Im Zuge der industriellen Nutzung der ElektrizitĂ€t, des Entstehens neuer Nachrichten- und Verkehrstechniken und -wege (inklusive ihrer teilweisen Verstaatlichung) beginnt gegen Ende des 19.Jahrhunderts der schleichende Prozess der Auflösung der klassischen Maschinerie des Industriezeitalters oder zumindest deren Integration in neue ZusammenhĂ€nge. Es findet eine Erweiterung der Verkehrs- und Transportwege aufgrund der Entstehung neuer Komplexe der Energieerzeugung und -distribution statt; die Antriebsmaschinen operieren zunehmend als eigenstĂ€ndige Kraftwerke, und schlieĂlich fĂ€llt die einzelne Fabrik auf den Status einer Werkzeugmaschine zurĂŒck. Die Steuerung der Produktionsprozesse erfolgt intern und extern ĂŒber den Einsatz von Messinstrumenten aus der Schwachstromtechnik, ĂŒber die Maschinisierung von Sprache und Semiotik und deren Diagramme.
Der chemo-technischen Industrie (in Deutschland) zu Beginn des 20. Jahrhunderts schreibt Bahr die Funktion zu, eine erste integrative Kombination von Maschinerie und wissenschaftlichen Apparaturen zu ermöglichen und schlieĂlich auch zu realisieren, wobei neue Messinstrumente und neue materialisierte Regeln den Produktionsprozess steuern, der durch «Leitungs-, BehĂ€lter- und andere strukturierende Systeme, durch chemische Stoffumwandlungsreaktionen und mechanische Transportformen des entstehenden Warendings zusammengehalten wird.« (Bahr 1973: 54) In der chemischen Industrie, in der nicht nur gegebene Stoffe behandelt, sondern auch qualitativ neue Stoffe generiert werden (Metalle und Tuchwaren werden nun synthetisch hergestellt), kommt es zudem zu einer immer stĂ€rkeren Ko-Entwicklung zwischen einem nach wie vor auf Erfahrung basierenden Bereich des Ingenieurwesens und einem labor-orientierten naturwissenschaftlichen Dispositiv. Bahr bezeichnet die Verwissenschaftlichung der Produktion als ideelle Vergesellschaftung.1 Schon die wissenschaftlichen Erfindungen und Theorien von Faraday und Maxwell zeigen eine Entwicklung an, die immer stĂ€rker von der Wissenschaft hin zur Industrie verlĂ€uft. SchlieĂlich gilt es zu berĂŒcksichtigen, dass das Ersetzen der menschlichen Energie durch die Nutzbarmachung der fossilen EnergietrĂ€ger mit entscheidend dafĂŒr war, wie sich das Kapital im 20. Jahrhundert entfaltet hat. Ab den 1950er Jahren kommt es zu qualitativ neuen internen Beziehungen der Maschinerie, das heiĂt zu ihrer Einbindung in elektronisch-digitale Netzwerke, die heute von polystrukturellen Algorithmen reguliert und gesteuert werden, indem sie in symbolischen, realen GefĂŒgen operieren, um den relativen Mehrwert des Kapitals fortzuschreiben und zu inszenieren, einen differenziellen Mehrwert, der sich nicht mehr ohne weiteres an einer bestimmten Stelle im maschinellen Komplex selbst oder in dessen Relationen lokalisieren lĂ€sst (Differenzen der Intensivierung, der ProduktivitĂ€t).
Generell ist davon auszugehen, dass die Daten der Naturwissenschaften - ihre Messwerte - Resultat einer durch Messinstrumente/Apparaturen vermittelten Praxis sind. In diese materiell-diskursiven Praktiken flieĂen wiederum die Funktionsnormen von Messinstrumenten ein, die auf Erwartbarkeit und Reproduzierbarkeit von Messwerten abstellen. (Vgl. Schlaudt 2014a: 69) Die Exaktheit des Experiments ist von der PrĂ€zision der Messinstrumente abhĂ€ngig, in die wiederum mathematische, hypothetische und theoretische Momente eingehen, um schlieĂlich ĂŒber die DurchfĂŒhrung des Experiments zur Analyse des gemessenen Materials oder der MaschinenaktivitĂ€t zu gelangen. Dabei ist durchaus von heterogenen Messinstrumenten auszugehen, die in spezifischen historischen Situationen zu verschiedenen GröĂenbegriffen fĂŒhren, insofern sie auf ganz bestimmte PhĂ€nomene bezogen sind. Mit dem Einsatz der Messmaschinen kommt es zu einer Art Umkehrung der Werkzeugmaschinen, weil hier nicht lĂ€nger ein externer Werkstoff durch die Maschine bearbeitet wird, vielmehr ein externes Instrument nun die Maschinen (und ihre Prozesse) misst, i. e. deren jeweilige ZustĂ€nde als Daten erfasst. (Bahr 1983: 224) Mechanisierung heiĂt in diesem Kontext, jedweden Maschinentyp als PrĂ€zision eines maschinellen Ablaufs vorzustellen, der sich als Messung erweist. An den Maschinen klebt von nun eine Etikette, ein MaĂ. (Hier ist auf Instrumente zur Messung von LĂ€ngen und FlĂ€chen hinzuweisen, auf GewichtsmaĂe, auf das Fernrohr und den KompaĂ, auf die Zahl und schlieĂlich auf das MaĂ aller MaĂe, das Geld.) Es gibt allerdings keine allgemeine Matrix fĂŒr alle GröĂenbegriffe, etwa eine reine QuantitĂ€t bzw »Quantitat in abstracto« - ein Begriff, der bei Sohn-Rethel zu finden ist (Sohn-Rethel 1970: 55f.) - allenfalls lĂ€sst sich sagen, dass hinsichtlich der Quantifizierung im Kapitalismus das Geld als ideelles Ă€uĂeres MaĂ dominiert. (Ebd.: 97) Die Innovationen bezĂŒglich eines neuen Sehens und Wissens versprechen von Anfang an einen neuen Quantitativismus, dessen Motto ist: Reduziere die RealitĂ€t auf das, was gezĂ€hlt werden kann, und zĂ€hle die Quanta. Dieser quantitative Reduktionismus hĂ€ngt eng mit einem transformierten Raum zusammen, der von auĂen betrachtet werden kann.
Die Relation zwischen dem je schon monetĂ€r definierten konstanten Kapital und jener gegenstĂ€ndlichen Struktur der Maschine, die Bahr als die »innere Wertform« der Maschine bezeichnet, basiert auf keinem unmittelbaren Abbildungszusammenhang oder einem direkten kausalen VerhĂ€ltnis, vielmehr muss diese Relation durch die technisch-experimentelle Produktion von sinnlichen MaĂen der Maschinen erst »vermittelt« werden.2
Bahr trennt also analytisch zwischen Maschinerie als konstantem Kapital, das je schon monetĂ€r definiert wird (gekauft wird, um in Produktionsprozessen angewandt zu werden), und der Maschinerie als der dem Kapital materiell adĂ€quaten Existenzweise. Dazu bedarf es einer spezifischen Strukturierung/Formierung, die Marx durchaus nicht fremd bleibt, wenn er neben dem ersten Aspekt der Maschinerie auch den Gebrauchswert strukturierenden Aspekt betrachtet, wenn er etwa schreibt: »Aber erst seit der EinfĂŒhrung der Maschinerie bekĂ€mpft der Arbeiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle Existenzweise des Kapitals.« (MEW 23: 451) Exakt auf diesen zweiten Aspekt kommt es Bahr bei seinen frĂŒhen Untersuchungen zur Kapital-Maschinerie auch an. Darin ist impliziert, dass die kapitalistische Maschinerie auf keinen Fall ein neutrales Mittel ist, um die Natur zu beherrschen, so als komme es vielleicht nach einer Revolution nur noch auf die richtige Anwendung der Maschinerie an, um den technischen Fortschritt in Richtung Sozialismus weiter voranzutreiben.3
Bahr unterscheidet in seinem Essay Die Klassenstruktur der Maschinerie. Anmerkung zur Wertform aus dem Jahr 1973 zunĂ€chst zwischen dem Begriff »ZweckgemĂ€Ăheit«, der die EmpfĂ€nglichkeit von Naturstoffen bezeichnet, und dem Begriff »ZweckmĂ€Ăigkeit«, der die Technik als Mittel fĂŒr Zwecke (des Kapitals) betont. Dieser Unterschied ist nicht unmittelbar sichtbar. So ist die Maschinerie einerseits zweckgemĂ€Ă, sie ist materieller Rohstoff oder Form fĂŒr anderes, und andererseits zweckmĂ€Ăig, das heiĂt ihre Konstruktion ist immanent gesellschaftliche Form, die Bahr »Gebrauchswertform« oder »Naturalform des Kapitals« nennt. Diese wiederum besitzt eine doppelte Gestalt: Zum ersten zeigt die Maschinerie als konstantes Kapital rein formal ZweckmĂ€Ăigkeit bezĂŒglich der Angemessenheit des reinen Funktionierens bzw. der ununterbrochenen Bewegung an, und diese Angemessenheit bleibt auf die Effektivierung ökonomischer Zwecke bezogen. (Bahr 1973: 58) Als Arbeitsmittel ist sie je schon Mittel zur Produktion des relativen Mehrwerts. Ihrer Gestalt haftet sui generis die Kapitalform an, und so kann ihr Ruhezustand eigentlich nur Ausdruck der ökonomischen Krise oder ihres natĂŒrlichen oder moralischen VerschleiĂes sein. Zum zweiten besitzt die Maschinerie neben ihrer Form als konstantem Kapital eine spezifische Gebrauchswertform, deren Funktion darin besteht, jederzeit Gebrauchswerte als Waren herstellen zu können, wenn es denn die Zwecke des Kapitals erfordern. Somit ist von einer zweifach gefalteten Verdopplung der Maschine auszugehen. Erstens der Verdopplung in Naturform und gesellschaftliche Form und zweitens deren Verdopplung in Wertform (konstantes Kapital) und Gebrauchswertform. Exakt diese Faltung bezeichnet Bahr als die Klassenstruktur der Maschinerie. (Ebd.: 62f.) SpĂ€ter ersetzt Bahr den Begriff »Gebrauchswertform« durch »Naturalform des Kapitals« und unterscheidet von letzterer wiederum die ideellen Denkformen. Als eine Art Zwischeninstanz ist die Technik/Maschinerie keineswegs als das Resultat des zweck-rationalen Handelns oder des Denkens von Subjekten zu verstehen, wie sie andererseits auch kein Modus der Natur ist, der dann etwa als die Prothese eines leiblichen Körpers gedacht werden könnte, vielmehr inkorporiert die Maschinerie vergegenstĂ€ndlichte Zwecksetzung des Kapitals, womit sie eben kein rein neutrales Instrument sein kann. FĂŒr diese Art der VergegenstĂ€ndlichung ist die relative Mehrwertproduktion des Kapitals konstitutiv, mit der es in der Tendenz zu einer beschleunigten Ersetzung des variablen durch das konstante Kapital kommt.
Zur Verwertung des Kapitals sind sowohl die ideellen Denkformen als auch die maschinellen Naturalformen unbedingt notwendig. Bahr versucht in seinem oben genannten Essay die ideellen Denkformen in recht funktionalistischer Weise als konstitutive Teile der ökonomischen Funktionsbereiche Produktion und Zirkulation zu bestimmen, und dies heiĂt nach den Regeln ihrer Verteilung, Kommunizierbarkeit und Materialisierung zu fragen. FĂŒr Bahr können Sachverhalte wie Preisbildung, Naturwissenschaften, Buchhaltung und zum Teil auch die Wertform/Naturalform der Maschinerie unter die Denkformen subsumiert werden. Theoretische Kategorien, das Mathem der Ăkonomie und selbst noch die sinnlichen MaĂe der Maschinerie dĂŒrften hier auch als Teile der ideellen Denkformen gelten. Diese Denkformen beschleunigen die Unifizierung der Produktionsprozesse des Kapitals, die definitiv theoretische Operationen wie die Kalkulation, Planung und Berechnung benötigen, um die lineare Zeit, die KontinuitĂ€t und die gleichförmige Bewegung in die Produktionsprozesse einzuschreiben. Mit dieser Einschreibung der sinnlichen MaĂe in die Maschinerie wird die ideelle Denkform zu einer gegenstĂ€ndlichen Form bzw. zur materiellen Existenzweise des Kapitals transformiert. Damit tritt die Wertform direkt in die Produktion ein, i. e. die Maschinerie nimmt eine innere Wertform an.
Allerdings entspringen die innere Wertform bzw. die sinnlichen MaĂe zunĂ€chst den Formbestimmungen der Zirkulation und des Tauschs (Gewichts- und ZahlenmaĂe sind fĂŒr den Tausch konstitutiv, wenn auch gegenĂŒber dem Geld in zweiter Linie; ebd.: 64) Zum Teil dienten sinnliche MaĂe (GewichtsmaĂe) in vorkapitalistischen Gesellschaften als besondere Ăquivalentformen, die sich allerdings nicht zum Geld als dem Ă€uĂerem MaĂ der Warenwerte weiterentwickeln konnten. Waage und Metallgewicht waren Teile einer nicht zu Ende gefĂŒhrten Entwicklung des Gewichtsgeldes, denn schlieĂlich konnten ja nicht alle austauschbaren Dinge qua Gewicht aufeinander bezogen werden. Jedoch hielten die Objekte ihre Normierungen qua MaĂeinheit bei und dies genĂŒgte, dass diese MaĂeinheiten als sekundĂ€re Bedingung fĂŒr den Tauschwert fungierten, der stets an das Geld gebunden blieb. Bahr spricht hinsichtlich der Produkte als quantifizierten Mengen im Wesentlichen von vier MaĂeinheiten, die als besondere Ăquivalentformen zu gelten haben, zum Teil jedoch wegen ihrer Gebundenheit an die Körper der Produkte von vornherein nicht als zentrales MaĂ wie eben das körperlose Geld dienen konnten: Raum-, Zeit-, Gewichts- und ZahlenmaĂ (Urmeter, Urzeit, Urkilogramm und das Zahlensystem) - das letztere darf als reine GröĂenbestimmung, als das »abstrakteste« MaĂ gelten, mit dem u. a. auch allgemeingĂŒltige Kommunizierbarkeit möglich wird. (Bahr 1983: 390) MaĂe sind teilbar, i. e. ihre MaĂeinheiten erlauben bestimmte MaĂgröĂen, und diese sind insofern intelligibel, als sie als Zeichen behandelt werden können. Im durch Geld vermittelten Tausch ist das zentrale MaĂ je schon vorhanden, das heiĂt das Geld vergleicht die derart neutralisierten Produkte, die zugleich sinnliche MaĂe an sich haben. (WertgröĂen gibt es eigentlich nur auf der Ebene des Gesamtkapitals).
Als potenzielle Waren sind den Produkten spezifische MaĂe zugeordnet, d. h. als Tauschwerte stehen sich Waren je schon in spezifischen Mengenbestimmungen gegenĂŒber: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock wert. Hier wird eine bestimmte Menge des LĂ€ngenmĂ€Ăes der Leinwand mit einer bestimmten Anzahl von Röcken gleichgesetzt. Marx betrachtete unter diesem Aspekt die Tauschwertform »x Ware A = y Ware B« eigentlich so: »x Anteile des MaĂes x' (Ware A) = y Anteile des MaĂes y' (Ware B).« Schon mit der einfachen Wertform kommt es also zur Gleichsetzung zweier verschiedener sinnlicher MaĂe; sie sind als eine spezifische parergonale Struktur zu verstehen, die in Beziehung zu dem durch das Geld quantifizierten Tauschwert steht, der sich per se in den PreisverhĂ€ltnissen zweier Waren artikuliert (das Quantum einer anderen Ware, gegen das sich eine gegebene Ware tauschen lĂ€sst).4 Bahr kommt zu dem Ergebnis, dass spĂ€testens mit der Setzung der allgemeinen Wertform zwei »gesellschaftliche« Beziehungen vorhanden sein mĂŒssen, die sinnlichen MaĂe der Waren und das Geld.
Zur konkreten Bestimmung der verschiedenen sinnlichen MaĂe kommt es also laut Bahr zuerst in der Zirkulation. Kapitalistische Unternehmen produzieren, nachdem sie bestimmte ökonomische Relationen durchgesetzt haben, spezifische Mengen an Produkten fĂŒr den Markt, und dies nennt Bahr die Form der Bestimmbarkeit der Mengen. Aufgrund ihrer bisherigen Markterfahrung produzieren die Unternehmen immer schon kalkulierte, das heiĂt relativ exakte Mengen von Produkten, und damit wandern die sinnlichen MaĂe unweigerlich in die Produktion ein. (Vgl. Bahr 1973: 66) Dies geschieht weiterhin auch dadurch, dass die Waren, die je schon sinnliche MaĂe besitzen, ĂŒber ihren Verkauf bzw. ihre Realisierung in der Zirkulation wieder in die Produktion eingehen. Hat sich dieser Kreislauf erst einmal festgesetzt, dann mĂŒssen die sinnlichen MaĂe zwingend auch in die Bestimmung der Maschinerie eingehen â deren MaĂeinheiten oder MaĂgröĂen sind Zeichen, die an solchen Maschinen haften, die qua gleichförmiger Bewegung, technischer Kontrolle und Zeitmessung sich selbst, die Rohstoffe und die ArbeitskrĂ€fte miteinander »vermitteln«. Unter UmstĂ€nden produziert ein Unternehmen auch nur den Teil eines Produkts, der als kalkulierte Einheit sinnliche MaĂe benötigt, um in weiteren Produktionsprozessen zu einem ganzen Produkt zusammengesetzt zu werden, wobei wiederholbare Zusammensetzbarkeit oder Modulation zu einem einzigen Produkt eben durch bestimmte MaĂe garantiert sein muss. (Ebd.: 63) Die Bestimmung der Warenmengen qua sinnlicher MaĂe wird also in der Produktion schon mitproduziert. Bahr spricht Anfang der 1970er Jahre wohl als erster Autor im marxistischen Kontext von der »inneren Wertform der Maschinerie« oder der »Naturalform des Kapitals«.
Er fragt dann, wie die innere Wertform der Maschinerie konstitutiv fĂŒr die Produktion werden konnte und wie die Denkformen diesen Entwicklungsprozess mitgestaltet haben. Das Kapital bedarf fĂŒr seine materiellen Produktionsprozesse spezifisch formierter Produktionsmittel, die TrĂ€ger von konstantem Kapital sind, wĂ€hrend die produzierte Arbeitskraft weiterhin TrĂ€ger von variablem Kapital bleibt. FĂŒr die Fragestellung ist entscheidend, dass, Bahr zufolge, die Maschinerie in ihren gegenstĂ€ndlichen und strukturellen Momenten eine innere Wertform annimmt, i. e. die Maschinerie das Kapital in seiner Logik und Klassenstruktur gegenstĂ€ndlich inkarniert. Die je schon kapitalinfizierte Maschinerie ermöglicht ab einem bestimmten Stadium die weitere Bestimmung der Denkformen. So sind auch das Experiment und die theoretischen Naturwissenschaften ĂŒber die Maschinerie bzw. Apparate aufeinander bezogen, und diese Art der Vermittlung zwischen Wissenschaften und Maschinerie setzt sich mit der zweiten Welle der Industrialisierung am Anfang des 20. Jahrhunderts (chemische Industrie und Elektroindustrie) endgĂŒltig durch. Woesler kritisiert Bahr an dieser Stelle, weil dieser davon ausgeht, dass einerseits die Denkformen unmittelbar in die Maschinerie eingingen, andererseits diese aber gerade in der Absetzung von industriellen Produktionsprozessen entstanden seien und Bahr eben gerade dieses Problem nicht vermitteln könne. (Vgl. Woesler 1978: 187)
Bestimmte MaĂe sind heute in der Forschung und ihren Laboren als GrundmaĂe anerkannt, und die Elektro- und Chemietechnik generiert stĂ€ndig neue, artifizielle MaĂeinheiten. Diese MaĂe und MaĂeinheiten bilden die Bedingung der Möglichkeit von einheitlichen Industrienormen, die direkt an der inneren Wertform der Maschinerie kleben. (Vgl. Bahr 1973: 64) Die Gleichförmigkeit der ProduktionsablĂ€ufe bedarf unbedingt dieser Normierung, um die homogenisierenden technischen Konstruktionen der Produkte und die linearen VerfahrensablĂ€ufe der Maschinen zu gewĂ€hrleisten. Diese Art der Produktion setzt sich bis in die modulare Bauweise fort, der ZusammenfĂŒgung von standardisierten und rekombinierbaren Teilen auf der Basis eines vorfabrizierten Materials. Die Industrienorm des maschinellen Einzelteils definiert Bahr als die angeeignete und vergegenstĂ€ndlichte Form der allgemeinen Austauschbarkeit von Produkten, und auch hier zeigt sich sofort MedialitĂ€t an. In der heutigen Welt der Barcodes und der RFID-Tags sieht man, dass es nicht nur darum geht, die Produkte zu klassifizieren, zu messen und zu verkaufen, sondern auch darum, herauszufinden, wo diese sich zu jedem gegeben Zeitpunkt innerhalb des globalen just-in-time-Management-Regimes befinden. Dies gilt fĂŒr Waren wie auch fĂŒr Menschen. Wir alle werden kommodifiziert, in digitale Pakete verpackt, die man durch gewisse Zeitregime der Kontrolle und des Managements transportiert.
Es gilt, die Struktur des Gebrauchswerts, was die MaĂe anbetrifft - Gewicht, LĂ€nge, Stunde oder die intelligible Form der Zahl - gegenĂŒber dem unmittelbaren Gebrauchswert, der ein BedĂŒrfnis befriedigt, abzusetzen, wobei es insbesondere die Zahl ermöglicht - neben dem Geld - , dass wir von der generellen KommunikationsfĂ€higkeit der Maschinen ĂŒberhaupt sprechen können. Geht man davon aus, dass die Eigenschaften der Maschinen fĂŒr ihre Kommunizierbarkeit der MaĂe bedĂŒrfen, dann mĂŒssen zwangslĂ€ufig andere Maschinen hergestellt werden, die Geschwindigkeiten, Konstruktions-, Verfahrens- und Materialeigenschaften, VerschleiĂ, Verbrauch etc. koordinieren und messen. (Bahr 1983: 407) Messungen erfordern heute bestimmte digitale Messapparate und entsprechende Axiomatiken, Diagramme, Algorithmen etc. Vereinheitlichende MaĂe gehen als Industrienormen in die Herstellung von Maschinen ein. Und an diese sinnlichen MaĂe koppeln sich wiederum die Verfahren der Geldrechenmaschinen an oder, um es anders zu sagen, wenn Maschinen heute die Bedingungen ihrer sozialen Kommunizierbarkeit selbst herstellen (vor allem qua a-signifikanter Semiotiken), dann können sich die Preis- und Geldrechenmaschinen als abstrakte Kommunikationsmaschinen, deren Leistungen wiederum quantitativ bestimmt sind (Mathem der Ăkonomie) an jene anschlieĂen. Den Preis bezeichnet Bahr in seinem Buch Ăber den Umgang mit Maschinen als eine »Kriegsmaschine« sui generis. (Ebd.: 407)
Man kann mit Bahr an dieser Stelle zusammenfassen: Unter Kapitalbedingungen muss der Naturstoff von Warenkörpern nicht nur zweckgemĂ€Ăe Form fĂŒr den Gebrauch annehmen, sondern auch zweckmĂ€Ăige Form fĂŒr den Tausch, der seinerseits als die durch das Kapital mitproduzierte Funktion fungiert, wobei in erster Linie in der Produktion die Konstitution adĂ€quater Gebrauchswertformen der Produkte stattfindet. (Ebd.: 64) Daraus lĂ€sst sich folgern: Der gleichförmigen Bewegung in der maschinellen Produktion des Kapitals korrespondiert die strukturelle Gebrauchswertform oder die Naturalform des Kapitals. Man sollte also von einer EntitĂ€t »Maschinerie« sprechen, die eine spezifische Gestalt und temporale Bewegungsform besitzt und zugleich Verwertungsmittel ist, konstantes Kapital. Bahr hat in seinem Aufsatz Die Klassenstruktur der Maschinerie. Anmerkung zur Wertform darauf hingewiesen, dass die Maschinerie unter kapitalistischen Bedingungen auch in ihrer »stofflichen Struktur« vom Modus des KapitalverhĂ€ltnisses durchdrungen ist, wodurch von vornherein jeder Arbeitsontologie (von der Bahr auch bei Marx noch zahlreiche Spuren entdeckt) der Boden entzogen wird. Es ist wiederum Christine Woesler, die in einer der wenigen theoretischen Auseinandersetzungen mit den Thesen von Bahr darauf hinweist, dass er die Wichtigkeit der sinnlichen MaĂe fĂŒr die Bestimmung der Maschinerie ĂŒberschĂ€tzt habe, deren wirkliche Bestimmungsmomente doch eher die gleichförmige Bewegung und die Zeitmessung seien. (Woesler 1978: 317)
Es gilt in aller KĂŒrze den Zusammenhang von Maschinerie, Kapital und Naturwissenschaft in Bahrs Kontext darzustellen: Bahr spricht von dem originĂ€ren, der theoretischen Mechanik und der Arbeitsteilung zugrunde liegenden Formprinzip (geometrische, gleichförmige, sich selbst erhaltende Bewegung), betont aber durchaus die ungleichzeitige Entwicklung zwischen theoretischer Mechanik und den verschiedenen Produktionspraxen. Zu einer Interferenz zwischen den beiden Bereichen kann es nur dann kommen, wenn eine diskursiv gewordene Maschinerie sich von der Funktion, die in der VerstĂ€rkung der OrgantĂ€tigkeit liegt, ganz abgelöst hat und als eine gegenstĂ€ndliche Technik das mathematisch-logische Wissen in die Produktion ĂŒbersetzt. Dabei gilt es festzuhalten, dass sich Mathematik nicht eins zu eins in Produktion umsetzt, da sie keinen direkten Bezug zum Objekt als Analysegegenstand unterhĂ€lt.
In seiner spĂ€teren Schrift Ăber den Umgang mit Maschinen, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen werden, distanziert sich Bahr eindeutig von Sohn-Rethels Versuch (Sohn Rethel 1970), die Denkformen aus dem durch Geld vermittelten Warentausch und der in diesem angeblich angelegten Realabstraktion abzuleiten, da ein derartiges Verfahren immer schon das voraussetze, was eigentlich abgeleitet werden solle. Um dieses Problem kurz darzustellen: Die Denkformen resultieren aus dem Geld vermittelten Tausch, womit zwar die Realabstraktion angezeigt ist, aber das Problem der Vermittlung zwischen Tausch und Denkform eben nur benannt ist, sodass Sohn-Rethel, um zur Denkabstraktion zu gelangen, zwischen Warenform und Denkform einen Akt der Identifizierung, der Widerspiegelung und der Verkehrung einschalten muss. Sohn Rethel stellt bezĂŒglich der Herleitung der Verstandesbegriffe (als Ersatz fĂŒr die transzendentalen Deduktionen von Kant) eine Art Identifizierung der Agenten mit der abstrakten, quantitativen Geldnatur fest, die schon den Griechen nicht entgangen sei. Zum Begriff der Widerspiegelung gilt es zu sagen, dass die Widerspiegelung einer Form in einem anderen Medium den Verstand jedoch schon voraussetzt, der die widergespiegelten Formen miteinander vergleicht, um zum Urteil der FormadĂ€quanz zu kommen. (Bahr 1973: 65) Zum Begriff der Verkehrung gilt es zu sagen, dass eine theoretische Praxis, die ihr Erkenntnisobjekt durch die Darstellung der verkehrten begrifflichen Erscheinungsformen von Ware-, Geld- und Kapitalform gewinnt (wobei es gleichgĂŒltig ist, ob die RealitĂ€t die Begriffe bestimmt oder die Begriffe die RealitĂ€t) und durch diese Darstellung hindurch zugleich immanente Kritik sein will, dass eben diese theoretische Praxis die verkehrte Wirklichkeit als verkehrte offenbaren können muss, und dieser Schritt bedarf offensichtlich eines auĂergewöhnlichen oder enormen Bewusstseins, dem es gelingt, die Verkehrung und die ihnen zugrunde liegenden Wertformen in der Theorie zu dechiffrieren, um die reale Verkehrung als solche zu beschreiben/deduzieren, womit im Grunde genommen die theoretische Operation der Dechiffrierung nur die richtige Wiedergabe der Verkehrung in der RealitĂ€t sein kann.
Christine Woesler hat Bahr in diesem Zusammenhang vorgeworfen, dass er selbst ja die qualitative Differenz zwischen Geldform und Denkform bzw. theoretischer Naturerkenntnis auĂer Acht lasse. Woesler geht hingegen davon aus, dass zumindest die Differenz von Realabstraktion und Denkabstraktion, wie sie Sohn-Rethel konstatiert, wenn auch nicht erklĂ€rt hat, unhintergehbar ist, da es unmöglich sei, dass die Naturwissenschaften sich in Maschinerie oder technischen Objekten komplett realisieren, da die RealitĂ€t immer eine den Naturwissenschaften widerstrebende trĂ€ge Materie inhĂ€riere. (Vgl. Woesler 1978: 222) Die Gesetze der Mathematik, die kein gegenstĂ€ndliches Objekt ihr eigen nennen mĂŒssen, werden in der Naturwissenschaft auf reale PhĂ€nomene (Licht, Bewegung, Energie etc.) bezogen, und dies geschieht ĂŒber das Experiment, bei dem mit Hilfe von Apparaturen und materiell-diskursiven Praktiken selektiert wird, was als PhĂ€nomen (Instanz, die aus dem Zusammenwirken von Objekt und Apparat besteht und qua Einschnitten Ergebnisse zeitigt) dem mathematisch formulierten Gesetz entspricht oder auch nicht. Christine Woesler nennt hier in Absetzung vom qualitativen, handwerklich orientierten Experiment zur weiteren KlĂ€rung das messende Experiment, das ihrer Meinung nach zuerst von Newton entwickelt worden sei. Dennoch bestehe auch hier kein kausales AbleitungsverhĂ€ltnis zwischen Naturwissenschaft und Technik/Technologie, allein schon deshalb nicht, weil auch die Technologie auf eine »trĂ€ge« Materie angewiesen bleibe, von der die Naturwissenschaften, die mit dem Apriori der Mathematik arbeiten, in gewisser Weise aber auch abstrahieren könnten (ohne das Abstrahierte ganz eliminieren zu können). Deshalb hĂ€tten die Naturwissenschaften Woesler zufolge historisch auch vor der Maschinerie entstehen können. (Ebd.: 214) Woesler gerĂ€t damit aber selbst in die Gefahr, zu unterschlagen, dass mit der Quantentheorie »Materie« immer auch konstruiert und hergestellt wird, indem sich die Mathematik ĂŒber den Einsatz experimenteller Apparate materialisiert. Der Naturwissenschaftler besitzt insofern keine absolute Wirkungsmacht ĂŒber die angeblich passive Materie, da einerseits qua Experiment nicht jedes intendierte Ergebnis möglich ist, andererseits sozio-ökonomische Prozesse in die Experimentalwissenschaften stĂ€ndig intervenieren. Umgekehrt weist aber auch das Objekt nicht automatisch den zu begehenden Weg, der zur Erkenntnis fĂŒhrt. Wissen und Materie sind dann als interagierende »Momente« sozialer Praxen zu verstehen, die materialisierbare PhĂ€nomene herstellen, insoweit das Materielle selbst Teil der diskursiven Manifestation von Bedeutung wird. (Vgl. Barad 2015: 61) Die sozialen Praxen, die in den «Intraaktionen« (Barad) zwischen Materiellem und Diskursivem bestehen, vergegenstĂ€ndlichen sich in bestimmten Technologien, die reale materielle Konsequenzen nach sich ziehen und deshalb ObjektivitĂ€t beanspruchen können. Ganz allgemein lĂ€sst sich sagen, dass eine VerschrĂ€nkung von Materie und Wissenschaft, wie etwa Karen Barad sie konzipiert, sich sowohl von naiven realistischen als auch von rein sozialkonstruktivistischen Positionen abwenden will, indem gezeigt wird, dass Naturwissenschaften keine unabhĂ€ngige RealitĂ€t reprĂ€sentieren und modulieren, sondern im Kontext ökonomisch-semiotisch-diskursiver, materieller Prozesse qua maschineller Apparate Interventionen und Einfaltungen vornehmen, die durchaus reale Konsequenzen in der Kapital-Welt nach sich ziehen. Allerdings weist Woesler darauf hin, dass mit dem Experiment und infolge des in diesem verkörperten Schematismus eine je schon konstituierte Natur verĂ€ndert werde. Dieses Faktum komplementiere die Naturwissenschaften und ihre theoretisch-mathematischen Grundlagen, deren Genesis Sohn-Rethel allein noch im durch Geld vermittelten Tausch zu erforschen versucht habe. Zudem, so ist der These Woeslers hinzufĂŒgen, muss man heute davon auszugehen, dass im Algorithmus Realabstraktion und Denkabstraktion tatsĂ€chlich fusionieren können.
Wenn Bahr von spezifischen Denkformen und dem Wissen als Momenten und Resultaten der Kapitalbewegung spricht, dann bezieht er sich auf eine Entwicklungstufe des Kapitals, in der die Kopfarbeit oder der »General Intellect« lĂ€ngst konstitutiver Teil des Produktionsprozesses geworden sind und selbst schon der Maschinisierung unterworfen worden sind. Man muss nun in der Tat von der reellen Subsumtion der (industriellen) Maschinerie und sĂ€mtlicher ArbeitskrĂ€fte unter das monetĂ€re Kapital ausgehen. Dennoch bleibt fĂŒr Bahr der Verstand sowohl ein Resultat von ökonomischen Prozessen als auch ein subjektivierend-aktiver Faktor innerhalb derselben. Ohne die TĂ€tigkeit des Verstandes, die spezifische Erkenntnismittel hervorbringt, konnten weder die strukturelle Gebrauchswertform noch die Technik entstehen. Allerdings wurde der Verstand selbst und seine Erkenntnismittel wiederum durch soziö-ökonomische Praxen konstituiert. Henryk Grossmann hat vielleicht etwas zu voreilig darauf verwiesen, dass die deduktiven Denkformen stets auf die mechanisch-dynamischen Relationen der »Maschine« bezogen seien, insofern diese - als natur-analytisch gegeben - fĂŒr das formale Denken den Inhalt in sinnlicher Weise lieferten. (Borkenau schlieĂt an Grossmann an und erklĂ€rt die Genesis der theoretischen Mechanik aus der Arbeitsteilung in der Manufaktur.) In gewisser Weise bleibt fĂŒr Grossmann die praktische mechanische Synthese (als Evidenz) den deduktiven Denkformen vorausgesetzt. Selbst Bahr spricht in seiner frĂŒhen Phase noch davon, dass der deduktiven Denkform die praktische mechanische Synthese vorausgehe (vgl. Bahr 1973: 68), und dies habe als Postulat zu gelten, das zum reinen widerspruchsfreien Funktionieren der kapitalistischen Produktionsprozesse fĂŒhren soll. Grossmann negiert aber, dass selbst in der klassischen Mechanik, die sich erst im 17. Jahrhundert entwickelt hat, der direkte Zusammenhang zwischen Wissensformen und mechanischer, gleichförmiger Produktion ĂŒberhaupt noch nicht gegeben war.
Schlaudt hat den Zusammenhang zwischen deduktiver Denkform und Mechanik (Grundform der Maschine) in seinem Buch Was ist empirische Wahrheit? als ParallelitĂ€t von Realgenese und Idealgenese dargestellt. Die Realgenese liefert die Geltungsbedingungen fĂŒr die deduktiven Denkformen bzw. die wissenschaftliche Erkenntnis, d. h. letztere bleibt auf materiell-symbolische Mittel/Maschinen bezogen, und zugleich muss Geltung durch die performative ErklĂ€rung innerhalb eines bestimmtes Feldes von technisch instruierten Anwendungen hergestellt werden. Die wissenschaftlichen Theorien stellen Geltung konstruierend und antizipierend her, indem sie sich performativ auf die Welt/Maschinerie beziehen. Mit der deduktiven Denkform ist die wissenschaftliche Konstruktion eines einwandfreien Funktionierens des Maschinellen intendiert, und dies muss wiederum die Transformation der deduktiven Denkform in eine praktische Analytik nach sich ziehen, die sich sowohl um die Störungen der komplexen Maschinen als auch um die Erfindung neuer tragfĂ€higer Modelle von Maschinen zu kĂŒmmern hat. Deduktion und praktisch-empirische Analytik bleiben stets aufeinander bezogen, insofern beide Bereiche dem Postulat des reibungslosen Funktionierens der Maschinerie nachzukommen haben, und dieses verweist zum einen auf den Faktor RegelmĂ€Ăigkeit, zum anderen auf die EinĂŒbung in bestimmte KausalitĂ€tsmechanismen, wobei, so schreibt es zumindest Bahr, an diesem Punkt die formale Logik die Techno-logie antizipiert habe. (Bahr 1973: 69) Dennoch ist das technische Artefakt definitiv kein logisches Argument. (Vgl. Schlaudt 2014a:188) Und es gilt hinzuzufĂŒgen, dass die Erkenntnis von Objekten nicht in plump materialistischer Weise auf eine Ko-Determination von sozio-ökonomischen Bedingungen und Objekten/Welt reduziert werden kann, vielmehr determinieren die sozio-ökonomischen VerhĂ€ltnisse die (technischen) Objekte und Relationen in der letzten Instanz, weil jede KausalitĂ€t der Relationen durch die soziale Wahrnehmung und durch sozio-ökonomische Praxen (in Laboren, Betrieben etc.) validiert werden muss.5 (Ebd.: 59)
Zum systematischen Zusammenhang zwischen Naturwissenschaft und Technologie kommt es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, und zwar mit der Elektronik und der chemischen Industrie. Als zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Verwissenschaftlichung der Produktion endlich greift, verĂ€ndert sich das VerhĂ€ltnis von Erkenntnis/Wahrheit und Ăkonomie. Die AnnĂ€herung der beiden Bereiche zeigt sich fĂŒr die marxistische Theorie in der PrĂ€misse, dass auch hier der Zusammenhang zwischen Genesis und Geltung begriffen werden muss, d. h. die Wissenschaften und ihre Erkenntnisse mĂŒssen je schon auf sozio-ökonomische Tatsachen (je schon konstruierte Tatsachen) und auf die Relevanz der technischen Mittel rekurrieren. (Ebd: 26) Das ist deswegen einsichtig, weil jegliche »Produktionen« sui generis technologische Vermittlungsprozesse inhĂ€rieren, die der zweiten Natur zugehören (der kulturell angeeigneten Natur, ebd.: 104). Es sind gerade auch die Naturwissenschaft und ihre Erkenntnissprozesse, lĂ€sst man die Frage der empirischen Wahrheit einmal auĂer Betracht, welche die Ăkonomie naturalisieren, um sich selbst als ein ahistorisches, objektiv allgemeingĂŒltiges und neutrales MaĂ und Regulativ zu setzen, wobei ihre unhinterfragten PrĂ€missen unter anderem Abstraktion, Quantifizierung, Unsinnlichkeit etc. beinhalten. (Vgl. Woesler 1978: 218)
Laut Woesler wurde im 17. Jahrhundert der Gesetzesbegriff der Naturwissenschaften als mathematische RationalitĂ€t und Rechenhaftigkeit entwickelt, wĂ€hrend zugleich das messende Experiment als empirische Grundlage in die Naturwissenschaften eingefĂŒhrt und mit ihm die Theorie vom wissenschaftlichen Fortschritt und dessen NĂŒtzlichkeit formuliert wurde. (Ebd.: 240) Mit der Durchsetzung des apriorischen Gesetzesbegriffs kam es zur Relativierung des Humeschen Gesetzesbegriffs, wonach Gesetze nichts weiter als empirisch feststellbare RegularitĂ€ten aussagten. Schlaudt hat in einem gewissen Kontrast zu den Thesen von Christine Woesler auf die Arbeiten Edgar Zilsels hingewiesen, nach dessen Aussagen die scholastische Tradition und ihre Symbolisierungen in ihrer kreativen Verbindung mit dem handwerklichen KĂŒnstler schon im 14. Jahrhundert fĂŒr die Entstehung der modernen Naturwissenschaften verantwortlich gewesen seien. (Schlaudt 2014a: 125f.) Den Studien des österreichischen Marxisten Zilsel zufolge sei selbst noch die experimentelle Wissenschaft auf dieses Anfangsstadium der modernen Naturwissenschaften zu beziehen, die eben aus der Synthese von Affirmation eines (göttlichen) Naturgesetzes qua symbolischer ReprĂ€sentationsmittel und dem praktischen, quantitativen Wissen der Handwerker und deren Experimentatoren entstanden seien. Naturgesetze besitzen hier nicht nur eine deskriptive, sondern ausdrĂŒcklich eine prĂ€skriptive Dimension, sie enthalten die Zusammenfassung von empirisch festgestellten RegularitĂ€ten. (Ebd.) Damit sei, so Schlaudt, etwas ĂŒber die Realgenese der modernen Naturwissenschaften ausgesagt, zu der allerdings eine Theorie der Idealgenese hinzukommen mĂŒsse, die wiederum der Rekonstruktion der Realgenese dienen könne. (Ebd.: 295) Der apriorische Charakter der modernen Naturwissenschaften ist hier zumindest relativiert. Bei den von Zilsel genannten Handwerkern (Da Vinci, Cellini, Martini etc.) der Renaissance handelt es sich allerdings ausnahmslos um »artist-engineers«, deren Mathematik eine statische (durch Fehlen des Zeitbegriffs gekennzeichnete) Form besitzt und zudem auf das Handwerk bezogen bleibt und deshalb keinen Bezugspunkt fĂŒr die Entstehung der industriellen Produktion liefern kann. Der Versuch, die experimentellen Methoden der Naturwissenschaft aus der Verbindung von scholastischer Wissenschaft und Handwerk abzuleiten, muss deshalb scheitern.6
Woesler geht hingegen davon aus, dass erst Newton mit seiner Darstellung des messenden Experiments - wenn auch mit einer Reihe von Ambivalenzen - die Integration von Mathematik (Algebra und Arithmetik) und Empirie halbwegs gelungen sei. Mit dem messenden Experiment wird das mechanisch-geometrische Bild der Natur in die RealitĂ€t implementiert, wobei es im Falle des Gelingens zu tiefgreifenden Einschnitten kommt, deren Resultate wissenschaftliche PhĂ€nomene sind. Es gilt festzuhalten, dass es bei Newton eher noch die empirischen PhĂ€nomene als das mathematische Apriori gewesen sind, aus denen die Bewegungsgesetze deduziert wurden. Woesler geht hinsichtlich der newtonschen Darstellung der mathematischen Gesetze als Fakten im Experiment von drei Schritten aus: 1) Die Isolierung der PhĂ€nomene durch Bestimmung der Modi der Variation. 2) Die Deduktion der Gesetze der PhĂ€nomene durch die mathematische Konstruktion der Variationsmodi. 3) Der Einsatz der Induktion, um die Anwendbarkeit der mathematischen Deduktion auf weitere PhĂ€nomene zu ermöglichen und bei komplexeren PhĂ€nomenen weitere Quantifizierungen einzufĂŒhren. SchlieĂlich mĂŒsse man die mathematische Deduktion selbst transformieren können. (Vgl. Woesler 1978: 277)
Newton diente das Inertialsystem dazu, die exakte Messung der absoluten Bewegung als Bedingung fĂŒr die reale Messung der Bewegung zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort zu etablieren, wobei der Raum als ein homogenes geometrisches System vorausgesetzt wird. Und die Zeit ist eine rein mathematische Zeit, die Netwon ĂŒber die KontinuitĂ€t der Zahl berechnet hat. Im absoluten Raum und in der absoluten Zeit bewegen sich die Körper in ihren VerhĂ€ltnissen und Relationen zueinander. Diese Transparenz des Messprozesses selbst gilt als Kriterium von ObjektivitĂ€t. Darin ist die Quantifizierung der Kraft eingeschlossen, indem die Körper/Massen die energetischen Eigenschaften der TrĂ€gheit und der Anziehung annehmen und somit Energie erhalten. Um das TrĂ€gheitsgesetz (es gibt keine KraftgröĂe hinter der Bewegung, sondern sie ist als TrĂ€gheit in ihr) von Galilei mathematisch zu extrapolieren, ging Newton nicht von der Geschwindigkeit, sondern von der Beschleunigung aus. Beim messenden Experiment wird also, im Gegensatz zum qualitativen Experiment, das auf die handwerkliche Produktion bezogen bleibt, ein berechnendes KalkĂŒl zur Modulation einer zweiten Natur herangezogen, das in Relation zu kĂŒnstlichen Artefakten oder Mitteln steht, i. e. Messapparaten, welche der Sinnlichkeit und den Sinnesdaten (die aber wie Sellars sagt, selbst schon theoretische EntitĂ€ten sind) je schon entzogen sind. Das messende Experiment kommt ohne das Apriori der praktischen Mechanik und das der Geometrie nicht aus, welche das Setzen der Konstanz erst ermöglichen. Dabei bleibt die Verfeinerung der Quantifizierung und der Messmethoden immer auf Innovationen in der Mathematik und der Mechanik bezogen. Und darin ist die Vorherrschaft einer Syntax von KrĂ€ften eingeschlossen, die in der Mechanik ĂŒber das Instrument des Dynamometers gemessen werden, damit man in einer gegliederten Struktur zur Verdichtung einer quantitativen Einheit gelangen kann. Die Quantifizierung ist selbst das syntaktische Moment, mit dem man Elemente, Ergebnisse und Spuren ihren konkreten Zeitrhythmen enthebt und in reine Zeitlichkeit und RĂ€umlichkeit ĂŒbersetzt. (Vgl. Bahr 1983: 171) Ein realer, kontinuierlich teilbarer und zusammenfĂŒgbarer homogener Raum wird als mathematischer Raum definiert, wodurch Mathematik und Physik sich begegnen. Es ist die euklidische Geometrie, die der Analyse der Bewegung und des Raumes dient, wobei es aufgrund des Gesetzes der Zahl zu festen Relationen zwischen dynamischen GröĂen kommt. (Die exakte Messung der Bewegung in jedem Augenblick ist mit dem Infinitesimalsystem von Leibniz und dem Inertialsystem von Newton möglich.) Und Bewegung wird definiert durch die (messbaren) GröĂen von Raum und Zeit, wobei die Herstellung des Gleichgewichts Anker und Ziel der Messung bleibt. Es ist nicht die Bewegung der Maschinen, die das Mechanische ausmacht, sondern es ist hier die euklidische Geometrie als Form der Bewegung, die das Unbewegliche schlechthin ist, das Gesetz. Und Bahr resĂŒmiert: âDie mathematische Mechanik ist ein kalter Traum vom Paradies der Ordnung und StabilitĂ€t.â (Ebd.)
Damit sich die fĂŒr die moderne Naturwissenschaft wesentliche Substitution des primĂ€ren, praktisch-sinnlichen NaturverhĂ€ltnisses durch ein zweites, das qua messend-experimenteller Methoden erzeugte NaturverhĂ€ltnis, im gesellschaftlichen Feld des Kapitals voll durchsetzen kann, bedarf es nach Woesler einer spezifischen Konstellation von Produktion und Zirkulation, die nur die des Kapitals selbst sein kann. In der Abstraktion vom Stofflichen (ohne das Stoffliche zu eliminieren) vermutet Woesler schon frĂŒh eine strukturelle Ăhnlichkeit zwischen Newtons Inertialsystem und dem Tausch. Die gleichförmige Bewegung des monetĂ€ren Kapitals durch all seine Metamorphosen hindurch (inklusive der Produktion) wĂŒrde eine weitere Analogie zwischen Naturwissenschaften und Ăkonomie anzeigen. (Woesler 1978: 275). Mit dem Entstehen des Kaufmannskapitals in Oberitalien kam es im 15. Jahrhundert zur Herausbildung der doppelten BuchfĂŒhrung, die bis heute als das Notationssystem des Prinzips der Kapitalisierung gelten darf. Mit der doppelten BuchfĂŒhrung wird die Bewegung des Geldkapitals auf dem Kapitalkonto als Plus oder Minus eindeutig fixierbar. So kommt es zur Installation eines rein mit Zahlen rechnenden Notationssystems, das die Gewinne und Verluste der Einzelkapitale nicht nur registriert, sondern auch in einem temporalen Format erfassen kann. Und Sombart vermerkt: »Die doppelte Buchhaltung ist aus dem selben Geiste geboren wie die Systeme Galileis und Newtons, wie die Lehren der modernen Physik und Chemie.« (zitiert nach Woesler 1978: 312) Doppelte BuchfĂŒhrung und Newtons TrĂ€gheitsgesetz, beide zeichnen sich durch die Abstraktion vom Gebrauchswert aus. Gegen Positionen wie die von Edgar Zilsel besteht Woesler darauf, dass die messend-experimentelle Methode gerade nicht aus dem Handwerk, aus der Arbeitsteilung in der Manufaktur oder unmittelbar aus dem Zustand der Produktionsmittel abgeleitet werden könne, vielmehr seien dafĂŒr eben eher die halbwegs entwickelte Zirkulation des Kaufmannskapitals und das mit diesem zusammenhĂ€ngende KalkĂŒl der Berechnung verantwortlich gewesen. (Ebd.: 241) Daneben habe der absolutistische Staatsapparat eine gewisse Rolle fĂŒr die Konstitution des wissenschaftlichen Experiments gespielt, welches eine spezifische Art und Weise der Anordnung von Elementen und Apparaturen vorsieht, die fĂŒr die materiell-diskursiven Praxen konstitutiv und wiederholbar sein muss. Dem vorausgesetzt sind Beobachtungen oder prĂ€skriptive Regeln, um Objekte fĂŒr praktische Zwecke manipulieren zu können.
FĂŒr Woesler stellt die Konstellation des messenden Experiments im 17. Jahrhundert, wie sie Newton als geistige Ausnahmerscheinung par excellence vorgefĂŒhrt hatte, in mancher Hinsicht eine Antizipation der kapitalistischen Produktionsstruktur, das heiĂt der Entwicklung der Maschinerie, dar. (Ebd.: 299) Die naturwissenschaftlichen Wissensformen bzw. die theoretischen experimentellen Naturerkenntnisse konnten im 17. Jahrhundert nĂ€mlich noch gar nicht im direkten Zusammenhang zum kapitalistischen Produktionsprozess und zur Struktur der Maschinerie stehen, da man es noch mit der handwerklichen oder manufakturellen Produktionsweise zu tun hatte, die vom Fernhandel, vom lĂ€ndlichen Verlagswesen und von den staatlichen ProduktionsstĂ€tten supplementiert wurde. Die Wissensformen waren also eher auf die Zirkulation des Kaufmannskapitals als auf die manufakturelle Produktionsweise bezogen, eine Zirkulation, die aber schon die Berechnung als ökonomisches Handlungsprinzip erforderte. Zudem fĂŒhrt Woesler als Faktoren der Durchsetzung der Naturwissenschaften diverse technische Utopien an, die im Kontext der staatlichen Kriegstechnologien, der Architektur und des Kunsthandwerks zu finden waren. Und der absolutistische Staat dĂŒrfe als ein organisierender Faktor der wissenschaftlichen Forschung nicht vergessen werden. Im 17. Jahrhundert bezogen sich die Denkweisen und Methoden der Berechnung also hauptsĂ€chlich noch auf die Zirkulation, wĂ€hrend im 18. Jahrhundert die Expansion des Wissens im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung des Handels, der Ausdehnung der Produktion fĂŒr MĂ€rkte und der Expansion des Geldhandels und seiner Institutionen (Börse und Banken) steht, und dies immer noch unter der Dominanz der Zirkulation gegenĂŒber der industriellen Produktion. SchlieĂlich muss sich die Zirkulation verallgemeinert haben (die Ware Arbeitskraft inbegriffen), das Kaufmannskapital oder das agrarische Kapital muss sich in produktives Kapital verwandelt haben, das heiĂt, sowohl die Produktion als auch die Zirkulation muss durch das abstrakte Prinzip der kalkulatorisch-quantitativen Bestimmung der monetĂ€ren Kapitalisierung geregelt sein, um ĂŒberhaupt vom industriellen Kapital sprechen zu können. Die Messung der homogenen Bewegung des Geldkapitals und deren VerĂ€nderungen korrespondieren der Messung der Bewegung und ihrer VerĂ€nderung (im Experiment), die mittels Fluxionsrechnung oder Infinitesimalrechnung vorgenommen wird. Die Industrialisierung war das Ergebnis und nicht die Voraussetzung des Kapitals, und sie wurde vom agrarischen oder vom Proto-Kapital eingeleitet. Ellen Meiksins Wood schreibt in ihrem Buch Der Ursprung des Kapitalismus, dass es im 16. Jahrhundert in England die Trias von Grundherren, kapitalistischen PĂ€chtern und lohnabhĂ€ngigen Arbeitern gewesen sei, welche die Bewegungsgesetze in Gang gesetzt hĂ€tte, wie sie spezifisch fĂŒr den Kapitalismus seien: konkurrenzförmige Produktion fĂŒr den Tauschwert und Profit, kompetitive MarktabhĂ€ngigkeit, Kapitalakkumulation und Zwang zur Steigerung der ArbeitsproduktivitĂ€t (Steigerung des Ertrags pro Arbeitseinheit). (Meiksins Wood 2015: 150f.) Als Möglichkeitsbedingungen des Kapitals, die essenzieller als die fortschreitende Technologisierung waren, fĂŒhrt Meiksins Wood die Transformation der EigentumsverhĂ€ltnisse, die spezifische Produktionlogik, die GröĂe und die Funktion des Binnenmarktes, die Zusammensetzung der Bevölkerung und die Dimension des internationalen imperial getriebenen, britischen Handel an. (Ebd.:164)
Bahr weist in seinem Essay Die Klassenstruktur der Maschinerie. Anerkennung zur Wertform darauf hin, dass die Naturwissenschaft im 20. Jahrhundert hinsichtlich der DurchfĂŒhrung ihrer Experimente das operative Muster der kapitalistischen Produktionsprozesse ĂŒbernommen habe: Unter identischer technischer Versuchsanordnung und Apparatur sowie mittels einer spezifischen Zusammensetzung der jeweiligen Elemente soll es in den zu wiederholenden Messverfahren unbedingt zu identischen Resultaten kommen. Die empirische Wahrheit eines Messresultats ist also von der Richtigkeit und Wiederholbarkeit des Messverfahrens und damit von der ObjektivitĂ€t der materiellen diskursiven Praxis bzw. Produktion abhĂ€ngig. (Vgl. Schlaudt 2014a: 80) Entscheidend wird nun auch sein, dass es vielfach die technischen Apparaturen selbst und nicht mehr die Menschen sind, die die Dinge messen. So wird ein Objekt-Objekt-VerhĂ€ltnis installiert, das technisch produziert und rekonstruiert wird, sodass dem wissenschaftlichen Experiment selbst noch die eigene Methode zum Objekt wird. (Vgl. Bahr 1970: 37) Das Experiment impliziert, so wiederum Bahr, den Vergleich einer je schon empirisch erfahrenen, also strukturierten Natur mit einer technisch rational begriffenen Struktur des Experiments, und zeigt sich dieser Vergleich als IdentitĂ€t an, so kann das Subjekt aus der Anordnung des Experiments, aus der Apparatur und aus der Erkenntnis herausgerechnet werden. Bahrs Bemerkung, dass das Subjekt an die experimentelle Versuchsanordnung nur noch von auĂen herantritt, wĂ€hrend gleichzeitig doch die Natur durch das Subjekt erklĂ€rt werden soll, bleibt ungenau. Es lĂ€sst sich nĂ€mlich das Subjekt nicht vollstĂ€ndig aus dem ausblenden, was Oliver Schlaudt die Produktion empirischer Wahrheit nennt, allerdings muss die Vorstellung von der experimentellen Praxis als Resultat eines allwissenden epistemischen Subjekts durch die Untersuchung der historisch-materiell-diskursiven Praxen und Handlungen von Kollektiven ersetzt werden. So bezieht sich auch der physikalische Lehrsatz nicht direkt auf die Natur, sondern eben auf die durch Technik und materiell-diskursiven Praxen vermittelte Natur, i. e. auf das materialisierte PhĂ€nomen einer auf die Form reduzierten Natur. (vgl. Schlaudt 2014a: 221) Und auch EntitĂ€ten (Wellen oder Teilchen) sind nicht inhĂ€rent bestimmt, sondern werden durch unterschiedlich gegebene Bedingungen in Experimenten als PhĂ€nomene variantenreich performiert. (Barad 2015: 101) Wenn Bahr an dieser Stelle darauf insistiert, dass das Experiment personen- und situationsinvariant wiederholt werden muss, wobei die jeweilige technisch-experimentelle Versuchsanordnung den Ablauf determiniert, so spielt doch das subjektive Moment noch eine gewisse Rolle, insofern qua gegebener empirischer Erkenntnis ein bestimmter Ablauf des Experiments von einem Forschungsteam erwartet oder prognostiziert wird. Damit bleibt der Erkenntnisgegenstand auch das Resultat eines kollektiven Konstruktionsprozesses, der allerdings nicht an ein totalitĂ€res Erkenntnissubjekt gebunden ist, sondern eben an die kollektive Sprache und Semiotik, an die sozio-ökonomischen Regeln des wissenschaftlichen Betriebs und dessen Apparaturen und Instrumente. In diesem Zusammenhang heiĂt die Marx`sche Rede von den »objektiven Gedankenformen« dann, dass die Kategorien der Naturwissenschaften und die Reproduktion von naturwissenschaftlichen PhĂ€nomenen unter den Bedingungen von experimentell-(materiell-diskursiven) Apparaturen, deren Ort das Labor ist, ihre Geltung immer in Relation zu spezifischen sozio-ökonomischen Praxen des Kapitals erlangen. (Vgl. Schlaudt 2014a: 192) Die Messungen sind vermittelt durch spezifische Apparaturen, wobei das jeweilige Messresultat auf einen geregelten Umgang mit den jeweiligen Messapparaturen zurĂŒckbezogen werden kann. Zugleich lĂ€sst sich das Messresultat aber auch als eine Prognose ĂŒber das zukĂŒnftige Verhalten von experimentellen Messungen auslegen. Und der Messwert, den Schlaudt als »Empirem« (ebd.:115) bezeichnet, inkludiert keineswegs die numerische Bestimmung der Eigenschaften von Dingen, sondern zeigt die Informierung ĂŒber das Verhalten eines Gegenstandes in Bezug auf einen Mess-Apparat und den Beobachter an, oder, wie Schlaudt sagt, bezĂŒglich eines stabilen Netzes verschiedener Techniken. Unter gegebenen Mitteln oder Apparaturen soll ein bestimmter Effekt erzielt werden, und dies inkludiert je schon einen Rest subjektivierender Zweckbezogenheit qua Beobachtung. Niels Bohr spricht hinsichtlich des stabilen Netzes, der Wechselwirkung zwischen Objekt und Apparat, vom PhĂ€nomen. Er schreibt: »DemgemÀà muĂ die eindeutige Beschreibung eigentlicher QuantenphĂ€nomene prinzipiell die Angabe aller relevanten ZĂŒge der Versuchsanordnung umfassen.« (Zitiert nach Barad 2015: 26)
Hans-Dieter Bahrs heteronomes Konzept der Maschinen, das er in seiner Schrift Umgang mit Maschinen entworfen hat, scheint auf den ersten Blick nicht so weit von Laruelles Konzeption der Techno-Fiktion entfernt zu sein. Einerseits ein (gebrochener) Diskurs ĂŒber die Genealogie/ArchĂ€ologie der Maschinen und der technischen Objekte, von der Falle ĂŒber barocke Spielautomaten bis hin zum industriellen Roboter. Andererseits eine ebenfalls verschobene Genealogie der Technik- und Maschinenbegriffe und ihrer Aussagen, die im Rahmen der hegemonialen Wissenschaftsgeschichte meistens in philosophischen, mechanischen, instrumentellen oder anthropologischen Begriffen und Schemata kategorial erfasst wurde. Bahr will hingegen eine nicht-lineare Genealogie und ArchĂ€ologie der Maschinen(begriffe) schreiben, eine fĂŒr die, wie er sagt, die De-Komposition der Zeitbegriffe »Jetzt«und »Folge« nötig sei, um jeder metageschichtlichen Position, das heiĂt der weit verbreiteten Ansicht, dass alles in der Zeit sei und das Problem der Abwesenheit gar nicht bestehe, zu entkommen. (Bahr 1983: 19). Was Bahr am Begriff der Genealogie stört, das ist die allzu starre Konzeption eines Entwicklungsgesetzes, das die Verschwendungen, Verstellungen, Umbiegungen und Indeterminationen in den a-linearen VerlĂ€ufen der Maschinendiskurse glatt unterschlĂ€gt. (Ebd.: 270)
Die Maschine in ihrer OpazitĂ€t zu denken, heiĂt zu verstehen, dass Diskurse und Aussagen ĂŒber die Maschine und der »Gegenstand« Maschine nicht austauschbar sind, dass die vor allem von der Philosophie immer eingeplante ReversibilitĂ€t von RealitĂ€t und IdealitĂ€t nicht stattzufinden braucht. ReversibilitĂ€t verbleibt hier ein Effekt im ImaginĂ€ren (vgl. Laruelle 2014: 105), wĂ€hrend Bahr sich doch im Symbolischen von einer Spurensuche und -lese leiten lassen will, die ihn zu einer »ArchĂ€ographie der Maschinen« (Bahr 1983: 18) fĂŒhrt, in der die Maschinen und die Aussagen ĂŒber die Maschinen, wenn man beides denn ĂŒberlagert oder superponiert ohne ReziprozitĂ€t herzustellen, in ihrer Rhythmik nicht nur gelesen oder dechiffriert, sondern in ihrer Evidenz soweit verstĂ€rkt oder ĂŒberzeichnet werden können, dass die herrschenden Technikdiskurse sich einfach krĂŒmmen und biegen mĂŒssen. Damit ist tatsĂ€chlich der Raum fĂŒr ein neues Arbeitskraft-Denken eröffnet, das sich der linearen Verschriftung technologischer Ereignisse verwehrt, in dem es zeigt, dass die Phylogenese der Maschine niemals geradlinig verlief, und sich damit die Frage stellt, wann und wie bestimmte Theoreme zur Technik in der Geschichte auftauchen; so ist der Diskurs ĂŒber die Maschine, wonach die technischen Objekte Projektionen leiblicher, sozialer und kognitiver Organe und Funktionen sind, erst Ende des 19. Jahrhunderts als gelĂ€ufige Diskursform aufgetaucht, obgleich er in vielerlei Andeutungen schon viel frĂŒher in der Philosophie- und Technikgeschichte anwesend war.
Diese Problemstellungen bei Bahr besitzen also gewisse AffinitĂ€ten zum Konzept der generischen Wissenschaft bei Laruelle, der in seinem Buch Non-Photografie/Photo-Fiktion die photographische ReprĂ€sentation kritisiert, mit der die Philosophie bis heute die Welt (ver)handele, indem sie zwischen der photographischen Erscheinung - Objekte und Welt - und den im Photo erscheinenden Objekten plus ihren Diskursen einen strukturellen Zusammenhang herstelle, der sich insbesondere als Abbildung, Reflexion oder ReprĂ€sentation in den Spiegellabyrinthen der Diskurse selbst anzeige. (Vgl. Laruelle 2014: 24) Bahr wiederum fĂŒhrt diese monströse Eigenart der Philosophie, sich als spiegelndes Apriori zu setzen, bis auf die Lichtmaschinen zurĂŒck, die im Zuge der Methoden der AufklĂ€rung â Beleuchten, Durchschauen und Durchleuchten â eine reflexive Projektionsmaschine geschaffen hĂ€tten, um immer wieder die Abbildung oder die Ăbereinstimmung zwischen Ding und Vorstellung, RealitĂ€t und IdealitĂ€t herzustellen. (Vgl. Bahr 1983: 21) Oft taucht in diesen Diskursen die Maschine als ein Zwischenteil auf, dessen dreidimensionale MaterialitĂ€t zugunsten einer (zweidimensionalen) Projektion des menschlichen Wissens in den Hintergrund rĂŒckt. Zugleich sollen die Maschinen jedoch auch weiterhin als dreidimensionale körperliche Projektionen erscheinen. (Ebd.: 21) Damit lĂ€sst sich wiederum auf bis heute virulent gebliebene Analysen verweisen, die die Technik an die Triebgeschichte des Organismus oder den menschlichen Willen zu binden versuchen, insofern man sich technische Objekte, Maschinen und Werkzeuge als abbildende und/oder erweiterte Projektionen des Leibes und seinen biologischen, psychischen und kognitiven Funktionen (Willen) vorstellt, Funktionen, die die WirkungsrĂ€ume des Leibes in bestimmten externen technischen Milieus verstĂ€rken können, wĂ€hrend man paradoxerweise den Leib metaphorisch selbst als mechanische, instrumentelle Maschine beschreibt. (Ebd.: 81) Die technischen Objekte werden im Kontext der WirkungsrĂ€ume des Leibes als Mittel disponibel gehalten, wobei sie als Prothesen in ihrer DisponibilitĂ€t auch verschwinden können, sodass dann den technischen Objekten keinerlei Kraft mehr zur VerfĂŒhrung, zur VerĂ€nderung und zum Druck auf den Leib zugestanden wird, und somit der Mensch gemÀà den Anforderungen der Anthropologie im Technischen immer nur seinem eigenen Wissen begegnet. 7 (Ebd.: 94)
Der Diskurs ĂŒber die Projektion musste jedoch sehr bald schon weiter gefasst werden, weil in ihm selbst schnell die ersten Asymmetrien zwischen Leib und technischen Objekten auftauchten. Die fast schon seriell konstruierten AbbildungsverhĂ€ltnisse, seien es Gestalt- (Zangen, ZĂ€hne etc.), Struktur- (Herz/Pumpe) oder FunktionsĂ€hnlichkeiten (Computer/Hirn), und davon noch einmal abgesetzt die VergegenstĂ€ndlichung des Triebes (AggressivitĂ€t/Kriegsmaschine) oder des rationalen Willens (RationalitĂ€t/technische Systeme) fĂŒhrten immer wieder auf die Frage nach der Angemessenheit der Technik (an den Leib und Verstand/Willen) zurĂŒck. (Ebd.: 82) Den technischen Objekten wurde jedoch weiterhin eine Ăhnlichkeit zum Leib oder zum Willen unterstellt, die als die Projektion bzw. als der Prozess des Zeugens und Erzeugens von Werkzeugen gefasst wurde. Es ist aber leicht einzusehen, dass schon einfache Werkzeuge, wie etwa der Becher, die originĂ€re Funktion - hier das Schöpfen des Wassers mit den HĂ€nden - nicht verdoppeln, sondern geradezu auflösen (der Becher wird anders gehalten). Im GroĂen und Ganzen wĂŒrde das Theorem der GestaltĂ€hnlichkeit das Werkzeug zu einer den Menschen und seine FĂ€higkeiten abbildenden Statue degradieren, und um dies zu vermeiden musste die Projektionstheorie dem Werkzeug zumindest die Potenz zur VerlĂ€ngerung, Steigerung und VerstĂ€rkung von leiblichen Organen zuschreiben. Dabei wird von neu entstandenen VerwendungszusammenhĂ€ngen der Maschinen weiterhin abstrahiert, man denke etwa an die Maschinen im Bergbau, deren Existenz allein durch den Verweis auf die Handarbeit unerklĂ€rbar wĂ€re. (Ebd.: 96) SchlieĂlich muss man den Leib, damit er als abbildendes Projektionszentrum ĂŒberhaupt noch gelten kann, zumindest als Triebzentrum beschreiben. Infolgedessen wird es unmöglich, die technischen Objekte weiterhin als gestaltĂ€hnliche Abbildungen oder quantitative Erweiterungen des Leibes zu imaginieren, vielmehr muss man in ihnen das Resultat generativer Projektionen sehen, eben des Triebes oder des Willens und letztendlich des menschlichen Hirns, womit es dann allein auf FunktionsĂ€hnlichkeiten zwischen der Maschine und dem Hirn ankommt, auf die Projektion der GehirnaktivitĂ€ten auf die Sinnesorgane und von diesen auf die Ă€uĂere Natur. Wenn ProduktivitĂ€t nur als die Transformation von Energien Bestand hat und nicht das Resultat eines leiblichen TriebĂŒberschusses ist (Einwirkung leiblicher Organe und ihrer Funktionen auf die Ă€uĂere Natur), so kann man endlich die meta-physische Energie des Verstandes voraussetzen, die die FĂ€higkeit besitzt, Verdopplungen, Axiomatiken und Kompliziertheiten der Maschinen neu zu erzeugen. So erst kann die Philosophie voll in den Technikdiskurs einsteigen! In letzter Konsequenz verdichtete sich dieser Diskurs im Phantasma der Maschine als Projektion der konstruktiven menschlichen Intelligenz â Maschine, im Gegensatz zum Statuarischen des Werkzeugs, als Konstruktion von Bewegungsformen.8 (Ebd.:108)
Die Arbeitskraft, stellt man sie sich nicht wie Marx als ekstatisierende, Mehrwert erzeugende Arbeitskraft vor, kann aufgrund ihrer physischen BeschrĂ€nktheit die in komplexen Systemen vorhandenen Energien nur umlenken, hauptsĂ€chlich qua ihrer Intelligenz, womit die Arbeitskraft weniger als Produktivkraft, sondern vor allem als Reproduktivkraft erscheint. (Ebd.: 106) Die Arbeitskraft ist per se in ein Netzwerk von Maschinen eingebunden, wobei die Maschinen als Teile eines kommunizierenden, arbeitsgeteilten Körpers gedacht werden. Damit ist ein sozio-ökonomischer Körper vorgestellt, der die Projektionstheorie ganz auĂer Kraft setzt, gerade indem der Organismus mit der anorganischen Mechanik und schlieĂlich mit der Maschinerie als System kurzgeschlossen wird, womit es erst möglich wird, die Arbeit als reine Kommunizierbarkeit auf wissenschaftlichem Niveau zu installieren.
FĂŒr Bahr gilt es also zunĂ€chst, zu zeigen, dass die Projektionstheorie schon sehr bald auf die Vorstellung einer nicht-leiblichen Projektion angewiesen war, sei es die des Triebes oder des Willens (als eine Theorie des reflexiven Wissens ist sie zweidimensional und als die der körperlichen Projektion ist sie dreidimensional). Wenn man nun die Maschine als arbeitsteiligen sozialen Körper oder als MedialitĂ€t vorstellt, dann muss die Maschine unweigerlich in GefĂŒge des ahumanen Treibens oder des Getriebes integriert werden, womit der Trieb seine endgĂŒltige Entsubjektivierung erfĂ€hrt. Es gilt hervorzuheben, dass in einer derlei, trotz aller BrĂŒche noch als linear verlaufend imaginierten Technik-Geschichte oft eine eminente Umgruppierung von Begriffen stattfand, selbst dann noch, wenn vom kollektiven Subjekt, das das Gesellschaftliche reprĂ€sentiert, oder vom Kapital als automatischen Subjekt, das die Technik subordiniert, gesprochen wurde, wobei, und darauf gilt es hinzuweisen, dort, wo die unterwerfende Einheit gewollt wird, immer auch der Gott der Gewalt spricht. (Ebd.: 15) Die genealogische Orientierung scheint genau dann, wenn man diese Diskurse bis an ihre Grenzen oder an die RĂ€nder ihrer Evidenz treibt, zu zerbrechen. Oft bleibt dann nur noch die anthropologische Moral ĂŒbrig, mit der notdĂŒrftig versucht wird, die Technik gegenĂŒber dem Menschen zu neutralisieren, wobei die Moral selbst indifferente Objekte erzeugt, die aber gerade jene selbst als eine manichĂ€ische Moral zersetzen, weil den Maschinen eben nicht anzusehen ist, wem sie denn nun gerade dienen.
AnschlieĂend an den philosophischen Diskurs der Projektion bringt Bahr als nĂ€chsten philosophischen Avatar den Diskurs der Nachahmung ins Spiel, wonach die Maschinen die Abbildung eines Originals seien, nĂ€mlich der Natur und spĂ€ter des sozialen Körpers. Diese Diskurse zeigen sich entweder als Regression zum Ursprung oder als Progression an, der Genesis des Ursprungs. Und es kommt noch zu einer weiteren Differenzierung: Zwar sei die Nachahmung origineller als der Ursprung, aber das Urbild sei wiederum auch origineller in der Erzeugung des Abbildes. (Ebd.:145) Die Diskrepanz schlieĂt sich mit der Annahme, dass Antizipation Erinnerung und Erinnerung Antizipation sei. Technische Objekte ahmten, so sah es Cues, nicht die sinnliche Natur nach, sondern sie seien Abbildungen der Urbilder, die durch den Geist initiiert wĂŒrden. Bahr weist darauf hin, dass letztendlich die meisten dieser ReprĂ€sentationen, die in den Spiegellabyrinthen der DiskursivitĂ€ten des Maschinellen umherirren, dem Derivat höhere OriginalitĂ€t als dem Original zugestehen. (Ebd.: 22) Dies fĂŒhrt zu der von Lukrez verwendeten Unterscheidung von Imago und Simulakra, wobei in der genealogischen Kette die gemeinsame Struktur von Urbild und Abbild Schritt fĂŒr Schritt zerbricht, und die Trugbilder/Simulakren ein Eigenleben zu fĂŒhren beginnen, sodass jedes Spiegelbild bereits Spiegelbild eines anderen Spiegelbildes ist.
Der Diskurs der Nachahmung zerschellt spĂ€testens dann, wenn das, was da als labyrinthische Konkurrenz inklusive der in ihr wuchernden Strategien und Motivationen innerhalb des sozialen, maschinellen Körpers abgebildet werden soll, selbst keine fixierbare Struktur mehr ist, das heiĂt, wenn der Referent oder das Urbild unscharf werden. Egal ob Nachahmung oder Projektion, ein sozialer Körper, dem das Spiel der heterogenen, kontroversen und konfliktuellen Interessen tief eingeschrieben ist, offenbart sich in den Maschinen nur partiell. Einerseits kann es an dieser Stelle zur VergegenstĂ€ndlichung energetischer, zeitlicher, rĂ€umlicher und informativer Verkehrsformen kommen (Vernetzung), andererseits zur Darstellung integrativer Verbindungen von maschinellen Funktionen und Arbeitskraft. FĂŒr Bahr handelt es sich bei den jetzt neu aufscheinenden Diskursen um die Geburtsstunde eines fröhlichen oder theatralischen Positivismus, der die Maschinen als gegeben hinnimmt und sie von ihrer Referenz auf den Ursprung befreit. Ein theatralischer Positivismus der Maschinen muss sich aber nicht als konservativ, sondern als eine experimentelle (Un)ordnung, als ein Laboratorium erweisen, selbst wenn er im VerhĂ€ltnis zu seiner »Ursache«, dem Realen, nicht autonom ist, also zur IdentitĂ€t des Denkens-im-Einen und zur Kraft-des-Denkens gemÀà dem Realen quasi gezwungen wird. (Laruelle 2014: 101) Bahr spricht hier stĂ€ndig von der textuellen Umgruppierung von Aussagen hinsichtlich des Technischen, die die Struktur einer spezifischen eigenen Zeitlichkeit inhĂ€rierten. Wenn man nun von der Maschine nicht mehr im Sinne einer »machina ex deo«, sondern von »deus ex machina« spricht, dann erst kann die mechane als List, Ăberlistung und Auflauern erneut aufscheinen. Bahr schreibt: »Das Paradox der KausalitĂ€t aber ist, wenn sie alle Ursachen ausmachen will, die das Ganze der Sache âșMaschineâč darstellen sollen, sich in der Maschine auch ihre Herstellung und Verwendung einbegreifen lassen mĂŒĂte, aber so gerade das mögliche Ganze unbestimmt wird. Die Maschine als Sachen sind weder finit noch infinit, sondern indefinit und somit ihre Ordnungen nur diskursiv.« (Bahr 1983: 23) Mit Laruelle kann man hinzufĂŒgen, dass die diskursiven Ordnungen auf das Indefinite einer Techno-Fiktion hinweisen, einer konzeptuellen Nicht-Technologie.
Es zeigt sich bei Bahr oft auch eine gewisse Ăhnlichkeit zur Maschinenkonzeption von Deleuze/Guattari. Will man nĂ€mlich alle Verursachungen der Maschinen ausmachen, so sind unbedingt Fragen nach ihrer Herstellung/Produktion sowie ihren multiplen Verwendungsmöglichkeiten zu beachten, i. e. nach dem chaosmotischen Universum des Maschinischen, was wiederum jedes mögliche Ganze der Maschinen unbestimmt hĂ€lt. Und damit ist implizit schon der Begriff der Maschine als Transmission eingefĂŒhrt (ĂbergĂ€nge und Vermittlungen), der sich fĂŒr Bahr als diskursive Strategie, Sprengung und Orientierung und spĂ€ter und konsequenter noch als Strategem anzeigt. Der Maschine als ein Zwischenglied, das Input und Output vermittelt, ist das Vermögen zur Transformation inhĂ€rent, und dies weniger hinsichtlich der Umwandlung von Energien durch die Produktion von SpannungsgefĂ€llen, vielmehr insofern ihr eine technische Matrix und mathematische Konstruktion implementiert wird, um das prĂ€zise Funktionieren zu gewĂ€hrleisten, aber gerade dies schlieĂt eben die Wirksamkeit der Transformation oder der Störung nicht aus. (Ebd.: 138) An dieser Stelle ist auf die digitalen Samplingmaschinen hinzuweisen, auf neue Technologien des Zugriffs und der Verarbeitung von Medienmaterial. Dabei geht es nicht mehr um die ReprĂ€sentation oder Reproduktion des Materials, seiner Sinnkontexte und seiner Bedeutungen, sondern um seine Transformation und Modulation, und zwar durch ein technisch-methodisches Prinzip, das den direkten Zugriff auf das Signal der Ăbertragungsmedien erlaubt, ein neben Sender und EmpfĂ€nger dritter Aspekt der Transformation, mit dem das im technischen Kanal enthaltene Signal geklont und der Transformation zugĂ€nglich gemacht wird. Sampling als Verfahren unterwandert die â etwa im shannonschen Modell dargestellte â zielgerichtete Ăbertragung von der Quelle zur Zieladresse. An dieser Stelle taucht das Problem der Angemessenheit oder des MaĂes wieder auf, und eben auch das Problem des disruptiven Schnitts in der historischen Entwicklung der Technologien, oder gar des Quantensprungs, bei dem es darum geht, festzustellen, wann und wie es zu einem Schnitt in die infinite Dynamik der Unbestimmtheit und damit zur Produktion eines neuen PhĂ€nomens gekommen ist. Das Beispiel der Quantenphysik zeigt deutlich: Planck oder Bohr konnten wirklich nicht vorausahnen, dass aus der empirisch nachgewiesenen UnbestĂ€ndigkeit in den Messverfahren und den damit verbundenen theoretischen Entdeckungen (welche u. a. die Trennbarkeit von Objekt und Beobachtungsinstanz aufheben) einmal Smartphones resultieren sollten. Heiner MĂŒhlmann weist darauf hin, dass die dazu notwendigen Schritte und Schnitte, wie die Erfindung des Halbleiters, des Computers, des Arapanets und des Internets, die Miniaturisierung der Rechner und die mobile Applikation des Internets diskontinuierlich und weitgehend unvorhersehbar stattfanden. (Vgl. MĂŒhlmann 2013: 26)
Das ist es also, was Bahr vor allem interessiert: Die Maschinen in ihrer differenziellen NeutralitĂ€t oder nicht-neutralen Indifferenz zu beschreiben, insofern sie als nicht-kausale Spreng- und Sprungmaschinen fungieren, um als Inbegriff einer neuen Verstellungskunst jenseits der altbekannten Mittel-Zweck-Schemata zu prozessieren. Der kommende Begriff der Maschine subtrahiert radikal die philosophische Interpretation, die um Begriffe wie Isomorphie, VergegenstĂ€ndlichung qua Naturgesetz oder Projektion der leiblichen und sozialen Organe zentriert ist. Dabei sind die Maschinen nicht nur hinsichtlich ihrer Syntax und Pragmatik, sondern auch bezĂŒglich ihrer Semantik zu befragen. Mit dem Blick auf die Semantik deutet Bahr eine archĂ€ologische Spurensuche an, die an der Maschine ab-liest, dass ihr nicht nur eine Axiomatik, sondern auch eine Axiologie zugrunde liegen kann, eine Entscheidung des Herstellers, der mit dem Bau der Maschine eine objektive Norm realisieren will. (Bahr 1983: 189) SchlieĂlich kann es die Maschine selbst sein, die die Normen (vor)schreibt, insbesondere, wenn sie mit anderen Maschinen (Telefon, Filter, Radio etc.) zu Installationen oder Netzwerken von GerĂ€ten/Apparaten verkoppelt wird. Damit mĂŒsste sowohl den Technokraten als auch den Kritikern der Technik die Frage der Wahlmöglichkeiten der Maschinen in einem neuen Licht erscheinen (Handlungen jenseits der Ja/Nein Entscheidung; ebd.: 192).
Bahr markiert hier mehrere Ebenen: ZunĂ€chst geht es um die Bezeichnung der sinnlichen Erscheinungen technischer Objekte, bis diese Erscheinungen endgĂŒltig zum TrĂ€ger von Zeichen werden, also Zeugenstatus erhalten. Um hier die Immanenz zu halten, muss man die Semantik und Pragmatik der technischen Objekte wiederum durch die Beschreibung ihrer Syntax ergĂ€nzen oder gar ersetzen, womit in den Maschinendiskursen erstmals methodische Prinzipien wie Deduktion, Regelung und Ordnungsverfahren stĂ€rker ins Gewicht fallen. (Ebd: 218) Die Beschreibung der technischen Objekte zielt (in der theoretischen Mechanik) auf die Produktion und die GewĂ€hrleistung der strukturellen Ordnung ab. Und damit seien, so Bahr, die Wirkung der Maschinen und ihre theoretische Darstellung zu einer Deckungsgleichheit gelangt. Die theoretische Mechanik prĂ€feriert die absolute PrĂ€senz der gleichförmigen maschinellen Bewegung, die im Begriff der Zeit als unendliche Gegenwart vorgestellt wird. Gleichförmige Bewegung, die Netwon als das Produkt zweier sich ausgleichender GeschwindigkeitsverĂ€nderungen verstanden hatte, rekurriert auf die Geometrie reiner OrtsverĂ€nderung. Hier wird der Maschine Bewegung einerseits verliehen, andererseits kommt sie ĂŒber die Umwandlung dieser Bewegung nicht hinaus, i. e. sie kann die Umwandlung nicht selbst umwandeln. (Ebd.: 35) Die Frage nach der KausalitĂ€t wird durch die Beschreibung der Maschine als einer rein funktionellen Ordnung ersetzt. Es geht nun bei der Herstellung der Maschine darum, ihre (mathematische) Konstruktion so zu gestalten, dass sie zwangslĂ€ufig so und nicht anders funktioniert, i. e. das Mögliche ist immer das letztendlich Wirkliche, ganz im Sinne Hegels, fĂŒr den das Wirkliche je schon seine eigenen Möglichkeiten und PotenzialitĂ€ten enthĂ€lt und diese auch realisiert. (Ebd.:138,103)
Das Schreiben der Syntax der Maschinen im Hinblick auf ihr reibungsloses Funktionieren bleibt in den Diskursen der Mechanik noch ganz an das binĂ€re Muster gebunden (Statik-Dynamik, Sperrwerke-Laufwerke etc.). Es geht um die Axiomatisierung von Ruhe und Bewegung, die zugunsten der Ruhe stabilisiert wird, indem das Beunruhigende der Bewegung (Sprengung, Flug) eingefangen wird. (Ebd.: 218) Die Bewegung - vorgestellt als Sprengung, Flug etc. - muss eingefangen werden, der Falle muss eine Falle gestellt werden, und dies ist die Aufgabe der theoretischen Mechanik. Wenn das Rad an der Welle ĂŒberlistet wird, sodass das stets auftretende Ungleichgewicht der Herstellung eines neuen Gleichgewichts dient, dann lĂ€sst sich das Problem der KaĂșsalitĂ€t in das flĂ€chige Bild des reinen Funktionierens ĂŒberfĂŒhren. Diesem Bild korrespondiert die Anwesenheit einer absoluten PrĂ€senz aller Bewegung oder die Vorstellung der Zeit als unendlicher Gegenwart. Die Beschreibung der funktionellen Ordnungsverfahren ersetzt diejenigen Maschinendiskurse, welche das Problem der KausalitĂ€t, der Prozesse der Herstellungen und Verwendungen noch aufwarfen. Eine derartig angenommene reine FunktionalitĂ€t der Maschinen muss auch das VerhĂ€ltnis der Maschinen zur Ăkonomie und zur Ă€uĂeren Natur notwendigerweise ausklammern. Und dies fĂŒhrt zur endgĂŒltigen Axiomatisierung der Maschine, die nun im Rahmen des deduktiven und konstruktiven Maschinenbaus die meisten theoretischen Diskurse ĂŒber die Maschine dominiert. Und damit zerfallen die diversen Theorien ĂŒber die Maschinen einerseits in einen axiomatischen Funktionalismus und andererseits in die Diskurse der Philosophen, Anthropologen, Ăkonomen etc., die nun das Aufscheinen der Möglichkeit der ReversibilitĂ€t von Diskurs und Technik unter eigener Regie feiern. Wie sich leicht nachvollziehen lĂ€sst, haben sich die Diskurse ĂŒber die Maschine, gerade wenn nicht mehr nach dem Gegenstand »Maschine«, sondern im technologischen Sinn ausschlieĂlich nach den Funktionen maschineller Transmissionen gefragt wird, ganz dramatisch verschoben. Deduktive und axiomatisierte Maschinenbeschreibungen, in denen die Maschinen als Transformatoren von Energie und Information Bestand haben, zielen auf die Gliederung und auf die Taxonomien der Maschinenelemente ab, um mit ihrer Rekalibrierung und Neuzusammensetzung das Integral der Kommunizierbarkeit der Maschinen untereinander zu beschreiben. Anhand ausschlieĂlich kommunikativer Kriterien soll es zu einem allgemeinen Begriff der Maschine kommen, wobei sich aber schnell zeigt, dass gerade die allgemeine Kommunzierbarkeit der Maschinen selbst nur eines ihrer Elemente ist (und andere damit eben ausgeschlossen bleiben). Der wissenschaftliche Maschinenbau definiert Kommunizierbarkeit als das alleinige die Maschinen regelnde und regulierende Kriterium. Und scheinbar verschwindet damit auch die Differenz der Maschine zur Ăkonomie, zum Sozialen und zum Politischen, weil die Maschine sich nun als reine NeutralitĂ€t oder als reine Transmission erweist, ohne ĂŒberhaupt noch auf externe BerĂŒhrungspunkte verweisen zu mĂŒssen.
An dieser Stelle merkt Hans-Dieter Bahr an, dass die Kybernetik sich vom mechanischen Maschinendiskurs, was die Steuerungs- und OrdnungskapazitĂ€ten anbelangt, seien sie interner oder externer Natur, nicht wesentlich unterscheide. Der Konstruktion eines Regelkreises, bei dem jede VerĂ€nderung einer RegelgröĂe, die als Abweichung gilt, durch eine ihr entgegenwirkende GröĂe ausgeglichen wird, geht die newtonsche Formulierung der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung voraus. Wenn wir von kybernetischen Systemen in Hinsicht darauf sprechen, dass möglichst kein (störendes) menschliches Element in ihr Prozessieren eingeschaltet wird und das Steuern, das hier im Gegensatz zu einer Handlung nur als »Verhalten« erscheint, im Wesentlichen sich auf das Ein- oder Ausschalten der maschinellen Systeme durch den menschlichen Agenten reduziert, dann wird dem anthropologischen Schema aber noch lange nicht der RĂŒcken gekehrt. Denn man spricht eben weiterhin von steuernden Eingriffen in einen Regelkreis, die gerade dann perfekte Eingriffe sind, wenn es eben nicht zur Störung oder zum Unfall kommt, womit die Steuerung in der Tendenz wiederum auf die Aufrechterhaltung eines linearen störungsfreien Ablaufes reduziert wird, der einem FlieĂgleichgewicht entsprechen soll, das in jedem seiner Momente der jeweilige Abstand binĂ€rer ZustĂ€nde ist, bis hin zum Grenzwert ihres Zusammenfallens. (Ebd:: 194) Bahr vermutet, dass, gerade weil die Kybernetik an dem Term Gleichgewicht festhĂ€lt, es sich im Wesentlichen um eine um das Prozessieren von Ordnung erweiterte mechanische Theorie handele: Wirkungen produzieren Gegenwirkungen, die sich als Ursachen darstellen. Beim kybernetischen Feedback geht es darum, ob die Störungen von den maschinellen Komplexen selbsttĂ€tig oder extern durch menschlichen Eingaben ausgeglichen werden. Zumindest bei der Eingabe von Sollwerten, auch wenn es sich um eine einmalige Programmierung handelt, ist das menschliche Schaltelement noch vorhanden, das instrumentelle Organon, das den Automaten davon abhĂ€lt, reines Perpetuum mobile zu werden. Der sich selbst regelnde Automat bleibt im kybernetischen Diskurs also noch an die Verkopplung von Maschinen und Menschen gebunden, wobei das humane Entscheiden und Steuern einer logifizierten Struktur des Entweder/Oder, der Ja/Nein-Entscheidung folgt und deshalb das Zulassen der infinitesimalen Differenz ausschlieĂt.
Wenn die Maschine schlieĂlich zur Informationsmaschine mutiert, also je schon andere Maschinen informiert, dann befinden sich die Maschinen definitiv in technischen Umwelten, in Kontexten mit anderen Maschinen, in Netzwerken, in MaschinenverbĂ€nden und den entsprechenden Verfahren und Regeln, wie dies etwa Simondon mit dem Begriff der Filiation der technischen Objekte angedeutet hat. Mit den kybernetischen oder systemtheoretischen Diskursen zur Maschine wird ĂŒber das oben Gesagte hinaus ein theoretischer Spielraum eröffnet, der es ermöglicht, die Maschine als eine diskursive Formation zu beschreiben (und eben nicht nur als ein rein internes Netzwerk oder etwa nur als FunktionalitĂ€t oder Gegenstand). SelbstverstĂ€ndlich inkludiert die DiskursivitĂ€t der Maschinen ihre Kommunizierbarkeit (zunĂ€chst durch mathematische, technische Anweisungen und Verfahren), wobei die Maschinen heute immer stĂ€rker die KapazitĂ€t zur VerfahrenspluralitĂ€t aufweisen mĂŒssen, das heiĂt, sie mĂŒssen in ein Feld von möglichen Kommunikationen eintreten, deren Verfahren weniger als verursacht und vielmehr als strategisch durch das Kapital motiviert erscheinen. Je ökonomisch aufwĂ€ndiger die Finanzierung der Maschinen wird, desto mehr ist die PluralitĂ€t der Maschinenverfahren gefragt. Und darin insistiert die Frage, wie Arbeit sans phrase in mögliche Arbeit sich transponieren lasse, worauf Marx mit Technik und Technologie geantwortet hat, die in die Intervalle der Insuffizienz der Arbeit einspringen (vgl. Lenger 2003: 157), womit es ganz offensichtlich um die Transposition und Ersetzung der Arbeit selbst geht. Mit steigenden ökonomischen Kosten, die bei der Herstellung von Maschinen anfallen, wĂ€chst also unbedingt die Notwendigkeit, Faktoren wie VerfahrenspluralitĂ€t und Geschwindigkeit zu berĂŒcksichtigen, womit die Maschinen nun stĂ€rker im Kontext ihrer Potenzierungen formuliert werden. Es entstehen komplexe neue Maschinenumwelten, in denen die maschinellen Verfahren nicht nur durch Informierungen technischer, sondern auch ökonomischer und darĂŒber hinaus sozialer, biologischer und politischer Art prozessieren und gleichzeitig durch Faktoren wie UnfĂ€lle, BrĂŒche, Umschichtungen, Verschiebungen und Ăberraschungen hindurch Bestand haben oder halten. Informierung, die das Potenzial des Möglichen ausdrĂŒckt, transformiert sich, wenn sie der Kapitalisierung unterworfen wird, zudem zu einer machtbezogenen Kommunikation, welche heute die Filtrierung und Industrialisierung der Daten und der Informationen einschlieĂt. Technologie ist damit unweigerlich auf Maschinenverkettungen, ihre Systeme und Netzwerke, auf Operationen, Funktionen und Verfahren, auf Axiomatiken und Regeln, ja auf die Gesamtheit der maschinellen Konjunktionen bezogen. Damit ist der Dingbegriff definitiv aufgelöst, und auch die Festschreibung der Maschine auf ein einziges Verfahren oder eine einzige Geschwindigkeit findet immer weniger BerĂŒcksichtigung. Somit wird die Empirie der Maschinen endgĂŒltig in das Feld kommunikativer PotenzialitĂ€ten integriert, und dies fĂŒhrt Bahr zum Begriff der Strategie, d. h. der Option bzw. Wahl eines bestimmten ÂŽmaschinellen Verfahrens. SĂ€mtliche Maschinendiskurse, seien es solche der Produktions-, Informations-, Verkehrs-, Energie- und Humantechnologien, beziehen sich nun auf die Ăkologie der Maschinen bzw. auf ihre Netzwerke, die als Teile spezifischer Umwelten vorgestellt sind. Dabei werden die Informierungen immer von Prozessen der Absorption und Filterung begleitet, in denen Daten und Informationen durch ökonomisch-machtorientierte Prozesse selektiert und neu verteilt werden.
Es lĂ€sst sich ganz offensichtlich die Maschine nur noch als diskursive Formation beschreiben. (Vgl. Bahr 1983: 277) Die Eigenschaften der Maschinen und ihre konstruktiven Formbestimmungen zeichnen sich jenseits der regelgerechten Kommunizierbarkeit aber weiterhin durch eine gewisse differenzielle Vielfalt und durch eine gewisse AnfĂ€lligkeit fĂŒr Störungen aus. (Ebd.: 230f.) Hinsichtlich der FinalitĂ€t der Maschinen (Mittel-Zweckbestimmung) gilt es weiterhin, auch die Differenz zu bedenken, etwa die Differenz zwischen technischer Machbarkeit und ökonomischer ProfitabilitĂ€t hinsichtlich der Herstellung und des Einsatzes von Maschinen. Die Unifizierung der Wirkungen, die der systemnotwendigen Produktion von Effizienz folgt, kann den Zufall, der bei den Verkettungen des Maschinellen im Spiel ist, nicht vollkommen eliminieren, sondern nur Orientierungen zu seiner ZĂ€hmung oder Vermeidung anbieten. Dennoch soll irgendwie die Maxime weiterbestehen, dass alles Ontische im Entstehen und Vergehen besteht, wĂ€hrend Bestand nur der Gegenstand selbst hat, nĂ€mlich als Logos. (Ebd.: 33) SchlieĂlich muss der Inhalt mit der Form der Aussage ĂŒbereinstimmen, weil ansonsten das Ontische als ein Entstehen und Vergehen sich in schlechter Unendlichkeit verlieren wĂŒrde, anstatt durch die Ursache, die Bestand ist, zusammengehalten zu werden. Wenn Maschinen aber hauptsĂ€chlich im Sinne des Funktionierens ihrer Funktionen definiert werden, dann bringen sie doch stĂ€ndig neue Konjunktionen hervor, und so entsteht unweigerlich eine Vielfalt von Funktionen, die unter anderem als Störungen oder Nebenwirkungen identifiziert werden können. Maschinelle Funktion bezieht sich hier auf keinen Fall auf ein isoliertes empirisches Gebilde »Maschine«, denn die Funktionen bringen eben weitere Vermehrungen und Verstrahlungen der Funktionen hervor, neue Konjunktionen, man denke etwa die Integration der Maschine Automobil in das umfassendere Verkehrssystem. Die primĂ€re Maschinenfunktion, die FunktionstĂŒchtigkeit der Maschine Automobil, wird hier eindeutig durch die anscheinend sekundĂ€re FunktionalitĂ€t des Verkehrssystems dominiert, zu deren Steuerung und Kontrolle wiederum komplexe Maschinensysteme notwendig sind.9Â
Um zu einer noch tieferen Einsicht hinsichtlich der VervielfĂ€ltigung der maschinellen Funktionen zu gelangen, fragt Bahr jetzt, was denn die Funktionen der Maschinensysteme stören könnte, ja woran die Maschinen eigentlich kaputt gehen könnten. Es wurde schon mehrmals angesprochen, dass eine Maschine veralten kann, ohne dass sie als Material zerfallen muss, wenn ihr Einsatz nĂ€mlich aus ökonomischen GrĂŒnden fĂŒr das Einzelkapital nicht weiter rentabel ist, dass heiĂt wenn ihr Beitrag fĂŒr das Einzelkapital, um in der differenziellen Akkumulation zumindest einen Durchschnittsprofit zu realisieren oder andere Einzelkapitale zu schlagen, nicht lĂ€nger ausreicht. Faktoren wie Leerlaufzeiten, Streiks, der Wechsel von EigentĂŒmern oder Fusionen nehmen ebenfalls Einfluss auf das geregelte Funktionieren der Maschinen.
Die Systemtheorie konzipiert das maschinell-funktionierende System als die Summe seiner Inputs und Outputs. Dabei zĂ€hlen Geld, Algorithmen, Programme, Statistik, Wissen, Kontrolle, Industrienormen, Wartung, Energie, diverse Stoffe, Standorte, Verkettung mit anderen technischen Systemen, VerschleiĂ und Klima zu seinen Eingaben sowie verĂ€nderte Stoffe, Produkte, Ordnungen, Geld, Zeiten und RaumverĂ€nderungen zu seinen Ausgaben. Um diese Komplexionen zu vereinfachen, reduziert der technizistische Diskurs die Eingaben auf humane Steuerung und Arbeit, auf Softwareprogramme und Produktionsmittel und die Ausgaben auf materielle Produkte oder neue MaschinenzustĂ€nde. Unter Annahme dieser Reduktionen lassen sich alle weiteren Eingaben und Ausgaben als unzweckmĂ€Ăige Funktionen bestimmen, von Fehlleistungen der ArbeitskrĂ€fte ĂŒber Programmierungsfehler bis hin zu Widrigkeiten wie Klimakatastrophen und ökonomische Krisen. Insofern die Maschinensysteme aber auch diese Faktoren als Eingaben absorbieren sollen, muss ihr Funktionieren zugleich eine spezifische Informierung der Ausgaben herstellen, die ihrerseits nicht nur Gebrauchswerte und stabile Produkte inhĂ€rieren, sondern eben auch Dysfunktionen oder AbfĂ€lle. Wenn ökonomische Funktionszeiten, Verluste und Verschwendungen zu den Inputs und Outputs der Maschinen zĂ€hlen, so zeigt sich sofort, dass in einem geordneten Feedbackmechanismus vor allem die Eingaben selektiert, sortiert, einige davon bevorzugt und andere vermieden werden mĂŒssen, damit es eben nicht zu »schlechten« Informierungen der Ausgaben kommt, die dann nicht als Gebrauchswerte, sondern als DysfunktionalitĂ€ten erscheinen, zumal dann, wenn doch die Ausgaben insbesondere wieder Eingaben in das System sein sollten; es mĂŒssen im Sinne eines reibungslosen Funktionierens der Maschinerie die Ausgaben so mit den Eingaben rĂŒckgekoppelt werden, dass es möglichst zur Eliminierung störender Eingaben kommt. Somit ist die Kybernetik in erster Linie eben nicht als Automatisierung, sondern vor allem als ein Mechanismus der Eingabeselektion zu verstehen.
Alexander Galloway hat in seinem Essay Black Box, Schwarzer Block darauf hingewiesen, dass die Black Box im Zuge der Hegemonialisierung der Kybernetik einen drastischen Bedeutungswandel erlebt habe, nĂ€mlich von einer Chiffre, die es zu decodieren oder aufzudecken gelte, hin zu einer Funktion, die ausschlieĂlich durch ihre Inputs und Outputs definiert werde. (Galloway 2011: 273) Damit habe sich auch die MarxÂŽsche Fetischismuskritik, die unter der mystischen HĂŒlle den rationalen Kern entdecken will, erledigt, haben wir es nun mit einer rationalen/ rationellen OberflĂ€che von Maschinen (Interfaces, Tastaturen, Fenster, Tabs etc.) und einer weitgehend unsichtbaren Black Box zu tun. Diese neuen Black Boxes sind rein auf das Funktionieren (der Computer, Codes, Protokolle Datenobjekte etc.) abgestellt, insofern sie durch Programmierung den reibungslosen Verkehr von Inputs und Outputs leisten sollen. Als Techniken der Verdunkelung liefern die Black Boxes zwar eine lupenreie Syntax der OberflĂ€chen, belassen aber das Innere der Maschinen weitgehend im Unsichtbaren. Galloway fasst zusammen: »Diese Black Boxes besitzen ein rein funktionales Sein ohne Wesen oder transzendentalen Kern.« (Ebd.: 274) Teleologische Zuschreibungen lösen sich in diesem Kontext völlig auf, weil es weder ein kollektives Subjekt namens Gesellschaft gibt noch dem Kapital Subjektstatus zugewiesen werden kann.
Eingaben und Ausgaben, definiert als Pole, und die Maschine, definiert als Vermittlung oder Transmission der Pole, all dies zeigt fĂŒr Bahr an, dass die maschinellen Relationen letztendlich in eine PluralitĂ€t von Transmissionen zerfallen mĂŒssen, wobei die Pole am Ende allenfalls noch Orientierungen, Einschnitte und Durchkreuzungen anzeigen, die Bahr unter dem Begriff des »Strategems« zusammenfasst. Mit dieser radikalen Neuorientierung des Diskurses werden die bisherigen Maschinendiskurse aber nicht gĂ€nzlich eliminiert, sondern Ă€hnlich wie bei Laruelle auf reines Material reduziert. Generell fordert Bahr zu einem anderen Umgang mit den Maschinen auf, wenn er von den Strategemen als Wirkungen »des Experimentellen schlechthin, als Versuch und Versuchtwerden« (Bahr 1983: 297) spricht, und dies weder in einem unendlichen noch in einem endlichen, sondern in einem indefiniten Feld, einem «campus indefinitum«. An dieser Stelle fordert Bahr zudem eine »ArchĂ€ographie« ein, die sich dem Problem des »Ăberdeutlichen, des Undeutlichen, der Andeutung und der Ăberdeutung« (ebd.: 301) stellt, um dem philosophischen Zirkel der Abbildung, Reflexion und ReprĂ€sentation zwischen RealitĂ€t und Diskurs zu entkommen. Bahrs Labyrinth der Monumente, der Mannigfaltigkeiten von zeitlichen Funktionen, lĂ€sst sich auch hier in eine gewisse theoretische NĂ€he zu Laruelles fraktaler Unbestimmtheitskraft bringen, die ganz von sich aus das Gegebene at once unregelmĂ€Ăig macht, und zwar im Campus indefinitium gemÀà dem Realen. (Laruelle 2014: 115) Diese Kraft darf allerdings nicht in völliger Indetermination versinken, sondern muss immanent auf das Eine bezogen bleiben, i. e. sie bleibt auf das Reale angewiesen, das seine immanente Ursache ist. Diese Kraft muss sich mit dem Realen identifizieren, wĂ€hrend dieses sich mit ihr weder mischt noch in ihr verschwindet oder aufgeht. Damit ist in gewisser Weise das Ideal des reibungslosen Funktionierens der Maschinen zerstört, sodass sich maschinische PrĂ€zision allenfalls noch als problematische Komplexion begreifen lĂ€sst, insofern die Maschinen je schon weitere Funktionen, Faktoren, Parameter und Variablen ihres Feldes einzubeziehen haben. Die Maschine als ein Modell der PrĂ€zision muss sich definitiv verflĂŒchtigen oder sich zumindest in ein Strategem der PrĂ€zisionsgrade verwandeln, womit die Maschine zumindest eine Maschine der Wahrscheinlichkeit wird. Und der Maschinenbau muss sich dieser Herausforderung stellen, um die Maschine nicht allein ĂŒber ihr geregeltes und möglichst reibungsloses Funktionieren, sondern auch ĂŒber ihre Verstrahlungen und Verwerfungen in spezifischen ökonomischen, sozialen und politischen VerwendungsrĂ€umen zu definieren. Damit kommt der affirmative Diskurs, der unverhohlen weiterhin den linearen technischen Fortschritt zu propagieren versucht, endlich an seine Grenze.10
1 Eine wichtige Industrie, die Marx zwar kaum erwĂ€hnt, aber irgendwie doch schon im Blickfeld hat, war die ElektrizitĂ€tsindustrie. In einem Brief an Engels Ă€uĂert Marx sein Interesse an der elektrischen KraftĂŒbertragung ĂŒber weite Strecken via Telegraphendraht, was als Grundlage fĂŒr die Elektrifizierung gelten darf. (Vgl. Heinrich 2011: 188)
2 Bahr weist darauf hin, dass Marx die Begriffe »Gebrauchswert« und »Produkt als WerttrĂ€ger« oft zusammenfallen lĂ€sst, aber dies setzt auch Trennung voraus, i. e. sie sind im Produktionsprozess unterschieden und werden in ihm zugleich zusammengefĂŒgt (der Gebrauchswert der Arbeitskraft und die Maschine). (Bahr 1973: 60) Weiterhin gilt es darauf hinzuweisen, dass es nicht viel Sinn macht, den Gebrauchswert mit dem Qualitativen und dem Nicht-ZĂ€hlbaren und komplementĂ€r den Tauschwert allein mit Quantifizierung zu assoziieren. Die Klimawissenschaften zeigen an, wie man Versuche unternimmt, imaginĂ€re Werte, die eher dem Gebrauchswert zuzurechnen sind, zu quantifizieren. Oder, um es anders zu sagen, es wĂ€ren hier die »QualitĂ€ten« der Tauschwerte zu problematisieren und nicht nur ihre Mathematik. Umgekehrt unterliegt der Gebrauchswert lĂ€ngst einer eigenartigen parergonalen Strukturierung, die ihn zu einem signifizierten Material macht, das im und als Ambiente gemÀà einer differenziellen Ordnung konsumiert wird. (Vgl. Baudrillard 2015: 218)
3 Wie der Untersuchung der Struktur des Gebrauchswerts der Ware, so hat die marxistische Theorie auch der Analyse des Gebrauchswerts der Maschinen, exakter ihrer spezifisch technischen Form bzw. Struktur, wenig Beachtung geschenkt. Ein Teil der Marxisten betrachtet die Technik Ă€hnlich wie ein Ingenieur immer noch rein instrumentell - aber als ein reines Instrument wĂ€re sie ja nicht an spezifische Zwecke gebunden und wĂŒrde damit schnell zum bloà Àsthetischen Objekt verkommen. Es kommt schlieĂlich bei solch einem Instrument entweder auf das Funktionieren an sich an, oder auf eine Ă€sthetisierende Kritik ihres Funktionierens, die zumeist darin besteht, dem Funktionieren ein weiteres Funktionieren hinzuzufĂŒgen.
4 Die Gleichsetzung verschiedener Mengen verweist fĂŒr bestimmte Marxisten auf das Dritte, das eine in Zeit gemessene GröĂe sein soll: abstrakte Arbeitszeit, flĂŒssige Preisform. Es könne also ein Drittes geben, das die MaĂe vergleichbar mache. (MEW 23: 73). Dabei wird allerdings das WertmaĂ fĂŒr ein ZeitmaĂ ausgegeben, was wir tunlichst unterlassen wollen. Wir können diese Diskussion hier aber nicht fortfĂŒhren.
5 Dabei ist das formal-logische Denken lĂ€ngst nicht mit dem Wissen der Naturwissenschaft identisch, denn diese enthĂ€lt auĂer den allgemeinen Kategorien wie QuantitĂ€t, Raum, Zeit, Bewegung, Masse, Atom usw. noch eine Vielzahl weiterer Kategorien, Deskriptionen, PrĂ€skriptionen und Begrifflichkeiten. Und sowohl das abstrahierende Denken, seine Aussagesysteme und Formalisierungen wie eben auch die Naturwissenschaften sind in eine spezifische AdĂ€quation zu den Kapital-Maschinen zu setzen.
6 Sohn-Rethel kommt es darauf an, die apriorisch-mathematischen Naturwissenschaften auf ihre Genesis hin zu befragen, ohne, worauf Woesler hinweist, das Problem des Experiments genauer zu analysieren. Woesler schreibt dazu: »Zwar ist es richtig, daà das Experiment dem theoretisch-mathematischen Apriori nachgeordnet ist, denn die experimentelle Versuchsanordnung ist nach dem Konstruktionsprinzip des ideellen Apriori angeordnet, andererseits findet im Experiment Materie nicht als bloà Gedachtes, sondern als reale Natur Eingang in die Wissenschaft.« (Woesler 1978: 240)
7 Diese Projektion erweist sich als die Grundstruktur des Arbeitens, das heiĂt eines Erzeugens und Zeugens, das an den Objekten etwas MenschenĂ€hnliches zur Erscheinung bringen will, womit sie einerseits »Zeugs« im Sinne ihrer MaterialitĂ€t werden und andererseits Zeugen im Sinne von Botschaften, die zu dechiffrieren sind.
8 FĂŒr Bahr nimmt der Eros ein wichtige Stelle in den frĂŒhen Maschinendiskursen ein. Kannte Eros die Unterscheidung zwischen Trieb und Getrieben-Sein noch nicht, so war es seine Unruhe, die stabil blieb, und um diese zu beruhigen und zugleich produktiv werden zu lassen, musste ein Streben in das Begehren eingefĂŒhrt werden, das die Unruhe permanent erzeugend machte. Diese erotische Maschine - Triebwerk, ununterscheidbar Treibendes und Getriebenes - will stets ĂŒber sich hinaus, um sich zugleich in ihrem Streben zu beruhigen, und dem dient der Zweck oder Telos. Mit ihm wird das Begehren auf die Produktion ausgerichtet und zugleich in den Telos integriert, womit es erst zum Kurzschluss von BedĂŒrfnis und Befriedigung kommt. Die Unruhe des Begehrens wird ganz dem Zweck untergeordnet, dem wiederum spezifische Mittel der Produktion und Kommunikation zu dienen haben. Die Produktion zielt schlieĂlich darauf ab, das Leben ĂŒber den Tod des Subjekts hinaus zumindest als Gattung zu erhalten. Bahr sieht in der Gleichsetzung, ja in der Subordination der Produktion unter die Reproduktion einen der grundlegenden Topoi der abendlĂ€ndischen Vernunft - und in dem Sinne seien Ăkonomie und Techniktheorie als Wissenschaften von der Unsterblichkeit der Gattung Mensch zu verstehen. Es ist zu diskutieren, wie genau die Kapitalmaschinen dieses Ziel heute verfehlen.
9 In modernen Fahrzeugen ist die Anzahl der durch ECU gesteuerten Funktionen extrem angestiegen. Automobile sind heute Maschinen, die durch Tausch, Kommunikation, Konnexion und ProzessualitĂ€t der Daten-Ströme hindurch zur Selbstbewegung drĂ€ngen. Zwar vermittelt man dem Fahrer weiterhin das GefĂŒhl der souverĂ€nen Steuerung, aber zugleich werden zunehmend alle Komponenten, seien es Maschinen, Menschen oder sozialer Verkehr, im Rahmen des maschinischen Trackings reguliert. Zudem wird das Automobil in weitgefĂ€cherte Maschinen- bzw. Verkehrssysteme eingefĂ€delt, deren Funktionieren keinem noch so genialen Ingenieur zu verdanken ist und deren Quintessenz die Autobahnen und ihr Netz sind, das die Gesteuerten â so schreibt im Gleichklang mit Hans-Dieter Bahr das Autorenkollektiv Tiqqun (Tiqqun 2012) â mit einer kalkulierten und signalisierten Gleichförmigkeit zu ihrem Zielort gleiten lĂ€sst.
10 Die Durchkreuzung des Ideals der PrĂ€zision zeigt sich an der KomplexitĂ€t von Maschinen, am Sachverhalt, dass Maschinen unberechenbare Effekte erzeugen können, womit sie als Mittel der Produktion nur noch unter permanenter BerĂŒcksichtigung des Unwahrscheinlichen zu beherrschen sind. (Bahr 1983: 307) Bahr fĂŒhrt an dieser Stelle folgendes Beispiel vor: Man nehme eine Maschine, die aus 1000 Einzelteilen besteht und mit einem PrĂ€zisionsgrad von 1:100000 funktioniert. FĂ€llt in einer Serie von 1000 produzierten Maschinen ein Einzelteil aus, so lĂ€sst sich durchaus noch von einem glatten Funktionieren der Maschinen sprechen. Wenn man jedoch diesen Fehlerquotienten auf komplexe Maschinen ĂŒbertrĂ€gt, die beispielsweise aus 100.000 Einzelteilen bestehen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht funktionieren, schon sehr hoch. Bahr weist weiter darauf hin, dass die Störung hier nicht mehr allein durch die Erhöhung des PrĂ€zisionsgrades zu beheben ist, sondern nur noch durch die Multiplizierung von Funktionen, und zwar derart, dass beim Ausfall von bestimmten Funktionen andere Funktionen einspringen mĂŒssen, was wiederum die Herstellung von spezifischen ĂberbrĂŒckungsfunktionen erfordert. (Ebd.: 308). Des Weiteren zielt diese Art der Stabilisierung auf die Produktion der Einsicht der Maschine in sich selbst ab, auf ihre KapazitĂ€t, entsprechende Korrekturen selbst herzustellen, bis hin zur ihrer FĂ€higkeit, den Ort der Störung in ihrem System festzustellen, um schlieĂlich die entsprechenden Reparaturen einzuleiten.
Foto: Bernhard Weber