischen Hamburger und friss
dich mit Differenzen und Vielfalt voll! Betreibe Differenzproduktion,
auch wenn ihr Gehalt rein vom Marketing abhängt! Der Siegeszug des
Luxus-Hamburgers, die Paradessenz des Produkts (Entspannung und
Erregung zugleich) implementiert hier eine adversative Struktur des
ubiquitären Genießens: Verfolge durch Mehr-Essen konsequent den Weg
zur Bulimie, um das Ziel, das Anorexie verspricht, zu erreichen bzw.
iss mehr, um schneller abnehmen zu können, womit einerseits die
Teilnahme am Genuss imperativistisch zugesichert, andererseits das
exzessive oder sogar suchtbringende Moment, das dem Konsum anhängt,
zugleich entschärft wird. So dass man sich schuldig fühlt, wenn man
sich nicht mit dem Surrogat begnügt, sondern den süchtig machenden
McDonald`s Hamburger konsumiert, um dann aber unter Umständen zum
singulären Krankheitsfall zu regredieren.

Multirassismus
in der Bürgerfabrik und Imperialismus

By
Achim Szepanski

1
Sep , 2017  

“Der
moderne Flüchtling vereint alle Stigmata des kapitalistischen
Systems in sich: auf unbestimmte Zeit zur Heimatlosigkeit verdammt,
von der eigentlich alle geschlagen sind, weil die Welt eine
unwirtliche wurde, in der niemand willkommen ist; rechtlos, weil
Recht allen nur provisorisch gewährt wird, solange es sich für die
Herrschaft der Wertverwertung noch als dienlich erweist; selbst um
die Freiheit, seine Arbeitskraft zu verkaufen, gebracht, weil deren
Ausbeutung der Tendenz nach allgemein überflüssig wird; letztlich
wehrlos der eigenen Vernichtung preisgegeben, weil für Verwertung
und staatliche Ordnung gänzlich unnütz, eigentlich auf ein zu
regulierenden „Sachproblem“ reduziert. Weil dies heute allen
droht, auch jenen, die sich in den kapitalistischen „Zentren“
noch als vom Wohlstand und den Gesetzen geschützt missverstehen, ist
der Hass auf die Flüchtlinge so enorm: sie sind in ihrer schieren
Existenz die Vorboten des eigenen Abstiegs in die Nichtswürdigkeit,
zum nur noch zu verwaltenden, am besten zu entsorgenden

Menschenrestmüll.”
Anna Montseny

„Die
Leute sehen, wie die Chancen schwinden, daß man selber zu den happy
few gehört. Sie ahnen, daß es nicht mehr darum geht, wer verelenden
müsse, sondern daß die Alternative alle oder keiner heißt. Sie
spüren, daß ihre eigene Sicherheit auf den Prinzipien beruht, deren
Aufhebung sie fordern. Deshalb erwarten sie keine Nachgiebigkeit. Zur
Entscheidung steht, ob die Verhältnisse den Menschen angepaßt
werden müssen, oder ob den bestehenden Verhältnissen die Menschen
anzupassen sind, was ihre Verelendung, Vertreibung, Ausweisung
bedeutet. Existierte eine Linie, müßte ihre Forderung heißen:
Offene Grenzen. Das würde auf keinen Fall gemütlich. Die
Ankommenden werden keine übertrieben netten Menschen sein. Sie
bringen nicht Kultur mir, sondern Haß und Hunger. Sie werden diese
Gesellschaft vor die Alternative stellen, ob sie sich ändern oder
zusammenbrechen will. Aber vor dieser Alternative steht sie sowieso.
Nur daß nichts bleibt, wie es ist, ist sicher. Vor der Zukunft haben
alle Angst. Sie wird durch Abschiebungen verstärkt, durch das Elend
hinter dem Zaun, nicht durch offene Grenzen. Sie wird gemildert durch
die Sicherheit: Was auch kommen mag – niemand wird rausgeschmissen,
keiner muß im Elend verrecken, wer er auch sei. Nicht die
Anwesenheit der rumänischen Zigeuner, sondern ihre Behandlung macht
den Einheimischen Angst, weil sie jeden lehrt, wie es ihm selber
ergehen könnte, wenn er nur noch ein bißchen tiefer rutscht. Die
Leute würden einem dankbar sein, wenn man sie mit aller Macht zu
einer anständigen Behandlung der Zigeuner zwänge. Das gäbe ihnen
die Sicherheit, die sie derzeit am meisten entbehren.“ 
Wolfgang Pohrt

Wer
erinnert sich noch an die deutsche Willkommenskultur aus dem Jahr
2015? Die Bild-Zeitung hatte jahrelang zur Tat auffordernde
Assoziationen über den Zusammenhang zwischen Migration und
Kriminalität, Rauschgifthandel und religiösem Fanatismus geweckt,
Ausländer als nicht integrierbare und gefährliche Eindringlinge
oder als arbeitsscheue Subjekte stigmatisiert, und nun trug die
deutsche Fußball-Prominenz die Plakette »Refugees Welcome« mit dem
BildLogo auf dem grünen Rasen spazieren. Zur gleichen Zeit arbeitete
der herrschende Block an der Macht in den Regierungsetagen an der
Verschärfung des Asylrechts, was den rechtlichen Sonderstatus der
Asylanten betraf, i.e. die Ersetzung von Bargeld durch
Lebensmittelgutscheine, Arbeitsverbot, Residenzpflicht, Lager, die
man Sammelunterkünfte nennt, und so weiter und so fort. Heute ist
die Bild-Zeitung natürlich wieder ganz auf Linie.

Agamben
erinnert daran, dass die ersten Lager in Europa für Flüchtlinge
errichtet wurden, und dass die Abfolge: Internierungslager –
Konzentrationslager – Vernichtungslager eine reale Abstammungsreihe
darstellt. Inzwischen gibt es längst die Hotspots bzw.
Internierungslager in der Türkei, wird unter der Regie der
EU-Grenzschutzagentur Frontex das Mittelmeer mit den bekannten Folgen
überwacht. Kriegsflüchtlinge und Teile der globalen
Surplusbevölkerung, denen nicht einmal der Genuss auf Ausbeutung
durch das Kapital vergönnt ist, sind längst mit den staatlichen
Operationen der Lagerbildung und den integrierten Systemen des
Rückführungsmanagements konfrontiert. Libysche Milizen verfrachten
Flüchtlinge in Lager, wo sie misshandelt, gefoltert und vergewaltigt
werden. Deutschland und Frankreich wollen, um die Außengrenzen
Europas tief nach Afrika zu verlagern, Waffen an afrikanische
Diktaturen wie den Tschad liefern, dessen Armee schwere
Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden. In der Wüste Afrikas
streben inzwischen mehr Menschen als im Mittelmeer. Das kratzt das
Kapital und die EU Politik wenig, letztere ist ja ganz auf die
Profiterwartungen privater Investoren ausgerichtet, wobei
gleichzeitig den afrikanischen Unternehmen durch Freihandelsabkommen
der Zugang zu den europäischen Märkten verwehrt bleibt. Frei soll
sich nur das monetäre Kapital in Nanosekunden bewegen können, die
globalen Eliten und ihr Umfeld und im Sommer die Insassen der
Transportmaschinen der Tourismusindustrie.

Man
denke an die Unternehmen der Deutschland-EU, die mit subventionierten
Waren die afrikanischen und arabischen Ökonomien überschwemmen und
den einheimischen Bevölkerungen ihre Lebensgrundlagen entziehen.
Märkte werden durch den Export von Hühnchenflügeln und
Schlachtabfällen aus Deutschland zerstört. Im Zuge des globalen
Landraubs werden Lebensmittel oder fruchtbare Böden (Palmölplantagen
in der Elfenbeinküste, Rosen aus Kenia, Erdnüsse aus dem Senegal
etc.), Fischfanggebiete und Rohstoffvorkommen (Uran aus Niger, Tschad
und Mali) vom westlichen Kapital angeeignet. Im Unterschied zu den
europäischen Arbeitern werden weite Teile der Arbeitsnomaden in
Afrika nicht gebraucht und unterbieten sich in der Konkurrenz um
billige Lohnarbeit und landen schließlich in Slums bzw. in der
Verelendung. Die überflüssigen Arbeitsnomaden tragen allenfalls
dazu bei, mit Niedriglöhnen in Kombination mit der Produktivität
westlicher Unternehmen deren Erfolg und damit den der Ökonomien der
kapitalistischen Kernländer weiter voran zu treiben. Die ruinöse
Rolle der Weltbank und des IWF wäre zu beschreiben, die
Nahostpolitik des Westens und die dadurch entstandenen »failed
states« und so weiter und so fort. Es findet nach wie vor eine
globale Distribution ungleicher Arbeitsquanta an den Weltmärkten
statt, man denke an die Billigimporte aus ostasiatischen Staaten, in
denen erhebliche menschliche Arbeit festgefroren ist, an die
Smartphones, die die westliche Bevölkerung genießt, um die
Effektivität ihrer Arbeit und ihre Verblödung zugleich zu
intensivieren.

In
den europäischen Ländern wäre der Sonderstatus als Flüchtlinge
aufzuheben und mit Forderung der Abschaffung des Flüchtlingsregimes
angemessen zu reagieren, der Forderung nach Rechtsgleichheit, was die
freie Beweglichkeit, Mobilität, Bildung, Arbeitserlaubnis etc. der
Migranten angeht. Das Flüchtlingsregime anzugreifen, das hieße den
rechtlichen Nicht-Status der Flüchtlinge, der etwa durch
Lebensmittelgutscheine statt Bargeld, Arbeitsverbot, Residenzpflicht
und Sammelunterkünfte markiert wird, anzugreifen. In all diesen
Punkten wurden und werden die Maßnahmen aber gerade verschärft. Es
ist davon auszugehen, dass die Rechtsgleichheit des Flüchtlings im
Kapitalismus aus rein „logischen“ Gründen gar nicht möglich
ist. Bei Kant kann man schon nachlassen, dass in einer Nation, die
sich über ihr Territorium, das Volkseigentum ist, definiert, der
Fremde unweigerlich als Unperson gesetzt ist. Die Nation verbietet es
geradezu, ein Gast-Recht zu etablieren, bei dem der Gast als
Rechtsperson verstanden wird. Gastfreundschaft ist keine
philanthropisch-humanitäre Geste und auch keine Art von
Mildtätigkeit, sie ist das Politische, das durch die Subalternen
erkämpft werden muss.

Das
rassistische Phantasma, das stets Teil eines Staatsrassismus ist, mit
dem das Leben und das Sterben der Bevölkerung überwacht und
reguliert wird, hat im Moment eine leichte, wenn auch nicht
unbeabsichtigte Modifizierung angenommen. Gemäß den allgemeinen
Spielregeln des Neoliberalismus sehen wir eine Fortentwicklung vom
Sicherheitsdispositiv hin zum Risikodispositiv. Der rassistisch
konnotierte Migrations-Diskurs stellt die einheimische Bevölkerung
als einen integralen, als einen quasi-organischen Körper vor, der
durch klare Grenzen gegenüber der Außenwelt charakterisiert ist,
und der gegen Horden und Nomaden verteidigt werden muss, die die
gesunde Homogenität des Volkskörpers bedrohen. „So wie der Schutz
des Heims ein entscheidendes Anliegen des Bürgers und Privatmannes
ist, so ist die Integrität seiner Grenzen die Existenzbedingung des
Staates«, wusste schon der Marquess Curzon of Kedleston um das Jahr
1900 zu berichten. Foucault schreibt in »Überwachen und Strafen«:
“Eines der ersten Ziele der Disziplin ist das Festsetzen – sie
ist ein gegen das Nomadentum gerichtetes Verfahren.” Und dies
schließt die strikte Unterscheidung zwischen dem guten und
erwünschten und dem schlechten und unerwünschten Flüchtling ein,
zwischen potenziell qualifizierten Fachkräften, an denen es in
Deutschland in spezifischen Arbeitsbereichen gerade mangelt, und der
Masse des unbrauchbaren Menschenmülls. Der neoliberal flexibel
gehaltene Arbeitsmarkt grüßt mit der Parole “Refugees Welcome”
und mit ihm exerziert das Kapital und sein Staat eine profit- und
zielorientierte „Willkommenspolitik“, um die wenigen gut
qualifizierten Arbeits- und Einreisewilligen nachhaltig in die
Bevölkerung einzugliedern. Eine sanfte Kontrolle kolportiert
zugleich die schonungslose Lagerpolitik, die man mit den
unwillkommenen Migranten pflegt. So haben die Grenzen nicht nur die
Funktion Flüchtlinge vom Zugang zum staatlichen Territorium
fernzuhalten, sondern sie fungieren immer auch als  flexible
Markierungen,  um bestimmte Gruppen von Menschen zu
kontrollieren, zu selektieren und zu regieren.

Wolfgang
Pohrt hat vor 25 Jahren in seinem Essay »Der moderne Flüchtling.
Über „Ambler by Ambler” folgendes geschrieben: „Ähnlich wie
heute, wo 100.000 zusätzliche Menschen in der BRD eine
vernachlässigbare Größe wären, während 100.000 Asylbewerber,
denen das Recht auf Freizügigkeit wie auf Arbeit entzogen wurde,
bereits jetzt einen die Grundrechte unterminierenden Sonderfall
darstellen und sich tatsächlich zu dem sozialen Problem entwickeln
können, als welches man sie betrachtet; ähnlich wie heute also
wurden damals (nach 1918) die Flüchtlinge zu einem
destabilisierenden Element durch die Behandlung, die ihnen widerfuhr.
Festgehalten im Stand der Rechtlosigkeit, welcher den der
Gesetzlosigkeit einschließt, waren sie das anschaulichste Beispiel
für das Schrumpfen des Geltungsbereichs von Gesetzen, für
Zersetzungserscheinungen im Bereich staatlicher Kontrolle über die
Bevölkerung und überhaupt für die wachsende Unfähigkeit des
überkommenen Sozialgefüges, das Leben der Menschen in geregelten
Bahnen zu halten.“ Wenn heute ein De Maziere äußert, dass wir uns
überall auf »Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei,
Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall”, dann klingt
dies nach einer Neugestaltung der Bereiche staatlicher Kontrolle, für
die unter anderem das destabilisierende Element des Flüchtlings die
Rolle des Auslösers übernimmt, um etwa das ein oder andere
demokratische Recht zu verabschieden oder die Verarmung von Teilen
der Bevölkerung noch weiter hoffähig zu machen, jenes Teils, den
die krankmachende Verarmungsmaschinerie des deutschen Staates in
Billigarbeitskräfte und Sozialhilfeempfänger, die durch den Besuch
der „stalinistischen“ Zwangsernährungs-, Bekleidungs- und
Ein-Euro-Ketten ihr Leben phasisch sichern müssen, aufteilt und
reguliert. Aber auch die Arbeit, am offensichtlichsten bei den
Bullshit Jobs, macht und als Therapie gegen die Krankheit verschreibt
man noch mehr Arbeit.

Begleitet
wurde und wird das alles von den massiven Hetzkampagnen der
rassistischen AFD, von Pegida mit den Hunderten von Demonstrationen
vor Flüchtlingsunterkünften, bei denen permanent Pogromstimmung
erzeugt wird, und es gibt die ununterbrochene Welle von Anschlägen
auf Flüchtlingsunterkünfte. Und der Bürger schaut zumindest zu.
Und auf der anderen Seite: was tun die Regierenden
„alles“ für die Flüchtlinge? Wollt ihr auch in einem
Ankerzentrum Essensgutscheine kriegen? Ist das die Zuwendung, die
euch fehlt? Wie kommt ihr darauf, dass die Zuwendungen an die
Flüchtlinge und die an euch überhaupt etwas miteinander zu tun
haben? Ist das Existenzniveau der hiesigen Armen deswegen so
erbärmlich, weil der Staat etwas für die Flüchtlinge tut? War vor
der „Flüchtlingswelle“ 2015 ihr Lebensstandard höher? Offenbar
verhält es sich umgekehrt: Nicht dass es elende Lebensverhältnisse
erst gibt, seit Flüchtlinge aufgenommen werden, sondern dass die
elenden Lebensverhältnisse in der deutschen Heimat für euch erst
wirklich schlimm sind, seit die Flüchtlinge da sind.

Im
Konsum der generalisierten Katastrophe erscheint dem Bürger die
Seelenruhe der Privatsphäre noch als eine mühsam abgerungene Sache,
die aber fortwährend bedroht und von vielfältigen
Katastrophenszenarios und Krisen begleitet ist. Und so gilt gerade
die „Flüchtlingskrise“ als eine zwingende Angelegenheit, damit
die eigene Sicherheit konsumiert, sondern zudem als eine
gerechtfertigte Option empfunden werden kann, für die man schwer
gearbeitet hat. Solchermaßen begreift sich der deutsche Bürger als
Teil eines Kollektivs, als gelungener Teil eine reichen, aber
gleichzeitig eingekreisten und bedrohten Landes. Ein bestimmter
Gestus der Sentimentalität verweist hier schnurstracks auf die
Eingeschworenheit aller. Nicht nur, wie Adorno schon vorausgeahnt
hat, ist das Erschlaffen der Bürger im Konsum zu fürchten, sondern
die „Kollektivität als blinde Wut des Machens“, die im 24/7
Kapitalismus durch Medienprodukte permanent gereizt wird, Produkte,
die man archivieren, tauschen, liken, besprechen und befolgen muss –
aber diese Wut kann leerlaufen und dann jederzeit in Gewalt
umschlagen. Einmal
davon abgesehen, dass der Like Button bei facebook zur erstellung von
profilen dient, um dann die epersonaliserte Einblendung von
Werbeanzeigen zu ermöglichen. Rasch breitete sich der
Like-Button über das digitale Universum aus und verschweißte die
Nutzer in einer neuen Art von gegenseitiger Abhängigkeit, die sich
zu einer pastellfarbenen behavioristischen Verstärkungsorgie
auswuchs." S. Zuboff 525Ein
unerschütterliches Moment dieses Aktiv-Seins-Wollens besteht auch im
unaufhörlichen Konsum der auf folkloristisch getrimmten Anderen, ein
Postmodernismus des everything goes, der aber mit dem Argument, die
fremden Kulturen würden die unsrigen bereichern, ständig auf
Vermehrung aus ist, auf die Vermehrung des eigenen Genießens, wobei
natürlich die Auserwähltheit der eigenen Kultur nicht in Frage
gestellt wird. So kann dann der Deutschnationale die
Fußballmannschaft, die er nur deswegen liebt, weil er zufällig in
derselben Stadt wohnt, in der der Verein angesiedelt ist, geradezu
abgöttisch abfeiern, obwohl in der Mannschaft kein einziger
Deutscher spielt. Pohrt schreibt dazu: »Nur weil jede nationale
Besonderheit heute Folklore ist und Folklore ein Konsumartikel, kann
für die Einwanderer geworben werden mit dem unappetitlichen
Raffer-Argument, ihre Kultur würde die hiesige bereichern.
Andernfalls müßte dies Versprechen von ausnahmslos jedem als
Drohung empfunden werden, deshalb nämlich, weil jeder schon von der
Kultur des eigenen Landes hoffnungslos überfordert ist und er kaum
Wert darauf legen kann, daß nun zusätzlich zu den ungelesenen
deutschen Klassikern auch noch die ungelesenen türkischen Klassiker
auf sein Gewissen drücken. Und nur, weil man nicht Kultur, sondern
anspruchslose Unterhaltung will, kann man den normalen Einwanderer
aus Anatolien für einen Kulturbotschafter halten, was er ebenso
wenig ist, wie wir es wären, forderten uns in Melbourne die
Einheimischen dazu auf, im Trachtenjanker einen Schuhplattler aufs
Parkett zu legen, danach Beethoven auf dem Klavier zu spielen und zum
Abschluß ein paar Goethe-Gedichte aufzusagen. Jeder weiß auch, daß
die vermeintlichen kulinarischen Spezialitäten der Einwanderer von
Paella bis Pizza heute internationales Fastfood sind, weil sie früher
das Armeleuteessen waren, also schnell und billig herzustellen sind.«

Der
Rassismus ist immer auch eine spezifische Konstruktion des Bürgers.
Der Bürger ist das Resultat einer Abstraktion von den konkreten
Klassenmerkmalen des Einzelnen. Abstrahiert man vom Status des
Arbeiters, des Prekären, des Studenten, so erhält man den scheinbar
neutralen Bürger. Und der Bürger erfüllt seine kollektive Funktion
in der Bürgerfabrik. „Was immer am Bürgerlichen einmal gut und
anständig war, Unabhängigkeit, Beharrlichkeit, Vorausdenken,
Umsicht, ist verdorben bis ins Innerste. Denn während die
bürgerlichen Existenzformen verbissen konserviert werden, ist ihre
ökonomische Voraussetzung entfallen. Das Private ist vollends ins
Privative übergegangen, das es insgeheim von je war, und zudem ins
sture Festhalten am je eigenen Interesse hat sich die Wut
eingemischt, daß man es eigentlich ja doch nicht mehr wahrzunehmen
vermag, daß es anders und besser möglich wäre. Die Bürger haben
ihre Naivität verloren und sind darüber ganz verstockt und böse
geworden. Die bewahrende Hand, die immer noch ihr Gärtchen hegt und
pflegt, als ob es nicht längst zum »lot« geworden wäre, aber den
unbekannten Eindringling ängstlich fernhält, ist bereits die,
welche dem politischen Flüchtling das Asyl verweigert.“ (Adorno)
Vor allem aber hasst der Bürger den sog. Wirtschaftsflüchtling. Es
ist kein Geheimnis, dass der Antisemitismus vom Juden ablösbar ist
und dabei in einen Multirassismus integriert wird; er ist also
übertragbar auf andere Gruppen, insbesondere auf einen besonderen
Flüchtling, den Wirtschafts- und Scheinasylanten, der keine Heimat
hat und als Vagabund durch die Welt zieht.

Schreckliche
Zeiten.

Spekulative
Zeit, Verschuldung und Klassenpolitik

Viele
der
kritischen Soziologen, angefangen bei Richard Sennett bis hin zu
Elena Esposito, sagen
übereinstimmend
dass die Zukunft sich immer in einer gewissen Distanz zur Gegenwart
befände, damit gegenüber dem Hier und Jetzt geschützt sei
und
als eine ökonomische Ressource in der Gegenwart nicht
an
den Märkten gehandelt werden sollte. So
zerstöre
der
ökonomische
Gebrauch der Zukunft in der Gegenwart, den man gerne auch als
De-Futurisierung bezeichnet, die Zukunft als ein
offenes
Potenzial und als ein
Raum
für Möglichkeiten. (In
der Tat hat die Kreditaufnahme etwas von einer Schließung der
Zukunft. Schulden sind eine Forderung auf zukünftige Produktion und
Leben, und da man in Zukunft Schulden zu zahlen hat, ist die Zukunft
abgeschlossen. Ein Student, der 200 00 Euro zurückzahlen muss,
weil, dass seine Zukunft vorstrukturiert ist. ) Der
konstante Bezug auf die Zukunft bringe zudem eine Gegenwart hervor,
die zum einen von jedem narrativen Potenzial abgeschnitten sei und
zum anderen auch keine Form von Sicherheit mehr bieten könne.
Allerdings gibt es auch Soziologinnen wie etwa Helga Nowotny, die dem
entgegensetzen, dass die exzessive Orientierung an der Zukunft, die
als getrennt von der Gegenwart gedacht werde,
die Gegenwart nicht zerstöre, sondern vielmehr eine nicht enden
wollende Gegenwart und einen Verlust von Zeithorizonten erzeuge. Mit
Bifo Berardi geht sie davon aus, dass der derzeitige Verlust der
Grenzen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft keine
normative, sondern eine sozio-ökonomische Frage sei.

Lisa
Adkins zieht in ihrem Buch Time
of Money

zur Eingrenzung des Problems der Zeit erstaunlicherweise die
soziologischen Schriften von Pierre Bourdieu heran, der davon
ausgeht, dass die Zukunft nicht durch Möglichkeiten charakterisiert
wird, die eintreten mögen oder auch nicht und sich zudem durch eine
Distanz zur Gegenwart auszeichnen, sondern dass vielmehr die Zukunft
im Hier und Jetzt immer schon präsent ist, obgleich dies so nicht
erfahren wird. Adkins verweist zur Illustration dieser These auf das
Fußballspiel, bei dem eine kommende Spielsituation nicht einfach nur
möglich
ist, sondern in der Konfiguration des Spiels im Jetzt schon anwesend
ist.

Die
Einschreibung der Zukunft in die unmittelbare Präsenz ist aber nicht
einfach in und durch die Praxis gegeben, sondern wird für Bourdieu
in der Beziehung zwischen Habitus und Welt konstituiert. Die sozialen
Felder sind in ihrer Logik nur dann erkennbar und dauerhaft, wenn es
Agenten gibt, die mit ihren prä-reflexiven Dispositionen und Habiti
in ihnen operieren. Diese Dispositionen beinhalten Routinen und
Gewohnheiten, die die Gegenwart aufrechterhalten, aber auch
praktische Antizipationen der Zukunft, womit diese schon als
objektives Potenzial oder Spur in das unmittelbar Gegebene
eingeschrieben sind. So zeigt auch das gegenwärtige ökonomische
Feld eine kalkulierbare Zukunft an, weil die Agenten in ihm mit ihren
Routinen agieren, diese aber eben eine Basis für praktische
Antizipationen bilden. Für Bourdieu impliziert diese Erkenntnis aber
keinen Bezug zum rationalen Kalkül des Risikomanagements der
Neoklassik, weil die praktischen Antizipationen der Zukunft eher
unbewusste und kollektive Habiti und Strukturen voraussetzen, die den
rationalen Agenten immer wieder out of line stürzen können. Für
Bourdieu ist die Praxis nicht etwas, was in der Zeit stattfindet,
sondern sie (wie eben auch die Ereignisse) erzeugt Zeit, Praxis ist
Temporalisierung.

Im
industriellen Kapitalismus und hier ist laut Adkins nicht Bourdieu,
sondern Thompson heranzuziehen, war die abstrakte Arbeitszeit die
Einheit, auf die sich der Tausch stützte, und deshalb galt: Zeit ist
Geld. Die Profitraten waren auf die Geschwindigkeit der
Produktionsprozesse bezogen und ökonomische Ereignisse (abstrakte
Arbeitszeit) wurden in den Einheiten der Uhrzeit gemessen, das heißt
in abstrakten, quantitativen, homogenen und umkehrbaren Einheiten der
Zeit, deren äußeres Maß das Geld war. Als eine Form der Zeit
verläuft die Uhrzeit exogen zu den Praktiken und Ereignissen, sie
ist eine externe Messung von Ereignissen, die als Produktionsraten,
Profitraten, Arbeitszeiten etc. definiert werden. Die ökonomischen
Ereignisse produzierten keine Zeit, sondern fanden in der Zeit statt.
An dieser Stelle verfehlt Bourdieu die spezifischen Charakteristika
einer exogenen Uhrzeit, allerdings werden seine Aussagen bei der
Analyse des heutigen Finanzsystems wieder interessant, insofern die
gegenwärtigen finanziellen Praktiken auf die Diffusion des
hegemonialen Status der Uhrzeit verweisen, auf eine Form der Zeit,
mit der Ereignisse in einem Fluss fortlaufen, in dem der lineare
Verlauf von der Vergangenheit über die Gegenwart hin zur Zukunft
bricht.

Adkins
verweist zur Verdeutlichung ihrer These zunächst auf ein
spezifisches finanzielles Instrument, nämlich auf die Kurve der
Renditen von US-Staatsanleihen, die durch die Relation zwischen den
Zinsraten und den verschiedenen Laufzeiten der Anleihen
gekennzeichnet sind. Die Kurve gilt als Benchmark für den
zukünftigen Wert anderer Formen von Assets, bspw. für
Hypothekenkredite, sie gilt also als Barometer für generelle
ökonomische Entwicklungen und Perspektiven, ja als ein Maß, das den
zukünftigen kollektiven Zugang zu den Finanzmärkten anzeigt. Ihr
Siegeszug muss im Kontext des Endes des Keynesianismus und einer
Reihe von neuen infrastrukturellen Maßnahmen in der Finanzindustrie
in den 1970er Jahren begriffen werden, die eine expansive Dynamik der
Kreditvergaben und der Schuldenökonomie in Gang setzten. Man denke
hier etwa an die Beförderung der finanziellen Expansion des
Finanzwesens durch die Fed, das Floaten des US-Dollars und der
Zinsraten, die Versicherung der Kredite, die Rendite bringenden
Kapazitäten neuer Finanzinstrumente, die Aufteilung der
Bevölkerungen in kreditwürdige und nicht-kreditwürdige Gruppen,
die Ersetzung der dauerhaften Lohnverträge durch kontingente
Beschäftigung, die Volatilität der Einkommen, das Aufkommen neuer
Finanzinstrumente/Derivate und neuer Finanzinstitutionen.

Die
Expansion der Kapazitäten von Unternehmen, Haushalten und Staaten,
mit denen sie ihre Kreditschulden zu schultern vermögen, bedarf des
Aufbaus einer Reihe von institutionellen Arrangements. Insbesondere
die sozialdemokratischen Regierungen unterstützten in den 1990er
Jahren unter dem Label »Kreativität und Eigenverantwortlichkeit«
die Transformation von weiten Teilen der Bevölkerung in Schuldner,
denen über das Kreditkartensystem und allgemein den leichteren
Zugang zu Krediten die Möglichkeit gegeben wurde, sich relativ
leicht in das Finanzsystem zu integrieren und dort Surplus für das
finanzielle Kapitals zu erzeugen, womit nicht nur das Potenzial zu
weiterer Beschäftigung, sondern auch die eigene Solvenz ständig
berücksichtigt werden musste, wollte man ein einigermaßen
»normales« Leben leben. Egal ob es sich um einen kurzfristigen Job,
einen Hypothekenkredit oder um die Teilnahme an irgendeiner
Start-up-Initiative handelte, es ging um die Kreation eines neuen
»Investees«, der rund um die Uhr damit beschäftigt ist, seine
Vertrauens- und Kreditwürdigkeit für Investoren und Unternehmen
herzustellen, das heißt, der ständig auf der Suche nach neuen
Projekten ist. Von daher unterscheidet er sich vom typischen
Lohnarbeiter im Fordismus, der von langfristigen Arbeitsverträgen
und staatlichen Sozialleistungen lebte, aber er unterscheidet sich
auch vom selbstverantwortlichen Unternehmer des kleinen Kapitals x.
Wenn die Investees für die Steigerung ihrer Attraktivität an den
Märkten selbst verantwortlich sind und dabei ständig auf ihre
Beschäftigungskapazität und Solvenz getestet werden, dann müssen
die Regierungen darum bemüht sein, in die Ausbildung und
Weiterbildung ihrer Bürger zu investieren, sodass diese zumindest
die Rückzahlungen ihrer Kredite leisten können, darüber hinaus
sollten sie auch noch für zukünftige Zahlungsmodalitäten trainiert
werden. Gleichzeitig müssen Arbeitslosenversicherungen dahingehend
transformiert werden, dass die Empfänger von Sozialleistungen
permanent in »return-to-work« Programme getrieben und für die
Aufnahme von Krediten fit gemacht werden. Und um ein staatliches
Territorium für finanzielle Investoren attraktiv zu halten, so
tönten die sozialdemokratischen Regierungen in den 2000er Jahren,
bedurfe es nicht nur der Reduzierung der Kapital- und
Unternehmenssteuern, der Deregulierung der Arbeitsmärkte und der
Sicherstellung der intellektuellen Eigentumsrechte, sondern es gelte
ständig auch den finanziellen Wert (das Kreditierungspotenzial) der
eigenen Bevölkerung einzuschätzen. Dies alles gilt es für
Territorien zu leisten, die politische Gebiete sind und sich seit den
römischen Rechtsgrundsätzen aus terra und terror
zusammensetzen.

Nach
der Finanzkrise von 2008 wurde die Infrastrukturen des Finanzsystems
weiter ausgebaut. Das Floaten der Zinsraten und des US-Dollars hat
die Beziehung zwischen Zeit und Geld, präziser zwischen der Zeit und
den Profitaussichten auf Staatsanleihen erneuert. Die Zeit wird nun
selbst Teil der neuen Finanzinstrumente und ihren Operationen und
damit ein Ereignis in sich selbst. Und die digitalisierten
Kalkulation bietet heute die Möglichkeit, die Relationen zwischen
zukünftigen Zeitpunkten in der Zeit zu kalkulieren. Sie generiert
neue Profitmöglichkeiten hinsichtlich der Kalkulation zeitlicher
Beziehungen und erhöht damit die Profitabilität der finanziellen
Sicherheiten und anderer Finanzinstrumente.

Damit
ist auch eine Transformation in
der Materialität der verschiedenen
Assets und Derivate
angezeigt. Insofern diese
als
diskrete ökonomische Objekte in der Zeit miteinander
verbunden
und durch die Zeit gemessen und damit neue Profitpotenziale
geschaffen werden können, lassen sich die Sicherheiten als ein
Kontinuum der Momente verstehen. Das Floaten der Preise und die
Volatilität der
Assets
erfordert
den Handel mit temporalisierten Sicherheiten, die sich nicht in der
Zeit bewegen, sondern selbst temporale Formen sind und gerade deshalb
kapitalisiert werden können. Die Zeit wird nun selbst zum »Objekt«
der Innovation und der Imagination und dies verdichtet sich in der
Feststellung: Geld ist Zeit. Es geht hier für Adkins nicht um die
Kapitalisierung
der Zukunft, sondern um die Transformation der Zeit selbst. An den
Derivatmärkten mutieren die finanziellen Objekte selbst zu Formen
der Zeit,
wobei
die Zeit dieser Objekte durch die Techniken und Praktiken der
Finanzmärkte konstituiert wird,
Praktiken, welche die Zeit der Derivate für innovative Strategien,
die
der
Kreation von Profiten dienen,
öffnen.
Somit
haben Derivate
ihre eigenen zeitlichen Profile, Gegenwarten und Zukünfte, die offen
für ständige Rekalibrierung sind. Um
es kurz zu sagen, Derivate
und Sicherheiten sind selbst als Formen der Zeit zu verstehen. Und
Derivate zeigen auch an, dass die lineare Zeit, bei der auf auf die
Vergangenheit die Gegenwart, und auf diese die Zukunft folgte,
verschwunden ist, vielmehr ereignet sich die Zukunft, wenn auf sie
mittels Derivaten spekuliert wird, in gewisser Weise vor der
Gegenwart.

Eine
aufschlussreiche Manifestation des operationalisierten spekulativen
Zeitkomplexes sind Derivate. Derivate sind heute natürlich zentral
für die finanzielle Spekulation, und sie sind „spekulativ“ in
dem Sinne, dass sie den unbekannten künftigen Preis einer
Kapitalanlage und die damit verbundenen Risiken nutzen, um Gewinne im
Verhältnis zum gegenwärtigen Preis zu erzielen. Wie Elena Esposito
anhand der Derivate aufzeigt, werden die Ungewissheiten der Zukunft
dazu benutzt, um Preise in der Gegenwart zu bilden, und so die
übliche Zeitstruktur von Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft außer
Kraft gesetzt. Der Derivatehandel ist ein klares Beispiel dafür,
dass Profite nicht auf der Grundlage der Produktion oder durch
gebundenes Kapital wie Geräte, Fertigungsanlagen oder Gebäude
gemacht werden, welche alle einer Geschichte der Investition folgen,
und auch nicht durch variables Kapital wie Arbeit oder Löhne. Diese
gehören zu traditionellen industriellen Akkumulationsmodellen, in
denen eine Fabrik gebaut, Arbeiter eingestellt und bezahlt werden,
Rohstoffe zu einem bestimmten Preis verarbeitet werden, ein Produkt
hergestellt wird und dann zu einem Preis, der höher als die Kosten
ist, verkauft wird und somit einen Profit erwirtschaftet. All dies
bedeutet, dass Profite durch die Produktion zustande kommen, die in
der Vergangenheit stattgefunden hat und deren Produkte dann auf dem
Markt eingetauscht werden. Der Tausch des Produkts stellt den
Abschluss einer Produktionskette dar, die schon geschehen sein muss.
Beim Derivatmodell wird dagegen ein Preis in der Zukunft, die erst
noch stattfinden muss, antizipiert, und diese zukünftige
Eventualität, die unbekannt ist, wird opera-tionalisiert, um Profite
zu erzielen – auf der Grundlage, das sei wiederholt, einer Zukunft,
die unbekannt und noch keine Wirklichkeit ist.
Derivate
sind
eine
Art von future-mining, ein Vorgriff
auf
die
Zukunft
aus
der Gegenwart, und
diese Extraktion
Ausbeutung der Zukunft verändert wiederum
die
Gegenwart, die
nicht mehr diejenige ist, von
der man ausgegangen ist. Die Konstruktion einer spekulativ
konstruierten Gegenwart macht die Gegenwart aktiv zu einer
Vergangenheit. Dies
muss nicht unbedingt präemptiv in dem Sinne sein, dass man etwas
eliminiert, um dem vorzubeugen, was geschehen könnte, vielmehr
werden die Operationen
der
Preisbildung
der
Derivate selbst modifiziert, insofern die nahe Zukunft als Bedingung
der Operation berücksichtigt wird.
Die Zukunft verändert
damit auch
die Gegenwart,
noch bevor sie stattgefunden hat. Damit erodiert
das lineare Schema der Zeit, während
zugleich die
Öffnung der Gegenwart auf die Zukunft einer
Transformation unterliegt.

In
diesem Kontext gilt die Spekulation als ein produktiver,
regulierender »Impuls«, der das Problem der Unsicherheit in die
Logik der Governance des Risikos einführt. Während der klassische
Liberalismus daran interessiert war, die Unsicherheit der Zukunft zu
diskontieren, lotet der Neoliberalismus die Grenzen des
Kalkulierbaren, des Unkalkulierbaren und des Unvorhersehbaren aus, um
dies »chaotischen« Zeitverläufe zu valorisieren. So interessiert
sich der Neoliberalismus stärker für die
Finanzialisierung/Kapitalisierung als für die Kommodifizierung,
beschäftigt sich intensiver mit den Projekten und Aussichten eines
Investments als mit dem unmittelbaren Nutzen der Konsumtion; er ist
mehr der ungleichgewichtigen Spekulation als der Stasis des
Gleichgewichts zugeneigt. Diese Art der Beschäftigung mit der Zeit
findet man in der klassisch liberalen Ökonomie und der Neoklassik
nicht.

Im
zweiten Kapitel ihres Buches behandelt Adkins die Austeritätspolitik
unter Gesichtspunkten, die bisher meistens außer Acht gelassen
wurden, nämlich als eine polit-ökonomische Strategie, mit der die
Schuldenökonomie ausgedehnt und erweitert wird, und daraus folgend
die Produktivität der Bevölkerung zur Generierung von Mehrwert
inmitten der Bewegungen und Ströme des Geldes gesteigert werden
kann. Im Konkreten bedeutet dies auch eine Senkung der
Staatsausgaben, die zu Lasten der einkommensschwachen
Bevölkerungsteile und derjenigen führt, die keinen Zugang zu
finanziellen Assets haben. Die Austeritätspolitik inkludiert also
eine klassenspezifische Put-Option, welche inzwischen die Mehrheit
der Bevölkerungen auch in den kapitalistischen Kernländern
auszuüben hat. Diese Politik bevorzugt nicht einfach nur die Reichen
und die Finanzeliten, sondern im speziellen diejenigen, die im großen
Stil Zugang zu den Finanzmärkten und den Assets haben oder über
letztere als Eigentum verfügen, seien es Hypothekenverträge,
Kredite und Derivate.

Um
dies zu verstehen, kommt Adkins auf die Genealogie der Expansion des
Finanzsystems seit den 1970er Jahren zurück, das a) die finanziellen
Institutionen und deren Instrumente explodieren ließ, b) nicht
beschäftigungsintensiv war, und c) in steigendem Maß und in
nachhaltigen Dosen in das alltägliche Leben der Bevölkerungen
integriert wurde. Nicht nur die Banken, Hedgefonds und finanziellen
Eliten operieren in den finanziellen Feldern, um spekulative Gewinne
mit dem Handel von Assets zu erzielen, sondern auch zunehmend die
Mittelklasse und selbst die einkommensschwachen Schichten sind rein
zu Zecken des Überlebens in ihrem Alltag gezwungen, sich in die
finanziellen Felder zu integrieren. Somit müssen auch letztere das
Alltagsleben als ein Raum für finanzielle Investments gestalten und
konfigurieren, womit die spekulative Rationalität in das
finanzielle Alltagsleben einwandert.

Und
damit wird auch das Geld als Zirkulationsmittel und Wertmaß
transformiert, indem es selbst als eine spezifische Ware (Kapital als
Ware) mit sich selbst vermittelt ist und in dieser spezifischen
Bewegung finanziellen Surplus generiert, beispielsweise in der Form
der Versicherung von Einkommensströmen, die aus Konsumentenkrediten,
Hypotheken und anderen Schulden bestehen (und den Verträgen zwischen
Haushalten und den finanziellen Institutionen, die sie versichern)
und die Haushalte mit den Operationen an den globalen Finanzmärkten
»verlinken«. Wenn das Geld als eine Kapital-Ware fungiert, dann
verliert es seine Funktion als Wertmaß bzw. als allgemeines
Äquivalent und transformiert zum Wert in sich selbst, der neue
Kapazitäten und Attribute besitzt, man denke an die Zuschreibung
von Preisen und Zinsraten an Kredite und Anleihen, wobei jene
Attribute in eine Vielzahl von Variationen gebündelt und daraufhin
gehandelt werden können, wobei die Möglichkeiten zur Bündelung
zumindest virtuell endlos sind. So ist der
Wert nicht gegeben, bevor er nicht signifiziert ist,
und diese Signifikation
ist nicht passiv und repräsentational, sondern sie ist performativ –
sie wird getrieben von der Projektion des Möglichen. Wenn die
Kreation von fiktiven Formen eine temporale Dynamik erzeugt, in
der es
möglich wird, virtuelle
Forderungen zu
aktualisieren,
dann
funktioniert die Aussicht auf Aktualisierung als ein
immer wieder zurücktretender (virtueller) Horizont, der per se nicht
eingeholt werden kann (Lacans object a).

In
der begrifflichen Bestimmung der Derivate bleibt Adkins konfus, wenn
sie beispielsweise schreibt, dass Geld die Charakteristiken des
Kapitals angenommen habe und das Kapital die des Geldes. Zugleich
schreibt sie vom Geld als Kapital bzw. als einer spezifischen Ware
des Kapitals. Sie bringt also zur Bestimmung der Derivate die
Begriffe Ware, Geld und Kapital ins Spiel, ohne sich auf eine
Bestimmung festzulegen. Das soll uns hier aber nicht weiter
interessieren, denn wir haben das Problem an anderer Stelle
ausführlich behandelt. Wir definieren die Derivate im Gegensatz zu
John Milios (Geldkapital spezifische Ware) und Bryan/Rafferty (Geld)
als spekulatives Kapital.

Adkins
schreibt, dass Derivate etwas in Bewegung setzten und dies auch
gerade in Relation zu den Konsumentenkrediten und Hypothekenverträgen
zu sehen sei. Und selbst noch Einkommensströme, die von anderen
Aspekten des alltäglichen Leben herrühren, wie etwa
Studentendarlehen, Rechnungen für Mobiltelefone, Rechnungen der
Haushalte für Wasser und Elektrizität etc. würden als Inputs in
neue Finanzinstrumente eingespeist und somit seien selbst noch
ahnungslose Haushalte mit ihren kleinen Einkommen inzwischen über
Kettenreaktionen vermittelt abhängig vom Handel der Derivate an den
globalen Finanzmärkten. Randy Martin hat dies als die
Finanzialisierung des alltäglichen Lebens bezeichnet. Dabei werden
die verschiedenen Formen alltäglicher Kreditierung mit den neuen
Finanzinstrumenten wie CDOs (Verbriefung; Bündelung verschiedener
Kreditformen) mit anderen Kreditformen gebündelt, dann auf einige
wenige Attribute (Preise) heruntergebrochen, um dann in vielfältigen
Kombinationen an den Finanzmärkten gehandelt zu werden.

Die
materielle Prekarisierung forciert die Notwendigkeit für größere
Teile der Bevölkerung Kredite aufzunehmen, um Zugang zu Häuser zu
bekommen, das Studium fortzusetzen und bestimmten Konsumwünschen
nachzukommen oder einfach zu überleben. Und für Kreditaufnahmen
muss man Sicherheiten nachweisen. Wenn dies nicht der Fall ist, dann
müssen, um die Solvenz nachzuweisen, zumindest Perspektiven
(steigender Marktwert des Hauses) oder Reputation, die darin besteht,
dass bspw. durch den Lohn der Kredit zurückbezahlt werden kann,
nachgewiesen werden. Die neoliberalen Reformen trugen dazu bei, die
Individuen, die vom utilitaristischen Kalkül den eigenen Nutzen bzw.
das Einkommen zu maximieren, besessen sind, in das finanzialisierte
Subjekt zu überführen, das seine eigene Wertigkeit auf die
kontinuierlich zu bewertenden Assets verschiebt, um das kleine
Kapital x zu maximieren.

Die
Verschuldung bestimmter
Bevölkerungsteile durch
»alltägliche Kredite« steht in einem speziellen Verhältnis zum
Lohn, der in seinen verschiedenen Ausformungen zunehmend kontingent
wird und sich den durch die Gewerkschaften erkämpften
Standardisierungen entzieht. So
wird also der
Lohnarbeit per
se unsicher,
sporadisch und unvorhersehbar. Zudem stagnieren die Reallöhne in den
letzten dreißig Jahren. Damit können viele Haushalte nur noch durch
die Erhöhung der Schulden ihre ökonomische
Reproduktion
sichern. Unter den Bedingungen provisorischer und zeitlich
befristeter Arbeitsverträge, der
Austeritätspolitik
und stagnierender Löhne müssen die Haushalte niedriger und
mittlerer Einkommen ihre Schulden heute damit
einfach
erhöhen, womit sie zur Expansion und Multiplikation der Extraktion
eines Surplus, der durch Geld und Finance generiert wird, beitragen.
Im
Januar 2019 kommt es laut einer repräsentativen Umfrage des
Kreditvergleichsportals Smava
bei
18 Millionen Deutschen zu finanziellen Schwierigkeiten und deswegen
zur Aufnahme von Dispokrediten, deren durchschnittliche Zinsen laut
Bundesbank bei 8,29 Prozent liegen.

Die
Verstärkung der Kritik an der selektiven Macht der finanziellen
Investoren gegenüber der an den ausbeutenden Kapitalisten heißt
nicht, dass die Ausbeutung der Arbeitskraft zurückgegangen wäre, im
Gegenteil, in Unternehmen, die insbesondere für die Shareholder
aufgestellt werden, müssen die Manager weiterhin strengstens darum
bemüht sein, die Arbeitskosten die reduzieren. Aber es sind nicht
die neuen Formen des Unternehmensmanagements, die zum Großteil für
den Transfer der Einkommen von der Arbeit hin zum Kapital
verantwortlich zu machen sind, im Gegenteil, für die Stagnation der
Reallöhne und den Abbau des Sozialstaats ist die »Rating power«
der finanziellen Investoren verantwortlich zu machen. Der Wegfall
legaler und administrativer Bestimmungen, welche die Zirkulation des
Kapitals über nationale Grenzen hinweg (als auch die der
finanziellen Aktivitäten) befreiten und die Kreation neuer Formen
der Assets, Derivate, ermöglichten, führte dazu, dass
ausschließlich die Händler der finanziellen Liquidität die
Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sowie die ökonomische
Attraktivität nationaler Territorien beurteilen und bewerten. Die
Akkreditierung als Form der Bewertung des Kapitals ist nun zu
bestimmen.

In
typisch neoliberaler Manier wird argumentiert, dass man damit die
Bürger dazu anhielte, die Disziplin hinsichtlich des Managements
ihres eigenen Lebens als das eines Business autonom und
selbstverantwortlich zu verstärken. Und die Frage der
Kreditwürdigkeit betrifft natürlich auch Individuen, die sich nicht
mehr auf langfristige Jobs und staatlich garantierte Sozialleistungen
verlassen können, da die Unternehmen und Staaten, die selbst von der
Evaluation der Finanzinvestoren abhängig sind, keine langfristigen
Arbeitsverträge und ausreichenden Sozialleistungen mehr anbieten
können, sodass die jobsuchenden Individuen sich selbst bewertbar
machen müssen, etwa durch gutbezahlte fachbezogene Kompetenzen,
Flexibilität und ausreichendes Networking. Ihre Möglichkeit, einen
Job zu finden, wird nun stärker auf den Kredit, der dem Humankapital
zugeordnet wird, beeinflusst, als durch kollektive Verträge zu
Gehältern und Arbeitsbedingungen.

Die
Erhöhung der persönlichen Schulden und die Abhängigkeit von
spezifischen finanziellen Risiken ist aber nur ein Teilaspekt des
finanziellen Regimes der Akkumulation, darüber hinaus sind heute die
Haushalte immer stärker auch von den Einkommen und Löhnen der
Frauen abhängig, egal wie volatil oder prekär nun diese Einkommen
sind. Frauen werden zunehmend in den postfordistischen Arbeitsmarkt
gedrängt und integriert, sei es als Lohnarbeit im Bereich der
sozialen Fürsorge und der Pflegedienste, aber auch prekär bezahlter
Tätigkeiten im häuslichen Bereich. Ein neues institutionalisiertes
Modell der Erwachsenen-Arbeit hat das alte fordistische Modell der
Familie ersetzt, ersteres ist ein Modell, bei dem in der Tendenz alle
Erwachsenen an die Beschäftigung gebunden oder zumindest in die
konstante Suche nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten integriert
werden sollen. So sind gerade Frauen Mehrfachbelastungen ausgesetzt –
kurzfristige Beschäftigung oder Lohnarbeit, Hausarbeit und
Kindererziehung – und generieren, wenn die geringen Löhne die
Verschuldung notwendig machen, selbst eine kleine
Investitionstätigkeit im Bereich des Haushalts und der sozialen
Reproduktion. Gerade durch diese Mechanismen wurde die Familie im
Postfordismus wieder neu erfunden und zugleich reorganisiert, und
zwar in Richtung einer Neuinszenierung der Eigenverantwortlichkeit
und der damit einhergehenden Anbindung an das Finanzsystem. Während
im Fordismus die heterosexuelle Familie als Ort der Reproduktion
insbesondere der männlichen Arbeitskraft sowie der Erzeugung von
Konsumnachfrage fungierte (plus den Zuwendungen des Sozialstaates),
transformiert im Postfordismus die Familie in eine sich selbst
genügende ökonomische Einheit und/oder in einen Bereich des kleinen
Investments, wenn sich die Familie durch private Schulden
reproduzieren und mittels eines Set von ökonomischen
Verantwortlichkeiten, die stets an die Finanzmärkte gebunden sind,
operieren muss. Somit mutiert selbst noch die Familie zu einem
kleinen Unternehmen, in dem nun auch die Frauen im Zuge der
Redefinition der sozialen Reproduktion den Imperativen der
Beschäftigung unterworfen sind. Für den Postfordismus ist die
Feminisierung des Überlebens essenziell. Und oft genug fungieren die
Löhne der Frauen als eine Art Leveraging und der »Spekulation«, um
als Familie bei den Banken und anderen Kreditinstitutionen Zugang zu
versicherten Kreditformen zu finden, die das alltägliche Leben der
Haushalte gewährleisten, und dies gerade auch hinsichtlich der
Finanzierung von Leistungen, die bisher vom Staat oder von den
Kapitalisten übernommen wurden.

So
sind heute die Löhne dermaßen volatil, als sie als Ausgangsbasis
für den Zugang zu Krediten und Hypotheken dienen, für die dann
regelmäßige Zahlungen zu leisten sind. Die Löhne, so Adkins, seien
damit nicht länger als ein Mittel für den Kauf von
lebensnotwendigen Waren, sondern selbst als eine Ware zu verstehen
bzw. als eine Form des Geldes, das nun ein Wert in sich selbst sei.
Auch hier finden wir wieder die Vermischung von Geld, Ware und
Kapital bei Adkins vor. Zumindest lässt sich sagen, dass die Löhne
mit der Verschuldung der Haushalte korrelieren, die mit dem Kauf von
Wertpapieren auch ein kleines Kapital x generieren können. Die
Arbeiter und Angestellten müssen nun selbst – wenn auch in sehr
beschränktem Maß - auf und mit ihrem alltäglichen Geld
spekulieren, um etwas in Bewegung setzen zu können. So sind die
Haushalte nicht nur immer stärker von den Löhnen der Frauen
abhängig, sondern auch davon, was diese Löhne als Bedingung der
Kreditaufnahme leisten können. Das Finanzsystem treibt damit die
Haushalte regelrecht in die neoliberale Risikoproduktion hinein und
dies betrifft heute eben auch die Haushalte niedriger und mittlerer
Einkommen. Damit werden die Haushalte in spezifisch asymmetrischer
Weise auch abhängig von den Fluktuationen der Preisbewegúngen an
den Finanzmärkten. Wohnung, Regeneration, Erziehung und Gesundheit –
Bereiche der sozialen Reproduktion, für die der Sozialstaat im
Fordismus noch seinen Beitrag geleistet hatte – sind nun
finanzialisiert, wobei die Haushalte, indem sie ihre soziale
Reproduktion durch Kreditaufnahme sichern, weitere Risiken eingehen
müssen. Damit ist eine neue Topologie der Anbindung der Bevölkerung
an das finanzielle Risiko in Szene gesetzt. Wenn es an dieser Stelle
um Fragen der Gerechtigkeit geht, dann sollte man sich nicht länger
nur auf die Umverteilung der Einkommen konzentrieren, sondern eben
auch auf die Frage der Verteilung der finanziellen Risiken.

Die
Frage der Zeit der vertraglich geregelten Schulden von Haushalten und
Personen sowie der versicherten Schulden muss ausführlich
analysiert werden, wenn man die Integration der Bevölkerung in die
Schuldenökonomie und die Erweiterung der Potenziale der Bevölkerung,
ein positives Risikomanagement leisten zu können, verstehen will.
Dies bedarf wiederum des Verständnisses der Logik der Spekulation
als ein spezifisch historischer Modus der Kapitalakkumulation und der
sozialen Organisation. Dabei geht es zum einen um den quantitativen
Anstieg der privaten Schulden in den kapitalistischen Kernländern,
zum anderen um die zukünftigen Einkommensströme, die aus den
vertraglich geregelten Schulden resultieren, sowie um ihre Anbindung
an gegenwärtige Akkumulationsstrategien des Kapitals, das heißt an
die Produktivität der Schulden bezüglich der Generierung des
Surplus via Geld und Finance. Potente Kreditgeber wie die Banken
inkorporieren heute ein strukturelles Machtverhältnis, gerade wenn
es um ihre Position innerhalb der Verschuldungskreisläufe der
Haushalte geht, die wiederum als Kreditnehmer oft keine andere Wahl
haben als sich zu verschulden. Wenn Marx die Arbeiter als Lohnsklaven
bezeichnet hat, dann muss die Verschuldung als eine asymmetrische
Relation verstanden werden, in der die kleinen Schuldner nichts
weiter als Schuldensklaven sind.

Gewöhnlich
wird die zeitliche Dimension der Verschuldung auf das Versprechen der
Kreditnehmer bis zur Tilgung des Kredits Zahlungen (inklsive Zinsen)
zu leisten und damit auf die Schließung einer offenen Zukunft für
die Kreditnehmer reduziert, die dann keine Möglichkeiten mehr
besitzen, bestimmte Potenziale der Zeit zu nutzen. Gegen die darin
angelegte Vorstellung, dass Schulden eine Destruktion der Zeit, die
Vernichtung der Möglichkeiten in der Gegenwart und der Zukunft nach
sich ziehen, will Adkins darauf hinaus, dass die Schulden heute eher
auf ein generatives Moment in der Zeit verweisen. Damit wird die
Logik der Rückzahlung der Schulden auf die Logik der möglichen
Zahlungen verschoben, und die Bewegung der Zahlungstermine und
-fristen, die einer Logik der Wahrscheinlichkeit entspricht,
verschiebt sich hin zu einer Logik des Möglichen. Diese Logik bindet
das verschuldete Subjekt an eine Zeit, in der Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft sich nicht mehr in einer linearen Relation
zueinander befinden, vielmehr ist die Zeit nun offen für jede Art
der Revision. Diese Form der Zeit nennt Adkins »spekulative Zeit«,
und diese ist an die Logiken des Geldes und der Finance gebunden und
im Speziellen an den Prozess der Verbriefung von Krediten (CDO), der
für das finanzielle Kapital neue Möglichkeiten der Extraktion von
Profiten geschaffen hat, wobei dies eben auch mittels der
Kapitalisierung der Einkommensströme der Haushalte geschieht. So
gesehen inhäriert die Verschuldung der einkommensschwachen
Bevölkerung auch eine neue Ordnung der Zeit, in der die
Produktivität der Bevölkerung bezüglich der Generierung von
Mehrwert – aus den Strömen des alltäglichen Geldes – maximiert
werden soll. Diese Reorganisierung des Sozialen bedarf spezifischer
Modi und Praktiken, wobei die Architektur der Schulden wiederum
bestimmte zeitliche Rhythmen, Sequenzen, Patterns und Sensationen
verlangt.

Schulden
enthalten also eine temporale Relation, sie werden durch die Zeit
definiert: Sie erfordern das Versprechen, zu einer Zeit zu zahlen,
die noch nicht erreicht ist, nämlich in der Zukunft, und damit
erfolgt auch die Zurückstellung der Gegenwart zugunsten einer
vertraglich geregelten Zukunft, die bekannt ist, noch bevor sie
eintritt. Bezüglich der Zeit operieren Schulden also mit einer
doppelten Bewegung: Das Versprechen zu zahlen, inkludiert Aufschub
und Antizipation. Es ist davon auszugehen, dass das ökonomische
Überleben der Mehrheit der Bevölkerung in den kapitalistischen
Kernländern heute von der Schuldenökonomie abhängig ist. Lazzarato
hat schon vor einigen Jahren angemerkt, dass zunehmend größere
Anteile des Lebens in die Schuldenökonomie gesogen werden, sodass
finanzielle Risiken und finanzielle Kosten letztendlich das ganze
Leben durchqueren. Gegen Lazzarato wendet Adkins allerdings ein, dass
Schulden eine Komplexität besitzen, die nicht auf den Verlust an
(offener) Zeit und Aneignung zu reduzieren ist, das heißt auf eine
datierte Zeit der Rückzahlungen, die ein punktiertes und
gleichförmiges Subjekt einfordert, ein Subjekt, das Sanktionen
vermeidet, indem es pünktlich Rückzahlungen leistet.

Dies
ändert sich mit der Finanzialisierung der Schulden bzw. der Existenz
des Kalküls der verbrieften Schulden (CDOs, die sich aus
Konsumentenkrediten und Hypotheken zusammensetzen). Die
Securitization/Verbreifung von Krediten besteht darin, vertraglich
abgesicherte Schulden zu sammeln, zu bündeln und in liquide Assets
zu verwandeln, die an den Finanzmärkten gehandelt werden können.
Dies hat nicht nur zu neuen Möglichkeiten in der Kreation des
Surplus für das finanzielle Kapital geführt, sondern auch die
Möglichkeiten der Realisierung von Renditen, die in Hypotheken und
Konsumentenkrediten verborgen sind, erhöht. Damit werden die
»alltäglichen« Kredite in die Kapitalmärkte hineingezogen. Und
damit werden auch die Zahlungsfristen und -pläne der Schulden
transformiert, die jetzt nicht mehr gleichförmig, regulär und
sequentiell, sondern flexibel, variabel und anpassungsfähig sind. Es
lassen sic die Schedules für Rückzahlungen dehnen, verlangsamen,
beschleunigen, reorganisieren und zurücksetzen. Sowohl die variablen
Zahlungsräume zur Rückzahlung als auch die Kalkulation der
Kreditvergaben werden nicht mehr auf einen zukünftigen Endpunkt
ausgerichtet, an dem die Schulden dann endgültig getilgt sind,
sondern sie sind auf den laufenden und den möglichen Service von
Schulden, also in Richtung von möglichen, zukünftigen Zahlungen
anstatt von Rückzahlungen bezogen. Somit sind Kredite, Hypotheken
und andere Schulden der permanenten Adaption ausgesetzt und zudem mit
Optionen aufgefüllt, sodass bspw. einer Zeit der Zahlungen mit hohen
Zinsen eine Befreiung der Zahlungen für eine bestimmte Periode
folgen kann.

Auch
die Vergabe von langfristigen Krediten ist nicht mehr allein an die
Indexierung zukünftiger und wahrscheinlicher Lohnzahlungen gebunden
(ausgehend von bekannten Löhnen in der Gegenwart), stattdessen
untersucht man die Löhne und Einkommen stärker auf Potenziale und
Möglichkeiten hinsichtlich der zukünftigen Bedienung von Schulden.
Anstatt weiterhin von der Kalkulation des Wahrscheinlichen, die der
exakten Projektion von der Gegenwart in die Zukunft dient,
auszugehen, bezieht sich das Kalkül der versicherten Schulden auf
die Kalkulation möglicher Zukünfte. So wird die Zukunft nicht von
einer bekannten Gegenwart aus entfaltet, vielmehr wird die Gegenwart
durch kommende Zukünfte saniert, die eintreten können oder auch
nicht. Damit werden zugleich Ressourcen von der Zukunft in die
Gegenwart transferiert, von Zukünften, die bisher noch nicht
eingetreten sind oder nie eintreten werden. Man ersetzt die
statistische Kalkulation der Wahrscheinlichkeit durch die
algorithmische Anordnung des Möglichen, von der aus neue Praktiken
in Gang gesetzt werden sollen. Rouvory und Stiegler haben im Kontext
der Analyse einer neuen Form der algorithmischen Governance der
post-aktuellen Realität schon früh darauf hingewiesen, dass es
heute nicht mehr um die Kalkulation der Wahrscheinlichkeit, sondern
darum gehe, im Voraus schon dasjenige zu berücksichtigen, was der
Wahrscheinlichkeit entflieht und damit den Exzess des Möglichen erst
möglich macht. Auch der Staat bedient sich der neuen Methoden und
Techniken, das Mögliche zu modellieren, etwa mittels Software,
Risikomanagement, biometrischer Verfahren und des privaten
Consultings. Diese Techniken ermöglichen eine neue Form der
algorithmischen Governance und der Macht, die ganz auf mögliche
Zukünfte ausgerichtet ist und mittels präemptiver Maßnahmen
agiert. Man liest nun Spuren, die von möglichen Zukünften hin zur
Gegenwart führen.

Die
Produktivität der Schulden basiert nicht nur auf der Akkumulation
von Profiten, die auf Schulden bzw. Zinsen rekurriert und in
fixierten Blöcken der zukünftigen Zeit bezahlt werden, sondern auf
der Akkumulation von Profit, die durch den Handel mit Schulden in der
Zeit funktioniert, wofür man sind vertraglich fixierte
Einkommensströme, die Gewinne und Verluste der Schuldenaufnahme und
die »Wetten« auf diese Gewinne und Verluste benötigt, das heißt
bezüglich des letzten das Herunterbrechen der Kredite auf wenige
Attribute und daraufhin das Bündeln, Auspreisen und Handeln dieser
Attribute innerhalb der durch das Risiko bewerteten Tranchen. Diese
experimentelle Behandlung der Schulden wird nun selbst zur
Profitquelle. Profite resultieren für das finanzielle Kapital unter
anderem aus dem Handel mit Derivaten, der Restrukturierung von
Schulden und der Auktionen mit Krediten, CDOs und CDS.

Die
diese finanziellen Operationen begleitende Zeit ist spekulativ, sie
hat zumindest eine spekulative Komponente. Adkins verweist an dieser
Stelle wieder auf Bryan und Rafferty, Autoren, die die Derivate als
eine Form des Geldes bezeichnen. Wenn Derivate aber in Geld
realisiert werden müssen, dann sind sie selbst nicht Geld, sondern
allenfalls spekulatives Kapital oder eine spezifische Ware, die des
Geldes als Kapital. Auf jeden Fall speichern diese Finanzinstrumente
Liquidität und das Potenzial der Transfers, das nicht an das
Eigentum eines unterliegenden Basiswert gebunden ist, auf das sich
das Derivat bezieht. Im gleichen Atemzug spricht Adkins wieder von
den Wareneigenschaften der Derivate, ja von Kapital. Anyway, auf
jeden Fall ist ihr darin zuzustimmen, dass die Derivate kein fiktives
Kapital sind, sondern wie wir sagen würden spekulatives Kapital, das
materiell und real ist.

Die
spekulative Zeit ist eine Zeit, in der Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft nicht in einer prä-determinierten Relation oder Linearität
stehen, sondern die in einem Kontinuum von Bewegung, Transformation
und Entfaltung prozessiert. Die Zukunft kann hier nicht nur auf die
Gegenwart, sondern auch auf die Vergangenheit zugreifen. Die
Gegenwart und ihre Relationen zur Vergangenheit und Zukunft können
wiederum innerhalb einer Aktion einem ständigen Reset unterworfen
werden. Vergangenheit und Gegenwart können in die Zukunft und
Zukunft und Gegenwart in die Vergangenheit geschoben werden. Und die
Flüsse dieser nicht-chronologischen Vergangenheiten, Gegenwarten und
Zukünfte inklusive ihres Resettings und ihrer Reorganisation, ja
sogar ihrer Suspension können ohne Weiteres einer Vermehrung von
Profiten dienen. Die Zeit der versicherten Schulden und Profite
insistiert in einer nicht-chronologischen und indeterminierten
Bewegung der spekulativen Zeit.

In
dieser Zeit und im speziellen im Kontext der ökonomischen
Produktivität muss die Akkumulation via Schulden (die wechselnden
Schedules der Schulden von Personen und Haushalten, die sich
verzögern, beschleunigen und reorganisieren lassen) erfolgen. Der am
Kalender orientierten Zeit der Rückzahlung wird nun die
kalendarische Zeit der Zahlung hinzugefügt, die das Subjekt an die
nicht-determinierte Zeit der Spekulation bindet. In dieser Zeit
werden finanzielle Aktivitäten mobilisiert und intensiviert; es ist
eine Zeit, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem
kontinuierlichen Fluss der Revision befinden. So jammert das
finanzialisierte Subjekt jetzt nicht länger über die Leere der
Zeit, den Verlust der Zukunft oder der zeitlichen Orientierung,
sondern dieses Subjekt ist jederzeit bereit die Rekalibrierungen von
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft freudig in Angriff zu nehmen
zuzüglich ihre Relationen und Stadien untereinander. Und dieses
Subjekt hat nicht zu wenig, sondern zu viel Zeit, nämlich die des
Ereignisses und des nicht-chronologischen Flusses der Zeit.

Die
Zeit des versicherten Schulden schreibt in die Gegenwart die
spekulative Zeit ein. Dies inkludiert keine Praktik der
Temporalisierung, wie Bourdieu noch annimmt, sondern eine Praxis der
Spekulation, welche die Kapazitäten der Bevölkerung bezüglich
möglicher Zahlungen über ganze Lebenswelten hinweg maximieren soll.
Denn der Prozess der Securitization inkludiert ein Rewriting des
sozialen Lebens der Bevölkerungen, das nun in Finanzsystem und seine
Risikoproduktion integriert wird: Der Kreditwürdigkeit von Teilen
der Bevölkerung wird die erweiterte Logik der Zahlung des Möglichen
hinzugefügt.

Um
es zu rekapitulieren: Adkins macht die Transformationen im
Finanzsystem seit den 1970er Jahren an der Entwicklung neuer
Finanzinstrumente, der Verbriefung insbesondere von Krediten, der
Austeritätspolitik und der Integration der Bevölkerung in die
Finanzkreisläufe fest. Daraus zieht sie weitere Schlussfolgerungen:
An den Finanzmärkten hat sich nach Bretton Woods das Verhältnis von
Zeit und Geld verändert, es wurde eine radikale Temporalisierung der
Securitization in Gang gesetzt, deren Profitmöglichkeiten eben auch
in der Bewirtschaftung der Zeit liegen. Die Austeritätspolitik führt
zum immer weiteren Ausbau der Schuldenökonomie, wodurch die
Produktivität der Bevölkerung hinsichtlich der Generierung von
Surplus via der Bewegungen und Ströme des Geldes gesteigert werden
kann. Selbst die langfristigen Finanzierungsstrategien haben das
»alltägliche Geld« in die Finanzkreisläufe integriert. Und die
Aufnahme von Kredite wird auch für einkommensschwache
Bevölkerungsanteile immer dringender notwendig, um überhaupt noch
ökonomisch überleben zu können. Dies führt zu einer
Restrukturierung der Klassenrelationen und des Sozialen insgesamt,
bis hin zu der Einführung von neuen alltäglichen finanziellen
Praktiken, die allesamt durch spekulative Mechanismen infiziert sind.
Insbesondere die Reduzierung und Stagnation der Löhne treibt die
Haushalte in die Schuldenökonomie hinein, in der sie gezwungen sind,
auf ihre reduzierten Einkommen zu spekulieren.

Wenn
Arbeiter und Angestellte wegen ihrer zumeist zu niedrigen Löhne (um
ihre soziale Reproduktion zu sichern) Kredite aufnehmen müssen, dann
handeln sie quasi ihre Löhne, um Zugang zu Geld zu bekommen, das
etwas in Bewegung setzen kann, das heißt die Löhne beziehen sich
auf Eigenschaften des Geldes, die noch nicht vorhanden sind, aber
ungenutzte Potenziale frei setzen können. In der Tendenz kann nun
selbst noch der Arbeiter ein kleines Investor-Subjekt werden, das
Zugänge zu Assets besitzt (bspw. über Versicherungen). Wie Derivate
von den ihnen unterliegenden Basiswerten, so können Löhne bis zu
einem gewissen Maß von der Arbeitskraft abgetrennt werden, um als
Basis für Verschuldungsexzesse zu dienen. Um darauf eine Antwort zu
geben, müsste eine neue linke spekulative Politik ins Auge gefasst
werden, die sich auch um die Rechte und Bedingungen derjenigen
Beschäftigten kümmert, die via Kredit Geld in Bewegung setzen
müssen.

Wenn
sowohl die Lohnarbeit als auch insgesamt die Reproduktion des Lebens
zunehmend prekär sind, dann besteht für viele Arbeiter und
Angestellte die Gefahr, in subproletarische Bereiche abzurutschen.
Die tragende Rolle der Lohnarbeit, die in den produktiven
industriellen Produktionsprozessen stattfindet, schwindet in den
westlichen Kernländern. Damit steigt der Anteil derjenigen, die ohne
reguläre Lohnzahlungen im Kontext der Prekarisierung der Arbeit
auskommen müssen. Für Adkins besitzen heute aber selbst ein
Großteil der Löhne dieselbe Rationalität wie die neuen Formen der
Finanzinstrumente. Die Stagnation und die Reduktion der Reallöhne
sind ein kennzeichnender Faktor der Zeit des Postfordismus. Adkins
zitiert an dieser Stelle David Harvey, der nahelegt, dass die
Stagnation der Reallöhne Resultat der Aufkündigung des sozialen
Pakts im Fordismus war, das heißt eines andauernden Angriffs auf die
Organisationen der Arbeiterbewegung sowie einer Periode der
Konsolidierung der Macht des Kapitals.

Im
finanzialisierten Postfordismus sind die Löhne aber nicht
ausschließlich durch ihre Stagnation, sondern auch, und dies eben in
engen Grenzen, zudem durch ihre Volatilität und weiterhin durch
Unsicherheit gekennzeichnet. Der schleichende Abbau des Sozialstaates
verschärft (Gesundheit, Pflege, Bildung, Wohnung etc.) hat die Krise
der sozialen Reproduktion verschärft. All diese Faktoren haben im
Zusammenspiel mit stagnierenden Reallöhnen die Lücke zwischen den
real verfügbaren Einkommen und dem, was zum Leben benötigt wird,
erweitert. Für unsichere Löhne sind heute selbst die
Nullstunden-Verträge beispielhaft, die keine spezifische Arbeitszeit
und Lohnhöhe mehr ausweisen und eine permanente Bereitschaft zur
Arbeit einfordern. Man denke des Weiteren an die vielen Formen von
Verträgen, die außertariflich sind. Gleichzeitig hat sich der
Schuldenservice der Haushalte erhöht: Hypotheken, Kredite und
Studentendarlehen haben die Form besicherter Kredite angenommen, die
durch spezifische Finanzinstrumente in Derivate(CDOs) transformiert
und an den Finanzmärkten gehandelt werden. Damit wird die
Produktivität der vertraglich geregelten Schulden für den Prozess
der Akkumulation zentral. Zudem dient die Kreation des verschuldeten
Konsumenten als »Lösung« für stagnierende Löhne und hat das
Lohnarbeitsverhältnis selbst verändert. Dabei kommt es zur
kontinuierlichen Messung der Verschuldung wird und ihr Anstieg wird
durch die steigende Einkommen-Schulden-Relationen auch empirisch
bestätigt, wobei das Augenmerk stärker auf die steigenden Schulden
als auf die Entwicklung der Löhne gelegt wird. Unter den Bedingungen
der expandierenden Verschuldung werden die Arbeiter also nicht nur
durch das Lohnarbeitsverhältnis ausgebeutet, sondern auch durch ihre
Anbindung an die Banken und andere Finanzinstitutionen via
Kreditierung.

Die
Umstrukturierung des Steuerstaats hin zum Schuldenstaat hat zwei
Konsequenzen: Einerseits sind institutionelle Investoren (
Pensionsfonds, Versicherungen und Hedgefonds) immer auch darauf
bedacht, in ihren Portfolios sichere Finanzanlagen wie Staatsanleihen
zu halten, zum anderen ermöglichen die dadurch in die Staatskassen
gespülten Gelder den Regierungen bestimmte staatliche
Serviceleistungen aufrechtzuerhalten, obgleich die Bürger schon in
den 190er Jahren gewarnt wurden, dass der Sozialstaat so nicht mehr
aufrechtzuerhalten sei und transformiert werden müsse. Die
Kombination einer wachsenden Kreditierung des Staates bei
gleichzeitiger Senkung der Steuern führte in dieser Zeit schon
schnell zu wachsenden Defiziten in den Staatshaushalten, was wiederum
die Kreditgeber beunruhigte. Den Regierungen blieb damit keine Wahl,
einen immer größeren Anteil ihrer Budgets für die Zurückzahlung
von Schulden zu verwenden, womit die sozialen Serviceleistungen
weiter eingeschränkt werden mussten. Da die wachsenden Defizite auch
die Zinsraten auf Staatsanleihen ansteigen ließen, musste ein
zusätzlicher Weg gefunden werden, um diesen Prozess zumindest zu
verlangsamen. Dieser bestand darin, den privaten Haushalten
nahezulegen, den Staaten in der Politik der Verschuldung zu folgen
und immer größere Teile der Reproduktionskosten durch die Aufnahme
von Krediten zu finanzieren. Die Bürger sollten sich also so weit
wie möglich selbst verschulden. Die Bedingungen für die private
Kreditaufnahme zu erleichtern, war damit zum einem Mittel geworden,
um die Steuern niedrig zu halten, den Lebensstandard der Bürger
abzusichern und den Weg in die Verschuldung der privaten Haushalte
weiter zu öffnen.

Selbst
die Finanzkrise veränderte diese Politik der Staaten nicht
wesentlich. Zusätzlich wurde durch ein massives Deficit Spending des
Staates das Bankensystem gerettet und die Kosten wurden auf die
Bevölkerungen abgeschoben, indem die Austeritätsmaßnahmen
verstärkt und gleichzeitig die private Verschuldung nach wie vor
gefördert wurde. Während die Emission von Staatsanleihen die
sinkenden Steuereinnahmen kompensieren sollte, dienten die
Konsumentenkredite dazu, das Wachstum des staatlichen Defizits zu
limitieren. Wolfgang Streeck spricht an dieser Stelle von der
Transformation des Schuldenstaats in den Konsolidierungsstaat, wobei
die Konsolidierung bisher aber kaum gelingt, sodass zukünftige
Generationen nicht ohne weiteres von den Systemen der Verschuldung
befreit werden können. Die Bailouts der großen Banken hat das noch
einmal eindrücklich bestätigt. Nach der Politik des »too big to
fail« wird weiterhin intensiv nach privaten Investoren gesucht und
dies führt zu drei Tendenzen: Senkung der Kapital- und
Unternehmenssteuern, Schleifung der sozialen Programme und
öffentlichen Dienstleistungen und eine weitere Flexibilisierung der
Arbeitsmärkte.

Aus
Steuerzahlen wurden Kreditgeber für systemisch insolvente Gläubiger.
Die die Bevölkerung treffenden Austeritätsmaßnahmen machten diese
dann endgültig zum lender of last resort. Die Finanzinstitutionen
gingen aber gleich in die Offensive und streuten ihre Furcht vor den
schlechten Bedingungen der Accounts ihrer Retter in deren Ressorts
hinein. Und da dies auch die Staaten betraf, hatten die Regierungen
nichts besseres zu tun als, die Ressourcen für soziale Programme und
Dienstleistungen dramatisch zu reduzieren. Indem nun die Regierungen
die fiskalische Konsolidierung zu ihrer Hauptaufgabe machten, um das
Vertrauen an der Finanzmärkte sicherzustellen, verlagerten sie eben
nicht nur den Transfer von Geldern zur Rettung des Finanzsystems,
sondern machten die Steuerzahler zu einem dritten Player, der auf
alle Ewigkeit die Refinanzierung des Bankensystems im Krisenfall
übernehmen soll. Für die Steuerzahler selbst hieß dies auf
Grundlage der Kürzung der Sozialleistungen weitere Kredite
aufzunehmen, und zwar genau bei denjenigen, die gerade von ihnen
gerettet wurden. Nach der Krise gingen man also sehr schnell zu den
»normalen« Beziehungen zwischen Gläubigern und Schuldnern zurück.

he
losses absorbed by middle class families in a nation famous for its
diligent savers have taken a quiet financial and emotional toll.

Many of the failures have been peer-to-peer lending platforms.
Outstanding peer-to-peer loans in China topped Rmb1.2tn ($174bn) in
the first quarter this year, before sliding to about Rmb800bn as
hundreds of peer-to-peer platforms shut, according to a report on the
sector by Moody’s.

...

A senior manager at the Beijing office of a large US tech company
did not want his boss to know he spent his vacation days protesting
outside government offices.

It is difficult to put exact figures on the size China’s shadow
banking sector, which attracts individual and corporate savings with
interest rates above the savings deposit rate and lends the money on
at even higher rates. Shadow banking institutions involve not just
peer-to-peer platforms, but trust companies selling wealth management
products, online fintech companies, pawnshops and a large variety of
informal money lenders. What is certain is that the sector has seen a
lot of growth.

About 169m Chinese, or about 12 per cent of the population, have
invested in wealth management products online, a rise of 66 per cent
from two years ago, according to a Moody’s report published this
month. Essentially, they are putting money into the shadow banking
system.

Other statistics cited by Moody’s also indicate that money under
management by peer-to-peer platforms has doubled in the past two to
three years. The sharp rise in online investing reflects “a desire
to generate returns above cash-deposit rates”, it said.

Individuals and companies with savings — including state-owned
enterprises and some foreign invested businesses — lend into the
non-bank financing market. On the borrowing side are small businesses
that are poorly served by the formal banks, individuals without
credit cards and larger enterprises that have exhausted their ability
to borrow from state-owned banks.

Not all borrowers are small. Finance-to-aviation conglomerate HNA
raised billions through peer-to-peer platforms and other non-bank
funding channels, a Financial Times analysis showed. In August, amid
a rise in peer-to-peer shutdowns, it failed to make payments to a
swath of individual investors, including some of its own employees.

...

Most of China’s more comfortable middle class citizens would
rather swallow their losses than risk arrest. Instead of protests,
the reckoning this year has taken the form of belt-tightening and
painful family conversations.

Das
Dividuum ist der Hohn auf den Anti-Narziss. Es ist die Ausgeburt der
Hyper-Dialektik. Eins teilt sich in Zwei. Kann sich der Narziss im
Spiegelbild nur zweimal verlieren, indem die Ursache zur Wirkung und
das Ganze zum Teil wird, so wird das Dividuum zur unendlichen Teilung
gezwungen. Das Dividuum be- und versiegelt das Ende aller molekularen
Revolutionen. Die
Revolution war molekular, die Konterrevolution war es nicht weniger
,
erklären Tiqqun. Wir
haben an anderer
Stelle
mit Bezug auf Deleuze/Guattari ausgeführt, dass Dividuen
geteilte Existenzen sind, die einerseits in maschinelle
Intra-Verhältnisse integriert sind, andererseits im Individuum ihren
Doppelgänger besitzen. Der Anti-Narziss hingegen dis-individuiert
sich in die generische Gemeinsamkeit der Alterität. Er ist ein
Schamane, der zum Tier wird, nur um zu wissen, welche Dinge dieses
als Sein sieht und um dann wiederum das Tier definitiv als Sein zu
begreifen. Die Gemeinschaft der Anti-Narzissten ist eine von solchen,
die nichts gemeinsam haben, oder Teile von keinem Teil sind. In
diesem Kontext ist die kurze Anmerkung zum Begriff des Dividuums bei
Günther Anders oder zur organischen Zusammensetzung des Menschen bei
Adorno zu verstehen.

Günther
Anders hat in seiner Schrift Die
Antiquiertheit des Menschen Bd.1
im
Kontext der Beschreibung der in den 1950er Jahren aufkommenden
Unterhaltungsgeräten und ihren Techniken der Zerstreung auf
Mechanismen hingewiesen, welche von nun an beim Individuum konstant
verhindern, noch einen Punkt einzunehmen oder „bei sich selbst“
zu sein, stattdessen immer „ubique simul“, also letztendlich
nirgendwo zu sein.

Von
abhängig Beschäftigten, deren Arbeitsprozesse durch Charakteristika
wie Zwang und Langeweile gekennzeichnet seien, könne man nicht mehr
erwarten, dass sie in der Freizeit zu sich selbst zurück fänden,
und auch wenn sie dies nur wollten würden ihnen die Massenmedien und
das durch sie produzierte und gestreute Material (Nachrichten,
Semiotypen, Bilder etc.) regelrecht entgegenstürzen –
Geschwindigkeit und Nichtstun, Entspannung und Spannung würden sich
auch in der Freizeit impulsiv ergänzen, und die derart mobil
gewordenen Didividuen könnten schließlich nur noch das Jetzt, i.e
jeden Augenblick wechselnde Zeitstellen bewohnen, was bei den
Beteiligten zu einer Art artifizieller Schizophrenie führe.

Man
kann dies nun als eine wirklich schwarze Vorahnung auf das heute
zwischen Depression und ADHS oszillierende Dividuum lesen, das in
verschiedene Teilfunktionen geteilt ist und auf einer Welle der
leichten Aufmerksamkeit schwebend und/oder manisch inspiriert sich
disparaten Beschäftigungen hingibt. Anders schreibt: „Der Mann im
Sonnenbad etwa, der seinen Rücken bräunen läßt, während seine
Augen durch eine Illustrierte schwimmen, seine Ohren am Sportsmatch
teilnehmen, seine Kiefer einen gum kauen – diese Figur des passiven
Simultanspielers und vieltätigen Nichtstuers
ist
eine internationale Alltagserscheinung.“  Und
Anders schreibt weiter, dass es heute antiquiert sei, sich auf eine
Sache noch zu konzentrieren, um sich darin sich oder etwas finden zu
wollen. Somit ließe sich vom Subjekt längst nicht mehr sprechen,
denn dieses bestünde nur noch aus verschiedenen Organen – Ohren,
Augen und Gaumen -, die mit ihrer speziellen Funktionstauglichkeit an
etwas kleben, nämlich am Radio, an Bildern und am chewing gum, und
ein solchermaßen zerstreutes Subjekt sei eben das Dividuum oder, wie
Anders schreibt, das Divisum. Das Divisum übertrifft in seiner
Zerstreutheit bzw. funktionalen Geteiltheit in gewisser Weise noch
das Dividuum, das Anders in seinen frühen Studien zur negativen
Anthropologie erwähnt hatte, in denen es ihm um die prinzipielle
Abgetrenntheit des Menschen von der Welt ging. Im Zuge der
Konstatierung einer sich ständig ausbreitenden sozialen
Arbeitsteilung kommt bei Anders später der Begriff des Divisums ins
Spiel. Die Funktionalität eines Divisums findet man heute z.B bei
Beatriz Preciado wieder, wenn sie den sexuellen Körper als das
Produkt einer sexuellen Teilung des Fleisches bezeichnet, gemäß der
jedes Organ durch seine jeweilige Funktion definiert wird.

Den
neuen medialen Gerätenwelten korrespondiert Günther Anders zufolge
ein an sie angeschlossenes und zugleich in zahlreiche Perzeptionen
und Funktionen geteiltes Divisum, das in seiner affektiven,
kognitiven und emotionalen Zersplitterung keine Singularität oder
Identität mehr aufbringen kann. Zu diesem neuen Menschen schreibt
Anders: „Zerstreut ist er also nicht nur (wie vorhin) über eine
Vielzahl von Weltstellen; sondern in eine Pluralität von
Einzelfunktionen.“ Dieser Aufteilung in Funktionen entspricht eine
gewisse Bindungslosigkeit, die dazu führt, dass man sich schnell von
bestimmten Objekten entwöhnt oder diese als reizlos emfindet, ohne
allerdings die Gewohnheit selbst aufzugeben, die wiederum schnell
Suchtcharakter annehmen kann, man denke etwa an das stundenlange
Fernsehen, das im Modus des Zappings erlebt und durchgespielt wird.
Durch den Arbeitsprozess daran gewöhnt in verschiedene Funktionen
geteilt oder wahlweise in einem einzigen Aufgabenbereich anwesend und
damit unselbständig zu sein, muss das Dividuum, da es kein
organisierendes Selbst mehr herstellen kann, auch in seiner Freizeit
zwangsläufig in einzelne Funktionen auseinanderbrechen und diese
wiederum so gut es geht kombinieren. Die funktionellen Organe müssen
bei Strafe ihres Untergangs (wäre eines nicht beschäftigt, würde
die Leere oder Langeweile hereinbrechen) beschäftigt oder besetzt
werden. Wenn nun die Besetzung nicht in Arbeit bestehen soll, dann
ist man gezwungen zu genießen; jedes Organ insistiert in einer
Funktion, die Konsum oder Genuss anzeigt, der allerdings längst kein
positiver zu sein braucht, vielmehr geht er oft genug in das
pausenlose oder das serielle Genießen über, für das besonders
diejenigen Produkte geeignet sind, die die Gefahr der Sättigung
nicht in sich bergen. Der Trieb nach Konsum heftet sich an den
strukturierten Gebrauchswert und das strukturierte Bedürfnis, und
diese schwarze Allianz führt schließlich dazu, dass die
Simultanlieferung simultaner Elemente – bspw. durch die Matrizes
des Fernsehens – für das Dividuum der Normalzustand wird. Anders
resümiert: „Bis heute hatte die Kulturkritik die Zerstörung des
Menschen ausschließlich in dessen Standardisierung gesehen; also
darin, daß dem, in ein Serienwesen verwandelten, Individuum eine nur
noch numerische Individualität übriggelassen wird. Selbst diese
numerische Individualität ist nun also verspielt; der numerische
Rest ist selbst noch einmal „dividiert”, das Individuum in ein
„Divisum” verwandelt, in eine Mehrzahl von Funktionen zerlegt.
Weiter kann offenbar die Zerstörung des Menschen nicht gehen;
inhumaner kann offenbar der Mensch nicht werden.“ 

Insofern
wäre die vom Neoliberalismus propagierte Unternehmensform als eine
besonders schizophrene Form zu kennzeichnen, erfordert sie doch
gerade von ökonomisch abhängigen und geteilten Dividuen die
unaufhörliche Investition ins eigene „Selbst“, immer darauf
bedacht selbst noch beim Einkauf der neuesten Enhancement-Produkte
sich flexibel zu halten, sich umzugestalten.

 Als bloßer
Agent der Vergesellschaftung, das heißt in einen totalen
Funktionszusammenhang integriert, was die Ersetzbarkeit aller durch
alle bedeutet, hat auch für Adorno das Individuum zugleich 
noch kreativ und flexibel zu sein. Aufgrund der Ersetzbarkeit aller
durch alle ist das Individuum zwar objektiv bedeutungslos geworden,
bleibt aber in seinem isolierten Für-sich-Sein eine Monade, die sich
vor allem um die eigene Selbsterhaltung kümmern muss. Adorno
spricht von der Monade der gesellschaftlichen Totalität, das heißt
von einem Sozialcharakter, der einerseits bestimmte Leistungen zur
Selbsterhaltung und -verwertung zu erbringen fähig ist (über eine
gewisse Identität verfügt), andererseits als tendenziell schon
prekarisiertes Individuum längst nicht mehr die ökonomische
Selbständigkeit besitzt, die dem Bürger angeblich noch eine gewisse
Ich-Stärke verliehen hatte, die zur Ausbildung der Monade notwendig
ist (“Was immer am Bürgerlichen einmal gut und anständig war,
Unabhängigkeit, Beharrlichkeit, Vorausdenken, Umsicht ist verdorben
bis ins Innerste. Denn während die bürgerlichen Existenzformen
verbissen konserviert werden, ist ihre ökonomische Voraussetzung
entfallen.” Adorno, Minima Moralia) Aufgrund
seiner Angleichung an die Funktion kann das Individuum die
Rationalität eines identischen Ichs nicht mehr ausbilden und in
seiner situativ wechselnden Adaption an das jeweils Notwendige kommt
es schließlich zur Zerstörung des Selbst, um die Selbsterhaltung
überhaupt noch zu sichern. Der Einzelne ist von nun an durch
Eigenschaften wie psychische Diskontinuität und Inkohärenz geprägt,
sodass sich die Gespaltenheit und Zerrissenheit des negativen Ganzen
in der des Einzelnen verdoppelt.

Adorno stellt eine
Beziehung zwischen dem Individuum als bloßem Agenten des
Wertgesetzes und seiner „inneren Komposition an sich“ (Novissumum
Organum) her. Der Begriff „innere Komposition“ verweist auf ein
Individuum, das als ein geteiltes „Projekt“ ganze Bündel von
Eigenschaften, Motivationen und Verhaltensweisen prozessiert. Diese
Eigenschaften, von der Geste der Freundlichkeit über das
Servicelächeln bis hin zum cholerischen Aussetzer werden einerseits
eintrainiert, dienen andererseits der aktiven Anpassung an die
jeweilige Situation. Schließlich sind diese Eigenschaften Adorno
zufolge nur noch beliebig transportierbarer Stoff oder leere Masken
der Empfindungen. (Hier spielt Adorno auf die Subjektivierung als
einer Form der De- und Rekomposition des Bewussteins an. Das
Bewusstsein impliziert die Wahrnehmung, die eigenen Leistungen des
Gehirns blockieren zu können; es impliziert einen
Aufmerksamkeitszustand, der die Aktivitäten des Gehirns fallweise
begleitet. Alle
geistigen Inhalte sind hier kontrafaktische Inhalte, vom Gehirn
dargestellte Wahrscheinlichkeitsverteilungen, das aus Möglichkeiten
oder Hypothesen wählt, die es im Moment über die Außenwelt und
seinen eigenen Zustand hat. Handeln und Wahrnehmen sind hier
identisch, nämlich der Versuch, Vorhersagefehler zu minimieren.
Aufmerksamkeit wären dann ein generatives Modell des Gehirns, das
permanent versucht, Unsicherheit zu reduzieren und Überraschungen zu
vermeiden, indem es immer neue Vorhersagen erzeugt, testet und auf
diese Weise die kausale Struktur der Außenwelt extrahiert.)
Es
kommt unweigerlich zur Pseudoindividualisierung: Je weniger
Individuen es gibt, desto mehr Individualismus.

Wenn Adorno von der
organischen Zusammensetzung des Menschen spricht, dann gelangt er
sehr schnell zu den fremdreferenziellen Bedingungen der
Subjektivierung, zur Einschreibung von psychologischen, ökonomischen,
technologischen und kulturellen Komponenten, Meinungen und Codes in
das Hirn des Individuums. An dieser Stelle sollten wir aber
hinsichtlich des Begriffs „organische Zusammensetzung“ nicht auf
das Wort „Organismus“ abstellen, vielmehr vermittelt der Begriff
„organische Zusammensetzung“ ja zwischen technischer und
Wertzusammensetzung des Kapitals. Adorno spricht, wenn er von
organischer Zusammensetzung des Menschen spricht, also implizit schon
die Technik- und Ökonomieabhängigkeit des Individuums an, ja er
formuliert, dass Technik und Ökonomie sich unweigerlich über ihre
Codes, Sprachen und Semiotiken in das Individuum einschreiben, wobei
in diesen Prozessen der Subjektivierung (Intention, Perzeption und
Imagination) bestimmte Eigenschaften geteilt und neu zusammengesetzt
werden. In unsere Sprache übersetzt würde dies heißen: Das
Dividuum ist in die kollektive Sphäre des Techno-Ökonomischen
komplex und gespalten integriert, was im Mentalen permanent
Resonanzen erzeugt, während umgekehrt die individuellen Stimmen
Resonanzen im kollektiven Körper des Kapitals produzieren. Beide
Subjektivierungsformen bleiben einbezogen in ein
techo-linguistisch-semiotisches Dispositiv der Super-Kollektivität
(des Kapitals), dessen serielle, automatische Ketten des Verhaltens
nach den Mustern der Schwärme funktionieren, die wiederum durch
spezifische Interfaces und Verkettungen vermittelt werden. Und diese
werden durch syntaktische Regeln geshaped.

2
Wenn
in der selbstreferenziellen Bewegung des Geldes eine doppelte
Bewegung am Werk ist, dann nicht die zwischen fundamentalen Werten
und und spekulativen Impulsen, vielmehr insistiert in ihr die
konstante Notwendigkeit, produktiv auf spekulative Provokationen zu
antworten, um die Realität mittels neuer Relationen zu
rekonstruieren. In diesem Zusammenhang ist dann auch das Leverage zu
sehen, das Akteure, die in höheren sozialen Positionen angesiedelt
sind, verpflichtet, ihre Aktivitäten zu hebeln, das heißt, sie
richten ihr Beziehungen zu anderen so ein, dass sie den höchsten
Gewinn, den größten Output für einen gegebenen Input ziehen
können. Das Konzept des Leverage funktioniert auf der individuellen
Ebene immanent, relational und performativ, und zwar durch die
rekursive Aktivierung von Konnektionen und Operationen, die es
komponieren. Es zeigt, dass die relationalen Formen immanent und
konstitutiv zugleich sind, um neue Normen zu schaffen. Leverage ist
die Art und Weise, wie man seinen fiktiven Projektionen eine sich
selbst erfüllende, performative Qualität x gibt, indem man
erzwingt, dass die Welt affirmativ auf die eigenen spekulativen
Forderungen antwortet.

Insofern
die Spekulation mehr als nur »Wetten« bedeutet, involviert sie das
Leveraging. Das Leveraging beinhaltet nicht einfach nur die
Verbesserung der ökonomischen Position des Spekulanten, sondern
gestaltet seine Konfiguration der Realität. Die Mainstream-
Wirtschaftswissenschaften begreifen die Spekulation lediglich als
ein nicht-performatives Risikomanagement, das die Unsicherheit
eliminiert und darauf besteht, dass die Zukunft kalkulierbar ist,
wenn nur die richtigen Daten und Methoden zur Verfügung stehen. Da
davon ausgegangen wird, dass keine signifikanten Unterschiede
zwischen der Vergangenheit und der Zukunft bestehen, kann letztere
aufgrund der Kenntnis der ersteren mittels eines perfekten
wahrscheinlichkeitstheoretischen Wissens kalkuliert werden. Es geht
hier dann tatsächlich zu wie in einer Lotterie: Da die Randomness
systemisch produziert und der Einfluss des Subjekts isoliert werden
kann, erhalten wir vollständiges Wissen. Aber die Unsicherheit ist
vom kalkulierbaren Risiko so einfach gar nicht zu trennen, sondern
es stellt sich die Frage, wie man die Unsicherheit der Zukunft
benutzt, um sie auszubeuten ohne von ihr paralysiert zu werden. Das
Leverage im Rahmen der Spekulation besitzt hier dann eine präemptive
Qualität, es antwortet auf das Fakt, dass wir niemals die Zukunft
vollkommen wissen können und deshalb Strategien benötigen, die
permanent das Moment der Unsicherheit bearbeiten. Leverage bedeutet
dann, sich selbst als einen nodalen Punkt innerhalb einer
interaktiven Logik der Spekulation zu begreifen, als ein Attraktor
im sozialen Feld. Die Art, wie man die Unsicherheit der anderen
hebelt, besteht dann darin, dass man sie dazu bringt, in die
meinigen Versprechungen (als eine Art, die Unsicherheit zu hedgen,
der sie ausgesetzt sind) zu investieren. Das Leveraging verschiebt
die Emphase, die auf die Möglichkeit, die Risiken korrekt zu
kalkulieren, bezogen ist, hin zur Art und Weise, wie Akteure ihre
Versprechen als relevante Einheiten der Kalkulation zu
institutionalisieren versuchen. Die ökonomische Macht besteht nicht
nur im Wissen, sondern darin, dass man selbst im Kontext einer
grassierenden Unsicherheit (an)erkannt wird. Damit lässt sich das
Leveraging als ein säkulare Form der Souveränität verstehen, mit
der man das Feld der Risiken zwar nicht transzendiert, aber die
Möglichkeit besitzt, die eigenen Risiken in Gefahren für andere zu
transformieren.

3Bares
Geld zum Beispiel verbucht man, indem man sich zum Gläubiger und
die Kasse zum Schuldner macht; Waren, die man einkaufen will, macht
man zur Schuldnerin, und die Kasse zur Gläubigerin.

4
Das Kadaver-Subjekt
kondoliert eindeutig einer psychotischen Struktur, wie sie von
Deleuze/Guattari ausführlich
beschrieben wird.
Die beiden Autoren
schreiben, dass die Deterritorialisierungen (Teilungen,
Verflüssigungen etc.) stets von Reterritorialisierungen
(Narzissmus, Individualisierung etc.) begleitet sind.

5
Der Lebenswert schmiegt sich eng an den Logos des Derivats an, das
man auf die Umgebung der Person und auf diese selbst bezieht. Dabei
wird der Unterschied zwischen kleinem Kapital x und der Person
zunehmend ausgelöscht, insofern das Leben insgesamt auf die
Monetarisierung ausgerichtet wird, auf die Transformation einer
kleinen sozialen Angelegenheit in eine Maschine zur Vermehrung des
kleinen Kapitals x. Der Lebensprofit wird nun direkt an die
derivative Profitlogik des Kapitals gebunden.

6
Das
Futur 2 scheint bei Marx die Zeit zu sein, die der dritten
Bestimmung/Funktion des Geldes als sich verwertendes Geld
komplementär ist. Im Prinzip funktioniert das Geld an dieser Stelle
der Argumentation schon als (spekulatives) Geldkapital, was
bezüglich der Zeit impliziert, dass die Gegenwart durch die
Kalkulation ihrer Zukunft eine Bewertung an ihrer und durch ihre
Zukunft findet, aber letztlich gerät doch alles anders, als man es
im aktuellen Moment voraussehen kann – weil die Zukunft eben auch
gerade darauf reagiert, wie man versucht, die Zukunft zu
kalkulieren. Nicht die Gewordenheit der Gegenwart aufgrund ihrer
Vergangenheit, sondern ihre Gewordenheit bezüglich der Zukunft
rückt damit eindeutig in den Blickpunkt, Zukunft, der man wiederum
selbst eine Gewordenheit zuschreibt, als sie durch gegenwärtige
Erwartungen bestimmt wird. Das Futur 2 zeigt sich hier darin, dass
das Geld in der Gegenwart durch das bewertet wird, was es in Zukunft
wert gewesen sein soll. Da man aber im Voraus gerade nicht berechnen
kann, was das Geld in Zukunft wert gewesen sein wird, kann das Geld
nur rein spekulativ in seiner Bezogenheit auf sich selbst verrechnet
werden, oder anders gesagt, das spekulative Rechnen mit dem Geld ist
seine eigene permanente Verzeitlichung, die das Geldregime
vergegenwärtigt und zugleich immer weiter nach vorne verschiebt,
anders gesagt, gegenwärtige Zukünfte und künftige Gegenwarten
sind nicht deckungsgleich, d. h., sobald eine künftige
Gegenwart tatsächlich aktuell wird, aktualisiert sich auch der
Unterschied zu jener Zukunft, die das Kapital erwartet (gegenwärtige
Zukunft) und deren Aussichten es einstmals genutzt hat, und so
kehren stets andere Zukünfte als die erwarteten in die Gegenwart
zurück. (Vgl. Esposito, Die Zukunft der Futures, 2010: 177f.) Die
zeitliche Zirkularität der finanziellen Ökonomie besteht nach
Elena Esposito exakt darin, dass die Gegenwart von der Zukunft
abhängig ist, die ihrerseits auf Gegenwart verwiesen ist, die sich
nach ihr richtet. (Ebd.: 28) Damit haben wir es hinsichtlich der
Zukunft zugleich mit einer Verlängerung der Gegenwart zu tun, in
einem sehr verdrehten Sinne eben mit dem Futur 2 des
»Es-wird-gewesen-sein«.
Dies besagt auch, dass das Kapital sozusagen immer schon mit dem
Rücken in die Zukunft geht – es setzt neben seiner eigenen
unabweisbaren Unbestimmtheit und Unverfügbarkeit eben auch darauf,
dass die Dinge hinterrücks
immer schon (für
das
Kapital) gut gelaufen sein werden. Und diese Zukunftsbetrachtung
gibt die Zukunft als eine geschlossene Zukunft wieder, gerade weil
man die Zukunft ausschließlich von einem Erwartungshorizont heraus
bestimmt, der das wirklich Neue eliminieren will, und nicht nur das,
das Kapital ist seine Zukunft, es hat seine Zukunft je schon
stipuliert und es hat sie ausdeterminiert, womit sich sofort
anzeigt, dass diese ominöse Okkupation der Zukunft, die jeder
anti-axiomatischen Überraschung und Virulenz bar ist, sich nur vom
Futur 2 her schreiben lässt, obgleich selbst diese Zeit immer
wieder überwunden werden soll – das Kontinuum des Kapitals hält
also gerade daran fest, seiner Zukunft einerseits in vollkommener
Neutralität entgegen zu stürzen, andererseits seine eigene Zukunft
beständig auch überholen zu müssen, sein Trauma par excellence,
das durch die Kapitalisierung, die im Rahmen ihrer Zukunftsforschung
auf absolute Selbstgegenwart bzw. Aktualität setzt, eingeholt
werden will und doch nicht eingeholt werden kann.

7
Agamben
hat das Smartphone als ein Dispositiv, als eine techno-politische
Apparatur beschreiben, die das menschliche Subjekt neu konfiguriert.
Der entscheidende Hinweis auf die neueren Entwicklungen der
Sichtbarkeit und Kontrolle liegt bei Foucault wiederum im Begriff
des Beobachtungsnetzes: Die Sehreize werden heute vervielfältigt,
nur um Informationen zur Verbesserung der Kontrolltechniken zu
liefern. Das Sehen wird nun selbst zum Gegenstand der Beobachtung.
Der Augenbewegungsscanner, der im Kaufhaus die Verhaltensweisen des
Kunden beobachtet, war durchaus schon im Blick von Foucault. Die
Gegenfiguren muss man heute bei denen suchen, die wieder Fragen der
Darkness, der Unsichtbarkeit und des Nicht-Wahrnehmbaren aufwerfen.

8
Kunststoff hat
mit seinen Eigenschaften
– formbar, gut
verarbeitbar,
und leicht - den Trend zum Wegwerfkonsum forciert..
Und
weil er so billig und leicht zu entsorgen war, setzte er sich
schnell durch.
Im
Jahr 1963
sagte
Lloyd
Stouffer, Redakteur der Fachzeitschrift Modern
Plastics
,
frohlockend
auf
einer Branchenkonferenz: »Man füllt die Mülltonnen, die
Müllhalden und die Verbrennungsanlagen mit Milliarden von
Kunststoffflaschen, Kunststoffbechern, Kunststoffschläuchen,
Blistern und Schutzfolien, Plastiktüten und Blechverpackungen.«
Die Müllhalde von Agbogbloshie wird
höchstwahrscheinlich auch letzte Destination für die Tablets,
Smartphones und Computer sein, die wir morgen kaufen! Der
chinesischen Plastikmüll-Organisation CSPA zufolge haben im
vergangenen Jahr mehr als 1000 chinesische Recycling-Unternehmen ihr
Geschäft nach Südostasien verlagert und dort umgerechnet 1,5
Milliarden Euro investiert. Das Equipment, die Expertise und selbst
die Lieferketten hätten die Firmen gleich mitgebracht.

Viele Länder buhlen um den Müll, vor allem Thailand, Vietnam
und Malaysia. Denn was deutsche Konsumenten schlicht für
Plastikmüll halten, ist längst zum global gehandelten
Wirtschaftsgut geworden

Die Krise um den
importierten Müll ist umso brisanter, als gerade die Länder
Südostasiens kaum mit ihrem eigenen Abfall klar kommen. Jedes Jahr
landen dort hunderttausende Tonnen Müll im Ozean, zusätzliche
Abfallberge aus dem Ausland, die nicht richtig recycelt werden,
dürften die Lage noch verschärfen. Heng Kiah Chung von Greenpeace
Malaysia, der den Abfallskandal mit aufgedeckt hat, sagt, dass das
globale Recycling-System nicht funktioniere und auch nicht dazu
tauge, das Problem der Plastikverschmutzung zu lösen. 46,7 Prozent
aller Kunststoffabfälle wurden 2017 laut Umweltbundesamt
hierzulande recycelt, die Weltbank titelt: Rekord. Doch die Quote
sagt wenig aus. Denn die Unternehmen müssen lediglich nachweisen,
dass der Abfall ordnungsgemäß verwertet wurde, nicht aber wo. Sie
selbst recyceln nur relativ reinen Plastikmüll, etwa aus dem gelben
Sack. Probleme machen hingegen Kunststoffabfälle aus dem Gewerbe
oder dem Haushaltsmüll. Die werden in riesigen Ballen ins Ausland
verschifft - und dürfen trotzdem in die Quote mit eingerechnet
werden. 

9
Vielleicht aber
sind
die Objekte doch
noch etwas,
nämlich Projektile, die die Erde zerstören.Even
today, most fossil fuels are used by technologies of the late
19th-century “second industrial revolution,” and their
more-or-less direct successors: cars with internal combustion
engines, power stations and electricity networks, urban built
infrastructure, energy-intensive manufacturing, fertilizer-heavy
industrial agriculture. The technologies of the so-called “third
industrial revolution” – computers and communication networks
that appeared from the 1980s – have not only not helped make the
economy less fuel-intensive, they have made things worse. The
internet now uses more electricity than India uses for everything –
not because it could not function more efficiently, but because it
has developed as a commercial rather than a collective network,
loaded with commercial content. .

10
Google besitzt heute das
größte Computernetz der Welt mit einer schier unendlich
anpassungsfähigen digitalen Architektur ausgestattet mit 2,5
Millionen Servern auf vier Kontinenten (zuboff 220). Das Unternehmen
Google ist in der Lage, die hauseigenen Algorithmen mittels eigener
Chips in den eigenen Clouds lernen zu lassen, wobei die hauseigenen
Maschinenintelligenzen aber nur so viel lernen können, wie eben
Daten in die Maschinen eingespeist werden, mit denen diese dann
trainiert werden. Dazu benötigt man, wenn man die materielle
Infrastruktur der Datenzentren und Server nicht ins Uferlose
ausbauen will, hochleistungsfähige Prozessoren wie Googles Tensor
Processing Unit (TPU), den Ausbau neuraler Netzwerke und die
Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz.

11
Es
war Primo Levi, der in
seinen Erinnerungen
an Auschwitz
schrieb,
dass
in den Konzentrationslagern die Insassen ihre Meinungen
über die Zukunft ganz und gar willkürlich änderten,
und zwischen
blinder Zuversicht und äußerster Verzweiflung schwankend,
„pendelten
sie, ohne Gedächtnis und Folgerichtigkeit und je nach
Gesprächspartner und Augenblick, zwischen diesen extremen
Positionen hin und her“. Hier
deutete sich schon jene »Momentanpersönlichkeit«
an,
die heute
jeder vorgegebenen Situation mit zynischem Opportunismus und
panischem Selbsterhaltungstrieb
begegnet, und sei es, dass sie sich mit Psychopharmaka befeuern oder
sich mit Büchern aus der Lebensratgeberindustrie zu müllen und
einschläfern lässt, nur um voran zu kommen, wobei aber vergessen
wird, dass das Voran nicht unbedingt ein Hinauf ist. Es ist ein
mythologischer Glaube, der Sache nach nicht verschieden vom
abendlichen Gebet, vom Tieropfer, das den Erfolg in der kommenden
Schlacht sichern soll, oder vom Regentanz des Schamanen. Befolge das
Ritual, und der von dir nicht kontrollierbare Erfolg in der
Zirkulation wird auf dich herabrieseln. In dem Maße, wie man zwar
immer mehr produzieren kann, immer mehr weiß, umso unsicherer wird
der Erfolg, ob der Absatz gelingt. Das statistische Verhältnis
zwischen der eigenen Anstrengung und dem Markterfolg wird immer
ungünstiger. Und umso größer wird die Anziehung von Regelwerken.

Die kapitalistische Gesellschaft schafft den Irrglauben
nicht ab, sondern schafft durch die Zwangslagen, in die sie die
Individuen versetzt, eine beständig neue Nachfrage danach. Je
schwieriger der eigene Absatz wird, desto größer die Anziehung von
Ersatzreligionen. Schlussendlich drückt sich darin die Grenze der
kapitalistischen Gesellschaft selbst aus: was heute möglich wäre,
geht weit über das hinaus, was am immer enger werdenden
kapitalistischen Markt absetzbar ist. Deine Freiheiten sind
unendlich, aber ob es sich lohnt, wird immer unwahrscheinlicher.

12
Randy
Martin hat in seinem Buch »Empire of Indifference» gezeigt, dass
Indifferenz und endlose Zirkulation zusammen
gehören und heute selbst noch die asymmetrischen, kleinen Kriege im
globalen Netz zirkulieren. (Martin 2007) Mehr noch, die
entsprechenden Interventionen drehen sich um die Möglichkeit zu
zirkulieren, im Gegensatz zur Möglichkeit Souveränität zu
proklamieren. Für Martin handelt es sich dabei um einen ähnlichen
Shift wie den vom Shareholder, der die Aktien eines Unternehmens
hält, zu dem des Traders von Derivaten, der Reichtum durch des
Management von Risiken erzeugt. Die unbeabsichtigte Konsequenz
dieses Risikomanagements, das Martin sowohl bei der globalen
Finanzialisierung als auch beim US-Empire am Werk sieht, besteht in
der bloßen Verschärfung der Volatilität dessen, was sie
beinhaltet. Daraus ergibt sich ein teuflischer Kreislauf der
Destabilisierung und der derivativen Kriege, eine Charakterisierung,
die Martin das »empire of indifference« nennt. Dieses Empire
zeichne sich nicht länger durch Fortschritt oder Entwicklung aus,
sondern verspricht seinen Insassen nur noch das Management einer
immerwährenden Gegenwart von Risikomöglichkeiten.

13Bei
der
Maschinenintelligenz
handelt es sich meist
um neuronale Netzwerke, das
heißt
sind selbstlernende Systeme, die nicht durch einen fest
programmierten
Algorithmus gesteuert werden, sondern trainiert werden müssen und
dabei ihre eigene Struktur verändern. Dieser Umstand sollte
allerdings nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass es sich bei
Neuronalen Netzen um „Künstliche Intelligenz“ handelt, wie
immer wieder fälschlich behauptet wird. Intelligenz zeichnet sich
unter anderem dadurch aus, eigene Ziele bzw. Zwecke setzen und Dinge
kritisch hinterfragen zu können. Beides können Neuronale Netze
sind
extrem leistungsfähig in der Erkennung und Sortierung von
Mustern,.Neuronale
bestehen aus hunderten oder sogar tausenden Schichten simulierten
Nervengewebes. Von außen sind nur die oberste (die Eingabestelle)
und die unterste Schicht (die Ausgabestelle) einsehbar. Was
dazwischen (in den so genannten Verborgenen Schichten) stattfindet,
entzieht sich – nicht zuletzt aufgrund seiner extrem hohen
Komplexität – dem Betrachter. In den „Verborgenen Schichten“
werden die eingehenden Information zu Mustern zusammengesetzt und
sortiert.

14
Laut Bernhard Vief ist dem
Äquivalenzprinzip die Analogie eigen, wobei dem Ana-logon eine
Schablone entspricht, die man über zwei verschiedene Objekte legt,
um sie anzugleichen, und womit natürlich sofort die Frage
aufgeworfen wird, was denn nun diese Schablone als sog. tertium
comparationis anbieten könnte, um überhaupt einen Vergleich
zwischen zwei völlig verschiedenen Objekten zu ermöglichen. (Vgl.
Vief 1991: 138) Marx kann sich mit der Fixierung des Dritten auf das
Metallgewicht des Geldes qua vergegenständlichter Arbeit, wie das
Adam Smith und David Ricardo noch getan hatten, nicht zufrieden
geben, stattdessen setzt er auf das Axiom »abstrakte Arbeit« oder
»abstrakte Arbeitszeit«, für das er aber wiederum keinen
objektives Maß anbietet (was heißt abstrakte Arbeit als immanentes
Wertmaß?), weshalb Vief bei Marx selbst einen infiniten Regress
eröffnet sieht. Deshalb nimmt Vief an dieser Stelle eine
Verschiebung vor und fundiert zumindest das Digitalgeld gleich in
der reinen Differenz, was, wie er behauptet, die Abwesenheit eines
jeglichen Wertmaßes anzeige, das heute durch den Binärcode ersetzt
worden sei, sodass das Geld eben kein allgemeines Äquivalent mehr
darstelle, sondern einzig und allein durch Differenz gekennzeichnet
sei. (Ebd.: 139) Abgesehen von der fragwürdigen Annahme, Differenz
mit Digitalität gleichzusetzen (für Deleuze z. B. gehört die
Differenz dem Analogischen an), ist es tatsächlich die Digitalität
qua Binärcode, welche heute als mediale Basis der elektronischen
Geldform erscheint, sodass das Geld in erster Linie auf
bedeutungslosen Daten beruht, die jedoch nach wie vor bedeuten (und
verweisen) müssen, und of course benötigen die Geldströme im Raum
des Symbolischen, in dem sie zwischen Prozessen und Stasen
oszillieren (übertragen und speichern), Materie/Energie, denn
schließlich kann die res cogitans ohne res extensa nicht auskommen.
(Wenn das Symbolische, obwohl es keine Referenz zum Objekt bzw. zur
Arbeit aufweist, dennoch nur am Material stattfinden kann, das dem
Kontinuum der Zeit entrissen wird, Operationen daher vornehmlich im
Raum des Symbolischen stattfinden, womit die Zeitachse gewissermaßen
entmächtigt ist, so brauchen Operationen als instantane Prozesse
doch so marginal wie auch immer Zeit, wenn diese auch nicht
vergleichbar irreversibel wie die Zeiten außerhalb des Symbolischen
ablaufen.) Wie Oliver Schlaudt stellt also auch Bernhard Vief –
allerdings in anderer Gewichtung – die Frage nach dem Verweis des
Geldes auf ein Drittes. Während Vief jedoch keinerlei Notwendigkeit
mehr sieht, auf abstrakte Arbeit überhaupt noch Bezug zu nehmen,
führt Schlaudt diesen Verweis als die besondere Leistung der
Arbeitswerttheorie an, mit der Marx abstrakte Arbeit als immanentes
Wertmaß ausgewiesen hätte. (Vief 1991: 135f./Schlaudt 2011: 265f.)
In der Tat stellt sich hier für Marx eine entscheidende
Problematik, die wir in den Kapiteln zu Wert und abstrakte Arbeit
diskutieren wollen.

15Meinungsfreiheit,
das ist das freie Zirkulieren von Meinungen (nicht von Diskursen,
Narrrativen und erst recht nicht von Wahrheiten). Die elaborierte
Systemtheorie hat das schon früh auf den Punkt gebracht, ohne
allerdings die fatalen Folgen zu bedenken:" Jede Kommunikation
ist gesellschaftlich, wenn genau davon abgesehen wird, wovon sie
handelt, worüber sie spricht, woran sie anschließt, welche Folgen
sie hat. Gesellschaftlich ist Kommunikation ausschließlich unter
dem Aspekt keiner spezifischen Bedeutung oder besser: unter
Ausschluß überhaupt jeglicher Bedeutung, außer der, dass
Kommunikation immer etwas bedeutet, besagt." (Peter Fuchs 2001:
112)
Die Meinungsfreiheit ist gewährleistet. Sie zirkuliert wie Öl,
Kapital und Dschungelcamp.

16Das
heißt nicht, dass Facebook nicht zensieren würde, denn jeder
einzelne Post, jeder Kommentar und jede Nachricht wird von
Mitarbeiten
und/oder Maschinen gelesen und analysiert, um festzustellen, ob sie
mit den willkürlichen, weitgehend
undefinierten
und undurchsichtigen Standards des Unternehmens übereinstimmen.
Zudem
leitet das Unternehmen
Informationen über politische Äußerungen vor
allem aus dem linken Umfeld auch
an die
Polizei
und Nachrichtendienste weiter.

17
So
wie die
Protokolle überall sind, so sind
es auch
die Standards. Man
kann
von
ökologischen Standards sprechen, von
Sicherheits-
und Gesundheitsstandards, Gebäudestandards und
digitalen
und industriellen
Standards, deren inter-institutioneller
und technischer
Status durch die Funktionsweisen der Protokolle möglich wird. Die
Kapazität der Standards, hängt von der Kontrolle durch Protokolle
ab, einem System der Governance, dessen Organisationstechniken
gestalten, wie Wert extrahiert von denen wird, die in die
verschiedenen Modi der Produktion integriert sind. Aber es gibt auch
die Standards der Protokolle selbst. Das TCP/IP Model des Internets
ist ein Protokoll, das ein technischer Standard für die
Internet-Kommunikation geworden ist. Es gibt eine spezifische
Beziehung zwischen Protokoll, Implementierung und Standard, die den
digitalen
Prozesse betrifft:
Protokolle sind Beschreibungen der präzisen Terme, durch die zwei
Computer miteinander kommunizieren können (i.e., a dictionary and a
handbook for communicating). Die Implementierung impliziert die
Kreation von Software, die das Protokoll benutzt, i.e. die
Kommunikation abwickelt (zwei Implementationen, die dasselbe
Protokoll benutzen, sollten Daten miteinander austauschen können).
Ein Standard definiert, welches Protokoll bei bestimmten Computern
für
bestimmte Zwecke benutzt
werden soll. Er definiert zwar nicht das Protokoll selbst, aber
setzt Grenzen für die Veränderung des Protokolls.

18
Die
von Lefebvre beschriebene Zersplitterung und zugleich
Standardisierung des alltäglichen Lebens führte
ab
dem Jahr 1970 in eine symbolische Misere, die
durch
die Dominanz der audiovisuellen, analogen Apparate der Massenmedien
gekennzeichnet war,
welche eine Periode des strategischen Marketings einläuteten,
das dann mittels der Privatisierung des Radios und des Fernsehens
umfassend umgesetzt wurde.
Die symbolische Misere bzw. die De-Symbolisierung der alltäglichen
Narrative, die durch diese Entwicklungen eingeläutet wird, führt
laut
Stiegler zu einer Proletarisierung der Sensibilitäten und
zu einer
Vernichtung
des Wunsches, oder, was auf das Gleiche herauskommt, zu dem
Ruin der libidinalen Ökonomie. Das spekulative Marketing der
Finanzindustrie stellt den vorläufigen Höhepunkt dieser
Entwicklung dar. Die Mechanisierung der Sensibilität und die
Industrialisierung des symbolischen Lebens ist
heute in »Kommunikationen« eingeschrieben,
die wiederum durch
die
Unterscheidung
zwischen den
professionellen Produzenten der Symbole und den proletarisierten und
de-symbolisierten Konsumenten gekennzeichnet
ist.

19
Wo
Stiegler noch von der Proletarisierung des Wissens spricht, sieht
Zuboff in der Wissensteilung, welche die Arbeitsteilung überlagert,
eine Pathologie, die heute
in
die Hände einer kleinen Clique von Computerspezialisten geraten
sei, einer »Maschinenintelligenz« und ökonomischen Interessen.
Wenn all dies richtig ist und auch richtig ist, dass Patholgien die
des Systems sind, dann gilt es zu analysieren, wie sich das heutige
Kapital zusammensetzt: Produktion qua Ausbeutung, Spekulation qua
finanziellem kapital, Plünderung qua Extraktion
und Vermarktung von Daten.

20Die
Affektpolitik bedarf
auch immer der Beurteilung in einer Art Casting,
welche Angst und Begehren in enge
Beziehung zueinander
setzt und auf den
(sexuellen) Körper rekurriert,
indem dieser einer Rund-um-die-Uhr Kontrolle unterzogen wird. Diese
Inszenierung, die von der Produktion des (sexuellen) Körpers nicht
zu trennen ist, ist eine Strategie der Mikrophysik der Macht. Die
Personen
werden permanent zur Beurteilung ihres Körpers aufgefordert oder
gereizt, während sie diesen gleichzeitig
zur Beurteilung durch die
anderen Personen
im Netz freigeben.
Das hat ausgesprochen
sportive wie auch pathologische
Züge, die sich gegenseitig hochschaukeln, sodass eine Kandidatin
irgendwann durchaus als sexualisierte, freaky Puppe der Entblößung,
Authentifizierung
und Obszönität erscheinen kann. Offenbarung und Kontrolle treten
in ein Bedingungsverhältnis, dass eine Affektpolitik jenseits der
Schamlosigkeit situiert. Der Körper ist ein Medium im Medium, das
seine Elemenet,
Sex, Horror und Nachricht zu einem Gefüge formiert.
Individualisierung ist Teil einer kybernetischen Mediatisierung.
Gleichzeitig tendiert vor allem die pornografisierte Kandidatin
dazu, als Zombie im medialen Raum zu insistieren, hat sie einmal
eine bestimmte Schwelle überschritten - – , und von nun an ist
gezwungen, die pornografische Performance immer wieder neu zu
justieren oder zu variieren, eine Art Artistik, die als Drahtseilakt
noch viel zu euphemisierend umschrieben ist. Vor allem die weibliche
Sexperformance verlangt in behavioristischer Manier das permanente
Hinschauen, obgleich dieser kollektive Blick vollkommen obszön
ist. Der entblößte Körper soll zudem Effizienz demonstrieren,
wenn er sich der öffentlichen Performance preisgibt, eine variable
Norm, die einzuhalten immerwegs ihre eigenen Erschütterungen
mitbearbeiten muss. Diese Performance muss als aufopfernde bzw.
technologisierte Arbeit am Ich dargestellt werden, ohne jeweils die
trashigen, schweißtreibenden und masochistischen Elemente zu
vernachlässigen, selbst diese müssen ins mediale Gefüge
integriert und dort zugleich differenziert werden. Medien
produzieren eben nicht nur Konsens (Integral), sondern Divergenz,
wobei sich derjenige im Kampf um Positionen, Zeichen, Sprache (als
immanente Handlung) als authentisch empfinden darf, dessen Erzählung
und Bild irgendwie ankommen, wobei allerdings scharf umrissene
soziale Plätze und Strategien immer weniger zu erkennen sind.
Bulimie und Anorexa nervosa verhalten sich zuéinander wie Hysterie
und Langeweile; es wird sich mit Unterhaltung vollgefressen und
gekotzt, um wieder zur Selbstoptimierung bereit zu sein, wie die
Selbstoptimierung dazu dient, sich wieder mit Unterhaltung
vollzufressen.

21
Für
Baudrillard gibt immer weniger eine Distanz zwischen der Simulation
und der realen Welt.
Dabei
ist die Simulation für
ihn kein
Problem
der Linguistik,
weder als Methode noch als Modell, weil selbst der flottierende
Signifikant an das Problem der Referenz gebunden ist und einen Abyss
zwischen Welt und Wort erfordert, während es
zwischen
Simulation und
Relation keine Relation oder Distanz mehr gibt. In
diesem Sinne ist die integrale Realität, wie Baudrillard sie nennt,
der Name
für die Realisierung der Welt in ihrer Unmittelbarkeit durch
simulierte Mittel, oder, um es anders zu sagen, die
Simulation produziert sich selbst in die Realität, wie eine Sphäre
mit
einer
immer weiter ansteigenden Dichte, in der nichts
Virtuelles mehr entweichen kann, sodass es nicht aktualisiert werden
könnte.
Integrale
Realität,
das ist die irreversible
Bewegung hin zur Totalisierung der Welt.

22´Günther
Anders hatte dies wiederum schon einige Jahre früher so
beschrieben: »Nein,
trotz der ungeheuren Vermehrung und Ausbreitung technischer
Kenntnisse und trotz des natürlich allgemeinen Wissens, daß die
Produkte nicht an Bäumen wachsen, sind diese doch für die Mehrzahl
der Zeitgenossen primär nicht als Produkte da, und gewiß nicht als
Zeugnisse der eigenen prometheischen Selbstherrlichkeit; sondern
einfach „da”; und zwar primär als Waren, als nötige,
wünschenswerte, überflüssige, erschwingliche oder
unerschwingliche, die „meine” erst dann werden, wenn ich sie
gekauft habe. Sie sind sogar eher Beweisstücke eigener Insuffizienz
als eigener Kraft: allein schon deshalb, weil der Überfluß der
ausgestellten unanschaffbaren Produkte in einem
hochindustrialisierten Lande einfach überwältigend ist: die
Ladenstraße ist ja die permanente Ausstellung dessen, was man nicht
hat.« (Anders
1961: 28)

23
Gleichzeitig findet fern ab
der Discounter eine privatisierte Zurschaustellung von Luxuswaren
statt, seien es Kunstwerke, Schmuckstücke, Yachten, Immobilien und
Antiquitäten, die durch die Art und Weise ihrer zu meist elitären
und abgeschotteten Ausstellung als Quasi-Derivate in den
Verkaufspreisen immer weiter steigen und damit jene Art von
Finanzanlagen inkorporieren, die den klassischen »Wert« der Waren
weit übertreffen und diesen wirklich altmodisch aussehen lassen.

24
Somit gilt es Sloterdijks
Aussagen zum Mehrkonsum unbedingt zu relativieren. Er schreibt: “Die
kollektive Bereitschaft zum Mehrkonsum konnte innerhalb weniger
Generationen in den Rang einer Systemprämisse aufsteigen:
Massenfrivolität ist das psychosemantische Agens des Konsumismus.“
(Sloterdijk 2016: 123) Mehrkonsum ergibt sich für Sloterdijk
weniger aus der Kapitaldynamik, sondern als Resultat des
unverdienten Zuflusses von Energie in die Ökonomie
(Fossilenergetik, aber auch Maschinisierung. Dampfmaschinen,
Verbrennungsmotoren und Elektromotoren). Sloterdijk zitiert
weiterführend Rolf Peter Sieferle: „Letztlich ernähren wir uns
von Kohle und Erdöl – nachdem diese in der industriellen
Landwirtschaft zu eßbaren Produkten verwandelt worden sind.“
(Ebd.: 127)

25
Dieses Verständnis des
Singulären, wie wir sie bei Reckwitz vorfinden, hat nichts mit dem
Begriff der Singularität bei deleuzeu zu tun, für den
Singularitäten, die niemals allein, sondern immer nur in
Mannigfaltigkeiten auf einer Immanenzebene auftreten, stets
präindividuell sind, im Sinne eiens Ereigenisses, das im Virtuellen
durch ein Wieviel?, im Aktuellen durch ein Wann?, Wo? und Wie?
gekennzeichnet ist.

26
In
den deindustrialisierten Kernzonen des Kapitals ist
die industrielle
Arbeitskraft zu einer Mangelware geworden. Die industrielle Arbeit
wurde und wird
bekanntlich vielfach
durch Automation und informationelle Dienstleistung ersetzt, wobei
letztere, wenn sie
auch automatisiert
wird, wieder verschwindet. Empirisch
ablesen lässt sich dies daran, dass seit den 1980er-Jahren der
stoffliche Produktionsausstoß – also die Masse an produzierten
Waren – weltweit um ein Vielfaches gesteigert Gleichzeitig
ist die Zahl der Arbeitskräfte in den Kernsektoren der
Weltmarktproduktion deutlich zurückgegangen ist. Daran änderte
auch die Erschließung neuer Produktionssektoren für den
Massenkonsum nichts, denn diese werden
von vorneherein nach den Vorgaben der Prozessautomatisierung
organisiert. In der Konsequenz wird
die Welt in einer rasant wachsenden Flut an Waren ertränkt – mit
der Folge einer beschleunigten Vernichtung der natürlichen
Lebensgrundlagen – Waren, die aber eine immer geringere Masse an
Wert repräsentieren, weil sie mit immer weniger Arbeitskraft
produziert werden können.

27
An
den Universitäten ausgebildete Lohnabhängige,
die
über keine Produktionsmittel verfügen, bilden
die privilegierte
Lohnarbeitsklasse, die
im Zuge der Digitalisierung noch anwachsen
wird.
Eine zweite
Gruppe
bilden Arbeiter und Angestellte mit mittlerer Qualifikation in
überwiegend ausführenden
Arbeitstätigkeiten.
Diese
Gurppe
verteidigt defensiv
das ihr verbliebene
Sozialeigentum gegen
die
»da
oben«,
aber auch gegen Konkurrenz aus dem prekären Sektor. Am Ende der
Hierarchie steht eine neue Unterklasse, die kaum die
Mittel
hat, ihre ökonomische
Lage kollektiv zu verändern. Es handelt es sich um
prekär und informell Beschäftigte, Langzeiterwerbslose, Migranten
und
Flüchtlinge,
Obdachlose und total
Ausgeschlossene.
Sie leben entweder
von Hartz4 und werden
auf
den
Überlebenshabitus
eingeschworenen
oder sie leben ganz auf der Straße. Die
se
Gruppe bildet

15 Prozent der Bevölkerung. Sie
ist
nicht
mit
dem
auf unsichere Beschäftigung angewiesenen Prekariat
identisch. Das Prekariat wiederum rekrutiert sich aus den
verschiedenen Klassenfraktionen und durchzieht diese auch,, bildt
aber auch eine eigene Gruppe .

28
Eine voll automatisierte
Gesellschaft, in der die Beschäftigung nicht mehr existiert und die
Löhne nicht mehr Quelle der Kaufkraft sind, womit der
Produzent/Konsument verschwindet, erfordert einen neuen Prozess der
Redistribution, der
jedoch nicht lediglich
die
effektive Nachfrage, sondern auch
die Zeit betrifft,
sodas
der neue Formen des Wissens vom Sozialen geschaffen werden können.
Die Produktion des Wissen benötigt Zeit, die Zeit des Schlafs und
des Traums sowie die Tageszeit, um in und mit ihr zu agieren, zu
reflektieren und die guten und schlechten Träume und Tagträume zu
ordnen, um sie daraufhin zu materialisieren und zu übersteigen und
um zu kämpfen. Wir müssen die Zeit befreien, um wieder zu
entscheiden, indem wir uns selbst in neue Zyklen der
Transindividuation einbringen, die durch Träume geformt werden, und
indem wir ihren Bifurkationen folgen, welche die Automation
de-automatisieren. In einer Ökonomie, in der die Beschäftigung
dramatisch zurückgeht (Zizek spricht davon, dass heute schon 80%
der Weltbevölkerung für das Kapital nutzlos sind) und der
»wesentliche Wert« das Wissen ist, muss man über das Recht zu
wissen und das Gesetz des Wissens nachdenken, und zwar als Funktion
der Konzeption jeder produktiven Funktion, die der Macht der
De-Automatisierung sui generis innewohnt. Dies führt zur Frage nach
der Beziehung von Gesetz und Arbeit, wobei das Problem der Arbeit
als Frage nach der Interpretation neu gestellt werden muss, weil es
ansonsten der Unterschied zwischen Fakt und Gesetz verschwindet.

Der Beitrag The End erschien zuerst auf non.copyriot.com.


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