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Alternativlos

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11.7.15: Die Frage war nicht, ob Ja oder Nein, die Antwort war klar: eine Alternative besteht nicht. Ja oder Nein führt zum gleichen Ergebnis. Nichts kann diese Tatsache besser illustrieren, als die letzten Tage in Griechenland.

Am 25.6. präsentiert die EU-Kommission Griechenland ein Papier zur Lösung der Krise. Daraufhin verkündet die griechische Regierung, dass am 5.7. ein Referendum gehalten werde, um der Regierung ein Mandat zu geben, diesen Vorschlag entweder abzulehnen oder zustimmen. Die Frage des Referendums lautet wie folgt:

Soll der von der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds der Eurogruppe am 25. Juni vorgelegte Entwurf […] angenommen werden? (vgl. Text)

Die Antwort der Griechen ist mit fast 2/3 der Stimmen ein Nein.

Am vergangen Donnerstag dem 9.7. präsentiert die griechische Regierung den so genannten Institutionen einen Vorschlag zum weiteren Vorgehen, der dem Papier vom 25.6. fast vollständig  gleicht. Tsipras räumt gestern ein, dass das Papier nur "marginal besser" ist als dasjenige vom 25.6. Nun meldet Reuters heute am 11.7., nachdem im griechischen Parlament über diese Papier abgestimmt wurde:

Das griechische Parlament hat am frühen Samstagmorgen der Regierung die Vollmacht erteilt, über weitere Spar- und Reformmaßnahmen mit den Gläubigern zu verhandeln und eine Einigung zu unterzeichnen.

Die Regierung Tsipras hat also, auf ihre Frage hin, ob man besagtes Papier annehmen solle, eine eindeutige ablehnende Antwort erhalten, verhandelt aber nun auf Basis eben dieses Papiers weiter, um eine Einigung zu erzielen – wobei die Institutionen zur genüge klar gemacht haben, dass sie keine Deut nachgeben werden. Das Volk sagt nein, die Regierung macht trotzdem weiter. Nun aber – als ob es nicht schon genug der Absurdität wäre – mit den Stimmen der Opposition, weil es innerhalb der Syriza Gegenstimmen und Enthaltungen gab.

Stathis Kouvelakis kommentiert das Geschehen wie folgt:

Der Eindruck, man habe es hier mit einem absurden Schauspiel zu tun, ist nicht einfach nur der Effekt eines unerwarteten Wendung des Geschehens. Er entsteht vor allem daraus, dass sich dies alles in einer Weise direkt vor unseren Augen abspielt, als sei nichts geschehen, als ob es das Referendum eine Art kollektiver Halluzination gewesen sei, die sich plötzlich in Luft aufgelöst hat und die uns zurück lässt, als ob wir einfach so fortfahren könnten wie vorher. (org. Text, meine Übers.)

Das "absurde Schauspiel direkt vor unseren Augen" ist der Wahn, der auf diesem Blog am 5.7. angesprochen wurde und dem eine absolute Absage erteilt werden muss. Es geht nicht mehr um eine Alternative in einem demokratischen Prozedere. Es geht um die totale Absage. Allerdings nicht nur einem Parlamentarismus gegenüber, der sich einen Dreck um den Willen des Volkes schert, sondern auch jeglichen linken Alternativen  gegenüber – den reformerischen wie auch den so genannten radikalen. Es geht, im Sinne Foucaults, um eine grundsätzliche Absage der Episteme gegenüber, in der wir zu leben gezwungen sind und von dem Linke in allen Varianten Teil sind. Es geht hier vor allem um eine andere Generation, auf die man derzeit nur hoffen kann, denn alles hat versagt.

Franco 'Bifo' Berardi macht es mit einem Satz klar: "Es ist unmöglich sich aus einer rein finanzpolitischen Falle mit politischen Mitteln zu befreien." Seine Auffassung bündelt er am 29.6. zu einem einzigen bissigen Statement. Was dabei die Linke angeht, ist sein Urteil eindeutig:

Wir – die Linke, die Intellektuellen, die Universität, diejenigen, die dafür verantwortlich gewesen wären, die Rückkehr der Pest nach Europa zu verhindern – wir sind verantwortlich.

Was er mit Pest meint, macht er klar, indem er sagt, dass Europa heut so geeint ist wie 1941. Und er macht die Linke für die Rückkehr dieser Pest verantwortlich – eine zerstrittene, sich atomisierende Linke, eine die in dieser Atomisierung sich in immer kleinere Einheiten, die gleichzeitig um so voluminösere Theoriegebäude erdenkt, auflöst, während um sie herum sich der neoliberale Fraß ungezügelt ausbreiten kann. Eine Linke die in ihrer Atomisierung exakt neoliberalen Ansprüchen an das Subjekt folgt. Neben allem anderen gilt das absolute Nein auch dieser Linken, die lediglich eine weitere ScheinAlternative innerhalb der allgemeinen Alternativlosigkeit bedeutet.

Das Desaster ist komplett. Bifo:

Die realistischste Konsequenz aus dieser Geschichte [aus der Pest in Europa und aus dem Versagen der Linken] ist der Krieg. Ein Bürgerkrieg der nicht nur an den südlichen Grenzen herauf zieht, da wo die Leichen in der See treiben, oder an den östlichen Grenzen wo Putin gerade 40 Nuklearsprengköpfe neuester Generation auffährt, nein, der heraufziehende Bürgerkrieg wird auch an der italienisch-französischen Grenze sichtbar, am Bahnhof von Mailand und in Hunderten von europäischen Städten in denen sich nationalistischer Hass organisiert.

(...und jeder kann sich die italienischen Gegebenheiten an seine Lokalität anpassen...) Was diesen Krieg angeht, so ist erhellend, was Varoufakis gestern im Guardian zu sagen hatte. Er betont, dass Deutschland Griechenland schon lange aus der EU raus haben will – um Frankreich unter Kontrolle zu bekommen. Es lohnt sich, auf Basis dieser Beurteilung, noch ein wenig weiter zu spekulieren.

Die westliche Wertegemeinschaft hat es weit gebracht in der Erzeugung so genannter Failed States. Von Zentralafrika haben diese sich inzwischen bis an das südliche Mittelmeer ausgebreitet – wobei Ägypten und Tunesien die nächsten Kandidaten sind. Wie es östlich der Levante aussieht, wissen wir. Hier gibt es inzwischen nicht nur weite Landstriche, in denen jegliche Regierung versagt, sondern mit dem IS inzwischen auch eine Kraft, der unsere Alternativlosigkeit nichts mehr entgegensetzen kann. Vor diesem Hintergrund, ist es nur folgerichtig, wenn sich die EU langfristig konsolidiert und toxischen Ballast in Form von überschuldeten Nationen, die noch dazu linke oder gar offen sozialistische Regierungen wählen, entledigt. Somit wäre ein Grexit auch ein langfristiger strategischer Akt der EU. Die Pest, die Europa vereint, kann es sich nicht erlauben, systemgefährdende Regierungen zu dulden. Der Ruf nach eine allgemeinen Formel für den Rauswurf aus der EU, der derzeit auch erklingt, ist  in dieser Hinsicht logisch.

Das sind die Verhältnisse. Wer geglaubt hat, mit Syriza bahne sich eine politische Wende in Europa an, sieht sich getäuscht – durch eine Selbsttäuschung, denn das System ist alternativlos. Was in Umrissen aber auch immer deutlicher wird, ist, wie das System beginnt, sich gegen eine drohenden allgemeinen Zerfall zu wappnen – gegen einen Zerfall der aus seiner systematischen jahrhundertelangen zerstörerischen Tätigkeit resultiert.

Die Frage ist, wie lange man das noch vorgeführt bekommen muss, bevor man aus dieser Alternativlosigkeit aussteigt und wirklich Nein sagt?!

Der Beitrag Alternativlos erschien zuerst auf non.


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