![]()
Mit Geld kann man potenziell alle Objekte, Produkte und Relationen einer Ökonomie als Waren, als käufliche Objekte handeln, während umgekehrt Waren ausschließlich produziert werden, um sie in Geld zu verwandeln. Allein schon wegen dieser allgegenwärtigen Funktion des Geldes und insbesondere wegen des monetären Gewinns als Handlungsziel der Unternehmen erscheint es wenig sinnvoll, die Ökonomie einerseits in eine »reale« Sphäre und andererseits in eine nominal-symbolische/ monetäre/ finanzielle Sphäre zu unterteilen. Wenn man die ökonomische Realität als ein codiertes, instabiles Konsistenzmilieu oder als ein krisenhaft-konsistentes System begreift, dann muss man eher von einer finanzialisierten, monetären Realitätsökonomie sprechen. Man tappt ganz schnell in die Falle der Ontologie, in der sich die Wirtschaftswissenschaften größtenteils auch befinden, wenn das Wort »real« (oder Realität) im Sinne einer angeblich alles fundierenden Realökonomie gebraucht wird, etwa in der neoklassischen Variante, in der von einer durch den subjektiven Nutzen generierten »Realökonomie« im Gegensatz zur luftigen Finanzökonomie gesprochen wird, von realen im Gegensatz zu finanziellen Assets, von realen im Gegensatz zu nominellen Preisen. (Vgl. Bichler/Nitzan 2015) »Ziehe alles ab, was als Preis erscheint, dann findest du den realen Preis, der nur noch an die Inflation angepasst werden muss«, so in etwa lautet die Devise.
Wenn heute neoklassische Ökonomen und Arbeitswertmarxisten im Gleichklang behaupten, dass es ein Ungleichgewicht zwischen finanziellem und realem Kapital gebe, dann folgen beide Schulen im wesentlichen drei Aussagen: Erstens, dass es sich hier um zwei verschiedene Entitäten handelt, zweitens, dass diese Entitäten einander korrespondieren sollten, und drittens, dass sie dies in der aktuellen Welt nicht tun. Die »Realökonomie« beinhaltet für die neoklassische Ökonomie den Bereich der ökonomischen Knappheit, der mit unbegrenzten Bedürfnissen im Widerspruch steht, und Felder, in denen Angebot und Nachfrage limitierte Ressourcen hinsichtlich unlimitierter Bedürfnisse allokieren. (Ebd.) Unter diesen Bedingungen finden Produktion und Konsumtion statt, vermischen sich die Faktoren der Produktion mit denen der Technologie, investieren Kapitalisten und erzielen Profite und arbeiten die Arbeiter für Löhne, treffen Konflikte auf Kooperationen und die anonymen Kräfte des Marktes auf die Smithsche unsichtbare Hand, findet Ausbeutung statt und Kapital wird akkumuliert. Die »nominale Ökonomie« reflektiert hingegen lediglich die »Realökonomie«. Entgegen der »realen Ökonomie« mit ihren produktiven Anstrengungen, konkreten Produkten und nützlichen Dienstleistungen ist die nominale Sphäre rein symbolisch angelegt. Ihre verschiedenen Entitäten – Fiatgeld und Preise, Kredit und Schulden, Equities und Sicherheiten - werden in Euros und Cents oder anderen Währungen denominiert, in Münzen und Noten gezählt, heute meistens in elektronischen Bits und Bytes verrechnet. Das »Nominale« gilt als ein paralleles Universum, als eine Welt der Spiegel und der Echos, als ein bloßes Bild der realen Dinge.
Diese real-nominale Dualität schneidet durch die gesamte Ökonomie inklusive die des Kapitals. Für neoklassische Ökonomen besitzt natürlich auch das Kapital sui generis zwei Bereiche: reales Kapital (allgemeiner Reichtum) und finanzielles Kapital (Kapitalisierung). Reales Kapital wird aus Kapitalgütern oder Produktionsfaktoren gewonnen, inklusive der Fabriken und ihrem Equipment, aus Infrastrukturen, der Arbeit und dem Wissen. Finanzielles Kapital (oder Kapitalisierung) repräsentiert die symbolischen Forderungen auf das reale Kapital. Finanzielle Quantitäten, die ihren Ausdruck in der grundlegenden Formel der Kapitalisierung finden, stehen für die gegenwärtige Berechnung und Kalkulation des Werts von zu erwartenden Einkommen, die allerdings von den zugrunde liegenden Kapitalgütern in Zukunft erst noch produziert werden müssen. Sowohl die neoklassischen Ökonomen als auch die Arbeitswertmarxisten akzeptieren exakt diese Bifurkation der Ökonomie in real und nominal. Sie akzeptieren also auch, dass es zwei Typen Kapital gibt, reales und finanzielles Kapital. Und glauben, dass es heute ein Ungleichgewicht zwischen beiden Bereichen zu vermelden gebe.
Selbst in der Buchhaltung besteht Äquivalenz zwischen dem realen Kapital, das auf der Aktivseite der Bilanzen verbucht wird, und dem finanziellen Kapital, das man auf der Passivseite der Verbindlichkeiten anschreibt. Die Maschinen und Strukturen, die Innovationen und das Wissen, Faktoren, die als Aggregatgrößen zusammengefasst werden, sind der Summe des Eigen- und Fremdkapitals äquivalent. Nomos und Physis werden identisch gesetzt, das Nominale spiegelt lediglich das Reale. Entscheidend bleibt, dass als richtige »Benchmark« immer der Wert des realen oder aktuellen Kapitals gilt. Dies ist das Maß, sozusagen die unterliegende Qualität, mit der die Größe des finanziellen Kapitals übereinstimmt oder nicht. Aber das »reale Kapital« lässt sich, wegen der Unmöglichkeit brauchbare Aggregationen vornehmen zu können, auch durch Preise und Geld nicht exakt messen. Obgleich das »Realkapital« als produktive ökonomische Entität in der Theorie als Preis fiktionalisiert wird, besteht das reale Kapital nämlich weiterhin aus völlig differenten Objekten: Traktoren sind von Lastwagen zu unterscheiden, Schiffe sind keine Flugzeuge, Automobilfirmen keine Ölfirmen, Fabrike nicht gleich Wissen. Die Heterogenität der Faktoren erklärt, warum die heterodoxen Ökonomen der Cambridge Schule behaupten, dass es keine natürliche ökonomische Einheit gebe. Man kann sagen, dass es zumindest keine simple Möglichkeit gibt, diese Komponenten zu addieren und dies macht es schwierig, zu entscheiden, wie groß oder wie klein das »reale Kapital« wirklich ist.
Ökonomen müssen daher grundlegende Quantitäten und schließlich Preisformen erfinden. Für die neoklassischen Ökonomen ist diese Quantität der Nutzen, ein Maß, das den hedonistischen Genuss, der durch die Waren generiert wird, misst. Wie jede Ware hat auch jedes Kapitalgut seine eigene nutzengenerierende Kapazität, und wenn wir die individuellen nutzengenerierenden Kapazitäten der verschiedenen Kapitalgüter addieren, dann erhalten wir eben das aggregierte Maß des »realen Kapitals«.(Ebd.)
Ricardo begreift hingegen die Arbeit als die grundlegende »physikalische« Einheit, mit der man etwa die Höhe der Beschäftigung und die Variationen des Outputs - sogar unabhängig von der Einkommensverteilung und dem ökonomischen Wachstum - messen kann. Avanciertere Arbeitswertmarxisten benutzen den Begriff der gesellschaftlich notwendigen, abstrakten Arbeitszeit. Hier können Wertgrößen auf der Ebene des Einzelkapitals wie auch des Gesamtkapitals qua sozial notwendiger abstrakter Arbeitszeit, die in komplexen Ausgleichsbewegungen an den Märkten hergestellt und realisiert wird, gemessen werden (das Geld steht als äußeres Maß für das immanente Maß »abstrakte Arbeit«). Aber weder hat ein neoklassischer Ökonomen je eine Einheit Nutzen beobachtet oder gemessen, noch hat ein Arbeitswertmarxist eine Einheit abstrakter Arbeit identifiziert und gemessen. Diese »realen Quantitäten« sind in der Tat als rein fiktiv einzuschätzen.
Ohne sich jemals verselbständigt zu haben, dominiert das finanzielle Kapital heute das industrielle oder »reale Kapital«. Das finanzielle Kapital oder das, was man gemeinhin Finance nennt, ist keineswegs als hypertrophisch, dysfunktional oder imaginär gegenüber dem »Realkapital« einzustufen; vielmehr ist letzteres, wenn man sich überhaupt auf eine solche Zuschreibung noch einlassen will, eng an jenes finanzielle Kapital angekoppelt. (Die an den Finanzmärkten zirkulierenden Derivate sind Formen des Geldkapitals, strukturelle Instrumente und zugleich ideologische Repräsentationen der Relationen des Kapitals und seiner Macht.) Das finanzielle Kapital besitzt hier die duale Funktion, die verschiedenen ökonomischen Agencies effektiv durch spezifische Machttechnologien zu organisieren und zur gleichen Zeit eine neue Form des spekulativen Geldkapitals zu promoten.
Gegen die offensichtlichen Ergebnisse (und Leseweisen) seiner eigenen Berechnungen (und Statistiken) besteht Stephan Krüger im Zuge seiner klassisch-produktivistischen Marx-Interpretation weiterhin auf den angeblich determinierenden Wertstrukturen des produktiven/industriellen Kapitals in Deutschland, während seine Statistiken zur Akkumulation in der BRD, zumindest für den Zeitraum ab Mitte der 1970er Jahre, hinsichtlich der Verwendung der Profite höhere Dispositionen für Zinsen als für neue Investitionen in fixes Kapital ausweisen. Eine die Akkumulationsquote übersteigende Zinsquote muss aber nicht unbedingt Ausdruck der Fehlallokation von Kapital (in Bezug auf das Gesamtkapital) zugunsten unproduktiver Anlagen sein, wie Krüger schreibt (vgl. Krüger 2015: 67), sondern zeigt umgekehrt gerade die veränderten Verwertungsbedingungen des Kapitals unter der Dominanz des finanziellen Kapitals an. Und wenn nun der seit den 1990er Jahren stark gesunkene Zinssatz nicht zu erhöhten Investitionen führt (Unternehmen gleichen hinsichtlich ihrer Investitionstätigkeit ständig Profit- und Zinsraten ab), dann lässt sich dies eben nicht nur auf die mangelnde effektive Nachfrage (nach Kapital- und Konsumgütern) zurückführen, sondern weist darauf hin, dass das Geldkapital aufgrund bestimmter ökonomischer Dispositionen, die die Überakkumulation insbesondere von Geldkapital, fehlende Entwertungsprozesse, Produktivitätsdynamiken, die Existenz eines finanziellen Keynesianismus, die Vorherrschaft des Dollars an den Weltmärkten etc. betreffen, zunehmend stärker in die globale Derivatindustrie geflossen ist. Auch der Hinweis von Krüger auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis an den deutschen Aktienmärkten bestätigt die Dominanz des finanziellen Kapitals. Nur bei der New Economy Blase im Jahr 2001 kam es mit dem Anstieg der Aktienkurse nicht zu einem korrelierenden Anstieg der Profite der industriellen Unternehmen, während die nachfolgenden Kursanstiege und -spitzen laut Krüger die »tätsächliche(n) Gewinnbewegungen der Aktiengesellschaften abbilden und das Kurs-Gewinn-Verhältis bei rd. Zehn bleibt«. (Ebd.: 72) Krüger schränkt allerdings auch diesen Erkenntniseffekt wieder ein, wenn er darauf verweist, dass der Aktienkurs sich ja nicht auf realisierte, sondern auf zu erwartende Gewinne beziehe bzw. diese in der Gegenwart schon kapitalisiere, und deshalb die Kennzahl mit Vorsicht zu genießen sei. Aber genau dieser Bezug des Geldkapitals auf die Zukunft drückt doch das Wesentliche der Kapitalisierung aus! Sie bezieht sich mit der Berechnung bzw. Diskontierung des gegenwärtigen Werts einer ökonomischen Einheit sui generis auf zukünftige, zu erwartende Gewinne (in Relation zum aktuellen langfristigen Zinssatz), wobei zukünftige Gewinne bestenfalls schon in der Gegenwart realisiert werden sollen (Overtrading).
Der »Momentum Effekt« besteht hier darin, dass in die Erwartungen natürlich die statistischen Bewertungen vergangener Renditen sowie anderer ökonomischer Größen eingehen, was sich allerdings gegenüber der auf Zukunft ausgelegten Profitproduktion als sekundärer Effekt anzeigt. Indem das finanzielle Kapital primär die Zukunft bewirtschaftet, diszipliniert es zugleich die Gegenwart, oder, um es anders zu sagen, die Finanzmärkte repräsentieren die Zukunft als Risiko und fundieren in der Jetzt-Zeit die Verwertung des Kapitals auf diese Repräsentation hin. Dabei gilt es stets zu berücksichtigen, dass der »Wert« einer finanziellen Anlage bzw. eines Assets (Wert des Geldkapitals) dem kapitalistischen Produktionsprozess nicht nachgeordnet ist, sondern ihm logisch vorausgeht, i. e. er existiert nicht, weil entweder Mehrwert produziert oder eine andere Art des Einkommens oder Vermögens an den Märkten realisiert wurde, sondern weil das finanzielle Kapital bis zu einem gewissen Maße zuversichtlich ist, dass die Realisierung von Renditen im Rahmen der Produktion/Zirkulation von Kapital in der Zukunft stattfinden und sich nach den Maßstäben der erweiterten Reproduktion auch wiederholen wird. (Vgl. Sotiropoulos/Milios/Lapatsioras 2013 a: 155ff.)
Schauen wir uns nun einige mehr oder weniger bekannte Zahlen zur Größenordnung der Derivate an. Sie klingen zunächst durchaus beeindruckend: So betrug der totale Nominalwert der Derivate am Ende des Jahres 2012 694,4 Billionen Dollar, während der Wert des globalen BIP sich auf 71,1 Billionen Dollar belief. Dabei entfiel auf die »off-exchange derivate markets« eine Summe von 642,1 Billionen Dollar. (Bank of International Statements 2013) Hier sind sofort einige Einschränkungen in der Beurteilung und Bedeutung der statistischen Größen vorzunehmen, denn die ausgewiesenen Geldsummen repräsentieren den nominalen Handel von Derivaten an den entsprechenden Märkten, aber eben nicht das, was hätte veranschlagt werden müssen, wenn jeder Marktteilnehmer bei jedem Deal ausbezahlt worden wäre. So wurde im Jahr 2012 der auf letzterem Phänomen basierende »gross market value« an den Derivatmärkten auf 24,7 Billionen Dollar geschätzt; er liegt damit ungefähr auf der Höhe des addierten BIP der beiden großen Volkswirtschaften USA und China. Zudem heben sich die Derivatverträge qua Hedging gegenseitig auf, sodass das Nettokreditvolumen der OCT-Derivate auf 3,6 Billionen Dollar am Ende des Jahres 2012 geschätzt wurde, eine Summe, die in etwa dem BIP Deutschlands vergleichbar ist. (Ebd.) Es ist jedoch in nominalen Größen weiterhin davon auszugehen, dass auf eine Milliarde »Realkredite« CDS-Versicherungen im Umfang von circa sechs Milliarden laufen. Allerdings ist die absolute Größenordnung auch gar nicht das allein Entscheidende, um die Strukturen der Interpenetration zwischen den verschiedenen Bereichen nationaler und internationaler Wirtschaften zu untersuchen, vielmehr spielen hier eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle, die alle zeigen, dass das finanzielle Kapital gegenwärtig alle anderen wirtschaftlichen Sektoren nicht nur durchdringt, sondern in der letzten Instanz auch determiniert.
Faktoren wie Profitabilität, Größe, Globalisierung, Homogenisierung und Vernetzungsgrad sind entscheidend, um die Hegemonie oder Determination des finanziellen Kapitals genauer bestimmen zu können. Natürlich fallen unter diese Faktoren auch möglichst hohe Renditen, die staatliche Absicherung der Gewinne der Banken im Fall von Krisen (Bankenrettung), die starken Handlungspotenziale des finanziellen Kapitals im Kontext des nationalen und internationalen Wettbewerbs, die Bichler/Nitzan in der Essenz als die Potenz der Unternehmen, andere Unternehmen zu schlagen, definiert haben (Bichler/Nitzan 2009), die Stärke der Kapital-Macht, die Existenz von weitgehend unkontrollierten Schattenbanksystemen und die hohe Netzwerkintensität des finanziellen Kapitals. Immer noch gibt es ja in der Finanzindustrie die Dominanz des Shareholder-Value, überdurchschnittliche Kapitalrenditen, Boni und extrem hohe Gehälter für das Management, sowie andererseits die Sozialisierung der Verluste und die zunehmende Einbindung der Lohnabhängigen in die Finanzmärkte zu vermelden. Während die Zentralisation des privaten Geldkapitals nach der Finanzkrise von 2008 weiterhin zugenommen hat, blieb zugleich das Schattenbanksystem unangetastet. Der Anteil der Profite der Finanzdienstleister an den Gesamtprofiten stieg in den USA von 15% im Jahr 1970 auf 40% im Jahr 2005.6 (Vgl. Bischoff 2014: 54) Die rhizomatisch vernetzten Räume des finanziellen Kapitals, dessen Konglomerate sich aus Großbanken, Investmentbanken, Hedgefonds, Ratingagenturen und privaten Großspekulanten zusammensetzen, eröffnen heute permanent strategische Felder für weltumspannende Interventionen und dies teilweise unabhängig vom Ort, an dem sich die intervenierende Agency des finanziellen Kapitals gerade befindet. Und selbst multinationale Unternehmen (allersektoren), die große Finanzabteilungen unterhalten, sind als Formen des finaziellen Kapitals zu verstehen, wobei die Divergenz zwischen deren Buch- und Börsenwerten zu beachten ist.
Es ist der Aspekt der Konnektivität bzw. des Vernetzungsgrades des finanziellen Kapitals anzusprechen. Laut einer Studie, die von Wissenschaftlern der ETH Zürich durchgeführt wurde, hat die Liberalisierung der Finanzmärkte ab den 1970er Jahren zu einer exzessiven Expansion bestimmter Großbanken geführt, die qua ihrer internationalen Transaktionen wichtige Knotenpunkte darstellen, und dies nicht nur bezüglich der Skalierung ihrer Transaktionen und Obligationen, sondern auch bezüglich der Links, die sie im gesamten Kontext des internationalen finanziellen Systems unterhalten. So kontrollieren nach dieser Studie heute 147 Konzerne (75% dieser transnationalen Konzerne sind Finanzinstitutionen) 40% des weltweiten monetären Umsatzes über »ein kompliziertes Netz an Eigentümerverhältnissen«, wobei sie die Mehrheit der Anteile untereinander halten. (Vgl. Rötzer 2012) Wir haben dazu in Kapitalisierung Bd. 2 (Szepanski 2014b: 219f.) ausführlich Stellung genommen. Diese netzwerkartigen Gefüge aus Mutterkonzernen, Tochtergesellschaften, Aktienbeteiligungen und Beteiligungen an Beteiligungen zeigen ungefähr an, was Bichler/Nitzan als dominante Kapital-Macht bezeichnen, bei der es eben nicht nur auf die Größe und Profitabilität der Unternehmen, sondern auch auf die Relationen und die Verlinkung zwischen den Unternehmen ankommt, den Grad ihrer Vernetzung. Die Praktiken der Vernetzung dienen der Steigerung der Kapital- und Portfoliowerte sowie der Erhöhung der Aufmerksamkeit von Investoren, die ein Unternehmen unter Berücksichtigung spezifischer Ratings und Rankings für besonders kreditwürdig halten sollen. Die Unternehmen realisieren genau das, was Alexander Galloway als »praktizierten Netzwerkfundamentalismus« bezeichnet hat, und in diesem Kontext bestehen die Antworten auf fehlerhafte und krisenhafte Netzwerkstrukturen in der Realisierung des Imperativs, nämlich noch mehr Netzwerke aufzubauen und zu etablieren, wobei die heterogenen Verbundeffekte der Integrationen und Fusionen innerhalb der Netzwerke sich meistens als Machtzuwachs von bestimmten Konzernen ausweisen, sich in Krisen aber auch explosiv Luft machen können. (Vgl. Galloway 2015) Eigenartig korrespondiert die Quasi-Tautologie der Geldzirkulation (G-G`) mit der Tautologie eines Präsentismus, der heute alles zum Netzwerk erklärt, weil eben von vornherein alles als Netzwerk definiert wird.
In solchen Verbundnetzen imitieren Banken die Strategien anderer Banken. So kann das Fehlverhalten einer Bank durchaus positiv mit dem Fehlverhalten anderer Banken korrelieren. Andererseits kann das Fehlverhalten einer Bank aber auch abschreckende Effekte auf die Strategien anderer Banken haben – diese versuchen dann durch das Zurückhalten von Krediten kurzfristig Cash zu horten. Aber gerade für nicht-finanzielle Unternehmen dürfte es schwierig sein, solche Strategien der Banken und anderer finanzieller Institutionen so ohne weiteres zu kopieren. Denn Faktoren wie Private Equity, P2P Lending, Crowdfunding und ähnliche Operationen stellen eben keinen ausreichenden Ersatz für nicht gewährte Bankkredite dar. Zudem besitzt die Insolvenz einer Bank nicht dieselbe Qualität wie etwa die einer Einzelhandelskette wie Woolworth. Gerade wegen der hohen Konnektivität führt die Insolvenz einer großen Bank zu massiven makroökonomischen und mikroökonomischen Effekten. Das Fehlverhalten eines Hubs/Knotenpunktes in einem Netzwerk wiegt eben schwerer als der Bruch einer Sprosse auf einer Leiter. Der eminente Vernetzungsgrad verlangt unter Umständen den Aufbau transnationaler Organisationen und neuer legislativer und regulatorischer Bedingungen für die moderne Finance.
Man sollte nicht zuletzt davon ausgehen, dass die rhizomatisch vernetzten, synthetischen finanziellen Assets eine weitaus höhere Wirkungsmächtigkeit gegenüber den klassischen Finanzinstrumenten (Kredit) sowie den klassischen Waren besitzen, weil hier die Wirkungskraft sich vor allem als eine abhängige Variable der Relationen, der graduellen Verbindungen zwischen den ökonomischen Objekten und ihrer Dichte erweist. Dahinter steckt ein geniun leibnizianischer Gedanke. Für Leibniz ergab sich die Optimierung von Objekten aus einem bestimmten kombinatorischen Spiel zwischen ihnen, das a) die größte Anzahl an Möglichkeiten realisiert und b) unter vergleichbaren Komponenten die höchste Dichte der Relationen und die höchste Bindungskraft verwirklicht. (Vgl. Vogl 2015: 44)
In vielerlei Hinsicht stellt heute also die Finance, und dies immer unter der Berücksichtigung der entscheidenden Rolle des Geldkapitals im Rahmen einer monetären Werttheorie, die konstitutive und operationale Determinante jeder aktuellen Reorganisation der Kapital-Macht dar. Suhail Malik spricht hinsichtlich der »Finanzialität der Kapitalisierung« sogar von einem Apriori, und dies bezieht sich nicht nur auf die differanziellen Preisbewegungen an den Derivatmärkten selbst, an denen permanent Preise als sog. Marker (Spanne und/oder Größe) gegen andere Preise gesetzt und gehandelt werden, sondern es betrifft auch die Beziehungen der Derivatmärkte zu konventionellen Wertpapieren (Aktien, Anleihen etc.), zur Kreditwirtschaft und eben auch zur sog. Realwirtschaft. (Vgl. Malik 2014) Für Malik stellt die Finanzialität die transzendentale Bedingung der Kapitalisierung und ihrer Macht-Rationalität dar, während wir weiterhin von der Quasi-Transzendentalität des Kapitals als Gesamtkomplexion bzw. der Determination durch das Gesamtkapital in der letzten Instanz sprechen, innerhalb dessen die verschiedenen Sektoren und Fraktionen der moderne Finance »lediglich« die dominante Kapitalfraktion darstellen.