Auswirkungen der Eurozone
In einer kürzlich erschienen Studie vom Centrum für europäische
Politik, wird untersucht, wie sich die Einführung des Euro für die
jeweiligen Länder der Europäischen Union ausgewirkt hat [1]. Dabei wird
ein hypothetisches, errechnetes Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ohne den
Euro genommen, und mit dem tatsächlichen BIP pro Kopf verglichen [2].
Deutschland
ist dabei ein deutlicher Gewinner der Euro-Einführung, mit einer
positiven Wohlstandswirkung von über 1.800 Milliarden Euro. Der Großteil
der restlichen Länder, vor allem im europäischen Süden, hat dabei
deutliche Verluste gemacht.
- Entwicklung Deutschland mit und ohne Euro
- Entwicklung Frankreich mit und ohne Euro
- Entwicklung Griechenland mit und ohne Euro
Besonders in Griechenland wird dies deutlich. Am Anfang ist noch eine
deutliche Steigerung des Wirtschaftswachstums zu vernehmen, geschuldet
durch den Beitritt in die Währungsunion. Ab der Weltfinanzkrise im Jahr
2008 bricht die griechische Wirtschaft jedoch völlig zusammen, während
die Krise in der deutschen und französischen nur einen kleinen Knicks
darstellt. Frankreich ist zwar ebenfalls relativer Verlierer der
Euro-Einführung, profitiert jedoch insgesamt von den Politiken der EU.
Die Weltfinanzkrise 2008
2008 platzte die Immobilienblase in den USA. Niedrige Zinsen und eine
gute Wirtschaft verleiteten viele Amerikaner_innen dazu, Häuser zu
kaufen und zu bauen. Durch eine Anhebung des Leitzins konnten jedoch
viele ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen, was viele dazu verleitete ihr
Haus wieder zu verkaufen, um den Kredit bezahlen zu können. Je mehr
Häuser wieder verkauft wurden, desto niedriger sanken die ursprünglich
boomenden Immobilienpreise. Der Verkauf des Hauses brachte also nicht
mehr genug Geld ein, viele konnten ihre Kredite nicht mehr zurückzahlen.
Die Banken bekamen ihr Geld also nicht mehr wieder, und hatten damit
ein riesiges Loch in ihrer Bilanz und gingen Pleite.
Bei den amerikanischen Banken war es jedoch üblich, die Hypotheken in
Fonds aus Wertpapieren zu bündeln, die dann weltweit verkauft wurden.
Deswegen betraf die geplatzte Immobilienblase in den USA auch andere
Banken, zum Beispiel in Europa, welche dadurch ebenfalls zu massive
Abschreibungen gezwungen waren.
Die Banken vertrauten sich nicht mehr
und verliehen sich kein Geld mehr. Die Kapitalströme gerieten ins
Stocken und die Weltfinanzkrise begann.
Winter is coming
Im Kapitalismus ist es nicht die Frage, ob eine Krise kommt, sondern
wann. Und die Zeichen für die nächste Weltwirtschaftskrise sammeln sich.
Der
Handelskrieg zwischen den USA und China tobt, Expert_innen warnen vor
einer kommenden Rezession in den Vereinigten Staaten [3]. Der Brexit
steht bevor, mit nicht vorhersehbaren Folgen für die EU und der nahe
Osten ist nach wie vor instabil.
Wie sich das alles auf die
Weltwirtschaft auswirken wird, kann man nur spekulieren. Deutschland
selbst ist erst Ende 2018 gerade so an einer Rezession
vorbeigeschlittert [4].
Und selbst wenn wir das alles heil überstehen – die nächste Krise wird kommen.

Was jedoch tun, wenn die Wirtschaftskrise kommt? All die üblichen
fiskalpolitischen Mittel funktionierten damals bei Griechenland nicht,
und werden in einzelnen EU-Ländern auch nicht funktionieren:
Währungsabwertung
Eine Abwertung der Währung
verteuert die Importe, macht die Exporte billiger und senkt damit das
Außenhandelsdefizit [6]. Im europäischen Süden, wird außerdem der
Tourismus durch die nördlichen Euroländer attraktiver.
Funktioniert nicht, da wir uns in der Eurozone und damit in einer Währungsunion befinden.
Warenzölle
Zölle auf oft produzierte Waren
begünstigen die nationale Produktion und senken die Importe und helfen
damit ebenfalls beim Außenhandelsdefizit.
Funktioniert nicht, da wir uns in der EU und damit in einer Zollunion befinden.
Antizyklische Finanzpolitik
Es wird versucht, der
negativen Entwicklung der Wirtschaft positiv entgegenzuwirken. Dies
geht oft mit einer Ausweitung der Geldmenge und dem Ausbau staatlicher
Konjunkturprogramme einher.
Funktioniert nicht, da die EU-Länder
nicht selber über ihre Geldmenge entscheiden, sondern die Europäische
Zentralbank. Außerdem begrenzen europäische Defizitgrenzen – von denen
erneut hauptsächlich Deutschland profitiert hat [7] – Neuverschuldung,
und damit die staatlichen Konjunkturprogramme.
2008 hat Deutschland die Krise noch gut überstanden, wie man in Auswirkungen der Eurozone sieht.
Jedoch wird es diesmal nicht so einfach sein, die Probleme einfach in
die südliche Eurozone zu drücken. Alle Instrumente, die Deutschland
damals genutzt hat, um relativ unbeschadet durch die Wirtschaftskrise zu
kommen, sind erschöpft.
Der EZB Leitzins, der damals im Verlauf der
Krise von 3,75% auf 1,0% gesenkt wurde, um die Wirtschaft anzukurbeln,
lässt sich auf den aktuellen 0% nur noch schwer senken. Mario Draghi,
Chef der EZB, kündigte nun kürzlich sogar an, den Leitzins mindestens
bis Mitte 2020 auf dem aktuellen Niveau zu halten, oder ihn sogar weiter
zu senken [8].
Auch die Geldmenge der EU wurde damals bereits mehr als verdoppelt und die aktuellen Staatsschulden sind immernoch viel zu hoch.
Wenn die nächste Krise also kommt, und sie wird kommen, trifft sie
auch das starke deutsche Kapital. Es wird nicht mehr möglich sein, die
Krise einfach in die europäischen Randgebiete zu drücken. Die
Lohnabhängigen werden also die Konsequenzen tragen müssen, also wird die
Krise uns hier, wirtschaftlich, in der breiten Masse treffen. Das
heißt, auch hier kann es durchaus zu einer Massenbewegung gegen Staat
und Kapital kommen.
Frankreich und die gelben Westen sind ein erster
sichtbarer Ausdruck dieser Entwicklungen, welche in ganz Europa um sich
greifen.
Was aber tun wir, wenn die Menschen auf der Straße stehen?
Verwerfen wir sie direkt als Querfrontler? Bemängeln wir sie, während
wir weiter im Elfenbeinturm sitzen?
Es wird höchste Zeit, von den Gilets Jaunes zu lernen.
Beobachtungen der Gilets Jaunes
Intervention
Gerade Anfangs war die Ausrichtung und Entwicklung der Gilets Jaunes
sehr unklar. Erst mit der Zeit wurde sichtbar, dass es sich dabei um
eine im Kern emanzipatorische Bewegung handelte. Dies ist aber nicht
einfach so geschehen, sondern durch kontinuierliches Intervenieren und
Arbeiten in der Bewegung. Der Reflex, der hier in Deutschland primär
gezogen hat, die komplette Bewegung wegen rechter Beteiligung zu
brandmarken und als Querfront zu verwerfen, muss abgelegt werden.

Eine Massenbewegung wird immer einen größeren Teil der Gesellschaft
widerspiegeln, und die ist nunmal leider rassistisch, sexistisch,
antisemitisch und sonstiges. Diese Eigenschaften werden aber nicht
einfach verschwinden. Deswegen muss in die Bewegung interveniert werden
und sich klar gegen diese Tendenzen gestellt werden. Dies haben bei den
Gilets Jaunes von Anfang an diverse verschiedene linksradikale Gruppen
getan. So erklärte zum Beispiel Assa Traoré, eine Sprecherin der
antirassistischen Gruppe Comité Adama folgendes:
“Wer könnte besser von
Arbeitslosigkeit erzählen als wir? Wer hätte mehr zum Thema Kaufkraft zu
sagen? Wir aus den proletarischen Vierteln müssen Hungerlöhne ertragen.
Die Strecke Paris–Beaumont-sur-Oise macht 50 Kilometer hin und zurück.
Höhere Spritpreise betreffen uns unmittelbar. Über all das lässt sich
nicht reden, ohne über die Polizeigewalt zu sprechen, die in unseren
Vierteln zur Realität gehört. Diese Bewegung der Gilets Jaunes ist auch
unsere. […] Ich heiße keine Form von Gewalt gut […] Heute jedoch geht es
gegen Macron, und keinesfalls darf der extremen Rechten das Feld
überlassen werden.” [10]
Eine solche Bewegung hat also widersprüchliche Interessen und Ziele,
sowie eine unklare politische Ausrichtung. Deshalb ist es ebenso
wichtig, diese als Prozess zu begreifen, welcher sich kontinuierlich
ändert und entwickelt [11]. Eine solche Bewegung einmal zu analysieren
und abzustempeln, wäre ein Fehler.
Praktischer Antifaschismus
Einige Wissenschaftler_innen sehen in der heutigen Lage eindeutige
Parallelen zu der Zeit vor der Machtergreifung der NSDAP [12]. Eine
Weltwirtschaftskrise und die daraus entstehende Arbeitslosigkeit und
Armut, bereitete auch damals in der Weimarer Republik den Nazis den Weg.
Sollte die Annahme einer kommenden Krise in Winter is coming eintreten, könnte dies den rechten Kräften in Deutschland den letzten Aufschwung geben, den sie benötigen.
Deswegen
ist es unbedingt notwendig, eine mögliche entstehende soziale
Massenbewegung nicht den Rechten zu überlassen. Gerade die extreme
Rechte wird versuchen, eine mögliche soziale Bewegung zu beeinflussen,
unabhängig von der Einstellung gegenüber parlamentarischen Parteien.
So wurde in Frankreich immer wieder von Faschist_innen versucht, die
Proteste für sich zu vereinnahmen, sei es bei Demonstrationen oder im
Internet auf Facebook. Gerade online lässt sich z.B. antisemitische
Ideologie sehr gut von einigen Wenigen verbreiten, um so “[..] eine
rassistische Deutung der sozialen Frage durchzusetzen.” [13]
Auch
wurden linke und andere Aufzüge öfter koordiniert angegriffen. Teilweise
wurde sogar versucht, sich als “Ordnungsdienst” von Demonstrationen zu
inszenieren [14].
Es gilt also folgendes:
- Von Anfang an, eigene Inhalte in die Bewegung tragen.
- Rassismus,
Sexismus, Antisemitismus und anderes menschenverachtendes Gedankengut
nicht kleinreden, sondern problematisieren und bekämpfen. - Faschist_innen
und andere Rechte, die versuchen Demonstrationen und öffentliche
Veranstaltungen für sich zu vereinnahmen, konsequent rausdrängen und
fernhalten. - Konzepte finden, um Demonstrationen und unerfahrene
Menschen darin vor rechten Angriffen zu schützen. Die Pariser Antifa hat
zum Beispiel über schwarze Blöcke an den Demospitzen diskutiert, um
diese Angriffe zu unterbinden [15].
Referenzen und Fußnoten
Danke an Sébastien de Beauvoir für den Anstoß für diesen Text!
[1] https://www.cep.eu/eu-themen/details/cep/20-jahre-euro-verlierer-und-gewinner.html
[2] Dafür wird eine Extrapolation der BIP-Entwicklung von Ländern mit
ähnlicher Wirtschaftslage genommen. Genaueres zur Methodik findet sich
im zweiten Kapitel der Studie.
[3] https://www.t-online.de/finanzen/boerse/news/id_84897228/-inverse-zinskurve-schuert-angst-vor-us-rezession.html (Abrufdatum 20.06.2019)
[4] https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-02/statistisches-bundesamt-bip-stagnation-wirtschaftswachstum-rezession (Abrufdatum 20.06.2019)
[6] Wenn wertmäßig mehr importiert wird, als exportiert.
[7] Als wirtschaftlich starkes Land treffen diese Grenzen Deutschland
eher schwach. Bei einem Übertritt der Defizitgrenzen kommt es zu einem
Defizitverfahren, bei dem ein Gremium die Haushaltspläne des betroffenen
Landes vorgelegt bekommt, Diktate vergibt und die Einhaltung derer
überwacht. Vorschläge des Gremiums dürfen nur mit einer qualifizierten
Mehrheit abgelehnt werden. Die – von Deutschland durchgesetzten – Regeln
zur Stimmgewichtung sind so gelegt, dass z.B. Deutschland, Frankreich
und Italien zusammen Mehrheiten immer verhindern können, z.B. alle
Staaten am Mittelmeer zusammen jedoch nicht. Genauso kann Deutschland
realistisch eine Mehrheit zusammenbekommen, andere Staaten haben dabei
jedoch ziemliche Schwierigkeiten. (Anm.: Nach dem Brexit würden die Nordstaaten keine Sperrminorität mehr besitzen)
[8] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/draghi-prueft-alle-optionen-kommen-bald-strafzinsen-fuer-sparer/24699788.html (Abrufdatum 29.07.2019)
[9] https://reporterre.net/Les-Gilets-jaunes-a-Paris-C-est-malheureux-mais-sans-violence-rien-ne-change
[10] https://www.humanite.fr/le-comite-adama-enfile-son-gilet-jaune-664399 (Abrufdatum 21.06.2019, übersetzt von Sébastien de Beauvoir)
[11] translib: “100 Euro und ein Mars – Sozialer Aufruhr in Zeiten
der Alternativlosigkeit” in der Broschüre “Une situation excellente?”
von translib
[12] https://www.swr3.de/aktuell/Wissenschaftler-vergleichen-Machtergreifung-Hitlers-vs/-/id=4382120/did=5112408/dvpowo (Abrufdatum 22.06.2019)
[13] Juives et juifs révolutionnaires: “Gegenüber den Antisemiten
dürfen wir nicht untätig bleiben!” in der Broschüre “Une situation
excellente?” von translib
[14] https://www.huffingtonpost.fr/2019/01/18/un-combattant-du-donbass-dans-le-service-dordre-des-gilets-jaunes_a_23645055/ (Abrufdatum 20.06.2019)
[15] https://paris-luttes.info/de-la-necessite-de-restaurer-l-11550 (Abrufdatum 20.06.2019)
taken from here
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