»Die Rhythmen des Lebens, das Auf und Ab der Natur und des Alltags müssen verschwinden in dieser Welt; für die Schwäche und Unzulänglichkeit menschlicher Zeit, ihre diffusen und verschlungenen Strukturen«, so schreibt Jonathan Crary, sei in dem global-digitalen-24/7-System kein Platz mehr. Der 24/7-Modus hat längst eine entzauberte Welt ohne jedes Geheimnis hervorgebracht, eine unruhige und unheimlich identische Welt der Indifferenz, eine Welt ohne Gespenster, eine Welt, die einerseits die Dunkelheit zu eliminieren trachtet, andererseits den Tag mit seinen verschiedenen Rhythmen, Perioden und Eigenartigkeiten zur Eindimensionalität hin verflacht und ihn doch zugleich zerrüttet. So ist es wahrlich kein Zufall, dass die Dinge, Objekte und Ereignisse, die im Alltag zirkulieren, auf ihre bloße Funktionalität, Kalkulation und Effizienz, ja schließlich auf ihre Brauchbarkeit für die Kapitalisierung reduziert werden, sodass selbst noch die minimalen Kontingenzen, Brüche und Eruptionen im Alltagsleben verschwinden, gerade auch indem der Alltag in einer Art und Weise kulturalisiert wird, dass eine fieberhafte und wie von unsichtbarer Hand gesteuerte Suche nach dem Originellen, dem Echten und dem Authentischen beginnt, die egal, was da als das Ergebnis der Suche von der Kulturindustrie eingesetzt werden mag, sich vor allem durch den funktionellen Fluss der Suche selbst auszeichnet. Die Welt wird grell-hell, es fließen in ihr ununterbrochen ultra-sichtbare Ströme von Bildern, Fotos und Informationen im Endlos-Stream, die selbst noch die Katastrophe, das Verbrechen und das Obszöne ausleuchten und zugleich neu konstruieren. Die visuelle Stimulation kommt aufgrund der Dominanz des Grellen im digitalen Bilderbrei einer weißen Wand gleich, gegen die den Kopf zu stoßen nichts bringt, weil es nicht einmal Beulen hinterlassen würde.
Das 24/7-System des Kapitals generiert wie eine perfekt geölte Tretmaschine unablässig asoziale Modelle des automatisierten Funktionierens – der Mega-Motor des Super-Kapitals, das abstrakte Prinzip der Vermehrung des Geldes um der Vermehrung willens, treibt unaufhörlich die Kalkulation, Quantifizierung und Verwertung des Lebendigen und des Toten mit vielfältigen Prozessen voran, bei denen aber oft genug unerkennbar bleibt, auf wessen Kosten die laufende Betriebsamkeit geht und wer von ihr profitiert. Diese 24/7-Metrik unterscheidet sich stark von einer Zeit, die Marxisten wie Georg Lukács im 20. Jahrhundert als lineare, leere, gleichförmige Zeit des Kapitals bezeichnet haben, insofern die 24/7-Zeit als wirbelnder Strom eine a-lineare und nicht-chronologische Zeit der Spekulation inhäriert, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermischt, aber dennoch unaufhörlich auf Beschleunigung und auf die Eliminierung von unproduktiven Leerstellen in der Arbeit und im Alltag setzt. Diesem Prozess zufolge sind es nicht die Produktion, Konsumtion, Austausch und Distribution, sondern es sind die Geschwindigkeit und die Größe der Prozesses der Zirkulation selbst, die vor allem zählen. Alles wird heute von der Zirkulation aufgesogen und niemand darf sich der Zirkulation verweigern, alles zirkuliert unaufhörlich und niemand kann der Macht der Kreisläufe der Zirkulation entkommen. »Die Zirkulation ist die erste Totalität unter den ökonomischen Kategorien.« Marx Grundrisse.
Reine 24/7 Zirkulation als Bedingung und als Produkt des virtuell-finanziellen Modells der Zirkulation von Kreisläufen. Kreisläufe der Produktion, Kreisläufe der Konsumtion, Kreisläufe des Austauschs und Kreisläufe der Distribution, alle miteinander verlinkt und sich überlappend. Die Kreisläufe der Zirkulation verbinden sich im Modus der quantischen Ungewissheit mit der multiplen Zirkulation der Kreisläufe, und das muss so sein, weil die Waren- und Kapitalbestände selbst ständig recodiert, rekombiniert, repliziert und geklont werden können. In der Zirkulation fließt etwas aus und kommt wieder herein, immer und immer wieder, das heißt, sie ist ein Kontinuum, und insofern ist sie zur gleich Zeit innen und außen. Sie ist ein vielfach gefaltetes System mit relativen Innen- und Außenzuständen ohne absolute Exklusionen und Inklusionen, vielmehr sind beide Falten desselben kontinuierlichen Prozess. Die Zirkulation reproduziert nicht nur einen Strom qua eines Netzwerks multipler Falten, sondern lässt sie expandieren, wenn sie zusammenkommen. Sie ist die kontrollierte Reproduktion und Redirektion der Bewegung. In der Zirkulation geht es um Größen, Liquidität, Geschwindigkeit und Vektoren. Selbst die Nicht-Zirkulation – in diesem Falle das Geld, das der Zirkulation kurzfristig entzogen ist (Schatz), um als Kredit zu fungieren – zirkuliert auf immer höherer Stufenleiter. Deshlab sind auch die Blockaden von Häfen und logistischen Hubs so effektiv, weil die Macht eben nicht mehr nur in den Institutionen verankert ist, vielmehr in den Infrastrukturen konzentriert ist, womit auch ein Shift von den Plätzen hin zu den Strömen verbunden ist, den Autobahnen, Glasfasernetzen und Stromlinien. Die Macht liegt im Verborgenen und ist dennoch banal: Sind die Fabriken und Büros noch Orte oder Knotenpunkte in einem Strom, speziell wenn sie Teile einer vernetzten Infrastruktur sind? Ist ein Verkehrskreisel ein Strom oder ein Platz, oder beides? Haben sie reale oder symbolische Dimensionen, oder beides? Die revolutionären Gelbwesten bestimmen mit ihren Straßensperren den Kurs der Globalisierung. Sie können sie aufhalten oder umlenken, ja sogar umkehren. Die Geschichte wird spontan gemacht, am Kreisverkehr mit seinen Abzweigungen.
Die Jagd nach dem ever zirkulierenden Mehr, die der Kapitalisierung zukünftiger Zahlungsströme und Zahlungsversprechen entspringt, eröffnet gerade Zeitströme, in denen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in keiner determinierten Relation mehr zueinander stehen, sondern sich in einem kontinuierlichen Zustand der Bewegung, der Transformation und des Entfaltens befinden. Entlang dieser nicht-chronologischen spekulativen Zeit1, in der Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünfte für eine ständige Re-Organisation, ein Resetting oder auch die Suspension offen sind, werden die Kanäle für die Kapitalisierung kreiert. Der 24 Stunden Aktienmarkt bezeugt den Triumph des »streamed capital« als den der Ausdehnung und der Beschleunigung über die Dauer. Mit der Zeit ist es jetzt wie mit allen Transit-Orten – siehe Einkaufszentren, Flughäfen, Museen und Sportarenen: So ist auch die Zeit in all ihren Dimensionen (Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft) austauschbar geworden, ganz egal, in welchem Jahr, Tag und Sekunde man sich gerade befindet. Indem sie austauschbar geworden ist, ist sie standardisiert und zugleich differenziert. Das Entscheidende der 24/7-Metrik liegt aber gerade nicht in der Standardisierung/Differenzierung, sondern in der Redundanz einer Un-Zeit, in der es keine Gelegenheit mehr gibt, nicht zu shoppen, nicht zu konsumieren, nicht zu arbeiten oder keine Daten abzurufen. Dennoch inhäriert die 24/7-Metrik keine gleichförmige Zeit, sondern eine reduzierte und abgeschliffene Diachronie, in der die Unterschiede auf austauschbare und zirkulierende Differenzen zusammengestrichen sind – Austauschbarkeit ist die Normalität. Es wird eine schale halluzinatorische Präsenz inszeniert – die Abfolge reibungsloser und wie geschmiert ablaufender Operationen als eine besondere Form der Zeitlosigkeit, in der den Unterschied ausmachende Pausen, Unterbrechungen und Rhythmen eliminiert werden. In diesem Kontext muss darauf hingewiesen werden, dass der Kalender und die in ihn eingeschriebenen Zeiten weiter existieren, aber ihre Kenntlichkeit und Bedeutung wird durch die Indifferenz der 24/7 Metrik überlagert. »Disconnection« bedeutet jetzt definitiv den sozialen Tod, während gleichzeitig drahtlose Technologien gerade die Besonderheiten und das Singuläre der Orte, der Landschaften, der Zeiten und der Ereignisse auslöschen. Und es entsteht geradezu ein Sog, der einen dazu zwingt, ununterbrochen den durch das Marketing erzeugten Bedürfnissen und Wünschen im digitalen Netz und auch in der analogen Welt nachzujagen, die aber auch deswegen unerfüllt bleiben müssen, weil ständige neue Produkte, neue Apps, Versionen und Upgrades auf dem Markt erscheinen, welche die Wünsche nicht nur stimulieren und anheizen, sondern sie zugleich ständig transformieren und gerade auch deshalb unerfüllt lassen. Dabei erzeugt die 24/7-Metrik keineswegs manipulierte Konsumenten, sondern über die Inszenierung von Differenzen infolge der ständig wechselnden Warenangebote, die aber letztendlich der radikalen Indifferenz gegenüber den Dingen gleichkommt, werden die wirklich den Unterschied machenden Unterschiede geschliffen und die Konsumenten in ihrem Verhalten nivelliert, das Spektrum ihrer Verhaltensweisen, Erfahrungen und Ereignisse in der Tendenz auf Null reduziert. Nullintensität.
Dieser Zeit des 24/7 ist selbst noch der Schlaf ein Greuel. Jonathan Crary schreibt: »Eine strahlende 24/7-Welt, die keinen Schatten wirft, ist die kapitalistische Endzeitvision eines Posthistoire, einer Austreibung der Alterität als dem Motor geschichtlichen Wandels. 24/7 ist eine Zeit der Gleichgültigkeit, der gegenüber die Fragilität menschlichen Lebens zunehmend inadäquat wird, eine Zeit, in der der Schlaf nicht länger notwendig oder gar unvermeidlich ist. Sie lässt die Vorstellung eines Arbeitens ohne Pause, ohne Ende plausibel, ja normal erscheinen. So verbindet sie sich mit dem Unbelebten, Inerten oder Alterslosen.«
Für Crary ist es nur noch der Schlaf in seiner puren Nutzlosigkeit, der mit den Takten, Metriken und Ansprüchen der 24/7-Welt des Super-Kapitals kollidiert, womit er weitgehend auch von den Angriffen der Unternehmen und den von ihnen generierten Bedürfnissen befreit bleibt; er ist die kompromisslose Unterbrechung der vom Kapital unablässig geraubten Zeit, während hingegen selbst die existenziellen Bedürfnisse und Begehren – Hunger, Durst, Sex und Freundschaft – heute monoton aufgeladen und dermaßen terroristisch kapitalisiert sind, bis schließlich jede Geste des Körpers unerbittlich in eine Verstärkung der kapitalistischen Axiomatik umgewandelt wird. Der Schlaf konterkariert die Kapitalisierung, weil er auf einem Zeitintervall insistiert, das sich vom Kapital nicht verwerten lässt und er bleibt damit eine sperrige Anomalie, ja sogar ein potenzieller Krisenherd in der globalen Präsenz des Kapitals. Allerdings, und das gilt es gegen Crary ins Feld zu führen, wird mit der Existenz von Schlaflaboren längst auch der Schlaf durch diverse Methoden, die seiner Effektivierung dienen, umgestaltet. Dennoch bleibt er vielleicht zumindest in seiner Traumdimension das, was Blanchot das Unwahrscheinliche nennt. Gleichzeitig bleibt der Schlaf eine transzendentale Bedingung, ein reines Eins-in-Eins, weder Freude noch Trauer, sondern unerbittlicher Schlaf. Er ist das kleine object a des sexuellen Vergnügens, das Andere des 0+ des Träumens und das 0- des Todes.
Aber wahrscheinlich hat selbst Crary nicht mit Unternehmen wie Under Amour gerechnet, deren mobile App Record eine Schalt- und Überwachungszentrale für menschliche Aktivitäten rund um die Uhr ist, um die Fitness, aber eben auch den Schlaf einer Person zu tracken, zu analysieren und dann die ausgewerteten und modifizierten Daten zu verkaufen. Es wundert längst nicht mehr, dass die User diese Daten freiwillig zur Verfügung stellen, worauf sie beispielsweise mittels der KI Plattform Watson analysiert werden, deren Ergebnisse das Unternehmen nutzt, um Feedbacks zu versenden, Nutzerprofile und neue Verhaltensmodifikationsmittel zu erstellen, die wiederum ein quasi-programmiertes Verhalten erzeugen sollen, das heißt, beim User genau das vom Unternehmen vorhergesagte Verhalten auslösen, das zum Beispiel im Kauf der physischen Produkte des Unternehmens besteht. Selbst noch das intimste Wissen über die Qualität des eigenen Schlafs wird als Daten in algorithmische Maschinen eingespeist, um daraus neues Vorhersage-Wissen herzustellen, das angeblich die Effektivität des Schlafs verbessert. Und die Schlaftracker auf dem Smartphone, die am frühen Morgen angeben, ob man gut oder schlecht geschlafen hat, disziplinieren selbst noch den Schlaf, soweit es eben geht, denn der Schlaf bleibt ein umkämpftes Territorium. Wissenschaftliche Erkenntnisse über den Schlaf dienen meistens dazu, die Agenten fit für den Job und ihr monetarisiertes Leben zu machen, sodass eine Art Hochleistungsschlaf durchaus erwünscht ist – man schläft sich schön, schlank und gesund. Man schläft unter der Bedingung der Leistungsbereitschaft, um den Arbeitsalltag bewältigen zu können, und dafür benötigt man, so die Wissenschaft, möglichst viele Tiefschlafphasen sowie die Kontinuität unter den Bedingungen eines optimalen Raumklimas. Selbst für die Vorbereitung des Schlafes haben die Lebensratgeber einen Kanon von strikten Regeln entwickelt: Keine Bildschirme mehr vor der Nachtruhe. Körperliche Betätigung ist gut, zu meiden sind unbedingt Alkohol und schweres Essen, genauso wie Sorgen. Wer in Altersheimen oder Krankenhäusern 24-Stunden-Schichten schiebt, wer zwischen zwölf und acht Uhr morgens die Bürogebäude großer Firmen putzt oder in Chemieanlagen, in der Nahrungsmittelproduktion oder für Sicherheitsfirmen die Nächte durcharbeitet, der muss sein Schlafbedürfnis minimieren und am Tag oder am Wochenende stillen. Mehr als ein Drittel der Schichtarbeiter, das zeigt eine Studie der Techniker Krankenkasse, schlafen weniger als fünf Stunden.
Crary weist in diesem Kontext darauf hin, dass heute die Zahl derjenigen Menschen (und das betrifft nicht nur die Daytrader) stark ansteigt, die nachts aufstehen, um Mails, Social Media-Plattformen und Infos im Internet zu checken oder auch mal den Kühlschrank zu besuchen, um etwas zu essen. Solch ein unterbrochener Schlafmodus, man denke an den Lenin-Schlaf der Banker, reduziert den Schlaf auf einen minderwertigen Zustand, weil er ihn letztendlich lediglich auf die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit und Verfügbarkeit des Menschen für die Arbeit und das Kapital festlegt. Crary schreibt über den 24/7 Takt: »Er verdrängt das »Ein/Aus«-Prinzip. Nichts ist mehr richtig »aus«. Nie gibt es mehr einen wirklichen Schlafmodus.« Es kommt heute zu einer ständigen Verknappung oder Verkürzung des Schlafs und gleichzeitig kommt es zu notorischen Schlafstörungen, sodass man in diesem Fall gezwungen ist, mit der Einnahme von Schlaftabletten Schlafzeit zu kaufen. Und für den Erfolg des Unternehmens, in dem man gerade arbeitet, hat man immer wieder einmal eine Idee im Kopf, auch in der Nacht, man ist sozusagen rund um die Uhr im Dienst und wenn gerade kein Firmenangestellter zur Kontrolle bereitsteht, dann kontrolliert man sich eben selbst.
In dieser Zeit der endlosen Präsenz verschwimmen nicht nur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern auch die Produktion, Verteilung und Konsumtion in schnell zirkulierenden Kreisläufen ineinander. Vordergründig scheint es dabei dem Kapital an nichts zu fehlen, weder an der Arbeit noch am Konsum, wenn man unter Arbeit einfach Hilfsarbeit und unter Konsum die zerebrale Wahrnehmung eines Flüssigfernsehers oder eines digitalen Mikroschaltkreises, der vielfältige Wünsche, Zeichen und Energie aufzeichnet, versteht. Einzig und allein am Mehr, am Mehrwert mangelt es nach wie vor auf Dauer. Gerade der ach so reflexive Konsum der Mittelklassen erzeugt heute den toxischen und oft in erschöpfenden Dimensionen stattfindenden Verzehr von Gadgets, Geräten, Apps, Bildern, Chemikalien etc., Waren, die von den großen Silicon Valley Konzernen permanent transformiert und neu angeboten, um dann sofort auf den entsprechenden Medien-Märkten und Plattformen kommentiert zu werden. Man konsumiert dies alles sehr häufig am Smartphone, indem man unentwegt auf das Display schaut, browst, chattet, skippt, deleted, surft und liest und bleibt dabei immer eingetaucht in eine Passivität, die einem das Online-Leben aufbürdet, während man gleichzeitig doch irgendwie aktiv ist, also irgendwie total involviert ist, eine Verrücktheit höchsten Grades. Man lebt in den Geisterwelten hedonistischer digitaler Maschinen und promiskuitiver digitaler Kontakte. Entscheidend für den 24/7-Takt, der in seiner ultraschnellen Schmalspur-Eleganz zur Zerrüttung, Verflüssigung und Flexibilisierung der alltäglichen Tagesabläufe führt, ist nicht mehr die Akkumulation der Dinge durch die Subjekte, sondern der expandierende und paradox differenziell-gleichförmige Strom der Beschäftigung sowie des Konsums von meist digitalen Angeboten, der durch den zunehmenden Verlust von Pausen und Unterbrechungen durch eine schrille Kurzfristigkeit der Aktivitäten gekennzeichnet ist. Virilios rasender Stillstand. Die Metrik des 24/7 induziert eine Zeit ohne Zeit, eine Un-Zeit, die ohne jede Dramatik, ohne Ereignisse oder differenzierende Wiederholungen, die einem im Gedächtnis bleiben könnten, dahin schleicht, oder, wenn man in bestimmte Projekte und Jobs eingespannt ist, unter dem Zwang sich kaputt zu arbeiten dahin rast – jedenfalls handelt es sich um eine Art Zeitlosigkeit oder um die endlose Ausdehnung einer flachen, sich dehnenden und fürchterlichen Gegenwart.
Und jedes Produkt ist als ein potenzielles Wegwerfprodukt in den variablen 24/7 Zeit-Sog integriert. So werden die Touchscreens der Smartphone verschwinden und durch Gesten gesteuerten Rechnern Platz machen – als »Revolution« gefeiert werden diese Produkte, darauf kann man sich verlassen, ein möglichst schnell zu entsorgendes Teil der Nonstop-Innovation des Kapitals.2 Die digitalen Geräte erfordern nicht nur einen repetitiven Ersetzungsmodus, sondern sie erscheinen als Neuheiten genau dann attraktiv, wenn sie wie am Endlosband Wahlmöglichkeiten, das heißt einen Modus zur Erzeugung von Optionalität anbieten, der direkt aus der Finanzindustrie herauskopiert ist.
Pierre Klossowski hat in seinem Buch Die lebende Münze die industrielle Produktion als das Prinzip einer Produktion-bis-um-äußersten, die einen Konsum-bis-um-äußersten fordert, bezeichnet, nämlich die Produkte auf kurzfristigen Verschleiß hin in Serie zu produzieren, um folgerichtig den Konsumenten, der diese Kurzfristigkeit aufgreifen muss, daran zu gewöhnen, die Idee eines haltbaren Gegenstandes ganz zu verlieren.3 Die Zerstörung der Haltbarkeit durch die maschinelle Innovation, mittels derer nicht nur die Maschinen, sondern die Konsumprodukte immer schneller durch andere abgelöst werden, ist also schon Teil der industriellen und seriellen Massenproduktion. Diese verstärkt die Flüchtigkeit und den Verlust des Objekts und soll jeden Gedanken an die Haltbarkeit der Objekte eliminieren, womit diese in ihrer Waren-Endlichkeit zu Quasi-Objekten mutieren, das heißt, sie sind kalkulierbar und quantifizierbar und kurzfristig austauschbar geworden und sind damit als Objekte nichtig. Die Objekte mutieren zu Nicht-Dingen. Sie sind nichts, oder, anders gesagt, jedes Objekt ist nun potenziell Müll, ja das Objekt ist Müll. (Nur der Preis hält das Objekt noch am Leben).
Für Klossowski ist damit, so muss man einfach folgern, der Müll keine unvermeidliche Nebenwirkung der industriellen Produktion, sondern ihr Hauptzweck, insofern die fabrizierten Industriewaren dem Wachstumszwang des Kapitals unterliegen, was ihre schnelle Untauglichkeit und Unbrauchbarkeit, ihre umgehende Entsorgung unbedingt einfordert, sodass man eben zu dem Schluss kommen muss, dass der wirkliche Zweck der Waren nur darin bestehen kann, Müll zu sein. Wenn das Marketing heute jedes Produkt mit dem Attribut neu versieht, ja als brandneu oder als eine noch nie dagewesene Sensation propagiert, dann fällt im optimalen Fall der Augenblick des Erscheinens des Produkts mit seinem Verschwinden zusammen, zumindest ist das Produkt einem schnellen Zerfallsprozess ausgesetzt, weil es – in Serie hergestellt – nur die Vorstufe eines noch neueren Produkts sein kann. Das Produkt trägt damit per se den Makel oder den Mangel des Überholten und Defizitären bereits in sich, seine Halbwertszeit tendiert gegen Null. Und Müll ist demnach nicht nur das, was auf den Mülldeponien der Welt vergammelt, sondern das riesige Warenangebot in den Regalen der Supermärkte und in den Online-Shops von Amazon, Warenmüll ist das kommende Abjekt, das als solches gar nicht wahrgenommen wird. »Abfall ist das finstere, schändliche Geheimnis jeglicher Produktion. Es soll vorzugsweise ein Geheimnis bleiben.« (Zygmunt Bauman, 2005. 42)
Viele Länder buhlen um den Müll, vor allem Thailand, Vietnam und Malaysia. Denn was deutsche Konsumenten schlicht für Plastikmüll halten, ist längst zum global gehandelten Wirtschaftsgut geworden
Die Krise um den importierten Müll ist umso brisanter, als gerade die Länder Südostasiens kaum mit ihrem eigenen Abfall klar kommen. Jedes Jahr landen dort hunderttausende Tonnen Müll im Ozean, zusätzliche Abfallberge aus dem Ausland, die nicht richtig recycelt werden, dürften die Lage noch verschärfen. Heng Kiah Chung von Greenpeace Malaysia, der den Abfallskandal mit aufgedeckt hat, sagt, dass das globale Recycling-System nicht funktioniere und auch nicht dazu tauge, das Problem der Plastikverschmutzung zu lösen. 46,7 Prozent aller Kunststoffabfälle wurden 2017 laut Umweltbundesamt hierzulande recycelt, die Weltbank titelt: Rekord. Doch die Quote sagt wenig aus. Denn die Unternehmen müssen lediglich nachweisen, dass der Abfall ordnungsgemäß verwertet wurde, nicht aber wo. Sie selbst recyceln nur relativ reinen Plastikmüll, etwa aus dem gelben Sack. Probleme machen hingegen Kunststoffabfälle aus dem Gewerbe oder dem Haushaltsmüll. Die werden in riesigen Ballen ins Ausland verschifft – und dürfen trotzdem in die Quote mit eingerechnet werden. Um heute die Effekte, die Potenziale und die Gefahren der digitalen Angebote (Meme) nachzuvollziehen, muss man die gefährliche Macht der Quasi-Objekte verstehen, die einzig und allein da sind, um mit steigender Geschwindigkeit zu zirkulieren. Es geht hier um die rigorose Transsubstantiation des Seins in die Relation. Damit drohen selbst noch die alltäglichsten Gewohnheiten und die Nicht-Dinge ob ihrer Kurzfristigkeit dem schnellen Verfall ausgesetzt zu sein, obgleich wir weiterhin in den schlechtesten Gewohnheiten gefangen bleiben, beispielsweise ohne Zeit für Entscheidungsfindungen zu finden dem Allerneuesten hinter her zu hecheln. Selbst die Ökoprodukte entgehen dem Gesetz der Vermüllung nicht: Ist es nicht voreilig oder unvernünftig, die Sonnenenergieanlage auf mein Dach zu setzen, die heute die am weitesten entwickelte ist, wenn doch morgen die Entwicklung darüber hingegangen sein wird? Jede ergriffene Chance ist eine Niederlage, jede getroffene Entscheidung ist eine Entscheidung für Müll.1 In diesem sich beschleunigenden Kontinuum der Vermüllung durch die Zirkulation der Quasi-Objekte sollen die Phasen der Unterscheidungsfindung, der Unterbrechung und des Nachdenkens immer weiter reduziert werden, was einer zunehmenden Kontrolle und Vereinnahmung der gelebten Zeit entspricht. Horizontale Kommunikation und vertikale Kontrolle.
Fordert die Sharing Economy nicht zum umdenken? Mit der Sharing Economy gelingt es den Subalternen, aus einem Gästezimmer oder einem unbenutzten Raum in einer Wohnung eine Einkommensquelle zu machen, während gleichzeitig alle Formen der prekären Arbeit weiter zunehmen. Möglichst alles, selbst noch der recycelbare Müll, soll fortan als Einkommensquelle dienen, und dies bezieht sich gerade auch auf das, was von den Lebenden bisher noch gar nicht produziert worden ist. Und oft genug zeigt sich gerade darin der nekrophile Zug des Kapitals und seiner Kulturindustrie: Erst wenn eine Sache längst tot ist, kommt sie so richtig in Mode und wird dann als eine zukunftsweisende zeitgenössische Singularität verkauft, womit sich anzeigt, dass die Retro-Industrie gerade in einem Zeitalter, das angeblich auf die Vermarktung der Dinge mit Blick auf die Zukunft setzt, im kulturellen Bereich längst zum Standard geworden ist. Dabei wird auf der Suche nach dem Originellen und Einzigartigen der Unterschied zwischen Historischem und Zeitgenössischem permanent verwischt, sodass am Ende lediglich die Rekombination der Objekte, Zeichen und Stile übrig bleibt. Wenn in diesem Sinne jedes Produkt Retro ist, ist nichts mehr Retro und die Zeit wird weiß. Und selbst noch gewöhnliche Industrieprodukte wie Jeans werden mit schier nach Lebendigkeit ringenden Gebrauchsspuren, die beispielsweise das Heroische der Arbeit ausstellen sollen, und irgendwelchen sonstigen historischen Details aufpoliert, und noch der industriell hergestellte Kuchen schmeckt angeblich wie der Kuchen zu Omas Zeiten. Die Zirkulation der hybriden Waren läuft heute insofern immer wieder auf dasselbe hinaus, insofern die ihnen hinzugefügte Erzählung, die von ihrer Authentizität oder Singularität labert, gerade das verschleiert, was sie in Wahrheit meistens sind, nämlich seriell gefertigte Wegwerfprodukte, gerade einmal dazu da, nach dem Kauf sofort wieder auf Ebay weiterverkauft oder gleich in den Müll geworfen zu werden. Es kann sich dabei durchaus auch um einzeln hergestellte Objekte und Accesoires handeln, die, werden sie mit einem fiktiven Wert versehen und beispielsweise in der Wohnung gesammelt, den Hauch des Atmosphärischen schaffen, eine leichte Wolke, die vorbeizieht und wieder im Nichts verschwindet.
Das 24/7-Modell eines panisch gewordenen Konsums im Sog einer »Verschwendung« von Gütern, die aber hauptsächlich nur in ihrem Design ständig variiert werden, ohne dass es zur wirklichen Neuheit kommt, ein Modell, das zudem auch die individuelle Verausgabung rein zum Zwecke der Selbststeigerung (des Gleichen) setzt, ist die Karikatur einer Überschreitung und jener Verschwendung, die Bataille noch als ein allgemeines ökonomisches Modell gegen das (re)produktive Recycling-Kapital propagiert hat. Die Überraschung liegt nicht darin, dass die Ungewissheit, was als nächstes kommt, bei dieser Art der Güterproduktion präsent bleibt sondern, dass kaum einer erkennt, dass es sich letzten Endes um die aufdringliche Wiederholung des Gleichen mittels der minimalen Differenzierung handelt, sodass von Ausnahmen abgesehen, es immer wieder auch dieselben Unternehmen und Ketten sind, die einen großen Teil der Nachfrage auf sich ziehen. Der Verlust der Haltbarkeit führt heute dazu, dass in der Tendenz auch die symbolischen und kulturellen Distinktionsmerkmale, die die Luxuswaren von den Billigwaren unterscheiden, verfallen. Daran ändert auch die für das Kapital heute konstitutive Spekulation, wie wir das an verschiedenen Stellen schon vorgeführt haben, nichts, sie findet verstärkt auf den Kunstmärkten statt, aber auch dort nicht in erster Linie unter dem Gesichtspunkt der Kulturalisierung der Kunstobjekte, sondern ihrer eineindeutigen Monetarisierung, wobei auch die Sichtbarkeit auf der Strecke bleibt, wenn Milliardäre ihre gekauften Kunstobjekte dem Publikum gerade nicht zur Ansicht anbieten, sondern in schwer geschützten Bunkern die Ansicht verwehren.
Es sind die digitalen Geräte, die heute den Platz alsständige Begleiter des Menschen einnehmen, sie verlangen im Sinne des Überwachungskapitals geradezu begierig nach der permanenten Mensch-Maschinen-Kommunikation und sie sind deshalb wie das Smartphone am besten direkt am Körper anzubringen oder als digitale Brillen vor die Augen zu kleben. So fordern die Geräte unentwegt danach bedient zu werden, und deswegen müssen sie eine Vielzahl von Optionen und Bedienungsmöglichkeiten bereitstellen, die das andauernde Navigieren im digitalen Space erforderlich, ja attraktiv und zugleich im positiven Sinne nervenaufreibend und unruhig machen. Allerdings führt diese Art der unruhigen Optionalität nicht zur Freiheit des Konsumenten, sondern zu dessen ständigen Versuchen, die Anpassungen und Adaptionen an die funktionalen Erfordernisse und Bedienungsanleitungen der technischen Objekte, die eine Diversifizierung der Abläufe anbieten, mit Furor zu leisten, was die Konsumenten zudem noch aktiv mit ihren Comments im Internet befördern, ohne aber im Geringsten zu spüren, dass sie selbst eine Anwendung des 24/7-Taktes und seiner Kontrollsysteme bleiben. So gesehen verlangt der Gebrauchswert der digitalen Geräte die modulare und effiziente Bedienung, die Navigation ihrer Funktionen und Zustände, die ja permanent weiter moduliert werden – der Konsument ist damit selbst so etwas wie die lebendig gewordene Bedienung. Es werden aber nicht nur ständig alte Produkte durch neue ersetzt, sondern der Konsum der neuen Produkte fordert die andauernde Beschäftigung mit ihnen geradezu heraus. Im Konsum treten das Bedürfnis nach dem Produkt und die Affirmation seiner Ersetzbarkeit ständig miteinander in Konflikt, und doch gilt es, die digitalen Anreize schnell zu erkennen, um sich in die Kette beständig heißer vorgegebener Verheißungen einzuklinken, die zumindest eine verbesserte Funktionalität in der Anwendung des Produkts versprechen, auch wenn sich letztendlich für den Nutzer beim Gebrauch der Geräte kein Nutzen einzustellen vermag. Das verlangt einen Konsumenten, dem die durchaus variable Konformität wie ein nach Maß geschneideter Anzug passt, und der den Verhaltensvorhersagen von künstlichen Maschinen folgt, welche möglichst ein Verhalten des Konsumenten antizipieren, das zuverlässig zu den »gewünschten kommerziellen Ergebnissen führt« (Zuboff 235). Der Konsument ist damit definitiv die Ratte in der Skinner-Box, indem er einer Konsum-Konditionierung unterworfen wird, die nicht nur mit den Zyklen der technischen Produkte identisch sein, sondern vor allem Profite für das Überwachungskapital generieren soll. Dabei will man die Zeit der Entscheidungen der Konsumenten, wenn sie die digitalen Geräte bedienen, nicht nur verkürzen, sondern am besten gleich ganz automatisieren, sodass nicht einmal mehr gewusst werden muss, dass jede eingeführte Neuheit Teil der nackten Wiederholung des 24/7-Taktes selbst ist. Der Dauermodus des Als-ob, den beispielsweise das Smartphone bereitstellt, lässt die Verstandesfunktion mit ihrer regulativen Kapazität auf ein fatales Residuum implodieren und klebt sie als notwendiges Detail an die Daten-, die Bild- und Informationszirkulation der Geräte. Adorno hatte diesbezüglich schon eine böse Vorahnung: »Ausgegangen wird von der Gedächtnisschwäche der Konsumenten: keinem wird zugetraut, daß er sich an etwas erinnere, auf etwas anderes konzentriere, als was ihm im Augenblick geboten wird. Er wird auf die abstrakte Gegenwart reduziert. Je bornierter aber der Augenblick für sich selber einzustehen hat, um so weniger darf er mit Unglück geladen sein.« Nichts anderes bedeutet das Ende der Geschichte auf der Ebene des Subjekts.
Für die schamlos unzufriedenen und zugleich infantil-grotesk Genießenden erscheinen die digitalen Geräte inklusive ihrer Gadgets und Apps den Takt vorzugeben, handelt es sich doch um kurz-terminierte Wegwerfprodukte, die dem ständigen Austausch unterliegen, man denke an die heutige Hyper-Präsenz touchscreen-gesteuerter Geräte, die man aber wahrscheinlich bald durch Rechner, welche auf ein Winken, Blinzeln oder Räuspern reagieren, ersetzen wird, um den Nonstop-Betrieb des Konsums auf beschleunigte Weise fortzusetzen. Die Intelligenzmaschinen des Überwachungskapitals passen die unzähligen Apps (über 300 für Googles Android-Plattform) über das Wetter, Dating, Musik, Gesundheit etc. ständig an und infizieren sie zudem noch mit einer großen Anzahl von Trackern, um persönliche Daten zu extrahieren, algorithmisierte Profile zu erstellen und Geld mit zielgerichteter Werbung zu verdienen.
Nehmen sie einem genügend Informationsarbeit ab, sind die digitalen Geräte womöglich sogar ein freundlicher Begleiter, andererseits übernehmen sie gleichzeitig die Funktion einer unerbittlichen Kontrollinstanz, wenn sie beispielsweise alle möglichen Indikatoren des aktuellen Körperzustands eines Users messen, um dann beispielsweise Imperative für das sportliche Verhalten oder das Essverhalten des Users auszugeben. Vielmehr noch, sie sind eine Enteignungsinstanz, die, egal ob als Smartphone oder Laptop, in einen ungeschützten privaten Raum eindringt und Daten über menschliches Verhalten extrahiert, und das geschieht nicht nur im digitalen Space, sondern auch durch das Monitoring in der realen Welt, wenn man beispielsweise bei seinen Exkursionen in der Stadt entlang bestimmter Routen geführt wird, wobei Google leise und unbemerkt seine Rolle als Ratgeber in die eines sanften Kontrolleurs transformiert.1 Wenn der User zum Beispiel im Internet nach einem Stuhl sucht, so wird er, kaum dass er in ein Auto eingestiegen ist, sanft zum nächsten Möbelgeschäft dirigiert, er wird also mittels sogenannter Push-Technologien zu einem Ziel hingeführt, das er in kein Gerät eingegeben hat. Schon mit dem Download von Apps wird die Software autorisiert, sensible Daten zu erfassen und zu modifizieren, ja zum Teil auch zu löschen; man erfasst den Status des Smartphones, Standortdaten und WLAN-Verbindungen, aktiviert Kameras und loggt sich in die privaten Archive mit Fotos und Videos ein. Der Extraktionsimperativ von Google & Co verlangt geradezu danach, dass alles in Beschlag genommen wird, wobei das Überwachungskapital wiederum bestimmte Produkte und Dienstleistungen natürlich nur innerhalb der eigenen Versorgungsrouten und Infrastrukturen anbietet. Dazu muss man sich unbedingt die Daten über das Verhalten der Nutzer aneignen und Produkte generieren, die im 24/7 Modus vorschreiben, wie der Nutzer mit bestimmten Objekten, zum Beispiel mit seinem Auto zu interagieren hat.
Der postmoderne Konsument der Metropolen ist eine gestaltlose Gestalt, einerseits ein Aktivum, das mit geradezu unternehmerischem Gespür für konsumistische Ressourcen seine Freizeit bearbeitet, andererseits ein Passivum, ein statistisch kontrolliertes und auf Vorhersage hin konstruiertes Konglomerat aus Kennziffern, Ratings und Indikatoren, mit denen ständig die Verhaltensweisen, Leistungen bis hin zum Sex bewertet werden (Tauschwert). Singulär und anspruchsvoll, so posaunen die Propagandisten der neuen Mittelklasse, müsse es dabei zugehen, sei es im Flirt in der digitalen Partnerschaftsagentur, dem Verzehr des Menüs beim Sternekoch, den Übungen im Thai-Chi-Kurs, und das aus einer Szene-Galerie erworbene Gemälde ist natürlich der Outperformer wie das Gespräch mit Freunden beim Rotwein am Abend, und nicht zu vergessen der Sex, eine Singularitätsperformance sui generis.
So gesehen erscheint es ganz normal, dass Marketing-Agenturen ständig neue semiotische Vibrations für die Angehörigen der Mittelklasse erzeugen, um so etwas wie eine Ästhetik der Unsicherheit zu generieren, die beim Konsumenten einen Impuls des just do it hervorkitzeln soll, man denke hier auch an Extremsportarten, Risikogesellschaften, finanzielle Derivate, kreative Klassen, Pornostars, Spielkulturen.2 Dabei bietet das Internet, in dem der binäre Code in Klänge, Texte und Bilder transformiert wird, auch für die Unterklassen die Möglichkeit, den Konsum in den Modus des Dauererlebens zu überführen, eine eigenartige und durch das Smartphone zudem mobile und ständig mobilisierende Sucht, die sich an die Präsenz und Transformation der Angebote hängt; es ist die Zirkulation, die nun auf Dauer gestellt ist, Kreisläufe der Null-Zeit-Zirkulation, die für die Anbieter spiralförmig verläuft, nämlich als die Akkumulation von Kapital, während die Nachfrager über den Modus des Dauererlebens nicht hinauskommen. Es sind also insbesondere die Internetmärkte, welche den kurzfristigen Konsum und die kurzfristige Aufmerksamkeit befördern, beispielsweise den Konsum des für Sekunden attraktiven You Tube Clips, der heute auftaucht und morgen schon wieder im Nirwana der Archive verschwunden ist, wobei aber die Langfristigkeit der Attraktivitätszufuhr für die wenigen großen Konzernen gesichert bleibt oder eben einfach im Internet-Protokoll fundiert ist, das die Infrastruktur für die Zirkulation der kurzfristig attraktiven Güter bereitstellt. Der ständige Wechsel in den Produktlinien der großen Digitalkonzerne forciert die Kurzfristigkeit, während die Identifikation mit der Marke aber erhalten bleiben muss. Auf Dauer gestellt sind auch Identitätswaren, die man beispielsweise in den Fanshops der Fußballvereine kaufen kann, um sich mit ihnen dann in den öffentlichen Events in die Reihe der freiwillig Gleichgeschalteten einzureihen.
Letztendlich scheint es unmöglich geworden zu sein, dem Netzwerk-Paradigma, dem die virale, epidemische und produktive Verbreitung von Informationen eigen ist, zu entfliehen, selbst wenn man von der unermüdlichen digitalen Beschäftigung, die die Propaganda des Selbst und der Selbstreplikation erfordert, rein gar nichts zurückerhält. Weniger die Frage, ob die Bedürfnisse in der Anwendung von digitalen Geräten oder im Aufenthalt in den sozialen Netzwerken aufgehen, steht jetzt im Mittelpunkt, sondern es ist der 24/7-Modus der Geschwindigkeiten, der Metriken und der Beschleunigungen, der den Konsum und die Bedürfnisse endlos zirkulieren lässt – er punktiert, kontrolliert und quantifiziert zudem die Wahrnehmung, das Erleben und das Leben jedes Einzelnen. Am Abend begegnet man dann den Grenzen des Tages und allem, was nicht beendet wird, und man ermüdet genau dann, wenn man seine to-do Liste anschaut, die sich Tag für Tag wie ein dreckiger Virus reproduziert.
Und die erschöpfende Art und Weise der Kurzlebigkeit will der Konsument paradoxerweise am liebsten auf ewig leben – er oszilliert wie im Taumel dabei zwischen dem heißen Bedürfnis nach dem Konsum des Objekts und der Affirmation des unvermeidlichen schnellen Ersetzens desselben, und so muss er bis zur Erschöpfung den heißen Verheißungen der Werbeindustrie im Fluss des monoton und zugleich differenziell fließenden 24/7-Taktes nach hecheln, ohne dabei aber zu erkennen, dass die attraktiven Anreize und die verbesserten Funktionalitäten der Geräte gerade mit seiner Bestätigung, dass das Ich sich in der technischen Anwendung der Gadgets erfüllt, identisch sind. Dinge, die sich nicht über das Display des Laptops oder des Smartphones und seinen Icons und Links darstellen und optimieren lassen, verlieren heute unzweifelhaft an Attraktivität.
Darüber hinaus kitzelt der 24/7-Stunden-Betrieb die Sucht der Dividuen nach Wettbewerb, Egoismus, Opportunismus und Ignoranz gegenüber den anderen geradezu hervor, wobei diese Bedürfnisse immer enger an Plattformen, Modelle und Programme geknüpft und von diesen auch dirigiert werden, indem sie vorhandene Zeichen und Objekte permanent rekombinieren und generell in die Form des Remixes und des Mash-Ups (Rekontextualiserung) überführen – Kopien von Kopien, unaufhörlich verlinkt im Rausch von Pseudo-Moden, Hits und Stars. Folgerichtig sind die konsumierten Produkte heute in immer höherem Maß Geräte, die eine große Anzahl an Dienstleistungen, Unterhaltungen und Threads anbieten, wobei die Plattformen diese Geräte beispielsweise auf Daten fressenden Mobilitätsmärkten einsetzen, wie man an Uber sieht, das die städtischen Kommunen auffordert, Daten über den öffentlichen Nahverkehr mit dem Unternehmen zu teilen, sodass Uber seine Fahrzeuge zielgenau und in Echtzeit in Richtung überlasteter Straßen, Bahn- und Bushaltestellen lenken kann.
Wenn heutzutage die Leute in der Sauna, unter dem Solarium oder im Swinger-Center das Gefühl beschleicht, selbst diese digitalen Anwendungen könne sie nicht mehr reizen, und wenn sie im Zeitalter des Online-Datings infolge der Algorithmisierung der Partnerwahl (der nach wie vor klassenspezifischen Liebesbeziehungen) gerade mal für drei Monate glücklich werden – dann kann kein Sexual- oder Lebensratgeber und kein digitalisiertes Lifestyle-Konzept mehr helfen, aber die Leute könnten zumindest bei Proust oder Balzac nachlesen, was sie verpasst haben. Weil sie aber auch das nicht tun, hängen sie weiter am Tropf, der ihnen die Insistenz auf das Zeitgenössische, auf den punktgenauen Erlebnis- und Symbolwert der Produkte injiziert, womit trotz des wirren und hysterischen Bestehens auf der Einzigartigkeit der Ereignisse, Dienstleistungen oder Produkte, die man da am laufenden Band und zugleich möglichst kurzfristig konsumiert, die Gegenwart als ewig ausgedehnt erscheint oder sich dehnt wie ganz langsam zerlaufender Käse. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Kreativindustrien, in denen sich Teile der Mittelklassen versammeln – IT-Branche, Medien, Design, Marketing, Games, Wellness, Tourismus und Sport – machen rund um die Uhr Angebote, mit denen man die Selbstverwirklichungsansprüche eines speziellen Teils der Mittelklasse testet. Es sind im speziellen die Mitglieder einer globalen, virtuellen Klasse, die vernetzt, liquide und verbunden in den neuen technischen Labors und Büros leben, eine spezielle Klasse des digital-finanziellen Zentralnervensystems des Kapitals.
Video- und Glücksspiele, Internetpornos und alle Spielarten von Games verflüssigen und intensivieren den 24/7-Konsum, wobei die in ihn eingebauten Gewinn-, Macht- und Besitzillusionen für die meisten andauernd enttäuscht werden, sodass man gerade deshalb den Konsum der elektronischen Reize oft genug mit dem Konsum von Psychopharmaka weiter stimulieren oder wahlweise die von den Anreizsystemen des digitalen Marketings generierte Nervosität zumindest zeitweise ruhig stellen muss, wenn der zugerichtete und sich selbst zurichtende Konsument nicht ganz überschnappen will. Wolfgang Pohrt bezeichnet derlei Konsumenten als verbitterte Hedonisten: »Insofern der Spätkapitalismus den Typus des Infantilen, weil in kindlicher Abhängigkeit und Ohnmacht gehaltenen, zum dominierenden Sozialcharakter macht […] sind für den sofortigen Genuss übrigens nicht einmal die elementaren Voraussetzungen gegeben, weil man erst einen dezidierten Wunsch haben muß, um ihn sich erfüllen zu können. Ganz analog zu verzogenen, mäkligen Kindern, deren Unglück darin besteht, gleichzeitig Schlagsahne mit Pommes essen und spielen und dabei eigentlich nichts von alledem zu wollen, leiden die Erwachsenen heute in der Regel nicht unter unerfüllbarer Sehnsucht – ein Leiden, welches auch seine Vorzüge hat –, sondern sie leiden unter einer Art von wunschlosem Unglücklichsein, welches umschlägt in die unersättliche, weil niemals Erfüllung findende Gier, alles haben und gleich wieder wegschmeißen zu wollen. Während die Propagandisten eines Neuen Hedonismus ungebrochene Genußfreude zu erkennen meinen im Verhalten besonders des bundesdeutschen Mittelstands, den man auffassen könnte als riesige Selbsthilfegruppe, die ebenso verbissen wie vergeblich bemüht ist, sich Gutes zu tun, sei es durch Schöner Wohnen, Vornehmer Trinken oder Gesünder Essen, während die Propagandisten eines Neuen Hedonismus also in all diesen Aktivitäten Indikatoren für ungebrochene Genußfreude zu erkennen meinen, übersehen sie, daß die rastlose, zwanghafte, stressige und fast schon hauptberufliche Suche nach dem Genuß das Verhalten von Leuten ist, die ihn nirgends finden können, von Leuten auch, denen sich die unersättliche Gier und die ewige Frustration irgendwann in die Gesichtszüge gräbt und die daher nicht satt, zufrieden und glücklich wirken, sondern hart, neidisch, lauernd und verbittert.« Diese Entwicklung wird noch dadurch vorangetrieben, dass der imaginäre Wert der Freizeit weiter ansteigt, während man umgekehrt viele Freizeitaktivitäten einfach in Arbeit umdefiniert. Tiqqun schreiben: »Was MAN heute Arbeit nennt, bewertete MAN gestern als Freizeit – ›Videospiel-Tester‹ werden dafür bezahlt, den ganzen Tag lang zu spielen, ›Künstler‹ dafür, die Clowns der Öffentlichkeit zu sein; eine wachsende Masse von Unfähigen, die MAN Psychoanalytiker, Kartenleger, Coaches oder nur Psychologen nennt, werden fett dafür bezahlt sich das Lamento der anderen anzuhören …« Arbeit und Freizeit geben sich die Hände, egal ob die Initiative von der einen oder der anderen Seite ausgeht.
1 Google besitzt heute das größte Computernetz der Welt mit einer schier unendlich anpassungsfähigen digitalen Architektur ausgestattet mit 2,5 Millionen Servern auf vier Kontinenten (zuboff 220). Das Unternehmen Google ist in der Lage, die hauseigenen Algorithmen mittels eigener Chips in den eigenen Clouds lernen zu lassen, wobei die hauseigenen Maschinenintelligenzen aber nur so viel lernen können, wie eben Daten in die Maschinen eingespeist werden, mit denen diese dann trainiert werden. Dazu benötigt man, wenn man die materielle Infrastruktur der Datenzentren und Server nicht ins Uferlose ausbauen will, hochleistungsfähige Prozessoren wie Googles Tensor Processing Unit (TPU), den Ausbau neuraler Netzwerke und die Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz.
2 Es war Primo Levi, der in seinen Erinnerungen an Auschwitz schrieb, dass in den Konzentrationslagern die Insassen ihre Meinungen über die Zukunft ganz und gar willkürlich änderten, und zwischen blinder Zuversicht und äußerster Verzweiflung schwankend, „pendelten sie, ohne Gedächtnis und Folgerichtigkeit und je nach Gesprächspartner und Augenblick, zwischen diesen extremen Positionen hin und her“. Hier deutete sich schon jene »Momentanpersönlichkeit« an, die heute jeder vorgegebenen Situation mit zynischem Opportunismus und panischem Selbsterhaltungstrieb begegnet, und sei es, dass sie sich mit Psychopharmaka befeuern oder sich mit Büchern aus der Lebensratgeberindustrie zu müllen und einschläfern lässt, nur um voran zu kommen, wobei aber vergessen wird, dass das Voran nicht unbedingt ein Hinauf ist. Es ist ein mythologischer Glaube, der Sache nach nicht verschieden vom abendlichen Gebet, vom Tieropfer, das den Erfolg in der kommenden Schlacht sichern soll, oder vom Regentanz des Schamanen. Befolge das Ritual, und der von dir nicht kontrollierbare Erfolg in der Zirkulation wird auf dich herabrieseln. In dem Maße, wie man zwar immer mehr produzieren kann, immer mehr weiß, umso unsicherer wird der Erfolg, ob der Absatz gelingt. Das statistische Verhältnis zwischen der eigenen Anstrengung und dem Markterfolg wird immer ungünstiger. Und umso größer wird die Anziehung von Regelwerken.
Die kapitalistische Gesellschaft schafft den Irrglauben nicht ab, sondern schafft durch die Zwangslagen, in die sie die Individuen versetzt, eine beständig neue Nachfrage danach. Je schwieriger der eigene Absatz wird, desto größer die Anziehung von Ersatzreligionen. Schlussendlich drückt sich darin die Grenze der kapitalistischen Gesellschaft selbst aus: was heute möglich wäre, geht weit über das hinaus, was am immer enger werdenden kapitalistischen Markt absetzbar ist. Deine Freiheiten sind unendlich, aber ob es sich lohnt, wird immer unwahrscheinlicher.
Das Futur 2 scheint bei Marx die Zeit zu sein, die der dritten Bestimmung/Funktion des Geldes als sich verwertendes Geld komplementär ist. Im Prinzip funktioniert das Geld an dieser Stelle der Argumentation schon als (spekulatives) Geldkapital, was bezüglich der Zeit impliziert, dass die Gegenwart durch die Kalkulation ihrer Zukunft eine Bewertung an ihrer und durch ihre Zukunft findet, aber letztlich gerät doch alles anders, als man es im aktuellen Moment voraussehen kann – weil die Zukunft eben auch gerade darauf reagiert, wie man versucht, die Zukunft zu kalkulieren. Nicht die Gewordenheit der Gegenwart aufgrund ihrer Vergangenheit, sondern ihre Gewordenheit bezüglich der Zukunft rückt damit eindeutig in den Blickpunkt, Zukunft, der man wiederum selbst eine Gewordenheit zuschreibt, als sie durch gegenwärtige Erwartungen bestimmt wird. Das Futur 2 zeigt sich hier darin, dass das Geld in der Gegenwart durch das bewertet wird, was es in Zukunft wert gewesen sein soll. Da man aber im Voraus gerade nicht berechnen kann, was das Geld in Zukunft wert gewesen sein wird, kann das Geld nur rein spekulativ in seiner Bezogenheit auf sich selbst verrechnet werden, oder anders gesagt, das spekulative Rechnen mit dem Geld ist seine eigene permanente Verzeitlichung, die das Geldregime vergegenwärtigt und zugleich immer weiter nach vorne verschiebt, anders gesagt, gegenwärtige Zukünfte und künftige Gegenwarten sind nicht deckungsgleich, d. h., sobald eine künftige Gegenwart tatsächlich aktuell wird, aktualisiert sich auch der Unterschied zu jener Zukunft, die das Kapital erwartet (gegenwärtige Zukunft) und deren Aussichten es einstmals genutzt hat, und so kehren stets andere Zukünfte als die erwarteten in die Gegenwart zurück. (Vgl. Esposito, Die Zukunft der Futures, 2010: 177f.) Die zeitliche Zirkularität der finanziellen Ökonomie besteht nach Elena Esposito exakt darin, dass die Gegenwart von der Zukunft abhängig ist, die ihrerseits auf Gegenwart verwiesen ist, die sich nach ihr richtet. (Ebd.: 28) Damit haben wir es hinsichtlich der Zukunft zugleich mit einer Verlängerung der Gegenwart zu tun, in einem sehr verdrehten Sinne eben mit dem Futur 2 des »Es-wird-gewesen-sein«. Dies besagt auch, dass das Kapital sozusagen immer schon mit dem Rücken in die Zukunft geht – es setzt neben seiner eigenen unabweisbaren Unbestimmtheit und Unverfügbarkeit eben auch darauf, dass die Dinge hinterrücks immer schon (für das Kapital) gut gelaufen sein werden. Und diese Zukunftsbetrachtung gibt die Zukunft als eine geschlossene Zukunft wieder, gerade weil man die Zukunft ausschließlich von einem Erwartungshorizont heraus bestimmt, der das wirklich Neue eliminieren will, und nicht nur das, das Kapital ist seine Zukunft, es hat seine Zukunft je schon stipuliert und es hat sie ausdeterminiert, womit sich sofort anzeigt, dass diese ominöse Okkupation der Zukunft, die jeder anti-axiomatischen Überraschung und Virulenz bar ist, sich nur vom Futur 2 her schreiben lässt, obgleich selbst diese Zeit immer wieder überwunden werden soll – das Kontinuum des Kapitals hält also gerade daran fest, seiner Zukunft einerseits in vollkommener Neutralität entgegen zu stürzen, andererseits seine eigene Zukunft beständig auch überholen zu müssen, sein Trauma par excellence, das durch die Kapitalisierung, die im Rahmen ihrer Zukunftsforschung auf absolute Selbstgegenwart bzw. Aktualität setzt, eingeholt werden will und doch nicht eingeholt werden kann.
2 Agamben hat das Smartphone als ein Dispositiv, als eine techno-politische Apparatur beschreiben, die das menschliche Subjekt neu konfiguriert. Der entscheidende Hinweis auf die neueren Entwicklungen der Sichtbarkeit und Kontrolle liegt bei Foucault wiederum im Begriff des Beobachtungsnetzes: Die Sehreize werden heute vervielfältigt, nur um Informationen zur Verbesserung der Kontrolltechniken zu liefern. Das Sehen wird nun selbst zum Gegenstand der Beobachtung. Der Augenbewegungsscanner, der im Kaufhaus die Verhaltensweisen des Kunden beobachtet, war durchaus schon im Blick von Foucault. Die Gegenfiguren muss man heute bei denen suchen, die wieder Fragen der Darkness, der Unsichtbarkeit und des Nicht-Wahrnehmbaren aufwerfen.
3 Kunststoff hat mit seinen Eigenschaften – formbar, gut verarbeitbar, und leicht – den Trend zum Wegwerfkonsum forciert.. Und weil er so billig und leicht zu entsorgen war, setzte er sich schnell durch. Im Jahr 1963 sagte Lloyd Stouffer, Redakteur der Fachzeitschrift Modern Plastics, frohlockend auf einer Branchenkonferenz: »Man füllt die Mülltonnen, die Müllhalden und die Verbrennungsanlagen mit Milliarden von Kunststoffflaschen, Kunststoffbechern, Kunststoffschläuchen, Blistern und Schutzfolien, Plastiktüten und Blechverpackungen.« Die Müllhalde von Agbogbloshie wird höchstwahrscheinlich auch letzte Destination für die Tablets, Smartphones und Computer sein, die wir morgen kaufen! Der chinesischen Plastikmüll-Organisation CSPA zufolge haben im vergangenen Jahr mehr als 1000 chinesische Recycling-Unternehmen ihr Geschäft nach Südostasien verlagert und dort umgerechnet 1,5 Milliarden Euro investiert. Das Equipment, die Expertise und selbst die Lieferketten hätten die Firmen gleich mitgebracht.
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