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Aufstand? Welcher Aufstand?

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Dass die moderne Macht subjektivierend wirkt, d.h. die Individuen in Subjekte transformiert, ihnen eine bestimmte Identität aufprägt, sie in bestimmte Rollen einfügt und ihnen ein bestimmtes Wissen zuschreibt, ist das Dilemma jedes Kampfes oder Widerstands gegen die moderne Macht; denn sie ist in einem gewissen Sinne schon eingegangen in genau die Subjektivitäten, die sich gegen sie richten könnten. *

Wenn man jetzt linke Analysen liest über die Implosion des Impulses, den die Wahl in Griechenland vom 25.1.15 darstellt, muss man feststellen, dass die Möglichkeit, es könnte so sein wie im Eingangszitat dargestellt, weiten Teilen der Linken nicht denkbar scheint – und falls doch, dass derartige Erkenntnisse im Ghetto der Akademie verstauben, anstatt in gelebter Realität in die Tat umgesetzt zu werden.

Die Analysen, die wir lesen, mögen noch so hilfreich sein, um die Abläufe rein von ihrer Empirie her zu verstehen – vgl. das auf diesem Blog verlinkte Interview mit Stathis Koevelakis in Jacobin oder die Analyse von Thomas Sablowski  in der Jungen Welt – dass diese Empirie jedoch durch eine nicht-bewusste Ideologie verzerrt sein könnte, wird nicht in Betracht gezogen. Sablowski legt als Fazit z.B. nahe:

Maßstab für sinnvolle Schritte der europäischen Integration oder der Rücknahme bestehender Integrationsformen sollten die Interessen der beherrschten Klassen und sozialen Gruppen sein. (Kursivierung M.St).

Sehen wir davon ab, wie wohlfeil und unverfänglich einen solche Forderung ist, wie sehr sie einem WahlKampfSlogan zum verwechseln ähnlich sieht und wie dürr dieses Fazit ist – angesichts des realpolitischen Spektakels, dem zu folgen wir gerade gezwungen waren. Legen wir den Fokus stattdessen darauf, dass diese Formulierung impliziert, wir hätten es bei den beherrschten Klassen mit diskreten Subjekten zu tun, die unabhängig von moderner Macht agierten. Wenn man das in Betracht zieht, kommt man der Ursache der (immerhin) mancherorts beklagten Impotenz der Linken vielleicht etwas näher, dass sie nämlich auf der Illusion beruht, ein freies und unabhängig agierendes Subjekt zu sein. Natürlich wird eine solche Annahme jeder Marxist – rein theoretisch – von sich weisen. Praktisch sieht es jedoch anders aus. Konkrete Konsequenzen aus einer neoliberalen Subjektformatierung, die die (Selbst)Kontrolle stets schon in sich trägt, findet man nicht. Eine linke Politik könnte ansonsten nicht davon ausgehen – wie im Falle Syriza 2015 – es wäre erfolgversprechend, mit einem scheinbar autonomen linken Subjekt, auf  die immer weiter gehenden Verrechtlichungen neoliberaler Verhältnisse in der EU loszugehen.

Davon abgesehen, und durchaus folgerichtig in der fälschlichen Annahme eines autonomen oder gar revolutionären Subjektes, kann man sehen, dass Protest und Widerstand heute, sich widerspruchslos den Platz zuweisen lässt, der ihm von der Macht angewiesen wird. In doppelter Hinsicht: Dieses Jahr in Elmau sahen wir, mit welchem Aufwand der Staatsapparat Protest insgesamt neutralisiert; in Frankfurt am 18.3. sahen wir, dass, falls doch die Polente mal zu spät kommt, ein hysterischer Propagandaapparat anspringt, der das Stimmungsbild mit seinem Spektakel bis in die Realpolitik hinein beherrscht. Die Frage, warum das so ist, dass der Protest nur an seinem vermeintlich logischen Ort stattfinden darf, und warum das so ist, dass er keinen Weg findet, gegen die gute alte HassTante von der Presse mit den SpringerStiefeln eine eigene Darstellung zu entwickeln, die auch Durchschlagskraft brächte, wird nicht gestellt. Sie kann nicht gestellt werden, solange der Widerstand nicht sieht, dass er Macht geleitet ist.

Von dieser problematischen Situation aus abgesehen, agiert linke Politik im Großen und Ganzen aber auch so, als hätte es das letzte Vierteljahrhundert nicht gegeben. Das Netz dient allenfalls der Dispersion, nicht der Bündelung von Kräften. Dabei könnte gerade das Netz der UnOrt werden, in dem eine andere Wirklichkeit virulent wird. Whistleblower und die Materialien, die sie ans Licht bringen, Hacker und ihre Blockade- und InfiltrationsFähigkeiten und schließlich neue Formen von medialer Berichterstattung müssten gebündelt werden. Für eine linke Politik aber gibt es das alles nicht.

Dabei könnte sie sich doch auch einen Effekt zu nutze machen, der gerade im Vorfeld des Referendums in Griechenland zu beobachten war. Dort hatten die Jasager alles in die mediale MainstreamWaagschale geworfen, um ein Nein zu verhindern – mit dem Effekt, dass viele sich plötzlich angewidert von diesem miesen Opportunismus abwandten und erst recht Nein sagten. Diesen Effekt gegen den miesen Opportunismus könnte man noch unterstützen, gäbe es gebündelte Information darüber, wie es hinter den Kulissen dieser Opportunisten aussieht. Man hat gesehen, dieses Kippmoment gibt es tatsächlich: Plötzlich werden die bis dahin klaglos ertragenen Abziehbilder neoliberaler Individuation zu verlogenen Fressen, denen man, in drei Teufels Namen, einen Tritt in der Arsch geben möchte. D.h. Mobilisierung ist effektiv möglich – mit den Mitteln die schon da sind... mit der Tagesschau, der nächsten Talkshow, der dümmsten Soap und der deppersten Reklame für noch mehr Freiheit im panopticonalen Nirwahna der SelbstKontrolle und SelbstOptimierung.

Diese Mobilisierung und die massive Bündelung einer Gegeninformation (ein Gegen-ohne-Gegensein) aber wäre auch eine gegen die Linke selbst – wenn es sich so verhält, wie im Eingangszitat angedeutet. Das heisst die entstehenden Mobilisierung würde auch das linke Subjekt in eine (weitere) Destabilisierung überführen – bevor herauszufinden wäre, wie es sich neu und anders konstituieren könnte. D.h., linke Politik heute müsste sich auf ihre eigene Zerstörung richten – in dem Sinne, dass sie als Teil des neoliberalen Subjektes nur wirklich handeln kann, indem sie sich als solches eliminiert und herausfindet, wie das Politische innerhalb einer Macht, in der das Subjekt stets Teil der Macht ist, neu funktionieren kann.

Von jeglicher Beantwortung dieser Frage scheinen wir aber Lichtjahre entfernt und es sieht so aus, als ob der Kapitalismus sein planetares Zerstörungswerk eher vollendet, als das wir einer Antwort näher kämen. Insofern bleibt zunächst nur die Anerkenntnis einer ausweglosen Situation und dessen, was man minimal noch leisten kann – in den Worten von Franco 'Bifo' Berardi:

Erstens bleibt einer jeglichen sozialen Bewegung nur, von sich selbst als einer Art Militärhospital zu denken (in dem Sinne, wie Franziskus über die Kirche sprach): um Platz zu schaffen für Heilung, Sorge und Solidarität mit den Erniedrigten.

Zweitens müssen wir die Offensive einer Kraft der Entmachtung schaffen: Konkurs, Aufkündigung, Preisgabe der politischen Szene und das absolute Schwarzsehen im Sog des Kriegesm der schon in jedem Winkel des Planeten lauert. (vgl. hier, Übers. M.St.)

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* Martin Saar, Die Form des Lebens, in: Michel Foucault: Ästhetik der Existenz, 2007, S. 335 f.

Vgl. zu diesem Kommentar: Achim Szepanski, Foucault und die Ökonomie-in-der-letzten-Instanz.

Der Beitrag Aufstand? Welcher Aufstand? erschien zuerst auf non.


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