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Wie die Deutschen die „Flüchtlingskrise“ genießen

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Bild, die Selle der Deutschen, plaudert es aus: Die Flüchtlingskrise ist zurück. Festzeiten für Merz und die AfD, der es wieder gelingt, den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit durch den zwischen Deutschen und Ausländer zu ersetzen.  Bild ist führend darin, bildkräftige Assoziationen über den Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität, Rauschgifthandel und religiösem Fanatismus zu generieren, Ausländer als nicht integrierbare und gefährliche Eindringlinge oder als arbeitsscheue Subjekte zu stigmatisieren. Vorbei die Zeiten, als die deutsche Fußball-Prominenz die Plakette „Refugees Welcome“ mit dem Bild Logo auf dem grünen Rasen spazieren trug. Der herrschende Block in den Regierungsetagen arbeitet seit Jahren unermüdlich an der Verschärfung des Asylrechts bzw. am rechtlichen Sonderstatus der Asylanten, i.e. die Ersetzung von Bargeld durch Lebensmittelgutscheine, Arbeitsverbot, Residenzpflicht, Lager, die man Sammelunterkünfte nennt, und so weiter und so fort. (Agamben erinnert daran, dass die ersten Lager in Europa für Flüchtlinge errichtet wurden, und dass die Abfolge: Internierungslager – Konzentrationslager – Vernichtungslager eine vollkommen reale Abstammungsreihe darstellt.) Längst werden auf vorgeschobener Linie Abschiebungen in den Internierungslagern in Griechenland und in der Türkei vorgenommen. Die EU überweist Tunesien Millionen, damit die Migranten in die Wüste getrieben werden.  Die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX führt Regie im Massengrab namens Mittelmeer. Kriegsflüchtlinge und globale Arbeitsnomaden (Achille Mbembe), denen nicht einmal der Genuss auf Ausbeutung durch das Kapital vergönnt ist, werden mit staatlichen Operationen der Lagerbildung und integrierten Systemen des Rückführungsmanagements empfangen. Frei soll sich nur das monetäre Kapital in Nanosekundenschnelle bewegen können, die globalen Eliten und ihr Umfeld und die Insassen der Transportmaschinen der Tourismusindustrie.

Auf ihren Sonderstatus als Flüchtlinge wäre mit der Forderung der Abschaffung des Flüchtlingsregimes angemessen zu reagieren, der Forderung nach Rechtsgleichheit, was die freie Beweglichkeit, Mobilität, Bildung, Arbeitserlaubnis etc. angeht.  Wirklich das Flüchtlingsregime anzugreifen, das hieße den rechtlichen Nicht-Status der Flüchtlinge, der etwa durch Lebensmittelgutscheine statt Bargeld, Arbeitsverbot, Residenzpflicht und Sammelunterkünfte markiert wird, anzugreifen. Es ist generell zu befürchten, dass die Rechtsgleichheit des Flüchtlings im Kapitalismus aus rein „logischen“ Gründen gar nicht möglich ist. Bei Kant kann man schon nachlassen, dass in einer Nation, die sich über ihr Territorium, das sozusagen Volkseigentum ist, definiert, der Fremde unweigerlich als Unperson gesetzt ist. Die Nation verbietet es geradezu, ein Gast-Recht zu etablieren, bei dem der Gast sui generis als Rechtsperson verstanden wird. Gastfreundschaft ist nämlich keine philanthropisch-humanitäre Geste und auch keine Art von Mildtätigkeit, sie ist das Politische, das durch die Subalternen erkämpft werden muss.

Das rassistische Phantasma, das stets Teil eines Staatsrassismus ist, mit dem das Leben und das Sterben der Bevölkerung überwacht und reguliert wird, hat eine leichte, wenn auch nicht unbeabsichtigte Modifizierung angenommen. Gemäß den allgemeinen Spielregeln des Neoliberalismus finden wir eine Fortentwicklung vom Sicherheitsdispositiv hin zum Risikodispositiv vor. Der rassistisch konnotierte Migrations-Diskurs stellt die einheimische Bevölkerung als einen integralen, als einen quasi-organischen Körper vor, der durch klare Grenzen gegenüber der Außenwelt charakterisiert ist, und der gegen jene Nomaden verteidigt werden muss, die die gesunde Homogenität des Volkskörpers bedrohen. „So wie der Schutz des Heims ein entscheidendes Anliegen des Bürgers und Privatmannes ist, so ist die Integrität seiner Grenzen die Existenzbedingung des Staates«, wusste schon der Marquess Curzon of Kedleston um das Jahr 1900 zu berichten. Oder nehmen wir Foucault in „Überwachen und Strafen“: „Eines der ersten Ziele der Disziplin ist das Festsetzen – sie ist ein gegen das Nomadentum gerichtetes Verfahren.“ Und dies schließt die strikte Unterscheidung zwischen dem guten und erwünschten Ausländer und dem schlechten und unerwünschten Flüchtling ein, zwischen potenziell qualifizierten Fachkräften, an denen es in Deutschland gerade mangelt, und dem unbrauchbaren Menschenmüll. Eine sanfte Integration und Kontrolle kolportiert die schonungslose Lagerpolitik, die man mit den unwillkommenen Migranten pflegt. Nun muss aber selbst das Manager Magazin feststellen, dass die qualifizierten Fachkräfte mit Deutschland so gar nichts am Hut haben. Nicht nur, dass sie in Kanada das Dreifache verdienen, sie finden die Deutschen schlichtweg unfreundlich, wenig distinguiert, man könnte sagen zum Kotzen und beabsichtigen, das Land so schnell wie möglich wieder zu verlassen.

Wolfgang Pohrt hat in den 1980er Jahren in einem Essay zum Flüchtling folgendes geschrieben: „Ähnlich wie heute, wo 100.000 zusätzliche Menschen in der BRD eine vernachlässigbare Größe wären, während 100.000 Asylbewerber, denen das Recht auf Freizügigkeit wie auf Arbeit entzogen wurde, bereits jetzt einen die Grundrechte unterminierenden Sonderfall darstellen und sich tatsächlich zu dem sozialen Problem entwickeln können, als welches man sie betrachtet; ähnlich wie heute also wurden damals (nach 1918) die Flüchtlinge zu einem destabilisierenden Element durch die Behandlung, die ihnen widerfuhr. Festgehalten im Stand der Rechtlosigkeit, welcher den der Gesetzlosigkeit einschließt, waren sie das anschaulichste Beispiel für das Schrumpfen des Geltungsbereichs von Gesetzen, für Zersetzungserscheinungen im Bereich staatlicher Kontrolle über die Bevölkerung und überhaupt für die wachsende Unfähigkeit des überkommenen Sozialgefüges, das Leben der Menschen in geregelten Bahnen zu halten.“ Wenn heute von einem Merz wieder gemault wird, dass wir uns überall auf Veränderungen einstellen müssen: Schule, Polizei, Wohnungsbau, Gerichte, Gesundheitswesen, überall, dann klingt dies nach der Neugestaltung der Bereiche staatlicher Kontrolle, für die das destabilisierende Element des Flüchtlings die Rolle des Auslösers übernimmt, um etwa das ein oder andere demokratische Recht zu verabschieden oder die Verarmung von Teilen der Bevölkerung noch weiter hoffähig zu machen, genauer jenes Teils, den die krankmachende Verarmungsmaschinerie in Billigarbeitskräfte und Sozialhilfeempfänger, die heute durch den Besuch der „stalinistischen“ Zwangsernährungs-, Bekleidungs- und Ein-Euro-Ketten (Seeßlen) ihr Leben phasisch sichern müssen, reguliert.

Was der deutsche Bürger auf keinen Fall wollen wird, das ist eine kommende Gegenwart, das sind nomadische Flüchtlingsströme, die die Autobahnen umfunktionieren und damit Kontingenzerweiterung betreiben. Das Letzte, was er will, ist Kontingenzerweiterung, und nicht einen Finger wird er krumm machen, um hier die Rechtsgleichheit der Flüchtlinge durchzusetzen. Denn dies könnte sich zu einem globalen Klassenkonflikt ausweiten.

Vorbei die Zeiten von 2015, als man noch schreiben konnte: Während Deutsche irgendwo in Sachsen einen vermeintlichen Ausländer klatschen (oder sich gerade darauf vorbereiten), klatschen Deutsche an den Bahnhöfen, an denen Züge mit Flüchtlingen aus Ungarn ankommen, Applaus. Beide Gruppen sind stolz auf Deutschland.

Noch der „letzte Bürger“ bleibt unbewusst vom maximalen Ausschluss vom Sozialen und Politischen geplagt, der normalerweise durch den Konsum, dem maximalen Indiz von Sicherheit, kompensiert wird. Unübersehbar tut sich die Kluft zwischen Passivität und einer auf Selbstoptimierung ausgelegten neoliberalen Wettbewerbsmoral auf. Und die unbescholtenen und hierüber sehr glücklichen Bürger müssen irgendwie von der Schuld der Passivität befreit werden, und normalerweise greifen hier die Medien mit ihrer Anekdotisierung der Welt ein, dem bunten Potpourri aus Verkehrsunfällen, Flugzeugabstürzen und Kriegen. Im Konsum der generalisierten Katastrophe erscheint dem Bürger die Seelenruhe der Privatsphäre (Baudrillard) noch als eine mühsam abgerungene Sache, die aber fortwährend bedroht und von vielfältigen Katastrophenszenarios und Krisen begleitet ist. Und so gilt dann selbst noch die „Flüchtlingskrise“ als eine zwingende Angelegenheit, damit die eigene Sicherheit nicht nur auf Raumtemperatur konsumiert, sondern zudem als eine gerechtfertigte Option empfunden werden kann, für die man schwer gearbeitet hat. Eine derartige Sentimentalität ergibt sich aus der Mischung von zuweilen euphorisierter Affirmation der eigenen Leistung, der von der erzwungenen Passivität nicht zu trennen ist, und der Ergötzung an den möglichen Opfern der Schicksals. Solchermaßen begreift sich der Bürger als Teil eines Kollektivs, als gelungener Teil eines reichen, eingekreisten und bedrohten Landes. Ein bestimmter Gestus der Sentimentalität verweist hier schnurstracks auf die Verschwörung aller. Nicht nur, wie Adorno schon geahnt hat, das Erschlaffen der Bürger im Konsum ist zu fürchten, sondern die „Kollektivität als blinde Wut des Machens“, jederzeit bereit, in Gewalt umzuschlagen. Der Bürger erfüllt die kollektive Funktion der Bürgerfabrik. „Was immer am Bürgerlichen einmal gut und anständig war, Unabhängigkeit, Beharrlichkeit, Vorausdenken, Umsicht, ist verdorben bis ins Innerste. Denn während die bürgerlichen Existenzformen verbissen konserviert werden, ist ihre ökonomische Voraussetzung entfallen. Das Private ist vollends ins Privative übergegangen, das es insgeheim von je war, und ins sture Festhalten am je eigenen Interesse hat sich die Wut eingemischt, daß man es eigentlich ja doch nicht mehr wahrzunehmen vermag, daß es anders und besser möglich wäre. Die Bürger haben ihre Naivität verloren und sind darüber ganz verstockt und böse geworden. Die bewahrende Hand, die immer noch ihr Gärtchen hegt und pflegt, als ob es nicht längst zum »lot« geworden wäre, aber den unbekannten Eindringling ängstlich fernhält, ist bereits die, welche dem politischen Flüchtling das Asyl verweigert.“ (Adorno)

Oberhaupt nicht wird über die ökonomischen und politischen Ursachen der Migration gesprochen, über den kapitalistischen Weltmarkt und die imperialistischen Kriege, die für Kriegs- und sog. Wirtschaftsflüchtlinge verantwortlich zu machen sind. Das sind  Unternehmen des Westens, die mit subventionierten Waren die afrikanischen und arabischen Ökonomien überschwemmen und den einheimischen Bevölkerungen dort ihre Lebensgrundlage entziehen. Märkte werden durch den Export von Hühnchenflügeln und Schlachtabfällen aus Deutschland zerstört. Im Zuge des globalen Landraubs werden Lebensmittel oder fruchtbare Böden (Palmölplantagen in der Elfenbeinküste, Rosen aus Kenia, Erdnüsse aus dem Senegal etc.), Fischfanggebiete und Rohstoffvorkommen (bspw. Uran aus Niger, Tschad und Mali) vom westlichen Kapital angeeignet. Im Unterschied zu europäischen Arbeitern werden weite Teile der Arbeitsnomaden in Afrika nicht gebraucht und unterbieten sich in der Konkurrenz um Lohnarbeit und landen schließlich in Slums bzw. in der Verelendung. Die ruinöse Rolle der Weltbank und des IWF wäre zu beschreiben, die Nahostpolitik des Westens und die dadurch entstandenen »faile states« und so weiter und so fort.

Und schließlich wäre auf die längst eingestellte Weltmarktdebatte der marxistischen Linken zu verweisen, den Luxus, dass sich Autorinnen wie Amir Samin und Christel Neusüss über eine Theorie des »Ungleichen Tausches« streiten konnten. Während Samin auf die Politik der ursprünglichen Akkumulation in der Dritten Welt und der damit verbundenen Politik der niedrigen Löhne abstellte, die zum ungleichen Tausch führte, ging Christel Neusüss von einer durch die Nationalstaaten und deren Währungen induzierten Modifikation des Wertgesetzes auf dem Weltmarkt aus, wobei das Wechselkursverhältnis die jeweiligen nationalen Produktivitätsunterschiede anzeigte. Diese Debatten wären wieder aufzugreifen und zu modifizieren. Mit Pohrt wäre darauf zu verweisen, dass es den Deutschen gerade wegen der Ausländer, nicht schlechter, sondern besser geht. Betrachtet man den Imperialismus im globalen Maßstab historisch, dann sieht die Sache noch einmal ganz anders aus. Würde man die Wertschöpfung des Proletariats im globalen Süden, die in den globalen Norden transferiert wurde und wird, als Kriterium für eine Einbürgerung nehmen, dann müsste der globale Norden heute glatt eine Milliarde Arbeiter aus dem globalen Süden aufnehmen. Bis heute wird deren Arbeit in den offiziellen Statistiken zum einem nicht unbeträchtlichen Teil den BIPs der Länder des globalen Nordens zugerechnet.


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