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Nach dem Erfolg vom Freitag sollte es eine Perspektivdebatte der Klimaaktivisten geben

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Auch in der Klimabewegung können sich viele eher ein Ende des Lebens auf der Erde als ein Ende des Kapitalismus vorstellen

In Berlin ging am 20.September über viele Stunden nichts mehr.
Viele große Straßen waren gesperrt, dafür waren kleinere Straßen
überfüllt, weil die PKW-Nutzer Ausweichstrecken suchten. Der Klimastreik
und die Demonstrationen und Blockaden hielten den ganzen Tag an.

Der zentrale Demonstrationszug, der sich vor dem Brandenburger Tor
versammelte und durch Mitte zog, war nur ein Bestandteil des
Klimastreiks. An anderen Stellen trafen sich Aktivisten zu Blockaden und
den ganzen Nachmittag zogen Raver durch die Innenstadt, die sich
ebenfalls auf das Klimathema bezogen. Überall dominierten selbstgemalte
Plakate. Die darauf geschrieben Parolen waren so unterschiedlich wie die
Teilnehmenden.

Es gab Klassiker, die immer wieder auftauchten, wie: "Es gibt keinen
Planeten B". Doch dann gab es auch sehr individuelle Lösungen. "Alte
weiße Männer statt Bäume absägen" war ein solches Motto oder: "Wenn wir
so weitermachen wird nicht nur Bielefeld verschwinden". Die Schreiber
bezogen sich auf die von Titanic-Redakteuren in die Medienwelt gesetzte
Behauptung, dass die ostwestfälische Stadt nicht existiert. Wenn eine
Demonstration eine Großstadt wie Berlin so bestimmt wie die
Klimaaktionen am 20.September, dann wird deutlich, dass hier eine
Bewegung auf die Straße gegangen ist, deren Themen einen zentralen
Stellenwert erlangt haben. Wenn man noch in Rechnung stellt, dass allein
in Deutschland in hunderten Städten Menschen "für das Klima" auf die
Straße gegangen sind, dann wird erst recht deutlich, welche Bedeutung
das Klimathema auf der politischen Bühne heute erlangt hat.

Und dann muss man den globalen Charakter der Bewegung betonen. Die
Proteste fingen in Australien an und breiteten sich im Uhrzeigersinn
über den Globus aus. Eine solche über transnationale Protestbewegung gab
es in den letzten Jahren selten. Man könnte höchstens die Proteste
gegen den Irakkrieg heranziehen, die allerdings auf weniger Länder
beschränkt geblieben waren. Eine solche transnationale Bewegung ist auf
sozialem Gebiet leider bisher nie gelungen.

Klimathema ist älter

Nun könnte man sagen, die neuen Proteste werden durch die
Dringlichkeit beschrieben, die die Aktivisten ihrem Thema selber geben.
Sie rechnen in Jahren nicht in Jahrzehnten, um ein Überleben der
Menschheit, wie wir sie kennen, eine Zukunft zu geben. Allerdings wäre
es falsch, das Klimathema und auch sein Beharren auf Dringlichkeit erst
in der jüngeren Zeit zu verorten. Schmutziges Wasser, Robbensterben,
verpestete Luft und verkümmernde Wälder beschäftigen die Bürger mehr als
Politiker-Reden von der Roten Gefahr, wusste
der Spiegel vor 30 Jahren Anfang 1989. Damals schlugen Militär und
konservative Politiker Alarm, weil sie den natofreundlichen Grundkonsens
der Bevölkerung in Gefahr sahen.

Trotzdem haben nationale und nationalistische Themen die
Umweltproblematik nach dem Mauerfall so verdrängt, dass die Grünen ein
Jahr später aus dem Parlament geflogen sind. Sie hatten damit geworben,
dass sie über das Klima und nicht über die deutsche Einheit reden
wollten, was später Realpolitiker in der eigenen Partei als großen
Fehler bezeichneten. Die Bewegung gegen die autoritäre SED-Herrschaft,
die zunächst von der linken DDR-Opposition ausging, die alles andere als
die Wiedervereinigung wollte, wurde mit Hilfe der Unionsführung und
großer Teile der DDR-Bevölkerung in deutschnationalistische Bahnen
gelängt.

Was der "Spiegel" noch Anfang 1989 diagnostizierte, hatte plötzlich
keine Grundlage mehr. Das zeigt, wie schnell solche Massenstimmungen
wieder verschwinden können, gerade wenn nationalistische Themen gepusht
werden. Auch die Radikale Linke, ein parteiunabhängiges Bündnis, das im
Frühjahr 1989 zu einem Kongress einlud, auf dem man gegen die sich
anbahnende rot-grüne Besoffenheit eine linke Alternative diskutieren
wollte, hatte nicht mit diesen nationalistischen Schub gerechnet, der ab
Herbst 1989 alle anderen Themen verdrängte. "Mittlerweile haben sich
die politischen Koordinaten unter dem Eindruck der Veränderungen in
Osteuropa geändert: Nicht mehr der Ökokapitalismus, sondern der deutsche
Nationalismus steht auf der Tagesordnung", schrieb die Taz über das zweite Treffen der Radikalen Linken im Januar 1990.

An die politische Gemengelage im Jahr 1989 in der BRD erinnert auch die aktuelle Printausgabe der Publikation OXI
mit zahlreichen Einschätzungen und Quellen von vor 30 Jahren. In einem
Text wird auch darauf hingewiesen, dass die BRD schon lange Vorsorge
getroffen hat, die DDR heim in die BRD zu holen. Dieser Prozess wird
heute gerne als friedliche Revolution beschrieben. Leider wird dieser
offizielle Terminus auch von den OXI-Autoren unkritisch benutzt.

Warum ist die Jugend Vorreiter der Klimabewegung?

Es könnte also auch aktuell sein, dass andere weltpolitische oder
ökonomische Ereignisse von kriegerischen Verwicklungen bis zur
Verschärfung der Wirtschaftskrise das Klimathema zeitweise wieder etwas
in den Hintergrund treten lässt. Doch es ist nicht zu erwarten, dass es
ganz aus der Tagesordnung fällt. Das liegt weniger an der Bewegung
selber, die sicherlich in der nächsten Zeit ähnliche Klärungsprozesse
mit Spaltungen und internen Differenzen durchmacht, wie andere
Bewegungen in der Vergangenheit. Das liegt einfach am Wesen von solchen
spontanen Bewegungen.

Doch selten erwähnt werden die kapitalistischen Veränderungsprozesse,
die diese Bewegung erst haben entstehen lassen. Es ist der Übergang zu
einem neuen kapitalistischen Akkumulationsregime vom fordistischen zum
digitalen Kapitalismus. Nicht von ungefähr trägt der lange dominierende
Akkumulationstypus den Namen des Autobauers Ford, obwohl die dort
praktizierte kapitalistische Produktionsweise sich in großen Teilen der
industriellen Produktion ausgebreitet hatte. Mittlerweile aber sind die
digitalen Konzerne die Motoren des modernen Kapitalismus und große Teile
der fordistischen Industrie werden ausgemustert.

So sind viele gegen das Auto in Form des PKW gerichtete Proteste also
durchaus kapitalismusimmanent. Und dass Angehörige der oft
mittelständischen Jugend die Avantgarde dieser Bewegung stellen, kann
auch materialistisch erklärt werden. Es sind gerade jungen Menschen, die
heute die modernen technologischen Gerätschaften wesentlich besser
beherrschen als die Generationen davor. Das ist durchaus eine Zäsur.

Lange Zeit war das Wissen über die technische Beherrschung von
Werkzeugen, Geräten und Maschinen bei der älteren Generation verortet,
die es an die jüngere Generation weitergeben. Im Handwerk ist diese
Wissensübergabe von Meistern auf die Gesellen und Lehrlinge streng
geregelt. Doch indem jüngere Menschen die modernen Geräte beherrschen,
wächst auch ihr Selbstbewusstsein, sich in gesellschaftliche Fragen
einzumischen. Das ist ein wesentlicher Grund für das Engagement vieler
junger Menschen in der Klimabewegung.

Dass sich dort als Leitfiguren oft junge Frauen herausgebildet haben,
die als gesellschaftliche Außenseiterinnen wahrgenommen wurden, worauf
sich die Medien besonders stürzen, ist historisch gesehen nichts
Besonderes. Der Historiker und Autor des Buches "Poesie der Klasse" Patrick Eide Offe erklärte auf einer Veranstaltung im Brecht-Haus zur Poetik der Solidarität, dass in der Literatur häufig gesellschaftliche Outlaws wichtige Impulse für soziale Umbrüche gegeben haben.

Beim politischen Engagement spielte auch in der Vergangenheit die
Produzentenmacht eine wichtige Rolle. Im Fordismus war es oft die
ausgebildete Facharbeiterklasse, die sich mit der Arbeit der Maschinen
auskannte, die auch politisch in Gewerkschaften und linken Parteien die
Welt in ihrem Sinne verändern wollten. Sie waren die Akteure der
parteiförmig organisierten Arbeiterbewegung in Frankreich und Italien
bis in die 1970er Jahre.

Mit der Krise des fordistischen Akkumuiationsmodells erodierte diese Produzentenmacht in den Fabriken und damit auch der Einfluss der linken Arbeiterparteien und der Gewerkschaften. Sie verloren auch die Hegemonie in der Gesellschaft. Das konnte man bei den Demonstrationen am Freitag gut beobachten. Der Großteil der Beteiligten war unorganisiert. Erst in den hinteren Reihen kamen einige organisiert Blöcke, von Menschen und Initiativen getragen, die auf verschiedenen politischen Feldern aktiv sind. Sie konnten sich an der Demonstration beteiligen und ihre Interpretation der Klimakrise auf Transparenten, Flugblättern und Sprechchören verbreiten. Aber sie waren nur ein sehr kleiner Teil der Demonstration. Schon ihr Platz im hinteren Teil ist ein Zeichen dafür, dass sie keine Hegemonie in der Bewegung haben. Nur dann könnten sie im vorderen Teil der Demonstration gehen.

Was ist mit Systemchange gemeint?

Inhaltsverzeichnis

  1. Nach dem Erfolg vom Freitag sollte es eine Perspektivdebatte der Klimaaktivisten geben

  2. Was ist mit Systemchange gemeint?


  3. Auf einer Seite lesen

Doch, wenn auch eine Einflussnahme von linken Gruppen in der
Klimabewegung abgelehnt wird, so gibt es doch Losungen und Parolen der
Linken, die auch bei den Klimaaktivisten auf Zustimmung stoßen. Als
kleinster gemeinsamer Nenner kann vielleicht die Parole "Systemchange
not Klimachange" gelten.

Doch hier stellt sich sofort die Frage, was mit Systemchange gemeint
ist. Denn auch der Wechsel eines kapitalistischen Akkumulationsmodells
kann so interpretiert werden. Damit nicht dem Fordismus die Uberisierung
folgt, müsste der kapitalistische Verwertungszwang als wichtiger
Urheber der Klimakrise in den Mittelpunkt gestellt werden. Der Autor der
Krisis-Gruppe Norbert Trenkle hat in einem aktuellen Beitrag gut begründet, warum es keinen ökologischen Kapitalismus geben kann.

Grundsätzlich ist die Vorstellung einer "ökologischen
Marktwirtschaft" nichts anderes als eine Seifenblase. Zwar kann der
Kapitalismus prinzipiell in vielfältiger Weise reguliert und "eingehegt"
werden, auch wenn das im Zeitalter der Globalisierung immer schwieriger
wird. (Ein "freier Markt" ohne Regulierung existiert nur in den
Horror-Phantasien der Hardcore-Liberalen; es hat ihn nie gegeben und es
kann ihn nie geben.) Aber die Grundlogik des Wachstumszwangs, die auf
dem Selbstzweck der Kapitalakkumulation beruht, lässt sich nun einmal
nicht wegregulieren, weil sie den Wesenskern des marktwirtschaftlichen
Systems ausmacht. Selbst wenn es also tatsächlich gelänge, die
energetische Basis kurzfristig umzustellen, würde das die Wucht der
ökologischen Zerstörung bestenfalls ein wenig abbremsen und auf andere
Gebiete verschieben.

Norbert Trenkle

In dem Beitrag wird auch deutlich, warum es mindestens naiv ist, sich
auf vielen Zeitungseiten darüber aufzuregen, warum dieser Politiker
oder jener Wirtschaftsführer nicht mehr für das Klima getan hat. Solange
sie die kapitalistische Verwertungslogik nicht infrage stellen, können
sie nur Symbolpolitik auf dem Umweltsektor anbieten - und sie können
diese dann noch für weitere sozialen Zumutungen bei den Menschen nutzen,
die schon heute wenig Geld haben. Auch auf diesen Aspekt hat Norbert
Trenkle in seinen Beitrag hingewiesen:

Wenn also die Gegner der CO2-Steuer diese als "unsozial"
brandmarken, dann haben sie durchaus starke Argumente auf ihrer Seite.
Natürlich sind das ganz überwiegend Leute, denen die "soziale Frage"
sonst vollkommen egal ist und die sie hier nur aus durchsichtigen
politischen und ideologischen Motiven instrumentalisieren. Dennoch
verweisen sie auf ein durchaus ernst zu nehmendes Problem. Die ohnehin
bestehenden sozialen und regionalen Disparitäten würden sich zweifellos
deutlich vergrößern, und damit verschärften sich auch die
gesellschaftlichen Verteilungskonflikte, wie jetzt schon an den
Protesten der Gelbwesten deutlich wurde.

Norbert Trenkle

Wenn man manche Verlautbarungen der Klimaaktivisten zur sozialen
Frage hört, könnte man ihnen glatt unterstellen, sie wären in der FDP
gut aufgehoben. So fiel der Berliner Klimaaktivistin Clara Mayer im Taz-Interview zur Debatte um Verlierer der Klimadebatte nur ein:

Dass es die Konflikte gibt, ist ja nicht zu bestreiten. Aber
ich finde es sehr schade, dass es immer diese VerliererInnendebatte
gibt, da habe ich das Gefühl, das ist eher AfD-Niveau. So von wegen: Der
Klimaschutz wird einen Großteil der Bevölkerung total benachteiligen
und die arbeitende Bevölkerung ins Unglück stürzen. Das ist doch
kompletter Unsinn. Es gibt so viele Studien, die zeigen, dass es unserer
Wirtschaft auch mit Klimaschutzmaßnahmen besser gehen wird, dass es
auch für Kohlekumpel Umschulungen gibt, dass es für diese Menschen
Beschäftigung gibt.

Clara Meyer

Einmal abgesehen davon, dass der kapitalistische Mythos, wenn es den
Konzernen gut geht, es auch den Arbeitern gut geht, hier unkritisch
reproduziert wird, wird schon der Hinweis, dass es Menschen gibt, die
sich die Verteuerungen im Zuge der neuen Klimapolitik nicht leisten
können, in die rechte Ecke gestellt. Angesichts solcher Positionen in
Teilen der Klimabewegung wäre eine Kooperation derjenigen, die in der
Klimafrage auch eine Klassenfrage sehen, wichtig. Dabei hat eine Studie
des Umweltbundesamtes klar zu Jahresbeginn klar festgestellt:

"Der Einfluss des Einkommens ist dabei besonders groß: Die Befragten
in der untersten Einkommensgruppe haben im Mittel einen
Gesamtenergieverbrauch von rund 10.000 Kilowattstunden pro Jahr (kWh/a),
bei Befragten mit hohen Einkommen liegt er mit knapp 20.000 kWh/a fast
doppelt so hoch."

Angehörige der prekären Milieus haben also den geringsten
Energieverbrauch. Das bringt die linksliberalen Klimabewegten und die
Taz-Journalistin, die darüber berichtet,
fast zum Verzweifeln. Doch individuelle Lösungen oder Selbstgeißelungen
helfen da wenig. Es sollte vielmehr erkannt werden, dass es für
strukturelle Probleme kaum individuelle Lösungen geben kann.

Es wird sich in Zukunft also zeigen, ob die Klimabewegung erkennt, dass sie, wenn sie Erfolg haben will, über den Kapitalismus hinausdenken muss. Doch genau hier liegt das Problem und einige Demonstranten haben es mit einer Parole auf ihren Transparenten gut auf den Punkt gebracht. "Manche können sich eher ein Ende des Planeten als ein Ende des Kapitalismus vorstellen". Die, die hier gemeint sind, fanden sich auch in großer Menge auf den Klimademonstrationen. Solange sich das nicht ändert, könnte der von vielen geforderte Systemchange tatsächlich bedeuten, dass Uber Ford ablöst.

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