What fallows is a short German summary of an Interview Stathis Kouvelakis has given on July 14th to Jacobin Magazin. See link at end of text.
16.7.15: Die letzten Monate, besonders aber die letzten Wochen, sind ein Lehrstück in Sachen gelenkter Demokratie à la EU. Die Wahl der Syriza zur Regierungspartei im Januar und zugespitzt die Abläufe seit der Ankündigung eines Referendums in Griechenland für den 5.7., zeigen Abläufe im politischen Europa, die normalerweise nicht in dieser Deutlichkeit sichtbar werden. Klar wird auf viel breiterer Ebene, dass die Europäische Union eine Politik der Technokraten darstellt, denen Regeltreue und Vertragserfüllung vor ökonomischen Sachverstand geht – der kontraproduktive Regeln und überholte Verträge annullieren müsste – und dass vor allem grundlegende demokratische Verfahren ausser Kraft gesetzt sind. Obwohl nun die Regierung Tsipras, nach der Abstimmung letzte Nacht im griechischen Parlament, in der erneut sogenannte Austeritätmassnahmen vorbereitet wurden, die alles Bisherige in den Schatten stellen und die damit allem diametral entgegen stehen, für was Syriza im Januar gewählt wurde und obwohl damit die Hoffnung auf eine andere Politik in Europa vorerst begraben werden muss, sind die Abläufe aber dazu geeignet, europäische Realpolitik in aller Deutlichkeit darzustellen. Was diese europäische Realpolitik bedeutet, hat Ex-Finanzminister Janis Varoufakis in einem Kommentar zum "Diktat von Brüssel" (1) in einem Satz zusammen gefasst. Dieses Diktat, diese 'Vereinbarung' des Euro-Gipfels vom 12.7. verwandele Griechenland, nach dem Vorbild Brüssels, in eine demokratiefreie Zone in Form einer technokratischen Regierung, die das Politische vergifte und makroökonomisch unqualifiziert sei. (vgl. The Euro-Summit ‘Agreement’ on Greece – annotated by Yanis Varoufakis)
In einem Kommentar zur Annahme des Diktates von Brüssel durch das griechische Parlament letzte Nacht zieht Stathis Kouvelakis folgendes Fazit:
In einer Hinsicht ist das jetzt schlimmer als all die bisherige drakonische Sparpolitik in einem Land, das nach fünf Jahren 'Schocktherapie' sowieso schon am Boden zerstört ist: Es ist die totale Zerstörung der Demokratie, der Souveränität des Volkes und die endlose Fortsetzung und Zuspitzung der schärfsten Form der Unterwerfung. (vgl. hier auf Facebook)
Statis Kouvelakis hat unter dem Titel Griechenland: der Kampf geht weiter, in einem Interview mit dem Magazin Jacobin am 14.7., die nähere und weitere Vergangenheit der jüngsten Entwicklungen Revue passieren lassen, aus der Sicht des linken Flügels der Syriza kommentiert und einige Schlüsse gezogen, die für die weiterer Entwicklung wichtig sind. Zwei Aspekte treten besonders hervor: Erstens geht es um die realpolitischen Dynamik. Kouvelakis konstatiert in dieser Hinsicht, die Linke sei reichlich versehen mit gutmeinenden Leuten, die aber im Feld der Realpolitik "total impotent" seien. (vgl. zu allem weiterem: Jacobin, Greece: The Struggle Continues; Übersetzungen M. St.) Zweitens geht es um die Dynamik der Mobilisierung in der Bevölkerung, also im eigentlichen politischen Feld, und wie diese Dynamik von der der Realpolitik erstickt wird. Zu diesem Aspekt birgt das Interview eine interessante Erkenntnis, die auch in anderen Situationen relevant werden könnte. Es geht um eine Rebellion gegen den propagandistischen Mainstream.
Sebastian Budgen, der Interviewer, stellt fest, dass das Referendum vor dem Hintergrund einer Liquiditätskrise, einer Schliessung der Banken, einer hysterischen Reaktion der Medien und anderer Kräfte stattgefunden habe, die auf ein "Ja" im Referendum drängten. Dann aber sei etwas geschehen, was eine Gegenreaktion von enormen Ausmaß der "gewöhnlichen Griechen" verursacht habe. Das heisst, gemessen an Verhältnissen die wir gewohnt sind, an Verhältnissen in denen unserer Quoten- und Qualitätsmedien unisono die Rolle des Vorbeters übernehmen, hätte das Referendum in Griechenland mit einem klaren "Ja" quittiert werden müssen – mit einer Unterwerfung unter jegliches Diktat von Brüssel. Dann aber geschah etwas, was den griechischen Souverän derart aufbrachte, dass er mit überraschender Mehrheit mit "Nein" stimmte – mit einem Nein gegen weitere und erneut weiter gehende sparpolitische Massnahmen. Was war hierfür der Auslöser? Kouvelakis dazu:
Die hysterische Reaktion der dominierenden Kräfte und die dramatische konkrete Situation, die durch die Schliessung der Banken, die Kappung von Auszahlungen usw. verursacht wurden, bewirkten in der breiten Masse der Bevölkerung die klare Einsicht, dass das Lager der Jasager das war, was man hassen musste. Die Tatsache, dass das Lager der Jasager all diese verhassten Politiker, diese so genannten Experten, diese Typen aus den Führungsetagen und all die Stars und Sternchen für seine Kampagne mobilisierte, half dabei, diese Reaktion einer ganzen Klasse zu entzünden.
Neben anderen Faktoren die Kouvelakis erwähnt, ist dieser Punkt in der Mediokratie von grosser Wichtigkeit. Die Empirie zeigt, dass die Simulation einer Wirklichkeit plötzlich das Gegenteil von dem auslösen kann, was eigentlich bezweckt ist. Statt Sedierung entsteht plötzlich eine aufputschende Wirkung gegen die, die allen Grund haben für Sedierung zu sorgen. Es kommt aber hinzu, dass in der Mediokratie die Fakten stets verfügbar sind – it is at your fingertips, stupid! D.h. der plötzlich auftretende Ekel vor den Talkshows, Talking Heads, ewig tagenden Alternativlosen und Tag und Nacht tickenden DauerWerbeSendungen der Realpolitik, könnte mit Wissen über das Verborgene unterfüttert werden.
Man könnte den ersten Teil, den plötzlich auftretenden Ekel, auch als aporetische Dissonanz beschreiben. Als eine affektiven Zustand. Als den Sound einstürzender Luftschlösser und einer mit diesem einhergehenden Verstörung, Verwirrung und einem Orientierungsverlust – der aber sofort mit Wut verbunden ist, da der Betrug klar wird , dass die bisherige angebliche Orientierung lediglich der Schöne Schein war, der sich nun als wertloser Wechsel entpuppt.
Allerdings bleibt es nach Kouvelakis' Analyse beim Auftreten der aporetischen Dissonanz und das aufflackernde Wissen um den Betrug kann nicht in das Feld getragen werden, in dem, nach althergebrachten demokratischen Verfahren, die Legislative dieses Wissen zu Konsequenzen nutzen könnte. Die realpolitische Dynamik ist es, die jeden Ansatz in dieser Richtung zu Nichte macht. Kouvelakis beschreibt in dem Interview wie das überaus gut ausgebildete Wissen im realpolitischen Vollzug gegen die Wand fährt. Er zitiert die Erfahrung, die Euclid Tsakalotos, der Nachfolger Varoufakis', in Brüssel machen musste.
[A]ls er [im April] nach Brüssel ging, war er sehr gut vorbereitet. Er hatte eine ganze Reihe Argumente vorbereitet und erwartete genauso gut vorbereitete Gegenargumente. Was aber geschah, war, dass er einfach mit Leuten konfrontiert war die in einem Fort Regeln und Verfahrensweisen rezitierten.
Varoufakis hat bekanntlich das Selbe berichtet:
Sie stellen ein Argument vor, an dem Sie wirklich analytisch gearbeitet haben – um sicher zu gehen, dass es logisch kohärent ist – und dann schauen Sie lediglich in leere Gesichter. Sie hätten genau so gut die schwedische Nationalhymne singen können – Sie hätten dieselbe Antwort bekommen. Und für jemanden, der akademische Debatten gewöhnt ist, ist das erschreckend. Da debattiert die andere Seite immer mit. Aber hier gab es gar keine Beteiligung. Man hat nicht einmal Genervtheit gespürt, es war so, als ob man einfach nichts gesagt hätte. (vgl. Neues Deutschland: Sie haben uns in die Falle gelockt)
Es sei damit klar, so Kouvelakis, dass Tsakalatos, Varoufakis und andere in die Auseinandersetzung in der EU wie in eine akademischen Diskussion gegangen wären. Das ist der Punkt, an dem er von der Impotenz der Linken im Feld der Realpolitik spricht: Das Wissen fährt gegen die Wand der Technokraten. Es nutzt nichts, dass das Wissen verfügbar ist. Für die Realpolitik ist es kein Argument. Das aber realisiere die Linke nicht, es gäbe in dieser Hinsicht einen elementaren Mangel an Realismus, der direkt mit dem grössten Problem der Linken verbunden sei – "unserer eigenen Impotenz".
Diese Impotenz scheint laut Kouvelakis zum Teil darin zu bestehen, dass sich zentrale Positionen der Syriza keine Alternative zu Europa vorstellen wollen oder können.
Für diese Leute besteht die Wahl nur in zwei Möglichkeiten: Entweder man ist "Europäer" und akzeptiert die bestehenden Verhältnisse, die in gewisser Weise objektiv einen Fortschritt im Vergleich zu älteren Formen des Staatswesens darstellen, oder man ist "anti-europäisch", was man mit einem reaktionären und regressiven Rückfall in Nationalismus gleichsetzt.
Es ist aber klar, dass keinerlei Wissen über die Verhältnisse wirksam werden kann, wenn man nur die Alternative zwischen einem Setting hat, in dem das Argument sozusagen überhaupt nicht ins Dispositiv gehört – in der EU-Kommission, Euro-Gruppe usw. –, oder aber einem vermeintlichen neuen tumben und per Definition nicht an Wissen interessierten Nationalismus, der einem bei einem Verlassen der Gemeinschaftswährung oder der EU selbst angeblich droht. Was also ist die Alternative? Hier wird das Gespräch merkwürdig dünn. Es folgt auf die Alternative zwischen Eurokratie und Nationalismus nur der Hinweis auf Nicos Poulantzas' Text von 1975 Klassen im Kapitalismus - heute, demzufolge die Europäische Gemeinschaft ein imperialistisches Beispiel für die Internationalisierung europäischen Kapitals innerhalb der Nachkriegsstruktur des US-Amerikanischen Hegemons sei...
Es gibt aber keine ausformulierte Antwort auf die Frage, wie eine Mobilisierung, tatsächlich auf breiter Basis in politisches Wissen überführt werden könnte, das eine neue Alternative zu den oben genanten schafft. Was zum Teil allerdings am Prozess selbst liegt, der in Gang gesetzt werden muss, um eben diese Wissen so zu aktualisieren, dass daraus Handlung entsteht. Der einzige Versuch, diesen Prozess weiter voran zu bringen, scheint der so genannte Grexit selbst zu sein. Die europa-orientierten Kräfte hätten allerdings Vorbereitungen dieses Austritts aus dem Euro verhindert, so Kouvelakis, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, diesen Schritt tatsächlich tun zu müssen. Demzufolge musste die Dynamik in der Folge der Ankündigung des Referendums auch hier verpuffen. Lediglich eine Gruppe der Linken Plattform hat Schritte in diese Richtung vor dem Referendum ausgearbeitet, wurde aber abgeblockt. Trotzdem scheint für die Linke Plattform der Grexit derzeit die einzige Möglichkeit zu sein, einen Bewegung in Gang zu setzen, die aus der von der EU aufoktroyierten AusteritätsStrangulation hinausführen könnte.
Dies bleibt aber relativ vage. Es ergibt sich das Bild von Ratlosigkeit. Es bleibt der Rückblick auf entscheidende Momente und eine verlorene Dynamik. Die einzige Aktion die in Aussicht steht, ist die Einberufung eines Parteitages und der Versuch der Linken Plattform, auf diesem Parteitag Syriza für sich zurückzugewinnen. Wobei aber die Linke Plattform nur einen kleinen Teil der Syriza ausmacht und Koalitionen mit der KKE und Antarsya ausgeschlossen scheinen. Es sieht damit ganz so aus, als hätte die Alternativlosigkeit einmal mehr gesiegt.
Einziger unsicherer Punkt bleibt derzeit Meister Schäuble. Er selbst betreibt jetzt – nach dem letzte Nacht das griechische Parlament das Diktat von Brüssel angenommen hat – immer noch den Grexit und er könnte somit selber zum Katalysator einer erneuten Mobilisierung werden. Der IWF selbst fordert nun einen Schuldenschnitt für Griechenland, der aber für Schäuble nur ausserhalb des Euro möglich ist. Da jedoch ein Grexit ohne entsprechende Vorbereitung zu noch mehr Verwerfungen in Griechenland führen würde, kann man einen von Deutschland forcierten Grexit nur als Versuch sehen, Griechenland aktiv zu destabilisieren. Ob das eine Mobilisierung für eine radikale Linke allein wird, muss sich zeigen. Genauso gut könnte das nach Rechts losgehen. Diese Gefahr ist real. Aber das ist für den Meister aus Deutschland womöglich nicht wirklich problematisch. Vielleicht steckt sogar der Gedanke dahinter, dass eine Destabilisierung nach Rechts nützlich sein könnte um linkes Wissen noch stärker zu isolieren und um die Nazis später wieder einzuhegen.
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(1) Aufmacher Handelsblatt, 14.7. – In der Druckausgabe hiess es "Diktat von Brüssel", online heisst es nun "Diktat aus Brüssel". Dieser kleine Unterschied ist nicht ganz unwichtig, denn das Diktat von Brüssel erinnert unmittelbar an das Diktat von Versailles. Vom Diktat von Versailles zu sprechen, war ein wichtiges Propagandamittel der Nationalsozialisten. Man kann mit Recht vermuten, dass man diesen Anklang in der deutschen Wirtschaftspresse vermeiden möchte. Nichts desto Trotz ist dieser freud'sche Lapsus vielsagend, da er ein unterschwelliges Bewusstsein der Probleme, die die Brüsseler Finanzpolitik unter der Aufsicht von Meister Schäuble mit sich bringen, offenbart. Im "Diktat von Brüssel" tritt das Verdrängte in neuer Maske wieder zu Tage. In dem Moment aber in dem die unbequeme Wahrheit – über die zu erwartenden weiteren Verwerfungen – ins Bewusstsein treten, wird die entsprechende Aussage sofort korrigiert. Der Lapsus des Handelsblattes offenbart damit nichts weniger, als dass es in der deutsche Finanzpresse sehr wohl ein Bewusstsein davon gibt, dass die Brüsseler Finanz- bzw. Europolitik einer neuen Rechtsextremen förderlich sein könnte, dass man aber gleichwohl so tut, als habe mit diesem Problem nichts zu tun.
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